BT-Drucksache 18/8555

Reformierung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und Alternativen zur Dublin-Verordnung

Vom 24. Mai 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8555
18. Wahlperiode 24.05.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz,
Annette Groth, Inge Höger, Andrej Hunko, Kerstin Kassner, Jan Korte,
Niema Movassat, Harald Petzold (Havelland) und der Fraktion DIE LINKE.

Reformierung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und Alternativen
zur Dublin-Verordnung

Am 6. April 2016 schlug die Europäische Kommission eine Reihe von Änderun-
gen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) vor. Dabei wurden
fünf Bereiche in den Fokus der aus Kommissionssicht notwendigen strukturel-
len Verbesserungen gestellt. In diesem Zusammenhang wurde neben der Stär-
kung des EURODAC-Systems (EURODAC: Europäische Datenbank zur Spei-
cherung von Fingerabdrücken), der Verhinderung sogenannter Sekundärmigra-
tion und der Ausweitung des Mandats für das Europäische Unterstützungsbüro
für Asylfragen (EASO) die Harmonisierung der Asylverfahren und -standards auf
EU-Ebene sowie die „Einführung eines tragfähigen, fairen Systems zur Bestim-
mung des für die Prüfung von Asylanträgen zuständigen Mitgliedstaates“ genannt
(http://europa.eu/rapid/press-release_IP-16-1246_de.htm).
Als sogenannte langfristige Perspektive wird in dem Vorschlag der Europäischen
Kommission auch die Möglichkeit angesprochen, das EASO längerfristig in eine
erstinstanzliche Asylentscheidungsbehörde auf EU-Ebene mit nationalen Zweig-
stellen in jedem EU-Mitgliedstaat auszubauen und eine entsprechende Rechts-
behelfsinstanz auf EU-Ebene einzurichten (https://ec.europa.eu/transparency/
regdoc/rep/1/2016/DE/1-2016-197-DE-F1-1.PDF, S. 9 und 10).
Hierzu äußerte sich PRO-ASYL-Geschäftsführer Günter Burkhardt kritisch. Er be-
zeichnete diesen Vorschlag der Europäischen Kommission als „politisches Ablen-
kungsmanöver, um davon abzulenken, dass in Griechenland derzeit das Asylrecht
durch Eilverfahren und Abschiebungen in die Türkei ausgehebelt wird“
(www.noz.de/deutschland-welt/politik/artikel/694164/pro-asyl-kritisiert-eu-plane-
zu-asylverfahren). Zudem wurde an verschiedener Stelle darauf hingewiesen, dass
sich eine solche Kompetenzübertragung auf eine europäische Institution nicht
unkompliziert gestalte, da „die Entscheidung darüber, wer als Migrant in ein Land
kommen darf und wer nicht, zu den genuinen Rechten souveräner Regierungen“
gehöre (www.welt.de/debatte/kommentare/article154032952/Bisheriges-EU-Asyl
recht-ist-eine-absurde-Kopfgeburt.html).
Selbst die Europäische Kommission räumte in ihrem Vorschlag (https://ec.
europa.eu/transparency/regdoc/rep/1/2016/DE/1-2016-197-DE-F1-1.PDF) ein,
dass dies sowohl einen „weitreichenden institutionellen Umbau“ als auch eine
Ausstattung der neuen EU-Behörde mit erheblichen, vor allem personellen, Res-
sourcen voraussetze und daher kurz- oder mittelfristig nur schwer umzusetzen sei.
Im Hinblick auf eine Reformierung des Dublin-Systems nennt der Vorschlag der
Europäischen Kommission zwei Optionen (a. a. O. S. 7 und 8). Die grundlegende

Drucksache 18/8555 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

Beibehaltung des bisherigen Zuständigkeitssystems mit einem ergänzenden Kor-
rektiv bzw. Fairness-Mechanismus wird als Option 1 dargestellt. Als Option 2
wurde die Einführung eines neuen Asylsystems vorgeschlagen, in welchem die
Zuständigkeit eines Mitgliedstaates für das Asylverfahren grundsätzlich nicht
mehr an den Ort des Erstantrags oder der Einreise anknüpfe, sondern die Asyler-
suchen nach einem festzulegenden, permanenten Schlüssel auf die EU-Mitglied-
staaten verteilt würden. Wie viele Asylsuchende von welchem Land aufgenom-
men werden, solle sich nach dieser Option vor allem an der Größe, der Wirt-
schaftskraft und der Aufnahmekapazität der Mitgliedstaaten orientieren. Nach-
dem insbesondere Frankreich und die osteuropäischen Staaten heftige Kritik an
einem permanenten Verteilungsschlüssel – wie in Option 2 vorgesehen – geäu-
ßert haben (Reuters Meldung vom 5. Mai 2016), haben sich der Erste Vizepräsi-
dent der Europäischen Kommission Frans Timmermans und der EU-Kommissar
Dimitris Avramopoulos in einer gemeinsamen Stellungnahme vom 12. Mai 2016
für die grundlegende Beibehaltung des aktuellen Dublin-Systems und die Einfüh-
rung des sogenannten Fairness-Mechanismus – also Option 1 – ausgesprochen
(http://europa.eu/rapid/press-release_SPEECH-16-1726_en.htm). Am 4. Mai 2016
veröffentlichte die Europäische Kommission einen weitergehenden, umfangrei-
chen Vorschlag für eine EU-Verordnung über die Festlegung der Kriterien und
Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von ei-
nem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten
Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (http://ec.europa.eu/dgs/home-
affairs/what-we-do/policies/european-agenda-migration/proposal-implementa-
tion-package/docs/20160504/dublin_reform_proposal_en.pdf).
Unter dem Stichpunkt „Sekundärbewegungen innerhalb der EU verhindern“
schlägt die Europäische Kommission Maßnahmen zur Unterbindung eines soge-
nannten Asylshoppings und der Aus- bzw. Weiterreise von Asylsuchenden vor
Abschluss ihres Asylverfahrens vor. Flüchtlinge, die sich aus dem für ihren Asyl-
antrag zuständigen Mitgliedstaat entfernen, sollen zukünftig mit erheblichen
Sanktionen belegt werden. Werden sie etwa in einem nicht zuständigen Mitglied-
staat aufgegriffen, sollen sie in den zuständigen Mitgliedstaat zurückgeschickt
und dort einem beschleunigten Verfahren unterzogen werden. Wird ihnen ange-
lastet, sich dem Asylverfahren im zuständigen Land durch Flucht entziehen zu
wollen, wird die Möglichkeit vorgeschlagen, sie in bestimmte Gebiete zu verbrin-
gen oder in Haft zu nehmen. Auch soll in solchen Fällen eine Versorgung nur
noch durch Sachleistungen gewährt werden. Es drohen weitere nachteilige Aus-
wirkungen auf das noch laufende Asylverfahren, zum Beispiel eine negative Be-
wertung der Glaubwürdigkeit der betroffenen Person.
PRO ASYL kritisierte in einer Stellungnahme zu dem Kommissionsvorschlag, es
handele „sich um alte Konzepte, die schlussendlich keine tatsächliche Alternative
zum dysfunktionalen Dublin-System darstellen“ (auch für die folgenden Zitate:
www.proasyl.de/news/neue-blaupausen-aus-bruessel-erste-einschaetzungen-von-
pro-asyl/). Letztlich sei „das gesamte Kommissionspapier darauf ausgerichtet,
das Dublin-System zu retten – und zwar mittels massiver Sanktionierung von
Schutzsuchenden“. So erweise sich das Konzept der Europäischen Kommission
als „Programm zur Schwächung von Flüchtlingsrechten in Europa“. Statt einer
solidarischen und umfassenden europäischen Lösung hätte man „es bei den Vor-
schlägen der EU-Kommission nur mit einer kollektiven Beschneidung von
Flüchtlingsrechten zu tun“.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/8555
 

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche der beiden Optionen zur „Einführung eines tragfähigen, fairen Sys-

tems zur Bestimmung des für die Prüfung von Asylanträgen zuständigen Mit-
gliedstaates“ (https://ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/1/2016/DE/1-2016-
197-DE-F1-1.PDF) wäre nach Einschätzung der Bundesregierung vorzuzie-
hen, und aus welchen konkreten Erwägungen heraus?
Falls keine der genannten Optionen als geeignet oder vorzugswürdig ange-
sehen wird, welche Gründe sind hierfür maßgeblich, und welche Lösungsan-
sätze und Voraussetzungen wären aus Sicht der Bundesregierung alternativ
möglich und erforderlich für eine funktionierende, europäische Flüchtlings-
aufnahme?

2. Welchen konkreten Zeitplan gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung für
die weitere Erarbeitung, Konkretisierung, Abstimmung und die Umsetzung
der Vorschläge zur Reform des GEAS bzw. zur Reform des Dublin-Systems?

3. Ist nach Kenntnis oder Einschätzung der Bundesregierung die im Kommis-
sionsvorschlag geäußerte Option 2, also die grundlegende Reform des euro-
päischen Asylsystems und die Einführung eines permanenten Verteilungs-
schlüssels, eindeutig bzw. endgültig abgelehnt worden, oder inwiefern findet
eine solche Reformvariante noch Eingang in die Diskussion um die Neue-
rung des europäischen Asylsystems?

4. Ist nach der Kenntnis oder den Einschätzungen der Bundesregierung für den
von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen „Fairness-Mechanis-
mus“ eine qualifizierte Mehrheit innerhalb der EU-Mitgliedstaaten erkenn-
bar?
Bilden sich nach Erkenntnissen der Bundesregierung innerhalb der Mitglied-
staaten in dieser Hinsicht gewisse Interessengruppen heraus, und wenn ja,
welche Staaten schließen sich zu welchen Interessenlagern zusammen?

5. Welche EU-Mitgliedstaaten sprechen sich nach Kenntnis der Bundesregie-
rung für die Beibehaltung des derzeitigen Dublin-Systems aus, und aus wel-
chen jeweiligen Gründen?

6. Werden nach Kenntnis der Bundesregierung ausgehend von den vorgeschla-
genen Optionen oder alternativ dazu vorsorglich andere Lösungsansätze er-
arbeitet oder verfolgt, und wenn ja, welche maßgeblichen Inhalte haben diese
Ansätze?

7. Wie soll nach Kenntnis oder Einschätzung der Bundesregierung verfahren
werden, wenn sich die Mitgliedstaaten nicht auf die Einführung eines „Fair-
ness-Mechanismus“ einigen, und wird die Bundesregierung im Zweifelsfall
eine diesbezügliche Entscheidung im Europäischen Rat mit qualifizierter
Mehrheit unterstützen?

8. Wie sollen die Schwellenwerte des „Fairness-Mechanismus“ nach Kenntnis
der Bundesregierung konkret berechnet werden, und inwieweit hält die Bun-
desregierung diesen Berechnungsmodus für ausreichend oder ergänzungsbe-
dürftig (bitte so konkret wie möglich antworten)?

9. Für welche Mitgliedstaaten wäre nach Kenntnis der Bundesregierung der
Schwellenwert des „Fairness-Mechanismus“ im Jahr 2015 überschritten
worden, wie viele Schutzsuchende hätten demnach auf welche Länder um-
verteilt werden müssen, und was würde aufgrund der bisherigen Entwicklung
entsprechend für das Jahr 2016 gelten (bitte Berechnungen darlegen und zu-
mindest Angaben für die Länder Deutschland, Griechenland und Italien ma-
chen)?

Drucksache 18/8555 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

10. Welche europäischen und nationalen Institutionen bzw. Behörden koordinie-
ren und überwachen auf welche Weise die Einhaltung und Umsetzung dieses
„Fairness-Mechanismus“ und inwiefern hält die Bundesregierung den vor-
gesehenen Überwachungsmechanismus für ausreichend oder inwiefern ver-
besserungswürdig?

11. Inwiefern wird nach Kenntnis der Bundesregierung bei der Verteilung der
Flüchtlinge im Rahmen des „Fairness-Mechanismus“ zwischen verschiede-
nen Flüchtlingsgruppen bzw. Nationalitäten differenziert oder priorisiert
werden?

12. Wie soll zukünftig und auch gerade im Rahmen des „Fairness-Mechanis-
mus“ nach Kenntnis der Bundesregierung das Recht auf Familiennachzug
gestärkt werden?

13. Wie kam es nach Kenntnis der Bundesregierung zu dem Vorschlag, die
Nichtbeteiligung am „Fairness-Mechanismus“ mit einer Summe von
250 000 Euro pro nichtaufgenommen Flüchtling zu sanktionieren, und in-
wiefern und aus welchen Gründen hält die Bundesregierung eine solche
Sanktionierung in dieser Höhe für angemessen?
a) Wie lautet nach Kenntnis der Bundesregierung die Berechnungsgrund-

lage für diese Saktionssumme, und welche Annahmen liegen ihr zu-
grunde?

b) Inwiefern entspricht diese Summe nach Kenntnis oder Einschätzung der
Bundesregierung den tatsächlichen Kosten im Zusammenhang mit der
Aufnahme und Versorgung eines Flüchtlings, und inwieweit ist dies damit
vereinbar, dass selbst im bundesdeutschen Kontext von weitaus geringe-
ren Kosten ausgegangen wird (z. B. von Pauschalen in Höhe von
1 000 Euro pro Monat/asylsuchender Person)?

c) Inwiefern wird diese einheitliche Sanktionssumme nach Auffassung der
Bundesregierung den unterschiedlichen Lebensstanddards, Unterhalts-
kosten und wirtschaftlichen Verhältnissen in den verschiedenen Mitglied-
staaten gerecht?

d) Wie soll oder kann nach Kenntnis oder Einschätzung der Bundesregie-
rung diese Sanktionierung durchgesetzt werden?

e) Entspricht die Äußerung des Parlamentarischen Staatssekretärs beim
Bundesminister des Innern in der Sitzung des Innenausschusses vom
11. Mai 2016 zum Tagesordnungspunkt 8, wonach der Vorschlag einer
Ausgleichszahlung in Höhe von 250 000 Euro unterstützt würde und den
realen Kosten entspreche, der Position der gesamten Bundesregierung?

f) Wie bewertet die Bundesregierung die Idee eines positiven Sanktionsme-
chanismus, der die Mitgliedstaaten (gegebenenfalls auch Städte oder
Kommunen), die zu einer (überdurchschnittlichen) Aufnahme von Asyl-
suchenden bereit sind, entsprechend unterstützt, etwa durch Mittel eines
entsprechenden EU-Fonds, in den alle Mitgliedstaaten entsprechend ihrer
wirtschaftlichen Möglichkeiten einzahlen müssen (bitte darlegen), und
würde sie solch ein Modell angesichts der bisherigen Ablehnung des Ne-
gativ-Sanktionsvorschlags insbesondere durch die Visegrád-Staaten un-
terstützen (bitte begründen)?

14. Inwiefern teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass eine stärkere Sank-
tionierung der sogenannten sekundären Migration und damit verbundene
Maßnahmen (Sanktionierung, Inhaftierung etc.) zu einer Illegalisierung und
Kriminalisierung der Schutzsuchenden führen könnte, und inwiefern hält sie
dieses Vorgehen und dessen Folgen für völker-, menschen- und europarecht-
lich bedenklich?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/8555
 

15. Wie definiert die Bundesregierung bzw. nach Kenntnis der Bundesregierung
die Europäische Kommission den Begriff des „Asylshoppings“?
Wann und durch wen wurde dieser Begriff nach Kenntnis der Bundesregie-
rung eingeführt und geprägt?

16. Wie positioniert sich die Bundesregierung zu der Möglichkeit von Rücküber-
stellungen ohne die Möglichkeit eines Rechtsschutzes mit aufschiebender
Wirkung, wie sie im Zuge der aktuellen Dublin-Reformvorschläge diskutiert
werden?
a) Inwiefern wären solche Rücküberstellungen mit dem Grundgesetz und

dem Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes aus der Charta der Grund-
rechte der Europäischen Union vereinbar, zumal es im Regelfall um dro-
hende Menschenrechtsverletzungen und erhebliche Gefährdungen für die
Betroffenen im jeweiligen Zielstaat der Überstellung geht?

b) Inwiefern ließen sich solche Rücküberstellungen mit der Tatsache verein-
baren, dass Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen Dublin-
Überstellungen derzeit bei diversen Ländern hohe Erfolgsquoten haben,
etwa 45,5 Prozent in Bezug auf Ungarn und 25,9 Prozent in Bezug auf
Italien (Bundestagsdrucksache 18/8450, Frage 11)?

17. Inwiefern teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass eine weitere Um-
verteilung von Flüchtlingen aus Griechenland und Italien eine notwendige
Maßnahme zur Entlastung der am stärksten betroffenen EU-Mitgliedstaaten
an den EU-Außengrenzen ist, und in welcher Größenordnung und in wel-
chem Zeitraum müsste diese Umverteilung nach Auffassung der Bundesre-
gierung vorgenommen werden?
a) Inwiefern könnte in diesem Zusammenhang eine gezielte Aufnahme von

Flüchtlingen aus dem inoffiziellen Flüchtlingscamp bei Idomeni zu einer
Entlastung beitragen?

b) Wie positioniert sich die Bundesregierung zu Forderungen von Bürger-
initiativen, die eine solche Aufnahme – auch auf kommunaler Ebene und
Landesebene – anregen (https://cars-of-hope.org/2016/04/19/offener-brief-
menschen-aus-idomeni-in-wuppertal-aufnehmen/ oder http://50ausidomeni.
de/), und inwiefern unterstützt sie solche Forderungen?

18. Welche Überlegungen und Bestrebungen der Bundesregierung gibt es derzeit
zur Umsetzung der EU-Asylverfahrensrichtlinie und der EU-Aufnahmericht-
linie (Zeitpläne, Gesetzesvorhaben etc.)?
a) Inwiefern ist geplant, an den hierzu bereits ausgearbeiteten Referenten-

entwurf des Bundesministeriums des Innern „Entwurf eines Gesetzes
zur Umsetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems“ vom
30. September 2015 anzuknüpfen (wenn nein, bitte begründen)?

b) Wie rechtfertigt die Bundesregierung die mangelnde Umsetzung der vor-
genannten EU-Richtlinien, auch in Anbetracht der Tatsache, dass die Frist
hierzu bereits im Juni 2015 abgelaufen ist und die Bundesregierung sei-
tens der Europäischen Kommission bereits mehrfach angemahnt
(http://europa.eu/rapid/press-release_IP-16-270_de.htm) wurde?

c) Wie ist der aktuelle Stand des diesbezüglichen Vertragsverletzungsver-
fahrens, was waren die letzten Schritte, welcher Schritt folgt als nächstes,
und in welchen wesentlichen Punkten bestehen weiterhin inhaltlich unter-
schiedliche Auffassungen der Europäischen Kommission bzw. der Bun-
desregierung (bitte konkret im Einzelnen mit Daten und so ausführlich
und nachvollziehbar wie möglich ausführen)?

Drucksache 18/8555 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

d) Wie positioniert sich die Bundesregierung zu dem im EU-Komissionsvor-
schlag (https://ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/1/2016/DE/1-2016-
197-DE-F1-1.PDF) geäußerten Vorschlag,
 die Anerkennungsrichtlinie durch eine entsprechende Verordnung zu

ersetzen?

Inwieweit hält die Bundesregierung diesen Schritt für notwendig?
 die Asylverfahrensrichtlinie durch eine entsprechende Verordnung zu

ersetzen?

Inwieweit hält die Bundesregierung diesen Schritt für notwendig?
 die EU-Richtlinie über die Aufnahmebedingungen zu ändern, um eine

EU-weite Harmonisierung zu erreichen?

Inwieweit hält die Bundesregierung diesen Schritt für notwendig?
 die Richtlinie über den langfristigen Aufenthalt dahingehend zu än-

dern, dass die Berechnung des Zeitraumes von fünf Jahren, nach dem
Personen, die internationalen Schutz genießen, Anspruch auf die
Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten hätten, jedes
Mal wieder von vorn beginnt, wenn die betreffenden Personen das Ho-
heitsgebiet des Mitgliedstaats, der ihnen Schutz gewährt, ohne Geneh-
migung verlassen haben?

19. Inwiefern hält die Bundesregierung einen Ausbau der Kompetenzen des
EASO, wie von der Europäischen Kommission vorgeschlagen (https://ec.
europa.eu/transparency/regdoc/rep/1/2016/DE/1-2016-197-DE-F1-1.PDF),
für möglich und unterstützenswert, welche Probleme können sich nach Ein-
schätzung der Bundesregierung aus der vorgeschlagenen Erweiterung der
Kompetenzen ergeben, und inwieweit wäre die angedachte Kompetenz einer
EU-Behörde für inhaltliche Asylentscheidungen (inklusive einer gerichtli-
chen Überprüfung auf EU-Ebene) mit dem Grundsatz der Subsidiarität ver-
einbar und in der Praxis realisierbar (bitte ausführen)?

20. Inwiefern kann nach Kenntnis der Bundesregierung eine Ausweitung des
Anwendungsbereichs von EURODAC, wie von der Europäischen Kommis-
sion vorgeschlagen (https://ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/1/2016/
DE/1-2016-197-DE-F1-1.PDF), konkret dazu beitragen, die Abschiebung ir-
regulärer Migrantinnen und Migranten zu fördern oder zu beschleunigen?

21. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass eine erzwungene
Verteilung ohne jegliche Mitbestimmungsrechte der Schutzsuchenden weni-
ger erfolgversprechend und förderlich für die Integration der Betroffenen ist,
als wenn die individuellen Voraussetzungen, Kenntnisse, Familienbeziehun-
gen und Bedürfnisse der Asylsuchenden mit berücksichtigt werden (bitte Po-
sition darlegen und begründen)?

22. Inwiefern wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass innerhalb ei-
nes europäischen Asylsystems vorhandene Familienbindungen (über die so-
genannte Kernfamilie hinaus), Sprachkenntnisse und individuelle Beweg-
gründe der Schutzsuchenden bei einer Verteilungsentscheidung maßgeblich
Berücksichtigung finden, und wenn sie sich nicht dafür einsetzt, mit welcher
Begründung?

23. Welche aktuellen Überlegungen gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung
auf EU-Ebene zu zukünftigen Kooperationen und zur Zusammenarbeit mit
welchen Drittstaaten im Bereich der Flüchtlingspolitik?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/8555
 

24. Wie viele der in der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge heraus-
gegebenen „Asylgeschäftsstatistik für den Monat März 2016“ aufgelisteten
Asylverfahren („Asylbewerberzugänge“) aus dem Jahr 2015 wurden nach
Kenntnis der Bundesregierung europaweit ohne inhaltliche Entscheidung
eingestellt, etwa wegen Aus- bzw. Weiterreise der Betroffenen (bitte nach
den einzelnen Ländern und soweit wie möglich nach Einstellungsgründen
differenzieren)?

25. Setzt sich die Bundesregierung für das von der Europäischen Kommission in
ihrer Mitteilung vom 6. April 2016 (KOM(2016) 197 endg.) formulierte Ziel
ein, dass „diejenigen, die internationalen Schutz benötigen, effektiv Zugang
zu Asylverfahren erhalten“ (S. 2), und wie ist diese Zielstellung mit aktuellen
Initiativen der Europäischen Union vereinbar, die einen Zugang zu Asylver-
fahren in der Europäischen Union nach Ansicht der Fragesteller restriktiver
gestalten, etwa indem infolge der Konzepte sicherer Drittstaaten bzw. eines
ersten Asylstaates Schutzsuchende auf Länder außerhalb der Europäischen
Union (z. B. an die Türkei) verwiesen werden (bitte ausführen)?

26. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Analyse der Europäischen Kommis-
sion in ihrer Mitteilung vom 6. April 2016 (a. a. O., S. 4), eine der „Ursachen
für die zunehmende Missachtung von EU-Vorschriften in den letzten Jahren“
sei, dass nach den bisherigen Dublin-Regeln „die rechtliche Verantwortung
für den größten Teil der Asylbewerber einigen wenigen Mitgliedstaaten“ zu-
gewiesen worden sei, was „jeden Mitgliedstaat in Schwierigkeiten bringen“
würde, und wie bewertet sie vor diesem Hintergrund zumindest im Nach-
hinein ihre jahrelange Weigerung, grundlegende Änderungen am Prinzip der
Zuständigkeitsregeln der Dublin-Verordnung vorzunehmen (bitte ausführen)?

27. Was bedeutet es, wenn nach Auffassung der Europäischen Kommission
(a. a. O., S. 4) das bisherige Dublin-System einen Zusammenhang herstellt
„zwischen der Zuständigkeitszuweisung in Asylfragen und der Pflichterfül-
lung der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Sicherung der Schengen-Außen-
grenzen“, vor dem Hintergrund, dass Schutzsuchende an den Schengen-Au-
ßengrenzen gar nicht ohne vorherige Prüfung ihres Schutzgesuchs zurückge-
wiesen werden dürfen?
a) Was bedeutet nach Auffassung der Bundesregierung „Pflichterfüllung der

Mitgliedstaaten“ in diesem Zusammenhang?
b) Aus welchen Gründen und Erwägungen heraus sollte nach Auffassung

der Bundesregierung ein Mitgliedstaat für die Asylprüfung zuständig ge-
macht werden, nur weil über seine Außengrenzen Schutzsuchende ent-
sprechend der Regeln des Völkerrechts und des EU-Rechts in die Euro-
päische Union gelangt sind (bitte ausführen)?

28. Kann die Türkei angesichts der jüngsten Entwicklung (z. B. Aufhebung der
Immunität von Abgeordneten, strafrechtliche Verfolgung von kritischen Ab-
geordneten, Journalistinnen und Journalisten, Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern usw. mit dem Vorwurf der Unterstützung des Terrorismus)
nach Auffassung der Bundesregierung als sicherer Herkunftsstaat angesehen
werden (wenn ja, bitte begründen), und wie wird sie sich vor diesem Hinter-
grund zu dem Plan auf EU-Ebene verhalten, die Türkei als „sicheren Her-
kunftsstaat“ einzustufen, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, über Men-
schenrechtsverletzungen in der Türkei zur Aufrechterhaltung der EU-Türkei-
Flüchtlingsvereinbarung hinwegzusehen (bitte ausführen)?

Drucksache 18/8555 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

29. Kann die Türkei angesichts z. B. der Dokumentation von PRO ASYL (news
vom 20. Mai 2016: „EU-Türkei-Deal muss beendet werden“) über die Ver-
weigerung von Flüchtlingsschutz in der Türkei nach Auffassung der Bundes-
regierung als „sicherer Drittstaat“ angesehen werden, und wie ist nach
Kenntnis der Bundesregierung die Auffassung der griechischen Regierung
bzw. der griechischen Justiz zu dieser Frage (bitte ausführlich antworten)?

30. Wie beurteilt die Bundesregierung den Plan der Europäischen Kommission
und inwiefern wird sie ihn unterstützen, „den Unterschied zwischen dem
Flüchtlingsstatus und dem subsidiären Schutzstatus deutlicher herauszustel-
len“ (Mitteilung vom 6. April 2016, a. a. O., S. 12), vor dem Hintergrund,
dass es auf der EU-Ebene zuletzt Bemühungen gab, die Rechte von subsidiär
Schutzberechtigten denen von international Schutzberechtigten anzuglei-
chen, weil beide Gruppen im Regelfall gleichermaßen längerfristig schutz-
bedürftig sind (bitte ausführen)?

31. Wie beurteilt die Bundesregierung den Plan der Europäischen Kommission,
und inwiefern wird sie ihn unterstützen, die Erteilung eines dauerhaften Auf-
enthaltsstatus an Flüchtlinge von einer Bestätigung darüber abhängig zu ma-
chen, dass – nach Prüfung der Lage im Herkunftsland und der persönlichen
Situation der Betroffenen –, unverändert Schutz benötigt wird (Mitteilung
vom 6. April 2016, a. a. O., S. 12), vor dem Hintergrund, dass die entspre-
chende Regelung in § 26 Absatz 3 des Aufenthaltsgesetzes erst Mitte 2015
gerade in gegenteiliger Richtung gelockert wurde, auch um das Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge zu entlasten (bitte begründen)?

32. Wie beurteilt die Bundesregierung den Plan der Europäischen Kommission,
und inwiefern wird sie ihn unterstützen, durch Änderungen der EU-Aufnah-
merichtlinie „Anreize zu verringern, sich auf den Weg nach Europa zu ma-
chen und innerhalb Europas in bestimmte Mitgliedstaaten weiterzureisen“
(Mitteilung vom 6. April 2016, a. a. O., S. 12), und wie wäre eine verfas-
sungsgemäße Umsetzung dieses Vorhabens in Deutschland möglich, nach-
dem das Bundesverfassungsgericht mit seinem Grundsatzurteil zum Asylbe-
werberleistungsgesetz im Jahr 2012 klargestellt hat, dass die Menschen-
würde migrationspolitisch nicht relativierbar ist und sich die Leistungen für
Asylsuchende deshalb nach ihren realen Bedürfnissen im Rahmen des men-
schenwürdigen Existenzminimums zu richten haben (bitte ausführen)?

Berlin, den 24. Mai 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

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