BT-Drucksache 18/8493

Eröffnung eines Internationalen Ermittlungsbüros gegen Migrantenschmuggel in Wien

Vom 13. Mai 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8493
18. Wahlperiode 13.05.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Jan van Aken, Sevim Dağdelen, Annette Groth,
Inge Höger, Ulla Jelpke, Jan Korte, Katrin Kunert, Niema Movassat,
Dr. Alexander S. Neu, Harald Petzold (Havelland), Alexander Ulrich und
der Fraktion DIE LINKE.

Eröffnung eines Internationalen Ermittlungsbüros gegen Migrantenschmuggel
in Wien

Der österreichische Bundesminister für Inneres Wolfgang Sobotka hat am 4. Mai
2016 ein „Joint Operational Office against Human Smuggling Networks“ (JOO)
in Wien eröffnet (Pressemitteilung Bundeskriminalamt Österreich vom 4. Mai
2016). Dort wird die Einrichtung vom österreichischen Bundesministerium für
Inneres als „Internationales Ermittlungsbüro gegen Schlepperei“ bezeichnet.
Schwerpunkt der Ermittlungsarbeit sei die Balkanroute sowie die Route über Ita-
lien. Das JOO soll als „regionale operative Plattform“ für international Ermittlun-
gen dienen (Pressemitteilung Europol vom 4. Mai 2016). Adressiert werden
„Migranten schmuggelnde Gruppen der organisierten Kriminalität“. Während ei-
ner „heißen Phase“ einer Operation soll das JOO internationale Ermittler mitein-
beziehen, „um gemeinsam am Ermittlungsfall zu arbeiten“. Rechtliche Basis sei
die „Police Cooperation Convention for Southeast Europe“ (PCC-SEE) mit Be-
amtinnen und Beamten aus der Balkanregion sowie EU-Ländern. Das Zentrum
soll aber auch als Kontaktstelle für entsprechende Ermittlungen von Behörden
aus den Herkunftsländern der Migrantinnen und Migranten dienen.
Das Ermittlungsbüro arbeitet eng mit dem bei Europol im Februar 2016 gestarteten
„Europäischen Zentrum zur Bekämpfung der Migrantenschleusung“ (EMSC) zu-
sammen, dessen Eröffnung im Rahmen einer gemeinsamen Konferenz von Europol
und INTERPOL erfolgte (Pressemitteilung Europol vom 22. Februar 2016). Ziel des
erstmals im Mai 2015 in der „Europäischen Migrationsagenda“ erwähnten EMSC
ist die Stärkung der Rolle Europols bei der „Zerschlagung von Schleppernetzen“
(Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei Cilip vom 21. Februar 2016). Das Zentrum ist
eine Erweiterung des von Europol im vorvergangenen Jahr in Den Haag gestarteten
Lagezentrums „Joint Operation Team (JOT) Mare“. Ähnlich wie die Europäische
Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen (FRONTEX) ver-
fügt das EMSC über neuartige „mobile Ermittlungsunterstützungsteams“ (EU Mo-
bile Investigation Support Team, EMIST). Zusammengesetzt aus „Experten und
Analysten von Europol“ sollen die Teams zuerst in den sogenannten Hotspots in
Italien und Griechenland zum Einsatz kommen. Ihre Aufgabe besteht in den „Er-
mittlungen zur Aufdeckung von Schleusernetzen“, aber auch in der Vorbereitung
„greifbarer operativer Aktivitäten“ mit nationalen Ermittlungsteams aus den EU-
Mitgliedstaaten. Alle zuständigen EU-Agenturen erhalten von den „mobilen Ermitt-
lungsunterstützungsteams“ regelmäßige Frühwarnberichte sowie auf Anforderung
auch „operative und strategische Produkte“ zur Einleitung von Ermittlungen oder
Durchführung von Razzien (vgl. Bundestagsdrucksache 18/6859).

Drucksache 18/8493 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

Das JOO in Wien wird als das „operative Bindeglied zwischen EMSC und Euro-
pol“ bezeichnet (Pressemitteilung Bundeskriminalamt Österreich vom 4. Mai
2016). Organisatorisch Teil des Bundeskriminalamtes, gehört das JOO zur „Eu-
ropäischen multidisziplinären Plattform gegen kriminelle Bedrohungen“ (EM-
PACT). Auf diese Weise kann das JOO durch die Europäische Union und Europol
gefördert werden. Zunächst sind beim JOO 38 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
beschäftigt. Europol will weiteres Personal entsenden.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Behörden welcher EU-Mitgliedstaaten nehmen nach Kenntnis der

Bundesregierung fortwährend oder anlassbezogen an dem JOO in Wien teil?
a) Wie wird das Zentrum finanziert, und welche Summen werden aus wel-

chen Finanztöpfen übernommen?
b) Welche Behörden oder Agenturen haben wie viele Mitarbeiterinnen und

Mitarbeiter in das JOO entsandt?
c) Was ist nach Kenntnis der Bundesregierung damit gemeint, wenn das ös-

terreichische Bundeskriminalamt davon spricht, es würden bis zu acht
ausländische Ermittler „operativ eingesetzt“, um gemeinsam an einem Er-
mittlungsfall zu arbeiten?

d) Auf welcher rechtlichen Grundlage findet eine solche operative Arbeit
ausländischer Ermittlerinnen und Ermittler in den jeweiligen Ländern
statt?

2. Welches Ziel wird mit dem JOO nach Kenntnis der Bundesregierung ver-
folgt?
a) Wie grenzt sich das Zentrum von den sonstigen Aufgaben der Polizei-

agentur Europol bzw. des EMSC ab?
b) Auf welche Weise arbeitet das JOO mit dem EMSC zusammen?
c) Welche regionalen Schwerpunkte werden von dem Zentrum gesetzt?

3. Welche Behörden welcher Länder nehmen nach Kenntnis der Bundesregie-
rung an der bei Eurojust eingerichteten Fachgruppe „Migrantenschleusung“
teil?

4. Welche Behörden welcher Länder nahmen nach Kenntnis der Bundesregie-
rung am 3. und 4. Mai 2016 am „Kick-Off-Meeting“ von EMPACT zu irre-
gulärer Migration teil?
a) Was ergab der Austausch über „zukünftige Ermittlungsschritte“ und wel-

che Verabredungen wurden getroffen?
b) Inwiefern wurden im Rahmen des EMPACT-Treffens oder im Rahmen

des JOO auch gemeinsame Polizeiaktionen (Joint Police Operations, JPO)
erörtert oder geplant?

5. Auf welche Weise arbeitet das JOO nach Kenntnis der Bundesregierung mit
dem PCC-SEE und mit dem von Europol unterstützen „Southeast European
Law Enforcement Centre“ (SELEC) in Bukarest zusammen?

6. Welche Behörden oder sonstige Partner nehmen derzeit an dem deutsch-ös-
terreichischen Polizeikooperationszentrum in Passau teil (Pressemitteilung
der Polizei Bayern vom 16. Dezember 2015), welche Aufgaben werden dort
übernommen, und inwiefern ist eine Zusammenarbeit mit dem JOO anvi-
siert?

7. Mit welchen Mitteln und Kompetenzen für gemeinsame europäische Ermitt-
lungen ist das JOO nach Kenntnis der Bundesregierung ausgestattet?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/8493
 

8. Inwiefern und in welchem Umfang sollen die Ermittlerinnen und Ermittler
des JOO nach Kenntnis der Bundesregierung auch Befragungen einzelner
Migrantinnen und Migranten durchführen?

9. Wie definiert die Bundesregierung den Begriff „Schleuserkriminalität“, was
ist ihr über unterschiedliche Auslegungen in anderen Mitgliedstaaten be-
kannt, und inwiefern strebt sie eine EU-einheitliche Definition an?
a) Inwiefern soll die Ermittlungsarbeit des JOO lediglich auf Gruppen der

„organisierten Kriminalität“ beschränkt sein?
b) Nach welcher Maßgabe könnte oder sollte das JOO aus Sicht der Bundes-

regierung auch die nicht profitorientierte Fluchthilfe aus humanitären
oder politischen Gründen verfolgen?

10. Auf welche Weise wird die Bundesregierung die Forderung umsetzen, beste-
hende Informationssysteme sowie öffentliche Daten, Plattformen und Part-
nerschaften mit Unternehmen der sozialen Medien sowie alle anderen ver-
fügbaren Instrumente „optimal zu nutzen“, um Daten und Systeme „für eine
prädiktive Analyse der Migrantenströme und der sich daraus ergebenden
Schleusertätigkeiten zu nutzen“ (Schlussfolgerungen des Rates zur Migran-
tenschleusung vom 10. März 2016)?

11. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, inwiefern die JOO auch die
forensische oder inhaltliche Auswertung (auch Übersetzung) abgehörter Te-
lefonate übernehmen soll bzw. hierzu koordinierend tätig wird?

12. Was ist aus Sicht der Bundesregierung damit gemeint, wenn der Rat die
Kommission zur Unterstützung der Mitgliedstaaten auffordert, „proaktiv“
Finanzermittlungen bei Fällen von „Migrantenschleusung“ durchzuführen
und entsprechende Kenntnisse auszutauschen (Schlussfolgerungen des Rates
zur Migrantenschleusung vom 10. März 2016)?

13. Welche deutschen Behörden (Polizei, Zoll, Geheimdienste), Koordinations-
und Kooperationsplattformen oder sonstigen Zusammenarbeitsformen arbei-
ten derzeit mit dem EMSC (mittelbar oder unmittelbar) zusammen bzw. lie-
fern Informationen?

14. Welche deutschen Behörden erhalten nach welcher Maßgabe tägliche La-
ge-/Analyseberichte zur Migrationslage des bei Europol eingerichteten „Mo-
nitoring Centers zur Analyse der aktuellen Migrationsströme innerhalb der
EU“ (Europol Monitoring Team – EPMT)?

15. Welche Details zur Umsetzung von Plänen des EMSC kann die Bundesre-
gierung mitteilen, wonach der Auswerteschwerpunkt „Checkpoint“, das JOT
Mare sowie die neu einzurichtenden oder umstrukturierten Teileinheiten JOT
Secondary, das EPMT, das EMIST und das „Europol Mobile Analysis Sup-
port Team“ (EMAST) zusammengefasst werden sollten (Bundestagsdruck-
sache 18/7797)?

16. Was ist der Bundesregierung inzwischen darüber bekannt, auf welche Weise
das EMSC die „Ermittlung von Internetinhalten, mit denen Schlepper Mi-
granten und Flüchtlinge anlocken“ betreibt, und worin die „stärkere Unter-
stützung durch Europol bei der Aufdeckung der von Schleusern verwendeten
Internetinhalte“ besteht (Bundestagsdrucksachen 18/7797 und 18/6591,
(COM(2015) 285 final)?
a) Wie viele „Internetinhalte, mit denen Schlepper Migranten und Flücht-

linge anlocken“ wurden von der Meldestelle gefunden und zur Entfernung
beantragt, und in welchen Auswerteschwerpunkten werden Informatio-
nen zu den Internetinhalten bei Europol gespeichert?

Drucksache 18/8493 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

b) Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, auf welche Weise die Eu-
ropäische Kommission dafür Sorge trägt, „dass in Zusammenarbeit mit
den einschlägigen Agenturen konkret erfasst wird, wie soziale Medien für
die Zwecke der Migrantenschleusung verwendet werden“ (Schlussfolge-
rungen des Rates zur Migrantenschleusung vom 10. März 2016)?

c) Auf welche Weise wird Europol dafür sorgen, „dass das EMSC in Zusam-
menarbeit mit der Meldestelle für Internetinhalte – zusätzlich zu den der-
zeitigen Tätigkeiten anderer Akteure – den Ausbau der bestehenden und
künftigen Plattformen zur Kooperation mit sozialen Medien und Internet-
dienstanbietern sowie mit Finanzinstitutionen unterstützt“?

17. Was ist der Bundesregierung über Pläne von EU-Agenturen bekannt, Ge-
flüchtete noch vor Erreichen europäischer Außengrenzen aufzuspüren und
zu verfolgen („track and control people trying to reach the continent before
they get here“, Guardian vom 18. Februar 2016)?
a) Welche Treffen haben hierzu stattgefunden, und inwiefern trifft es, wie

von der Tageszeitung „Guardian“ berichtet, zu, dass daran Unternehmen
wie Securiport LLC, Crossmatch, Unisys, Thales S. A. und 3M teilnah-
men?

b) Welche Firmen haben auf den Treffen welche Anwendungen präsentiert?
c) Inwiefern stehen die Anstrengungen im Zusammenhang mit den soge-

nannten Schnellprüfkarten, deren Einführung die FRONTEX plant, und
worum handelt es sich dabei?

d) Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, auf welche Weise
FRONTEX in der Intranet gefälschte und Echte Dokumente Online
(iFADO)-Datenbank enthaltene Fotos für die „Schnellprüfkarten“ nutzen
will (Ratsdok. 7819/16)?

e) Welche Daten dieser „Schnellprüfkarten“ würden umgekehrt von
FRONTEX in die iFADO-Datenbank eingestellt?

18. Auf welche Weise wird die Bundesregierung die Forderung umsetzen, einen
Dialog insbesondere mit dem „Transportsektor“ zu führen, um „Verhaltens-
regeln und Leitlinien im Hinblick auf die Verhinderung von Migranten-
schleusung und die Bewältigung der damit verbundenen Gefahren zu unter-
suchen und neue zu erarbeiten“ (Schlussfolgerungen des Rates zur Migran-
tenschleusung vom 10. März 2016), und welche Unternehmen oder Ver-
bände werden hierzu angesprochen?

19. Was ist der Bundesregierung inzwischen zur Aufstellung eines „INTERPOL
Specialist Operational Network against Migrant Smuggling“ in enger Ko-
operation mit Europol bekannt, das aus Mitgliedern der Herkunfts-, Transit-
und Zielländer bestehen soll (Bundestagsdrucksache 18/7797)?

20. Welche weiteren Details sind der Bundesregierung mittlerweile über Ziele,
Teilnehmende und Zeitraum einer für das Jahr 2016 geplanten „Operation
Hydra“ bekannt, die laut der Bundesregierung auf die „Intensivierung der
Fahndungen nach Personen, die im Zusammenhang mit Schleusungskrimi-
nalität (aktuell) international aber auch national gesucht werden“ zielt (Bun-
destagsrucksache 18/7797)?

Berlin, den 12. Mai 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.