BT-Drucksache 18/8389

Neue Vermittlungsinitiativen im Bergkarabach-Konflikt

Vom 4. Mai 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8389
18. Wahlperiode 04.05.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katrin Kunert, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken,
Annette Groth, Inge Höger, Michael Leutert, Niema Movassat, Kathrin Vogler und
der Fraktion DIE LINKE.

Neue Vermittlungsinitiativen im Bergkarabach-Konflikt

Die Fraktion DIE LINKE. hat im Januar 2016 in der Kleinen Anfrage auf Bun-
destagsdrucksache 18/7409 die angespannte Situation im armenisch-aserbaid-
schanischen Konflikt um die Region Bergkarabach im Südkaukasus sowie die
Bedeutung einer intensiveren Konfliktvermittlung unter dem diesjährigen OSZE-
Vorsitz Deutschlands (OSZE: Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit
in Europa) thematisiert. Diese Notwendigkeit wird durch die jüngsten Ereignisse
auf dramatische Weise verdeutlicht: In der Nacht vom 1. auf den 2. April 2016
begannen entlang der gesamten Waffenstillstandslinie („Line of Contact“) um
Bergkarabach die bislang heftigsten Kämpfe zwischen armenischen und aserbaid-
schanischen Streitkräften. Die Gefechte unter Einsatz schwerer Waffen dauerten
vier Tage an. Die Konfliktparteien beschuldigten sich gegenseitig, für diese
schwerste Verletzung des Waffenstillstands seit 1994 verantwortlich gewesen zu
sein. Verschiedene Quellen sprechen von weit mehr als 90 Getöteten, darunter
auch Zivilistinnen und Zivilisten sowie Dutzenden Vermissten auf beiden Seiten
(vgl. www.swp-berlin.org/publikationen/kurz-gesagt/waffenstillstand-im-konflikt-
um-berg-karabach-bleibt-bruechig.html, abgerufen am 25. April 2016).
Auf Initiative des russischen Ko-Vorsitzenden der Minsk-Gruppe der OSZE ver-
einbarten die Generalstabschefs beider Konfliktparteien am 5. April 2016 auf ei-
nem Dringlichkeitstreffen in Moskau eine sofortige Waffenruhe. Die russische
Regierung hat zudem neue Vermittlungsinitiativen angekündigt, um zu substan-
ziellen Fortschritten bei der Konfliktlösung zu gelangen, da der gegenwärtige Sta-
tus quo nicht mehr länger tragbar sei (vgl. http://vestnikkavkaza.net/news/Sergey-
Lavrov-Russia-makes-new-proposals-on-Nagorno-Karabakh-settlement.html,
abgerufen am 25. April 2016). Dabei soll es um konkrete Umsetzungsschritte bei
den von beiden Konfliktparteien als Lösungsrahmen akzeptierten sogenannten
Madrider Basisprinzipien gehen, die in einer ersten Stufe die Rückgabe der von
Armenien besetzten Gebiete außerhalb Bergkarabachs unter aserbaidschanische
Kontrolle vorsehen. Für Aserbaidschan sind die humanitären und politischen
Kosten des Konflikts vor allem mit diesen Gebieten verbunden, weil aus ihnen
der Großteil der aserbaidschanischen Binnenvertriebenen, ca. 710 000 Menschen
(aus den besetzten Gebieten Vertriebene sowie aus Schutzgründen von der Line
of Contact Umgesiedelte), stammt (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die
Kleine Anfrage zu Frage 29 auf Bundestagsdrucksache 18/2816). Auch die Bun-
desregierung betrachtet die Rückgabe zumindest eines Teils dieser besetzten Ge-
biete als zentrale Voraussetzung, damit Aserbaidschan im Gegenzug der ortsan-
sässigen armenischen Bevölkerung in Bergkarabach verbindliche Sicherheitsga-
rantien gewährt (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zu

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Frage 25 auf Bundestagsdrucksache 18/2816). Russland erwägt, in diesem Kon-
text offenbar den Iran stärker in den Friedensprozess einzubeziehen, da das Land
aufgrund seiner guten Beziehungen zu beiden Konfliktparteien eine neutrale Hal-
tung einnimmt und bei möglichen Statusveränderungen als Garantiemacht in Frage
käme (vgl. www.neues-deutschland.de/artikel/1008205.dreieinigkeit-ueber-berg-
karabach.html, abgerufen am 25. April 2016).
Bislang konnten sich die Konfliktparteien nicht auf eine ständige Waffenstill-
standsbeobachtung durch unabhängige OSZE-Teams einigen. Gegenwärtig wird
die Line of Contact lediglich von sechs OSZE-Beobachtern „überwacht“, die vom
Persönlichen Beauftragten des amtierenden Vorsitzenden der OSZE für den Berg-
karabach-Konflikt, Botschafter Andrzej Kasprzyk, sporadisch entsandt werden
und ihre Besuche vorher ankündigen müssen (vgl. Antwort der Bundesregierung
auf die Kleine Anfrage zu Frage 6 auf Bundestagsdrucksache 18/7979).
Vor dem Hintergrund des aktuellen OSZE-Vorsitzes Deutschlands hat die Bun-
desregierung den Konfliktparteien in einem Sieben-Punkte-Plan konkrete ver-
trauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen, wie die zeitnahe Einrichtung einer
direkten Krisen-Hotline zwischen den Regierungen in Jerewan und Baku, vorge-
schlagen (vgl. www.swp-berlin.org/publikationen/kurz-gesagt/waffenstillstand-
im-konflikt-um-berg-karabach-bleibt-bruechig.html, abgerufen am 25. April 2016).
Angesichts dessen, stellen sich Fragen, wie die verschiedenen aktuellen Vermitt-
lungsansätze auf den unterschiedlichen Ebenen abgestimmt bzw. miteinander
verknüpft werden können, und wie die Bundesregierung hierzu im Rahmen des
deutschen OSZE-Vorsitzes beizutragen gedenkt.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Anzahl der bei den

jüngsten Kampfhandlungen Anfang April 2016 getöteten bzw. verwundeten
Soldaten beider Konfliktparteien (bitte nach Konfliktpartei und Nationalität
angeben)?

2. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Anzahl der bei den
jüngsten Kampfhandlungen Anfang April 2016 getöteten bzw. verwundeten
Zivilistinnen und Zivilisten beider Konfliktparteien (bitte nach Konfliktpar-
tei und Nationalität angeben)?

3. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über mutmaßliche Verletzun-
gen des humanitären Kriegsvölkerrechts bei den jüngsten Kampfhandlungen
Anfang April 2016 (bitte für die jeweilige Konfliktpartei angeben)?

4. In welchem Umfang wurden nach Kenntnis der Bundesregierung die Zivilis-
tinnen und Zivilisten an der Line of Contact sowie aus den von den jüngsten
Kampfhandlungen Anfang April 2016 betroffenen Gebieten evakuiert (bitte
nach Konfliktpartei und Nationalität angeben)?

5. In welchem Umfang konnten nach Kenntnis der Bundesregierung die zuvor
im Zusammenhang mit den jüngsten Kampfhandlungen aus den betroffenen
bzw. gefährdeten Orten evakuierten Zivilistinnen und Zivilisten ggf. bereits
wieder dorthin zurückkehren (bitte nach Konfliktpartei und Nationalität an-
geben)?

6. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die von beiden Konflikt-
parteien während der jüngsten Kampfhandlungen Anfang April 2016 einge-
setzten schweren Waffensysteme (bitte nach Konfliktpartei und Waffensys-
tem auflisten)?

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7. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung, ob unmittelbar vor den mili-
tärischen Truppenbewegungen beider Konfliktparteien bei den jüngsten
Kampfhandlungen Anfang April 2016 möglicherweise ein intensiver Scharf-
schützenbeschuss an der Line of Contact stattfand, und welche Konfliktpartei
ist hierfür ggf. verantwortlich gewesen?

8. Welche Konfliktpartei kontrolliert nach Kenntnis der Bundesregierung ge-
genwärtig die militärstrategisch bedeutsamen, topografischen Anhöhen
„Lala İlahi“ (Rayon Füzuli), „Seysulan“ und „Talish“ (Rayon Tartar)?

9. Inwieweit wurden nach Kenntnis der Bundesregierung im Zusammenhang
mit dem in letzter Zeit intensiver gewordenen Scharfschützenbeschuss sowie
den jüngsten Kampfhandlungen Anfang April 2016 durch die Konfliktpar-
teien möglicherweise auch Landminen neu ausgelegt oder anderweitige mi-
litärische Befestigungsmaßnahmen durchgeführt, um etwaige Geländege-
winne bzw. durch Truppenbewegungen bedingte Verschiebungen der Line
of Contact abzusichern (bitte nach Konfliktpartei angeben)?

10. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über das Ausmaß der materi-
ellen Schäden an zivilen Wohnhäusern, Schulen, Kindergärten, Gesundheits-
zentren, der Trinkwasserversorgung sowie sonstigen Infrastruktureinrichtun-
gen in den von den jüngsten Kampfhandlungen betroffenen Gebieten?

11. In welchem Umfang konnten seit der Vereinbarung der Waffenruhe am
5. April 2016 bei den Kampfhandlungen zuvor getötete Soldaten überführt
sowie gefangen genommene Soldaten ausgetauscht werden, und wie viele
Personen (Soldaten, Zivilistinnen und Zivilisten) gelten derzeit immer noch
als vermisst (bitte nach Konfliktpartei und Nationalität angeben)?

12. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, ob bzw. in welchem
Umfang die am 5. April 2016 vereinbarte Waffenruhe durch die Konfliktpar-
teien tatsächlich eingehalten wird, und wie viele Personen (Soldaten, Zivilis-
tinnen und Zivilisten) wurden nach Kenntnis der Bundesregierung seitdem
bei etwaigen erneuten Verletzungen der Waffenruhe getötet oder verwundet
(bitte nach Konfliktpartei und Nationalität angeben)?

13. Konnte mit der Initiative für eine sofortige Waffenruhe des russischen Ko-
Vorsitzenden der Minsk-Gruppe der OSZE nach Einschätzung der Bundes-
regierung verhindert werden, dass sich die jüngsten Kampfhandlungen An-
fang April 2016 zu einem zwischenstaatlichen Krieg ausweiteten, bzw. in
welchem Umfang hatten die Konfliktparteien während ihrer bewaffneten
Auseinandersetzungen nach Kenntnis der Bundesregierung ggf. bereits da-
mit begonnen, zusätzliche Truppen zu massieren sowie weitere schwere
Waffensysteme an die Line of Contact zu verlegen?

14. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die inhaltlichen Schwer-
punkte der von Russland angekündigten, neuen Vermittlungsinitiative für
Fortschritte bei der politischen Lösung des Bergkarabach-Konflikts, und wie
haben sich die Konfliktparteien nach Kenntnis der Bundesregierung bislang
zu den aktuellen Vermittlungsvorschlägen Russlands positioniert (bitte er-
läutern)?

15. Welchen Stellenwert nehmen nach Kenntnis der Bundesregierung insbeson-
dere ein stärkeres Monitoring der Line of Contact durch die OSZE sowie die
(ggf. schrittweise) De-Okkupation der bislang durch armenische Streitkräfte
kontrollierten sieben Bezirke außerhalb Bergkarabachs und deren mögliche
Rückgabe an Aserbaidschan in den jüngsten russischen Vermittlungsvor-
schlägen und Diskussionen innerhalb der Minsk-Gruppe der OSZE ein?

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16. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die aktuelle Bereitschaft
beider Konfliktparteien, die Einhaltung des Waffenstillstands an der Line of
Contact künftig stärker überwachen zu lassen und hierfür ggf. auch die stän-
dige Anwesenheit von zivilen OSZE-Beobachtungsteams zuzulassen (bitte
erläutern)?

17. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, ob bzw. unter wel-
chen Voraussetzungen Armenien bzw. das international nicht anerkannte
De-Facto-Regime in Bergkarabach gegenwärtig tatsächlich bereit wäre, die
sieben besetzten aserbaidschanischen Distrikte außerhalb Bergkarabachs
(ggf. unter Abzug eines sicheren Verkehrskorridors zwischen Armenien und
Bergkarabach) gemäß den Madrider Basisprinzipien an Aserbaidschan zu-
rückzugeben, oder werden nach Kenntnis der Bundesregierung zwischen-
zeitlich auch diese Gebiete für unilaterale armenische Staatsbildungs- bzw.
Anschlussbestrebungen beansprucht (bitte erläutern)?

18. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die inhaltlichen Ge-
sprächsthemen und Ergebnisse des am 7. April 2016 in Baku stattgefunde-
nen, trilateralen Treffens der Außenminister Aserbaidschans (Elmar Mamm-
adyarov), Russlands (Sergej Lawrow) und des Iran (Mohammad Javad Za-
rif), und welche Informationen hat die Bundesregierung insbesondere im
Hinblick auf eine mögliche, zukünftige stärkere Rolle des Iran zu den Fragen
der regionalen Sicherheitskooperation und der politischen Regulierung des
Bergkarabach-Konflikts (vgl. www.neues-deutschland.de/artikel/1008205.
dreieinigkeit-ueber-berg-karabach.html, abgerufen am 25. April 2016; bitte
erläutern)?

19. Welche aktuelle Position vertritt die Islamische Republik Iran nach Kenntnis
der Bundesregierung im Bergkarabach-Konflikt, und wie sind die derzeiti-
gen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen des Iran zu Aserbaidschan
und Armenien einzuschätzen (bitte erläutern)?

20. Hat sich die Bundesregierung im Hinblick auf die jüngsten Kampfhandlun-
gen zwischen Armenien und Aserbaidschan Anfang April 2016 mit der ira-
nischen Regierung über den Bergkarabach-Konflikt ausgetauscht, von wel-
cher Seite ging ggf. hierfür die Initiative aus, und welche Ergebnisse wurden
dabei erzielt?

21. Inwieweit wurde die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem aktuellen
OSZE-Vorsitz Deutschlands über die jüngsten Vermittlungsbemühungen des
russischen Ko-Vorsitzenden der Minsk-Gruppe zeitnah konsultiert, und wie
haben die US-amerikanischen und französischen Ko-Vorsitzenden bislang
auf die von Russland vermittelte Waffenruhe und die neue Verhandlungsini-
tiative im Bergkarabach-Konflikt reagiert?

22. Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung auf der Ebene der zwi-
schenstaatlichen Beziehungen zu Armenien und Aserbaidschan bzw. im Zu-
sammenhang mit dem aktuellen OSZE-Vorsitz Deutschlands unternommen,
um während der jüngsten bewaffneten Auseinandersetzungen Anfang April
2016 deeskalierend auf beide Konfliktparteien einzuwirken und politische
Verhandlungen anzuregen?

23. Welche konkreten Inhalte enthält der Sieben-Punkte-Plan, den die Bundes-
regierung kürzlich beiden Konfliktparteien vorgeschlagen hat, und inwieweit
war das Vorgehen der Bundesregierung mit den drei Ko-Vorsitzenden der
Minsk-Gruppe der OSZE vorab abgestimmt gewesen (vgl. www.swp-
berlin.org/publikationen/kurz-gesagt/waffenstillstand-im-konflikt-um-berg-
karabach-bleibt-bruechig.html, abgerufen am 25.4.2016; bitte detailliert aus-
führen)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/8389
 

24. Inwieweit unterstützt die Bundesregierung die jüngsten Vermittlungsbemü-
hungen Russlands für politische Lösungsfortschritte im Bergkarabach-Kon-
flikt, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, um vor dem Hin-
tergrund des diesjährigen OSZE-Vorsitzes Deutschlands die gemeinsame
Zusammenarbeit mit Russland zu den Fragen der europäischen Sicherheits-
politik zu intensivieren und die politische Bedeutung der OSZE als regionale
Gliederung nach Kapitel VIII der Charta der Vereinten Nationen durch den
Ausbau ihrer zivilen Konfliktlösungsfähigkeiten in den bislang ungelösten
Territorialkonflikten im OSZE-Vertragsraum insgesamt zu stärken (bitte er-
läutern)?

Berlin, den 4. Mai 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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