BT-Drucksache 18/8385

Landgrabbing in Mali - Die Dörfer Sanamadougou und Sahou

Vom 3. Mai 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8385
18. Wahlperiode 03.05.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Niema Movassat, Heike Hänsel, Christine Buchholz,
Annette Groth, Andrej Hunko, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Landgrabbing in Mali – Die Dörfer Sanamadougou und Sahou

In den malischen Dörfern Sanamadougou und Sahou schwelt seit dem Jahr 2010
ein Landkonflikt, an dem auch mehrere deutsche Akteure indirekt beteiligt sind,
und der viele der dort lebenden Menschen in ihrer Existenz bedroht. Damals pach-
tete der malische Unternehmer Modibo Keita mit seiner Firma Société Moulins
Modernes du Mali (M3-SA) 7 400 Hektar Land in der Region Office du Niger –
mit der Option, die Pachtfläche später um weitere 12 600 Hektar zu erhöhen. Ne-
ben der afrikanischen Entwicklungsbank erhielt Modibo Keita auch mehrere Kre-
dite von der malischen Agrarbank BNDA, an der die Deutsche Investitions- und
Entwicklungsgesellschaft mbH (DEG) im Auftrag der Bundesregierung (Antwort
auf die Schriftliche Frage 43 auf Bundestagsdrucksache 18/2417 vom 27. August
2014) zumindest bis zum Jahr 2014 beteiligt war (im Geschäftsbericht der DEG
aus dem Jahr 2015 ist die Beteiligung nicht mehr gelistet).
Seit Jahren werfen die Bewohner Sanamadougous und Sahous Modibo Keita bzw.
seinem Unternehmen M3-SA vor, sich über das von ihm gepachtete Land hinaus
von ihnen landwirtschaftlich genutzte Flächen illegal angeeignet zu haben. Das zi-
vilgesellschaftliche Netzwerk afrique-europe-interact (AEI), an dem u. a. malische
und deutsche Aktivisten beteiligt sind, begleitet seit Jahren die Bewohner
Sanamadougous und Sahous bei ihrer Auseinandersetzung mit dem Investor und
dokumentiert den Konflikt ausführlich (http://afrique-europe-interact.net/607-0-
Hintergrund-Vorschau.html). Laut Auskunft der Bewohner der beiden malischen
Dörfer und AEI hat ein Großteil der aus deren Sicht illegal enteigneten Bauern bis
heute keine Kompensationszahlungen von M3-SA erhalten. Dies ist umso bemer-
kenswerter, als die Afrikanische Entwicklungsbank, an der die Bundesrepublik
Deutschland mit 4,1 Prozent beteiligt ist, dem Unternehmen im September 2014
einen Kredit über 16,8 Mio. Euro nur unter der Bedingung gewährte, dass die Be-
wohner entschädigt worden seien und es in der Angelegenheit keinen Rechtsstreit
mehr gäbe.
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(BMZ), das von AEI mehrfach über den Landkonflikt informiert wurde, schrieb
AEI in einem Brief vom 16. Dezember 2015, dass es die deutsche Botschaft in
Bamako, die DEG sowie die Afrikanische Entwicklungsbank zweimal um „in-
tensive Prüfung“ der Vorwürfe gegenüber M3-SA gebeten habe, diese aber
„keine Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten“ ergeben hätten (http://afrique-
europe-interact.net/files/02041401.pdf). Zudem berichtete das BMZ darüber,
dass der Rechtsstreit zwischen M3-SA und den beiden Dörfern am 20. Dezember
2012 am Gericht von Markala rechtsverbindlich abgeschlossen worden sei (http://
afrique-europe-interact.net/files/02041401.pdf). In seinem Antwortschreiben hat
AEI jedoch anhand mehrerer Gerichts- und Anwaltsdokumente nachgewiesen,

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dass an besagtem Tag lediglich die Einsetzung eines Gerichtsgutachters beschlos-
sen worden war (http://afrique-europe-interact.net/1439-0-Antwortbrief-an-BMZ.
html). Zwar wurde dieser Gutachter trotz mehrfacher Aufforderungen durch den
Anwalt der beiden Dörfer sowie des Gerichts bisher nicht tätig, das Verfahren ist
aber keineswegs abgeschlossen.
In einem weiteren Brief an AEI vom 19. Juni 2015 erklärte das BMZ, „dass laut
vorliegenden Belegen von Gerichtsvollziehern alle vom Pachtvertrag betroffenen
Familien, die bereit waren, eine Entschädigung zu akzeptieren, auch entschädigt
wurden“ (http://afrique-europe-interact.net/files/antwort_bmz_an_aei__juni_2015.
pdf). Somit sei auch die zweite Bedingung für die Kreditvergabe durch die Afri-
kanische Entwicklungsbank erfüllt gewesen. AEI verweist hingegen auf Stellung-
nahmen der Dorfbewohner von Sanamadougou und Sahou, dass lediglich acht
Familien offizielle Entschädigungen erhalten und darüber hinaus andere Einzel-
personen Geld angenommen hätten, jedoch nicht in ihrer Eigenschaft als Haus-
haltsvorstände und ohne Abtretungsurkunde. Zudem sei es aufgrund des schwe-
benden Gerichtsverfahrens auch gar nicht sinnvoll, Entschädigungen anzuneh-
men, da dies dem faktischen Rückzug der Klage gleichkommen würde (http://
afrique-europe-interact.net/1439-0-Antwortbrief-an-BMZ.html).
In diesem Zusammenhang hat AEI in seinem Brief vom 13. April 2015 an
die Afrikanische Entwicklungsbank darauf hingewiesen (http://afrique-europe-
interact.net/1386-0-Briefwechsel-BMZ-AEI.html), dass die beiden Dörfer am
3. Mai 2013 vor dem Hintergrund des in Markala nicht fortgesetzten Prozesses
einen Antrag auf einstweilige Unterbrechung der Arbeiten von M3-SA bis zur
Entscheidung im Hauptsacheverfahrens gestellt haben (Nebensacheverfahren).
Diese Klage wurde jedoch am 19. Juni 2013 aus formalen und inhaltlichen Grün-
den abgelehnt, wobei AEI eigens betont hat, dass hierbei Fakten zugrunde gelegt
wurden, die eigentlich Gegenstand des schwebenden Hauptsacheverfahrens wa-
ren bzw. sind.
Zuletzt erwähnt das BMZ in seiner Korrespondenz mit AEI, dass eine malische
Regierungskommission im Jahr 2014 festgestellt hat, dass in Sanamadougou und
Sahou kein Landgrabbing vorgefallen sei. Ausdrücklich weist das Bundesministe-
rium in seinem Brief darauf hin, dass dieser Kommission auch drei Mitglieder des
zivilgesellschaftlichen Bündnisses gegen Landgrabbing CMAT („Convergence
Malienne contre les Accaparement des Terres“) angehört haben (http://afrique-
europe-interact.net/files/antwort_bmz_an_aei__juni_2015.pdf). Allerdings hat
CMAT bei FIAN International im selben Jahr einen Bericht über die Landgrab-
bingvorwürfe in Sanamadougou und Sahou in Auftrag geben. Dessen Ergebnisse,
die CMAT im Oktober 2014 gemeinsam mit FIAN präsentierte, stehen den
Schlussfolgerungen des Berichts der Regierungskommission diametral entgegen,
da sie die Vorfälle explizit als Landgrabbing einstufen (www.fian.org/fileadmin/
media/publications/Rapport_Mali_Final.pdf, S. 28 und 34).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie beurteilt die Bundesregierung die Informationen und Nachweise von

AEI, dass das Gerichtsverfahren zwischen M3-SA und den Bewohnern der
Dörfer Sanamadougou und Sahou nicht abgeschlossen sei?

2. Wie erklärt sich die Bundesregierung, dass sie trotz einer „intensiven Prü-
fung“, die sie nach eigener Auskunft in Auftrag gegeben hatte, der offen-
sichtlichen Falschinformation aufsaß, dass das Gerichtsverfahren bereits im
Jahr 2012 abgeschlossen worden sei?

3. Worin bestand nach Kenntnis der Bundesregierung die „intensive Prüfung“
durch die deutsche Botschaft, Afrikanische Entwicklungsbank und DEG?

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4. Wurden die beteiligten Akteure (Gericht in Markala, Anwalt der Dörfer, Ver-
waltung des Office du Niger und M3-SA) jeweils direkt befragt (bitte einzeln
für die jeweiligen Parteien aufschlüsseln)?

5. Von wem erhielt die Bundesregierung die Information, dass das Gerichtsver-
fahren bereits im Jahr 2012 abgeschlossen worden sei?

6. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, was der Grund für die
offensichtliche Falschinformation bezüglich des Stands des Gerichtsverfah-
rens gewesen sein könnte?
Wenn nein, inwiefern hält es die Bundesregierung für möglich, dass sie ge-
zielt getäuscht werden sollte, um ein Vertragsverletzungsverfahren bei der
Afrikanischen Entwicklungsbank gegen M3-SA zu verhindern?

7. Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung darüber, ob Modibo Keita
oder ein anderer Vertreter von M3-SA bei der Kreditvergabe von der Afri-
kanischen Entwicklungsbank direkt befragt wurde, ob das Gerichtsverfahren
noch offen sei?

8. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass Vertreter des beklagten
Unternehmens M3-SA darüber im Bilde gewesen sein müssen bzw. sich ins
Bild hätte setzen können, ob der gegen sie von den Dörfern angestrengte Pro-
zess entschieden wurde oder nicht?
Wenn nein, warum nicht?

9. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass M3-SA expliziten Kredit-
betrug begangen hat, wenn sie wider besseren Wissens die Afrikanische Ent-
wicklungsbank falsch über das Gerichtsverfahren informiert hat?
Wenn nein, warum nicht?

10. Warum hat die Bundesregierung die Ausführungen von AEI vom 13. April
2015 übersehen, in denen das Netzwerk bereits auf den Gerichtsbeschluss
vom 20. Dezember 2012 hingewiesen hat (http://afrique-europe-interact.net/
files/1.bmz_brief_april_2015.pdf)?

11. Welche Konsequenzen wird die Bundesregierung daraus ziehen, dass es zu-
künftig nicht mehr zu derlei Falschinformationen kommt?

12. An wie viele Empfänger ist das Antwortschreiben des BMZ an AEI vom
15. Dezember 2015 gegangen (bitte um Auflistung der Empfänger)?
Beabsichtigt die Bundesregierung, die Empfänger des Briefes über den Irr-
tum aufzuklären?
Wenn nein, warum nicht?

13. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass im Lichte des mittlerweile
bekannt gewordenen Sachverhalts doch von einer Vertragsverletzung von
M3-SA gegenüber der Afrikanischen Entwicklungsbank ausgegangen wer-
den muss?
Wenn nein, warum nicht?

14. Wird sich die Bundesregierung innerhalb der Afrikanischen Entwicklungs-
bank für ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Modibo Keita einsetzen,
mit dem Ziel, dass dieser den Kredit sofort zurückzahlen muss?
Wenn nein, warum nicht?

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15. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass es aus Sicht der Dörfer mit
Blick auf den noch anhängigen Rechtsstreit kontraproduktiv wäre, Entschä-
digungen zum jetzigen Zeitpunkt zu akzeptieren, da dies einer Rücknahme
der Klage gleichkäme?
Wenn nein, warum nicht?

16. Wenn ja, teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass auch hinsichtlich
der Entschädigungen eine Vertragsverletzung von M3-SA gegenüber der
Afrikanischen Entwicklungsbank vorliegt bzw. dass M3-SA auch die zweite
Bedingung der Afrikanischen Entwicklungsbank für die Kreditvergabe nicht
erfüllte?
Wenn nein, warum nicht?

17. Ist der Bundesregierung bekannt, dass die beiden Dörfer am 3. Mai 2013 ein
Nebensacheverfahren anstrebten, um die Arbeiten von M3-SA zu stoppen?

18. Hält die Bundesregierung es für möglich, dass die Afrikanische Entwick-
lungsbank, das BMZ und die DEG das ablehnende Urteil in diesem Neben-
sacheverfahren vom 19. Juni 2013 mit einem Urteil im Hauptsacheverfahren
verwechselt haben?
Wenn ja, wer trägt für diese Verwechslung die Verantwortung, und welche
Folgen hat dies für die Bundesregierung bei der Bewertung der Frage, ob es
in Sanamadougou und Sahou zu Landgrabbing gekommen ist, und ob die
Entschädigungsfrage geklärt ist?

19. Wem liegen die Belege über die entschädigten Familien vor, die die Bundes-
regierung in ihrem Brief an AEI vom 19. Juni 2015 erwähnte, und wann hat
die Bundesregierung diese Belege eingesehen?

20. Geht aus den Belegen hervor, für welche Parzellen (Lage und Größe) die
Entschädigung erfolgt ist (wenn ja, bitte um Auflistung der Parzellen)?

21. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass bei den Geldannahmen von
Einzelpersonen ohne Abtretungsurkunden nicht von einer Entschädigung im
eigentlichen bzw. juristischen Sinne des Wortes gesprochen werden kann?
Wenn nein, warum nicht?

22. Wie viele Kredite hat die BNDA seit dem Jahr 2010 an Unternehmen von
Modibo Keita vergeben (sofern möglich, bitte um Auflistung der einzelnen
Kredite)?

23. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, ob die BNDA Unter-
nehmen von Keita seit Februar 2015 erneut Kredite gewährte?
Wenn ja, weiß die Bundesregierung, inwiefern die DEG über ihre Mitglied-
schaft im Aufsichtsrat der BNDA das menschenrechtlich problematische
Vorgehen von M3-SA thematisiert bzw. mit Kreditkonditionen verknüpft hat?

24. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die Berichte der Regie-
rungskommission politisch und inhaltlich in einem diametralen Gegensatz zu
den Schlussfolgerungen jenes Berichts stehen, den FIAN International im
Auftrag der CMAT im selben Jahr erstellte?
Wenn nein, warum nicht?

25. Wenn ja, teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass der FIAN-Bericht
näher an den tatsächlichen Positionen der CMAT liegen dürfte und die
CMAT insofern nicht als Kronzeuge dafür zitiert werden sollte, dass in
Sanamadougou und Sahou gar kein Landgrabbing stattgefunden habe, wie es
die beiden Regierungsberichte nahelegen?
Wenn nein, warum nicht?

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26. Hat die Bundesregierung den Landkonflikt zwischen M3-SA und den beiden
Dörfern gegenüber malischen Regierungsangehörigen angesprochen?
Wenn ja, wem gegenüber, und wann?

27. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung darüber vor, wie ernst die
Kritik an Landverteilungsfragen seitens der malischen Regierung genommen
wird?

28. Ist die DEG nach wie vor an der malischen Agrarbank BNDA beteiligt?
Wenn ja, wie hoch ist ihr Beteiligung?
Wenn nein, warum hat die DEG nach Kenntnis der Bundesregierung ihre
Beteiligung beendet?

Berlin, den 3. Mai 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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