BT-Drucksache 18/8375

Einreiseverbote in die Türkei

Vom 2. Mai 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8375
18. Wahlperiode 02.05.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken,
Christine Buchholz, Annette Groth, Heike Hänsel, Andrej Hunko, Jan Korte,
Kathrin Vogler, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Einreiseverbote in die Türkei

In den vergangenen Monaten wurden mehrfach ausländische Journalistinnen und
Journalisten sowie Mitglieder von Menschenrechtsdelegationen an der Einreise
in die Türkei gehindert. Zudem wurden Akkreditierungen ausländischer Journa-
listinnen und Journalisten nicht mehr verlängert, so dass diese das Land verlassen
mussten. Betroffen waren auch eine Reihe von deutschen Staatsbürgerinnen und
Staatsbürgern oder für deutsche Medien arbeitende Personen.
So wurden am 18. und 20. März 2016 mindestens fünf Teilnehmer einer Menschen-
rechtsdelegation bei ihrer Einreise am Flughafen von Antalya festgenommen und
anschließend nach Deutschland rückgeführt. Mehrere der Menschenrechtsaktivis-
tinnen und Menschenrechtsaktivisten waren im Auftrag von Bundestags- und Land-
tagsabgeordneten der Partei DIE LINKE. unterwegs, um die anstehenden Newroz-
Feierlichkeiten in Diyarbakır und anderen Orten im kurdischen Südosten der Türkei
zu beobachten. Einige der Festgenommenen mussten sich zur Durchsuchung voll-
ständig entkleiden, zudem wurden persönliche Daten aus ihren Mobiltelefonen ko-
piert (www.jungewelt.de/2016/03-18/003.php; http://lowerclassmag.com/2016/03/
weitere-unbegruendete-abschiebung-von-teilnehmerinnen-der-newroz-delegation/).
Im März 2016 musste der SPIEGEL-Korrespondent Haznain Kazim, der mehrere
Jahre lang aus der Türkei berichtet hatte, das Land zusammen mit seiner Familie
verlassen. Die türkische Regierung hatte ihm keine erneute Akkreditierung erteilt
und damit die Arbeitsgrundlage entzogen (www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-
hasnain-kazim-ueber-pressefreiheit-unter-recep-tayyip-erdogan-a-1082965.html).
Am 19. April 2016 wurde der ARD-Korrespondent Volker Schwenck bei der Ein-
reise am Flughafen in Istanbul festgesetzt und nach verweigerter Einreise nach
Ägypten rückgeführt, wo er das dortige ARD-Studio leitet. Türkische Behörden
rechtfertigten die 12-stündige Festnahme Volker Schwencks mit „Sicherheits-
gründen“, der Journalist habe keine Presseakkreditierung der Generaldirektion
für Presse und Informationen der Regierung besessen. Am 23. April 2016 wurde
mit dem für die BILD-Zeitung arbeitenden griechischen Fotojournalisten Giogos
Moutafis erneut ein Journalist an der Einreise gehindert. Giogos Moutafis war auf
der Durchreise von Griechenland nach Libyen. Bei der Passkontrolle sei ihm er-
klärt worden, dass sein Name auf einer Liste von Personen stände, die nicht in
die Türkei einreisen dürften (www.zeit.de/politik/2016-04/volker-schwenck-ard-
korrespondent-tuerkei-sicherheitsgruende-einreiseverbot; www.taz.de/!5298295/).

Drucksache 18/8375 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

Ebenfalls am 23. April 2016 wurde die türkisch-niederländische Journalistin Ebru
Umar während eines Türkeiurlaubs aufgrund von kritischen Äußerungen über den
türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in mehreren Twitter-Beiträgen vo-
rübergehend festgenommen und nach einem staatsanwaltschaftlichen Verhör mit
einer Ausreisesperre belegt. Ebru Umar hatte sich zuvor kritisch mit einem Schrei-
ben des türkischen Generalkonsulats in Rotterdam auseinandergesetzt, in dem in
den Niederlanden lebende Türken bzw. Vertreter türkischer Migrantenverbände
dazu aufgefordert wurden, Beleidigungen gegen Recep Tayyip Erdoğan, die Türkei
oder türkischstämmige Volksvertreter zu melden (www.faz.net/aktuell/feuilleton/
medien/journalistin-ebru-umar-wegen-erdogan-kritik-festgenommen-14196310.
html).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie vielen deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern wurde nach

Kenntnis der Bundesregierung innerhalb der letzten fünf Jahre die Einreise
in die Türkei verweigert (bitte den Zeitpunkt der Einreiseverweigerung an-
geben)?
a) Bei wie vielen der Betroffenen handelte es sich nach Kenntnis der Bun-

desregierung jeweils um Journalistinnen und Journalisten?
b) Bei wie vielen der Betroffenen handelte es sich nach Kenntnis der Bundes-

regierung jeweils um Menschenrechtsaktivistinnen und Menschenrechtsak-
tivisten, Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter von Stiftungen, Nichtregie-
rungsorganisationen (NGO) oder von Europa-, Bundestags- oder Landtags-
abgeordneten oder -fraktionen?

c) Bei wie vielen der Betroffenen handelte es sich nach Kenntnis der Bun-
desregierung um Personen, die sich zuvor in der Türkei einer Straftat be-
schuldigt wurden?

d) Bei wie vielen der Betroffenen handelte es sich nach Kenntnis der Bun-
desregierung um Personen, die im Verdacht standen, sich terroristischen
Vereinigungen des dschihadistischen Phänomenbereiches in Syrien oder
dem Irak anschließen zu wollen oder diesen bereits angehörten?

e) Bei wie vielen der Betroffenen handelte es sich nach Kenntnis der Bun-
desregierung um Personen, die im Verdacht standen, sich von der Türkei
als terroristisch angesehenen linken oder kurdischen Vereinigungen an-
schließen zu wollen, oder diesen bereits angehören?

f) Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die jeweiligen Gründe
der Einreiseverweigerung?

g) Wie viele derjenigen Personen, denen die Einreise verweigert wurde, wur-
den nach Kenntnis der Bundesregierung für wie lange freiheitsentziehen-
den Maßnahmen ausgesetzt?

h) In wie vielen und welchen Fällen wurden nach Kenntnis der Bundesre-
gierung deutsche Behörden von den türkischen Behörden über die Einrei-
severweigerung und Rückschiebung der Betroffenen in Kenntnis gesetzt?

2. Wie viele ausländische Journalistinnen und Journalisten bzw. Medienbe-
schäftigte wurden nach Kenntnis der Bundesregierung wann innerhalb der
letzten fünf Jahre an der Einreise in die Türkei gehindert?
Wie viele davon haben für deutsche Medien gearbeitet?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/8375
 

3. Gab es nach Kenntnis der Bundesregierung innerhalb des letzten halben Jah-
res in der Türkei eine Zunahme von Einreiseverweigerungen generell sowie
von Einreiseverweigerungen gegenüber ausländischen Journalistinnen und
Journalisten im Besonderen, und wenn ja, welche Schlussfolgerungen zieht
die Bundesregierung daraus bezüglich der Presse- und Meinungsfreiheit in
der Türkei?

4. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung von einer oder mehreren Listen
türkischer Behörden über Personen, die nicht in die Türkei einreisen dürfen?
a) Um welche Listen handelt es sich dabei, und wie viele Personendaten ent-

halten diese Listen?
b) Seit wann existieren diese Listen?
c) Welche Behörde oder welches Gremium erstellt diese Listen aufgrund

welcher Kriterien?
d) Welche Behörden oder Behördenangestellten bis zu welcher unteren

Ebene haben Einblick in diese Listen?
e) Inwieweit handelt es sich um nur temporär – etwa vor politischen Groß-

ereignissen gültige – oder um dauerhaft gültige Listen?
f) Für welche Dauer gelten Einreiseverbote nach Kenntnis der Bundesregie-

rung?
5. Welche konkreten Möglichkeiten haben deutsche Staatsbürgerinnen und

Staatsbürger nach Kenntnis der Bundesregierung, um festzustellen, ob gegen
sie eine Einreissperre in die Türkei verhängt wurde oder ein solches in der
Vergangenheit verhängtes Einreiseverbot noch gültig ist, und welche recht-
lichen Möglichkeiten bestehen nach Kenntnis der Bundesregierung, um ge-
gen Einreisesperren in die Türkei vorzugehen?

6. Inwieweit und seit wann gilt nach Kenntnis der Bundesregierung eine Ak-
kreditierungspflicht für ausländische Journalistinnen und Journalisten in der
Türkei?
a) Wie vielen deutschen oder für deutsche Medien arbeitende Journalistin-

nen und Journalisten wurden nach Kenntnis der Bundesregierung wann
innerhalb der letzten fünf Jahre die Akkreditierungen durch die General-
direktion für Presse und Information bei der türkischen Regierung ver-
weigert, nicht mehr verlängert oder wieder zurückgezogen?

b) Welche konkreten Nachteile ergeben sich nach Kenntnis der Bundesre-
gierung für ausländische Journalistinnen und Journalisten in der Türkei
bei einer Nichterteilung der Akkreditierung oder deren Wiederaberken-
nung?

c) Welche konkreten Nachteile ergeben sich nach Kenntnis der Bundesre-
gierung für ausländische Journalisten, die in der Türkei journalistisch ar-
beiten wollen, wenn diese nicht versuchen, sich bei der Generaldirektion
für Presse und Information bei der türkischen Regierung zu akkreditieren?

d) Welche konkreten Nachteile in ihrer Arbeit (z. B. Begleitung oder Be-
obachtung durch staatliche Kräfte, so dass Kontakte zur Bevölkerung oder
Informanten erschwert werden) ergeben sich nach Kenntnis der Bundes-
regierung für ausländische Journalisten in der Türkei, die sich zuvor bei
der Generaldirektion für Presse und Information akkreditiert haben oder
eine Akkreditierung beantragt haben?

Drucksache 18/8375 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

e) Sollte eine Akkreditierungspflicht für ausländische Journalistinnen und
Journalisten in der Türkei bestehen, inwieweit sieht die Bundesregierung
einen solchen Akkreditierungszwang im Einklang mit den Prinzipien der
Pressefreiheit?

7. Inwieweit besteht für Journalistinnen und Journalisten aus Deutschland
– insbesondere wenn sie über die türkische oder die doppelte Staatsbürger-
schaft verfügen – nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit eine konkrete
Gefahr, bei Reisen in die Türkei aufgrund ihrer journalistischen Arbeit in
Deutschland strafrechtlich verfolgt, festgenommen oder mit einer Wieder-
ausreisesperre belegt zu werden?

8. Inwieweit und unter welchen Umständen ist es türkischen Behörden nach
Kenntnis der Bundesregierung erlaubt, Personen, denen die Einreise in die
Türkei verweigert wird, zu durchsuchen und Daten von deren Mobiltelefo-
nen oder anderen Datenträgern zu kopieren?

9. Inwieweit und unter welchen Umständen und über welchen Zeitraum ist es
türkischen Behörden nach Kenntnis der Bundesregierung erlaubt, freiheits-
entziehende Maßnahmen gegen Ausländerinnen und Ausländer durchzufüh-
ren, denen die Einreise verweigert wurde?

10. Kann die Bundesregierung in den jüngsten Einreiseverweigerungen gegen-
über Journalistinnen und Journalisten sowie Menschenrechtsaktivistinnen
und Menschenrechtsaktivisten eine politische Motivation erkennen, und
wenn ja, welche?

11. Inwieweit sieht die Bundesregierung Einreiseverweigerungen gegenüber
ausländischen Medienvertreterinnen und Medienvertretern, die in der Türkei
keine Straftaten begangen haben, im Einklang mit den Grundsätzen von Rei-
sefreiheit und Pressefreiheit?

12. Inwiefern, bei welcher Gelegenheit und mit welchem Ergebnis hat die Bun-
desregierung die jüngsten Einreiseverbote von Journalisten gegenüber der
türkischen Regierung thematisiert?

13. Inwieweit kann die Bundesregierung ausschließen, dass Einreisesperren in
die Türkei aufgrund von Informationen verhängt wurden, die deutsche Si-
cherheitsbehörden zuvor an die Türkei geliefert haben?

14. Inwieweit sind der Bundesregierung Aufrufe der türkischen Regierung, tür-
kischer Behörden und diplomatischer Vertretungen der Türkei an ihre im
Ausland lebenden Bürgerinnen und Bürger bekannt, kritische Äußerungen
und Beleidigungen gegenüber dem türkischen Präsidenten, der Türkei oder
türkischen Politikern zu melden?

15. Inwieweit sind der Bundesregierung Aufrufe von Verbänden oder Verbands-
vertretern aus dem Umfeld der türkischen Regierung oder der Regierungs-
partei AKP wie dem Moscheendachverband Türkisch-Islamische Union der
Anstalt für Religionen e. V. (DITIB) oder der Union türkischer Demokraten
in Europa (UETD) an in Deutschland lebende türkischstämmige Bürgerinnen
und Bürger bekannt, kritische Äußerungen und Beleidigungen gegenüber
dem türkischen Präsidenten, der Türkei oder türkischen Politikern zu melden?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/8375
 

16. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um in Deutschland le-
bende türkischstämmige Bürgerinnen und Bürger sowie Personen mit dop-
pelter (deutscher und türkischer) Staatsbürgerschaft vor möglichen Nachstel-
lungen und dem Ausspionieren durch türkische Behörden, diplomatische
Vertretungen oder der türkischen Regierung und Regierungspartei naheste-
hende Verbände und Verbandsvertreter zu schützen?

Berlin, den 2. Mai 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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