BT-Drucksache 18/8371

Auswirkungen der Förderung der Seeschifffahrt unter deutscher Flagge auf maritime Beschäftigung und Ausbildung

Vom 2. Mai 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8371
18. Wahlperiode 02.05.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Herbert Behrens, Caren Lay, Susanna Karawanskij,
Birgit Menz, Richard Pitterle, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Axel Troost und der
Fraktion DIE LINKE.

Auswirkungen der Förderung der Seeschifffahrt unter deutscher Flagge auf
maritime Beschäftigung und Ausbildung

Seit mehr als 25 Jahren ist eine klare Tendenz in der deutschen Seeschifffahrt hin
zu Billigflaggen zu erkennen. Diese Entwicklung hat zum Abbruch von Löhnen
und Arbeitsbedingungen geführt, indem der Heuertarifvertrag See auf immer we-
niger Seeleute auf Schiffen deutscher Reeder zutrifft. Zudem sind laut Angaben
der Gewerkschaft ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft viele tausende
Stellen deutscher Seeleuten verloren gegangen.
Um den maritimen Know-how und die deutsche Seeschifffahrt langfristig zu si-
chern, verfolgen die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen seit Jahren
die Strategie, die Reeder mittels Steuervergünstigungen und Subventionen in der
deutschen Flagge zu halten. Neben schon existierenden Subventionen für Ausbil-
dung und Beschäftigung von etwa 60 Millionen pro Jahr (laut dem 25. Subventi-
onsbericht), die teilweise Befreiung der Reeder von Schiffen unter deutscher
Flagge aus der Lohnsteuer in Höhe von 40 Prozent, die Tonnagesteuer und die
Lohnkostenzuschüsse aus der Stiftung Schifffahrtsstandort Deutschland sollten
zusätzliche finanzielle Anreize für die deutsche Flagge geschaffen werden. Am
1. Oktober 2015 beschlossen die Koalitionsfraktionen deshalb die dauerhafte Be-
freiung von Schifferlöspools von der Versicherungssteuer. Am 28. Januar 2016
erfolgte zudem der Beschluss der Koalitionsfraktionen zur Erhöhung des Lohn-
steuereinbehalts in der Seeschifffahrt von 40 Prozent auf 100 Prozent.
Die geschaffenen Anreize haben aber bisher noch nicht zur beabsichtigten Rück-
flaggung geführt. Monat für Monat sinkt die Zahl an Schiffen unter deutscher
Flagge laut der Statistik der Bundesanstalt für Seeschifffahrt und Hydrographie
(BSH) weiter, während gleichzeitig immer weniger deutsche Seeleute eine Be-
schäftigung auf See finden. Die im Rahmen des Maritimen Bündnisses gemachte
Zusage der Reedereien, organisiert im Verband Deutscher Reeder (VDR), we-
nigstens 500 Schiffe deutscher Reedereien unter deutscher Flagge fahren zu las-
sen, wurde nicht erfüllt. Darüber hinaus stellen die Reedereien trotz Selbstver-
pflichtung im Rahmen des Maritimen Bündnisses immer weniger Ausbildungs-
plätze zur Verfügung. So ist nach Angaben der Berufsbildungsstelle Seeschiff-
fahrt e. V. (BBS) die Zahl vertragsschließender Reedereien mit Ausbildungs-
schiffen zwischen den Jahren 2006 und 2014 von 111 auf 84 gefallen.
Bei der Nationalen Maritimen Konferenz am 19. Oktober 2015 hat der Bundes-
minister für Verkehr und digitale Infrastruktur, Alexander Dobrindt, eine weitere
Maßnahme zur Förderung der deutschen Seeschiffahrtsbranche, nämlich eine Än-
derung der Schiffsbesetzungsverordnung (SchBesV) angekündigt. In der Verein-
barung zwischen dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur

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(BMVI) und dem VDR vom 10. Dezember 2015 zu Rahmenbedingungen für die
Seeschifffahrt wurde diese Ankündigung schriftlich bestätigt. Demnach soll die
SchBesV dahingehend geändert werden, dass für Schiffe unter deutscher Flagge
mit einer Größe von bis zu 8 000 BRZ (Bruttoraumzahl) nur noch ein EU-Bürger
als Kapitän, für Schiffe mit einer Größe von über 8 000 BRZ ein EU-Bürger als
Kapitän und einer als Offizier vorgeschrieben sind. Für viele deutsche und EU-
Seeleute droht damit der Arbeitsplatzverlust.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie hoch belaufen sich nach Kenntnisstand der Bundesregierung die gesam-

ten Gewinne vor und nach Steuern in der deutschen Seeschifffahrtsbranche
im Zeitraum von 2008 bis 2015 (bitte nach Jahr und nach Gewinnen vor und
nach Steuern aufschlüsseln)?

2. Plant die Bundesregierung Schritte zur Wiederbelebung des Maritimen
Bündnisses?

3. Ist die Vereinbarung zwischen dem BMVI und dem VDR vom 10. Dezember
2015 zu den Rahmenbedingungen für die Seeschifffahrt so zu interpretieren,
dass die Bundesregierung künftig mit der Arbeitgeberseite ohne Beteiligung
der Arbeitnehmerseite über schifffahrtspolitische Rahmenbedingungen bera-
ten wird?
Wenn nein, warum hat die Bundesregierung bei der Formulierung und Un-
terzeichnung dieser Vereinbarung die Arbeitnehmerseite nicht einbezogen?

4. Hat die Vereinbarung zwischen dem BMVI und dem VDR vom 10. Dezem-
ber 2015 zu den Rahmenbedingungen für die Seeschifffahrt nach Kenntnis
der Bundesregierung Rechtskraft?

5. Wie beurteilt die Bundesregierung die in der Stellungnahme des Zentralver-
bandes der deutschen Seehafenbetriebe e. V. (ZDS) zum Nationalen Hafen-
konzept von der am 1. Oktober 2015 aufgenommenen Forderung nach einer
Reduktion der EEG-Umlage (EEG: Erneuerbare-Energien-Gesetz) für Land-
strom und für Kraftwerkschiffe?

6. Auf welche Höhe beläuft sich die jährliche Summe der Subventionen der
Lohnkosten für die Seeschifffahrtsbranche, der Steuervergünstigungen
(Lohnsteuereinbehalt und die Befreiung von Erlöspools aus der Versiche-
rungssteuer) sowie der öffentliche Zuschüsse für maritime Ausbildung?

7. Auf welche Höhe belaufen sich nach Kenntnis der Bundesregierung die zu-
künftigen Summen der Steuervergünstigungen nach Inkrafttreten des Geset-
zes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes zur Erhöhung des Lohn-
steuereinbehalts in der Seeschifffahrt aufgrund des Lohnsteuereinbehalts in
Höhe von 100 Prozent, der Lohnzuschüsse seitens der Stiftung Schifffahrts-
standort Deutschland und die im Subventionsbericht eingetragene Subven-
tion für Lohnkosten in der Seeschifffahrt unter deutscher Flagge auf die
Lohnkosten von Angestellten in der Seeschifffahrt unter deutscher Flagge
bei jeder im Heuertarifvertrag für die deutsche Seeschifffahrt 2015
(HTV-See) aufgelistete Beschäftigtengruppe, ausgehend von Gehältern im
Einklang mit dem HTV-See und voller Gewährleistung der Subventionen
(bitte nach jedem im HTV-See aufgenommenen Dienstgrad und nach jeder
Schiffgrößenkategorie aufschlüsseln)?

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8. Wie hoch belaufen sich nach Kenntnis der Bundesregierung die zukünftigen
endgültigen Lohnkosten in der Seeschifffahrt unter deutscher Flagge nach
Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes zur
Erhöhung des Lohnsteuereinbehalts in der Seeschifffahrt für jede im Heu-
ertarifvertrag für die deutsche Seeschifffahrt 2015 (HTV-See) aufgelistete
Beschäftigtengruppe nach Abzug der in Frage 7 erwähnten Steuerbegünsti-
gungen, Zuschüssen und Subventionen, ausgehend von voller Gewährleis-
tung dieser Leistungen und Gehälter im Einklang mit dem HTV-See (bitte
nach jedem im HTV-See aufgenommenen Dienstgrad und nach jeder Schiff-
größenkategorie aufschlüsseln)?

9. Wie viel Prozent machen nach Kenntnis der Bundesregierung die gesamten
Lohnkosten bezogen auf die Gesamtkosten für die Seeschifffahrt unter deut-
scher Flagge aus (bitte nach den Kategorien unter deutscher Flagge, davon
im Internationalen Seeschifffahrtsregister – ISR – und unter fremder Flagge
aufschlüsseln)?

10. Wie viel Prozent machen nach Kenntnis der Bundesregierung die gesamten
Lohnkosten bezogen auf die Gesamtkosten für die deutsche Seeschifffahrt
unter fremder Flagge aus?

11. Bis wann plant die Bundesregierung, die Effekte der Erhöhung des Lohn-
steuereinbehalts von 40 Prozent auf 100 Prozent für die deutsche Seeschiff-
fahrt, insbesondere bezüglich der Rückflaggung in die deutsche Flagge und
der maritimen Beschäftigung und Ausbildung, zu evaluieren?

12. Bis wann plant die Bundesregierung, die Effekte der geplanten Änderung der
SchBesV für die deutsche Seeschifffahrt, insbesondere bezüglich der Rück-
flaggung in die deutsche Flagge und der maritimen Beschäftigung und Aus-
bildung, zu evaluieren?

13. Hat die Bundesregierung die Effekte des Lohnsteuereinbehalts in Höhe von
40 Prozent für die deutsche Seeschifffahrtsbranche, insbesondere bezüglich
der Rückflaggung in die deutsche Flagge und der maritimen Beschäftigung
und Ausbildung, bereits prüfen lassen?
Wenn ja, wer wurde mit der Prüfung beauftragt, und was war das Ergebnis?

14. Hat das BVMI die zu erwartenden Effekte der geplanten Änderung der
Schiffbesetzungsverordnung für die deutsche Seeschifffahrtsbranche, die
sich derzeit in Ressortabstimmung befindet, insbesondere bezüglich der
Rückflaggung in die deutsche Flagge und der maritimen Beschäftigung und
Ausbildung, prüfen lassen?
Wenn ja, wer wurde mit der Prüfung beauftragt, und was war das Ergebnis?

15. Beabsichtigt das BMVI, die Änderung der SchBesV wie bei der Erhöhung
des Lohnsteuereinbehalts zunächst zu befristen?
Wenn ja, für wie lange?

16. Soll daraufhin eine Verlängerung auf Grundlage einer Prüfung der Effekte
der Veränderung für die deutsche Seeschifffahrtsbranche erfolgen?

17. Wie erklärt sich die Bundesregierung die Tatsache, dass es seit dem Bundes-
tagsbeschluss einer Erhöhung des Lohnsteuereinbehalts von 40 Prozent auf
100 Prozent am 28. Januar 2016 keine Zunahme von Schiffen unter deut-
scher Flagge gegeben hat?

18. Wie viele Änderungen der SchBesV hat es seit dem Urteil des Bundesver-
fassungsgerichts vom 10. Januar 1995 zur Verfassungsmäßigkeit des Zweit-
register-Gesetzes gegeben?

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19. Hat die Bundesregierung die Effekte der in Frage 18 abgefragten Änderun-
gen der SchBesV für die deutsche Seeschifffahrtsbranche evaluieren lassen?
Wenn ja, welche Faktoren werden bei dieser Prüfung berücksichtigt?
Wo sind die Ergebnisse der Prüfungen veröffentlicht worden (bitte nach Ver-
ordnungsänderung und Veröffentlichung aufschlüsseln)?

20. Wird die Bundesregierung überprüfen, die Erhöhung des Lohnsteuereinbe-
halts für die Seeschifffahrt unter deutscher Flagge von 40 Prozent auf
100 Prozent zurückzunehmen, wenn die mit der Gesetzesänderung beabsich-
tigten Effekte nicht nachgewiesen werden?

21. Erklärt sich die Bundesregierung bereit, die Änderung der Schiffbesetzungs-
verordnung, die sich derzeit in Ressortabstimmung befindet, zurückzuneh-
men, falls eine Prüfung der Effekte für die Seeschifffahrt keinen wirtschaft-
lichen Vorteil vorweisen kann?

22. Wann haben sich Vertreter der Bundesregierung seit dem Anfang der 18. Le-
gislaturperiode mit Vertretern der Arbeitnehmerorganisationen und den
Dachverbänden in der Seeschifffahrt, der Vereinten Dienstleistungsgewerk-
schaft (ver.di), dem Verband deutscher Kapitäne und Schiffsoffiziere e. V.
(VDKS) und der Vereinigung deutscher Schiffsingenieure (VDSI) getroffen
(bitte nach Datum, Organisation und Gesprächsthema aufschlüsseln)?

23. Wann haben sich Vertreter der Bundesregierung seit dem Anfang der 18. Le-
gislaturperiode mit Vertretern des Verbands Deutscher Reeder (VDR), des
Verbands deutscher Seehafenbetriebe (ZDS) oder der Reederkonzerne Ha-
pag-Lloyd und Hamburg-Süd getroffen (bitte nach Datum, Organisation und
Gesprächsthema aufschlüsseln)?

24. Wie viele Beschäftigte auf Schiffen unter deutscher Flagge verfügen nach
Kenntnis der Bundesregierung über unbefristete Arbeitsverhältnisse, und wie
viele haben einen befristeten Arbeitsvertrag (bitte nach folgenden Beschäfti-
gungsgraden aufschlüsseln: Kapitän, I. Nautischer Offizier, Leiter der Ma-
schinenanlage, II. Technischer Offizier, Nautischer/Technischer Wachoffi-
zier, Schiffselektrotechniker, Elektriker, Vorleute, Bootsmann, Zimmer-
mann, Decksschlosser, Lagerhalter, Pumpenmann, Alleinkoch, 1. Koch oder
vergleichbare internationale Beschäftigungsgradbezeichnungen sowie nach
folgenden Schiffsgrößenkategorien: mehr als 3 500 BRZ, bis 3 500 BRZ und
bis 1 600 BRZ)?

25. Wie viele Auszubildende hat es seit dem Jahr 2006 in der internationalen
Seeschifffahrt in Deutschland gegeben (bitte nach Jahr und Hochschule auf-
schlüsseln)?

26. Wie viele in der Seeschifffahrt tätige Reedereien haben seit dem Jahr 2006
Seeleute auf ihren Schiffen ausgebildet (bitte nach Jahr und ausbildende Ree-
derei aufschlüsseln)?

27. Wie viele der vormaligen Auszubildenden in den maritimen Berufen, die ihre
Ausbildungsverhältnisse seit dem Jahr 2006 erfolgreich abgeschlossen ha-
ben, fanden nach Kenntnis der Bundesregierung seitdem eine Beschäftigung
in der internationalen Seeschifffahrt (bitte nach Jahr und Ort des Arbeitsplat-
zes – Land bzw. See – aufschlüsseln)?

Berlin, den 2. Mai 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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