BT-Drucksache 18/8349

Abschiebungen von Roma nach Serbien und Kosovo

Vom 28. April 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8349
18. Wahlperiode 28.04.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Annette Groth, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken,
Christine Buchholz, Dr. André Hahn, Inge Höger, Andrej Hunko, Jan Korte,
Katrin Kunert, Dr. Petra Sitte, Alexander Ulrich, Kathrin Vogler, Jörn Wunderlich
und der Fraktion DIE LINKE.

Abschiebungen von Roma nach Serbien und Kosovo

In den nächsten Monaten werden in der Bundesrepublik Deutschland wieder ver-
mehrte Abschiebungen von sog. Ausreisepflichtigen nach Serbien, Kosovo, Ma-
zedonien und in die anderen „sicheren Herkunftsstaaten“ des Westbalkans statt-
finden. Viele dieser Aktionen betreffen Angehörige von Roma-Minderheiten
(https://rdl.de/beitrag/heute-abschiebung-nach-serbien-und-mazedonien-viele-
kinder-viele-roma-zwei-menschen-aus), die in ihren Herkunftsländern nach ihrer
Rückkehr mit Diskriminierung, Erwerbs- und Wohnungslosigkeit und somit pre-
kären und oft menschenunwürdigen Lebensverhältnissen zu rechnen haben.
Die Europäische Union (EU) erkennt diese Missstände auch in ihrem aktuellen
Menschenrechtsreport an und initiierte in der Vergangenheit verschiedene Vor-
haben zur Verbesserung der Lebenssituation von Minderheiten wie Roma, Ash-
kali und Angehörigen anderer romaner Bevölkerungsgruppen. So existieren bei-
spielsweise im Kosovo sowie in Serbien mehrere EU-finanzierte Projekte in Mil-
lionenhöhe zum Schutz der Rechte ethnischer Minderheiten wie der Roma
(s. „Entwurf des EU-Jahresberichts 2014 über Menschenrechte und Demokratie
in der Welt“, Ratsdok. 9593/15). Glaubt man jedoch Berichten von Menschen-
rechtsorganisationen, so haben diese Projekte nichts an der systematischen
Schlechterstellung von Roma gegenüber der Durchschnittsbevölkerung des je-
weiligen Landes geändert (s. „Amnesty International Report 2015/16 – The State
Of The World’s Human Rights“). Auch die von verschiedenen Mitgliedstaaten
und der EU mitgetragene „Dekade der Roma-Inklusion“ von 2005 bis 2015 hatte,
nach einem Statement der federführenden International Steering Committee im
Jahr 2013, „im alltäglichen Leben der Mehrheit der Roma keine Auswirkungen“
(www.romadecade.org/cms/upload/file/9283_file1_to-be-or-not-to-be-roma-decade-
after-2015.pdf).
Im Rahmen der Dekade wurde auch erstmals der „Roma Inklusions Index“ er-
stellt, um die Situation in den jeweiligen Ländern, bezogen auf verschiedene Fel-
der wie Bildung, Armut oder Gesundheitsversorgung, zu evaluieren. Über den
Verlauf der Dekade kann darin sogar eine Verschlechterung der Situation in Bezug
auf das Armutsrisiko von Roma gegenüber der Gesamtbevölkerung festgestellt
werden; beispielsweise sind 78 Prozent der serbischen Roma von Armut bedroht,
hingegen 35 Prozent der Gesamtpopulation Serbiens. Des Weiteren berichtet noch
immer durchschnittlich ein Drittel der Roma in den elf untersuchten Ländern (von
Albanien über Mazedonien bis Spanien) über erlebte Diskriminierung, mit „Spit-

Drucksache 18/8349 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

zenwerten“ von bis zu 60 Prozent und mehr in Bulgarien, Tschechien oder Un-
garn (www.romadecade.org/cms/upload/file/9810_file1_roma-inclusion-index-
2015-s.pdf).
Schätzungen gehen von Erwerbslosigkeitsquoten bis zu 90 Prozent für im Ko-
sovo lebende Roma aus, was unter anderem dazu führt, dass ein großer Teil der
aus Westeuropa ausgewiesenen Rückkehrer schon nach etwa zwei Monaten den
Kosovo wieder verlassen, um in angrenzenden Balkanstaaten oder wiederum in
Westeuropa nach besseren Lebensbedingungen zu suchen.
Deutschland trägt politische Mitverantwortung für deren prekäre Situation. Die
Verfolgung und Diskriminierung der Roma im Kosovo, der im Jahr 2008 einseitig
seine Unabhängigkeit proklamiert hat, ist auch eine der Folgen des aus Sicht der
Fragesteller völkerrechtswidrigen NATO-Krieges gegen Jugoslawien im Jahr
1999 (Bundestagsdrucksache 18/2421). Nach dem Ende der Luftangriffe kam es
zu offenen Pogromen insbesondere kosovo-albanischer Nationalisten gegen
Roma in der südserbischen Provinz Kosovo. Bis zu 200 000 Serben und Roma
wurden damals vertrieben. Während vor dem Krieg zirka 150 000 Roma im Ko-
sovo lebten, sind es heute rund 35 000. In Serbien leben 40 000 bis 50 000 Roma
aus dem Kosovo (www.iz3w.org/zeitschrift/ausgaben/340_brasilien/scherr).
Erschwerend kommt besonders für Kinder und junge Menschen hinzu, dass viele
die örtliche Lehrsprache nicht beherrschen, sei es, weil sie als Angehörige einer
Minderheit über eine eigene Sprache verfügen, oder weil sie durch einen langfris-
tigen Aufenthalt in Westeuropa zum Beispiel Deutsch erlernt haben und sich nicht
in der Landessprache der Herkunftsländer ihrer Eltern verständigen können (http://
zentralrat.sintiundroma.de/content/downloads/stellungnahmen/Stellungnahme_
Zentralrat_20100908.pdf).
Trotz dieser – bekannten – Missstände existieren in Deutschland Ablehnungs-
quoten zwischen 99,8 Prozent für serbische und 99,5 Prozent für kosovarische
Asylbewerber. Ein signifikanter Unterschied zwischen Roma und Nicht-Roma ist
hierbei nicht zu erkennen (s. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine An-
frage „Ergänzende Informationen zur Asylstatistik für das Jahr 2015“, Bundes-
tagsdrucksache 18/7625), von einer Berücksichtigung der erschwerten Lebens-
umstände der Roma in diesen Ländern durch die Behörden ist also nicht auszu-
gehen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie beurteilt die Bundesregierung die aktuelle Menschenrechtssituation für

Angehörige ethnischer Minderheiten im Kosovo?
2. Wie beurteilt die Bundesregierung die aktuelle Menschenrechtssituation für

Angehörige ethnischer Minderheiten in Serbien?
3. Wie beurteilt die Bundesregierung die Lebenssituation der im Kosovo leben-

den Roma?
4. Wie beurteilt die Bundesregierung die Lebenssituation der in Serbien leben-

den Roma?
5. Welche konkreten Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die Prä-

valenz ethnischer Diskriminierung gegenüber Roma im Kosovo und in Ser-
bien vor?

6. Welche konkreten Schritte und Maßnahmen hat die Bundesregierung unter-
nommen, um den Schutz der Menschenwürde der abgeschobenen Roma in
ihren Herkunftsländern zu gewährleisten?

7. Welche konkreten Absprachen und Abkommen wurden mit den Regierungen
vorgenommen, in denen Roma abgeschoben werden, um zukünftige Diskri-
minierungen zu verhindern?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/8349
8. Welche konkreten Informationen liegen der Bundesregierung über die In-
tegration von Kindern abgeschobener Roma in die Schulsysteme in Serbien
und dem Kosovo vor?

9. Wie beurteilt die Bundesregierung die Zukunftsperspektiven von Kindern
abgeschobener Roma in Serbien und dem Kosovo?

10. Welche konkreten Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die Wohn-
situation der Roma im Kosovo vor?

11. Welche konkreten Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die Wohn-
situation der Roma in Serbien vor?

12. Welche konkreten Informationen hat die Bundesregierung über serbische
und kosovarische Roma, die in informellen oder illegalisierten Wohn- und
Siedlungsanlagen wohnen?

13. Welche konkreten Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über Zwangs-
räumungen informeller Siedlungen in Serbien und Kosovo im Jahr 2015 und
den Monaten Januar bis März 2016 vor?

14. Wie beurteilt die Bundesregierung die Chancen von Roma auf dem serbi-
schen und kosovarischen Arbeitsmarkt im Vergleich zur Gesamtbevölke-
rung?

15. Wie beurteilt die Bundesregierung die große Prävalenz von segregierten
Roma-Nachbarschaften in Serbien (www.romadecade.org/cms/upload/file/
9810_file1_roma-inclusion-index-2015-s.pdf)?

16. Welche konkreten Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über Opfer von
organisierter Kriminalität in den Roma-Gemeinschaften Serbiens und aus
dem Kosovo, wie z. B. Menschenhandel, Zwangsprostitution etc. vor?

17. Wie beurteilt die Bundesregierung die Auswirkungen dieser Segregation auf
die Lebenssituation der Roma?

18. Welche konkreten Informationen liegen der Bundesregierung über die finan-
zielle Abhängigkeit von Roma in Serbien und Kosovo von Geld-Rücküber-
weisungen („Remissen“) aus der EU vor?

19. Welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung unternommen, um
die Wirksamkeit der EU-geleiteten Maßnahmen zum Schutz ethnischer Min-
derheiten in Serbien und Kosovo zu überprüfen?

20. Welche Programme wurden durch die Bundesregierung und die Europäische
Union in Serbien und dem Kosovo aufgelegt, um die Reintegration von ab-
geschobenen Roma zu fördern (bitte Programme einzeln aufführen und die
Mittelhöhe angeben)?

21. Welche konkreten Projekte wurden durch die Bundesregierung und die Eu-
ropäische Union zur Verbesserung der Lage der Roma in Serbien und dem
Kosovo aufgelegt (bitte Projekte einzeln benennen und die Mittelhöhe ange-
ben)?

22. Welche konkreten Evaluierungen der Programme und Förderung für die
Hilfe für die Mitglieder der Roma-Gemeinschaften wurden in den letzten
Jahren durchgeführt, und welche Ergebnisse brachten die Evaluationen?

23. Welche konkreten Schlussfolgerungen wurden aus den Evaluierungen der
Programme für die Hilfe für die Mitglieder der Roma-Gemeinschaften durch
die Bundesregierung gezogen?

24. Welche Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Initiativen werden von
der Bundesregierung gefördert, und in welcher Höhe (bitte nach NGOs, Pro-
grammen und Jahren aufschlüsseln)?

Drucksache 18/8349 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

25. Wie beurteilt die Bundesregierung die Zusammenarbeit zwischen staatli-

chen, öffentlichen und privaten Trägern für die Hilfe der Mitglieder in den
Roma-Gemeinschaften?

26. Welche konkreten Maßnahmen wurden durch die Bundesregierung über-
nommen, um eine bessere Koordination und Zusammenarbeit zwischen
staatlichen, öffentlichen und privaten Trägern der Hilfe für die Mitglieder
der Roma-Gemeinschaften in Serbien und dem Kosovo zu erreichen?

27. Wie beurteilt die Bundesregierung die Zusammenarbeit zwischen NGOs und
den staatlichen bzw. öffentlichen Stellen in Serbien oder der Kosovo-Region?

Berlin, den 27. April 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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