BT-Drucksache 18/8311

zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung - Drucksache 18/8039 - Entwurf eines Gesetzes zur Einstufung der Demokratischen Volksrepublik Algerien, des Königreichs Marokko und der Tunesischen Republik als sichere Herkunftsstaaten

Vom 2. Mai 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8311
18. Wahlperiode 02.05.2016

Beschlussempfehlung und Bericht
des Innenausschusses (4. Ausschuss)

zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung
– Drucksache 18/8039 –

Entwurf eines Gesetzes zur Einstufung der Demokratischen Volksrepublik
Algerien, des Königreichs Marokko und der Tunesischen Republik als
sichere Herkunftsstaaten

A. Problem
Die Bundesrepublik Deutschland sieht sich der seit ihrem Bestehen bei weitem
größten Zahl von Menschen gegenüber, die hier um Asyl nachsuchen. Täglich
sind es mehrere Tausend, allein im Oktober 2015 wurden über 180 000 Asylsu-
chende registriert. Darunter sind immer noch viele, deren Asylanträge von vorn-
herein sehr geringe Erfolgsaussichten haben. Diese Anträge sollen daher zügiger
bearbeitet und entschieden werden, so dass im Falle einer Ablehnung auch die
Rückführung schneller erfolgen kann. Eine Möglichkeit hierzu bietet die Einstu-
fung von Staaten als sichere Herkunftsstaaten. Zudem hat die Einstufung der
Westbalkanstaaten als sichere Herkunftsstaaten gemeinsam mit anderen Maßnah-
men der Bundesregierung zu einem erheblichen Rückgang der Asylsuchenden ge-
führt.

Durch den Gesetzentwurf werden die Staaten Demokratische Volksrepublik Al-
gerien, Königreich Marokko und Tunesische Republik zu sicheren Herkunftsstaa-
ten im Sinne von Artikel 16a Absatz 3 des Grundgesetzes sowie Artikel 37 der
Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Ju-
ni 2013 bestimmt. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl, Flücht-
lingsschutz oder subsidiärem Schutz nach der Richtlinie 2011/95/EU des Europä-
ischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 liegen nur in wenigen
Einzelfällen vor. Durch die zahlreichen, zumeist aus nicht asylrelevanten Motiven
gestellten Asylanträge werden Bund, Länder und Kommunen mit erheblichen
Kosten für die Durchführung der Verfahren sowie für die Versorgung der in
Deutschland aufhältigen Asylsuchenden belastet. Dies geht im Ergebnis zu Lasten
der tatsächlich schutzbedürftigen Asylsuchenden, da für sie weniger Kapazitäten
zur Verfügung stehen.

Drucksache 18/8311 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

B. Lösung
Die genannten Staaten werden als sichere Herkunftsstaaten im Sinne von Artikel
16a Absatz 3 des Grundgesetzes sowie Artikel 37 der Richtlinie 2013/32/EU des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 eingestuft, um Asyl-
verfahren von Staatsangehörigen dieser Staaten nach §29a des Asylgesetzes
(AsylG) schneller bearbeiten und – im Anschluss an eine negative Entscheidung
über den Asylantrag – den Aufenthalt in Deutschland schneller beenden zu kön-
nen. Deutschland wird dadurch als Zielland für aus nicht asylrelevanten Motiven
gestellte Asylanträge weniger attraktiv.

Annahme des Gesetzentwurfs in unveränderter Fassung mit den Stimmen
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen
DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

C. Alternativen
Ablehnung des Gesetzentwurfs.

D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand
Beim Bund, bei den Ländern und den Kommunen entstehen keine finanziellen
Auswirkungen, die über den Erfüllungsaufwand hinausreichen.

E. Erfüllungsaufwand

E.1 Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger

Für die Bürgerinnen und Bürger entsteht und entfällt kein Erfüllungsaufwand.

E.2 Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft

Für die Wirtschaft entsteht und entfällt kein Erfüllungsaufwand.

Davon Bürokratiekosten aus Informationspflichten

Für die Wirtschaft werden keine Informationspflichten eingeführt, geändert oder
abgeschafft.

E.3 Erfüllungsaufwand der Verwaltung

Durch den zu erwartenden Rückgang bei den Asylbewerberzahlen aus den als si-
chere Herkunftsstaaten einzustufenden Staaten werden Bund, Länder und Kom-
munen um Aufwendungen für die Durchführung der Verfahren sowie für die Ge-
währung von Leistungen entlastet. Beim Bund betrifft dies in erster Linie die Auf-
wendungen für die Durchführung der Asylverfahren beim Bundesamt für Migra-
tion und Flüchtlinge. Bei den Ländern und Kommunen betrifft dies vor allem die
Aufwendungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Wie stark der zu erwar-
tende Rückgang ausfällt, lässt sich nicht prognostizieren, da er von zahlreichen
externen Faktoren abhängt, insbesondere von der sozioökonomischen Situation in

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/8311
den Herkunftsstaaten, von den Auswirkungen der Maßnahmen, die andere von
Asylzuwanderung betroffene europäische Staaten ergriffen haben bzw. noch er-
greifen, und von dem Zeitraum zwischen Entstehung der Ausreisepflicht und Aus-
reise bzw. Aufenthaltsbeendigung. Die Höhe der zu erwartenden Entlastungen
lässt sich daher ebenfalls nicht beziffern.

F. Weitere Kosten
Den Bürgerinnen und Bürgern sowie der Wirtschaft entstehen keine sonstigen
Kosten. Auswirkungen auf Einzelpreise und das Preisniveau, insbesondere das
Verbraucherpreisniveau, sind nicht zu erwarten.

Drucksache 18/8311 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

den Gesetzentwurf auf Drucksache 18/8039 unverändert anzunehmen.

Berlin, den 27. April 2016

Der Innenausschuss

Ansgar Heveling
Vorsitzender

Nina Warken
Berichterstatterin

Sebastian Hartmann
Berichterstatter

Ulla Jelpke
Berichterstatterin

Luise Amtsberg
Berichterstatterin

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/8311
Bericht der Abgeordneten Nina Warken, Sebastian Hartmann, Ulla Jelpke und Luise
Amtsberg

I. Überweisung

Der Gesetzentwurf auf Drucksache 18/8039 wurde in der 164. Sitzung des Deutschen Bundestages am 14. April
2016 an den Innenausschuss federführend sowie an den Auswärtigen Ausschuss, den Ausschuss für Recht und
Verbraucherschutz, den Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe und den Ausschuss für die Angele-
genheiten der Europäischen Union zur Mitberatung überwiesen.

II. Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse

Der Auswärtige Ausschuss hat in seiner 67. Sitzung am 27. April 2016 mit den Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die An-
nahme des Gesetzentwurfs empfohlen.

Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz hat in seiner 97. Sitzung am 27. April 2016 empfohlen, den
Gesetzentwurf mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen
DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN anzunehmen.

Der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe hat in seiner 60. Sitzung am 27. April 2016 mit den
Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN die Annahme des Gesetzentwurfs empfohlen.

Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union hat in seiner 61. Sitzung am 27. April 2016
empfohlen, den Gesetzentwurf mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der
Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN anzunehmen.

III. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse im federführenden Ausschuss

Der Innenausschuss hat in seiner 78. Sitzung am 14. April 2016 einvernehmlich beschlossen, eine öffentliche
Anhörung zu dem Gesetzentwurf durchzuführen. Die öffentliche Anhörung hat der Innenausschuss in seiner
79. Sitzung am 25. April 2016 durchgeführt. Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung, an der sich 5 Sachver-
ständige beteiligt haben, wird auf das Protokoll der 79. Sitzung des Innenausschusses vom 25. April 2016 ver-
wiesen (Protokoll 18/79). Der Innenausschuss hat in seiner 80. Sitzung am 27. April 2016 den Gesetzentwurf
auf Drucksache 18/8039 abschließend beraten und empfiehlt die Annahme mit den Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

IV. Begründung

1. Zur Begründung allgemein wird auf Drucksache 18/8039 verwiesen.

2. Die Fraktion der CDU/CSU betont, dass der Gesetzentwurf wegen der hohen Zahl der aus den Maghreb-
Staaten kommenden Asylbegehrenden bei gleichzeitig geringer Schutzquote asylpolitisch geboten sei und die
verfassungs- und europarechtlichen Voraussetzungen erfülle. Von dem Gesetzentwurf gehe eine Signalwirkung
aus; die seit Oktober 2015 geführte Diskussion habe zu einem Rückgang der Asylbewerber aus Algerien, Marokko
und Tunesien geführt; die Signalwirkung werde zudem durch die Erfahrungen mit der Einstufung der West-Bal-
kanstaaten als Sichere Herkunftsstaaten belegt. Der Entwurf führe zu einer Beschleunigung der Asylverfahren,
die über die Verkürzung der Rechtsschutzfristen erreicht werde. Ein Verlust der Einzelfallprüfung gehe mit ihm

Drucksache 18/8311 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
nicht einher. Die Zeit für die persönlichen Anhörungen, die den Asylbegehrenden für den Vortrag ihrer Schutz-
bedürftigkeit zur Verfügung stehe, verkürze sich nicht. Dies habe die Stellungnahme der Vertreterin des BAMF
in der öffentlichen Anhörung eindeutig bestätigt. Auch gebe es in den besonderen Aufnahmeeinrichtungen Zu-
gang zu Rechtsberatung. Die Bewertung der Lage in den Ländern obliege dem Gesetzgeber. Die Fraktion der
CDU/CSU habe sich unabhängig von der Bundesregierung ein eigenes Bild gemacht, auch durch die thematisch
äußerst produktive öffentliche Anhörung. Verschiedene Berichte nichtstaatlicher und staatlicher Organisationen
seien in die Bewertung eingeflossen, die teilweise auch in der Anhörung Erwähnung gefunden hätten. Eine hun-
dertprozentige Sicherheit sei auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht Voraussetzung
dafür, Staaten als sichere Herkunftsstaaten einzustufen. Auch der Fraktion der CDU/CSU seien die in den ent-
sprechenden Ländern bestehenden Probleme bekannt. Das Asylrecht sei hier aber das falsche Instrument, den
Problemen müsste im Bereich der Menschenrechts- und Außenpolitik begegnet werden. In ihren Heimatstaaten
etwa als homosexuelle Menschen verfolgte könnten auch nach der Einstufung in Deutschland Schutz erlangen.
Das Argument, dass der Gesetzentwurf keine Verbesserung bringe, da faktisch Rückführungen in diese Länder
nicht durchgeführt werden könnten, greife nicht. Dies belege laut BAMF die Zunahme bei der freiwilligen Rück-
kehr und auch der erfolgreich durchgeführten Abschiebungen. Der Bundesinnenminister habe mit den entspre-
chenden Ländern Vereinbarungen getroffen, die die Rückführung aus Deutschland erleichterten.

Die Fraktion der SPD betont, dass der Gesetzentwurf für ein effektives und effizientes Asylsystem stehe, das
den Berechtigten gerecht und rechtssicher Asyl zuweise, während Personen, die nicht aus humanitären Gründen
verfolgt würden, Deutschland schnell wieder verlassen müssten. Auch nach Inkrafttreten des Gesetzentwurfs
könnten weiterhin Verfolgungsgründe individuell vorgetragen und die Schutzgewährung erreicht werden. Die
Einstufung als sichere Herkunftsstaaten sei seit November 2015 intensiv diskutiert worden und werde nunmehr
nach sorgfältiger Prüfung und intensiver Auseinandersetzung vorgenommen. Der Deutsche Bundestag komme
seiner durch das Bundesverfassungsgericht formulierten Verpflichtung nach, Gründe für eine mögliche Einstu-
fung genau zu prüfen. Ein auch durch das Bundesverfassungsgericht bestätigtes wichtiges Indiz für die Einstufung
sei die Schutzquote. Um diesen Aspekt ermitteln zu können, sei der in der öffentlichen Anhörung durch die Ver-
treterin des BAMF eingeholte Sachverstand von zentraler Bedeutung. Die öffentliche Anhörung habe hier auch
gezeigt und verdeutlicht, welche konkreten Gründe zu den häufigen Ablehnungen der Asylanträge führten und
wie niedrig die Schutzquote sei. Zudem habe eine intensive Auseinandersetzung mit den vorgebrachten Gegen-
argumenten – auch in der Stellungnahme des Bundesrates – stattgefunden und es seien entsprechende Schlussfol-
gerungen gezogen worden. Es gebe gute Gründe für die Einstufung, die jedoch kein „Blankoscheck“ sei, der
unwiderruflich belege, dass es in den betreffenden Staaten keinerlei Menschenrechtsverletzungen gebe. Nach der
vereinbarten, zwischenzeitlich weiter konkretisierten Arbeitsteilung zwischen Bundesregierung und Parlament
sei die Bundesregierung nach § 29a Abs. 2a Asylgesetz verpflichtet, dem Bundestag alle zwei Jahre, erstmals zum
23. Oktober 2017, zu berichten, ob die Voraussetzungen für die Einstufung weiterhin vorliegen.

Die Fraktion DIE LINKE. protestiert gegen die Art und Weise des Gesetzgebungsverfahrens. Nach den Vorga-
ben des Bundesverfassungsgerichts müsse im parlamentarischen Verfahren bei der Einstufung sicherer Herkunfts-
staaten eine sachgemäße und besonders sorgfältige Prüfung der Lage in diesen Ländern und Beratung stattfinden.
Diese Vorgaben würden missachtet. Es sei eine Provokation, dass der vorliegende Entwurf wie bereits zahlreiche
andere Vorhaben im asylrechtlichen Bereich durch das Parlament gejagt werde, ohne der Thematik gerecht wer-
den zu können und Zeit für eine sorgfältige Beratung und Auswertung der Anhörung zu haben. Zwischen der
öffentlichen Anhörung und der Beratung im Innenausschuss lägen nicht einmal zwei Tage, so dass von vornherein
klar gewesen sei, dass die Erkenntnisse aus der Anhörung keinen Eingang in den Gesetzentwurf hätten finden
können. In Marokko dürfe über den Islam als Staatsreligion, die Monarchie und die Besatzung der Westsahara
nicht öffentlich kritisch gesprochen werden; in allen drei Ländern sei die Meinungs- und Versammlungsfreiheit
massiv eingeschränkt, Homosexuelle würden strafrechtlich verfolgt, Frauen unterdrückt und von staatlicher Seite
gebe es den Einsatz von Folter. Die durch die Oppositionsfraktionen geladenen, unabhängigen Sachverständigen
hätten dies anschaulich dargelegt. Die Regierungskoalitionen hingegen hätten sich mit dieser Thematik nicht aus-
einandergesetzt und für die öffentliche Anhörung ausschließlich Sachverständige benannt, die über Auswirkun-
gen des Gesetzentwurfs berichtet hätten, aber nichts zu der menschenrechtlichen Lage in den Ländern hätten
sagen können. Kritisiert werde insbesondere das Verhalten der SPD, die bei der ersten Lesung des Gesetzes eine
sorgfältige Prüfung der Menschenrechtslage in der Anhörung angekündigt, dann dort aber keinerlei Fragen hierzu
gestellt habe. Auch in der Ausschussberatung habe sie sich mit Folter und Menschenrechtsverletzungen in den
drei Ländern nicht befasst, das verstoße gegen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Die Begründung der
geplanten Einstufung mit der vorgeblich geringen Schutzquote lasse die bereinigte Schutzquote außer Acht, die

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für Menschen aus Algerien im Jahr 2015 bei fünf und aus Marokko bei acht Prozent gelegen habe. Der Gesetz-
entwurf entspreche nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und verstoße gegen EU-Recht. Ein Sach-
verständiger habe dies bestätigt und außerdem darauf hingewiesen, dass schnellere Asylverfahren bereits nach
geltendem Recht bei offensichtlich unbegründeten Asylanträgen durchgeführt werden könnten. Die Einstufung
als sichere Herkunftsstaaten sei also nicht notwendig, wenn man zu Beschleunigungen kommen wolle, und wiege
umso schwerer, als die Bundesrepublik die menschenrechtswidrige Praxis in den Maghreb-Staaten durch ihre
Einstufung als sichere Herkunftsstaaten offiziell legitimiere.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kritisiert ebenfalls die Durchführungsweise des Gesetzgebungsver-
fahrens. Dass über die Thematik in den Koalitionsfraktionen bereits seit November 2015 diskutiert werde, sei
mangels parlamentarischer Beteiligung unerheblich. In allen drei Staaten gebe es von staatlicher Seite Folter, sei
die Meinungs- und Versammlungsfreiheit massiv eingeschränkt und würden die Menschenrechte von politisch
Andersdenkenden, Homosexuellen, Frauen und Behinderten regelmäßig verletzt. Die in der öffentlichen Anhö-
rung durch die Oppositionsfraktionen geladenen Sachverständigen hätten dies eindrücklich belegt. Die dennoch
vorgenommene Einstufung als sichere Herkunftsstaaten verstoße gegen die Vorgaben des Bundesverfassungsge-
richts und sei europa- und völkerrechtswidrig. Die öffentliche Anhörung habe zudem bestätigt, dass die Schnell-
verfahren nicht geeignet seien, beispielsweise Homosexuellen Schutz zu gewähren. Es sei unrealistisch, anzuneh-
men, dass diese durch die Verfolgung in ihrem Heimatstaat oftmals so traumatisierten Personen in einer einmali-
gen Anhörung die tatsächlich in ihrer sexuellen Orientierung liegenden Gründe für das Verlassen ihres Landes
offenlegten. In den Schnellverfahren gebe es auch keinen Rechtsbeistand. Die von den Regierungskoalitionen
immer wieder gebrachte Argumentation mit der niedrigen Anerkennungsquote müsse im Gegenteil zu einer be-
sonders genauen Prüfung der aus diesen Ländern gestellten Anträge führen. Gerade das Asylrecht sei dafür ge-
eignet, Opfern von Menschenrechtsverletzungen zu helfen; mit Außenpolitik sei dies nicht zu erreichen. Die Ein-
stufung sende schließlich das Signal einer Verharmlosung der in den Ländern begangenen Menschenrechtsver-
letzungen und legitimiere die Besetzung des Gebietes der Westsahara durch Marokko. Der EuGH messe dem
Recht auf sexuelle Selbstbestimmung einen derart hohen Rang bei, dass er es für unzumutbar erachte, Homose-
xuellen nahezulegen, zur Abwendung der gegen sie gerichteten Verfolgungsgefahr auf die öffentliche Ausübung
dieses Rechts zu verzichten und ihre Homosexualität nach außen zu verbergen. Dieser Gesichtspunkt werde in
der Stellungnahme der Bundesregierung zum Ersuchen des Bundesrates, bestehende Zweifel gegen die Einstu-
fung der drei bezeichneten Länder als sicher wegen der Behandlung von Homosexuellen auszuräumen, vollstän-
dig übergangen. In ihrer Stellungnahme räume die Bundesregierung stillschweigend ein, dass Homosexuelle in
den drei Ländern verfolgt würden, wenn sie diese offen auslebten. Damit erkenne sie an, dass in diesen Staaten
flüchtlingsrelevante Verfolgungen gegen Homosexuelle allgemein üblich seien. Im Hinblick auf die Rechtspre-
chung des EuGH komme der Verfolgung von Homosexuellen damit in allen drei Staaten eine so wichtige Bedeu-
tung zu, dass bereits diese Praxis ihrer Bestimmung zu „sicheren Herkunftsstaaten“ entgegenstehe.

Berlin, den 27. April 2016

Nina Warken
Berichterstatterin

Sebastian Hartmann
Berichterstatter

Ulla Jelpke
Berichterstatterin

Luise Amtsberg
Berichterstatterin

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