BT-Drucksache 18/8288

Risiken des globalisierten Lebensmittelhandels - Konsequenzen aus den aktuellen Europolermittlungen

Vom 25. April 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8288
18. Wahlperiode 25.04.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Heidrun Bluhm, Ralph Lenkert,
Birgit Menz, Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE.

Risiken des globalisierten Lebensmittelhandels – Konsequenzen aus den
aktuellen Europolermittlungen

Laut Pressemitteilung des europäischen Polizeiamtes Europol vom 30. März 2016
sind im Rahmen der internationalen „Operation Opson V“ 10 000 Tonnen und
1 Million Liter gefälschte Lebensmittel sichergestellt worden. So entdeckten die
Behörden in Italien 85 Tonnen Oliven, die unerlaubt mit Kupfer-Sulfat-Lösung
eingefärbt wurden. In Griechenland und Großbritannien wurden Getränke mit ge-
fälschten Etiketten beschlagnahmt und im Sudan wurde mit Düngemitteln ge-
streckter Zucker entdeckt. Der kriminelle Lebensmittelbetrug stellt somit auch
eine erhebliche gesundheitliche Gefahr für die Verbraucherinnen und Verbrau-
cher dar.
Die EU ist größter Agrarimporteur der Welt. Lebensmittel aus globalen Waren-
ketten sind in Deutschland nur sehr schwer vollständig kontrollierbar. Besonders
bei verarbeiteten Waren mit zahlreichen Zutaten ist die Betrugsgefahr hoch. Das
verdeutlichte der Pferdefleischskandal von Anfang 2013, als europaweit in zahl-
reichen Fertiggerichten statt Rinder- Pferdefleisch gefunden wurde. Der Umfang
des Betrugs im globalen Lebensmittelhandel bewege sich im Bereich von Prosti-
tution und Drogenhandel, erklärte der Präsident des Bundesinstituts für Risikobe-
wertung (BfR), Prof. Dr. Dr. Andreas Hensel, auf einem Kongress zum Thema
Lebensmittelsicherheit (vgl. www.welt.de/wirtschaft/article 137810044/Auf-der-
Jagd-nach-den-globalen-Essens-Faelschern.html).
Inwieweit Deutschland von kriminellem Lebensmittelbetrug betroffen ist, wurde
nicht bekannt, da hier nur einige wenige Fischarten kontrolliert wurden. Nach
Einschätzung des Leiters der Abteilung für Lebensmittelsicherheit im Bundesmi-
nisterium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) bilden aufgedeckte Fälle
im zunehmend globalisierten Lebensmittelhandel nur die Spitze eines Eisbergs
(vgl. www.welt.de/wirtschaft/article137810044/Auf-der-Jagd-nach-den-globalen-
Essens-Faelschern.html). Die Parlamentarische Staatsekretärin beim Bundesmi-
nister für Ernährung und Landwirtschaft, Dr. Maria Flachsbarth, erklärte zudem
am 13. April 2016 in der 54. Sitzung des Ausschusses für Ernährung und Land-
wirtschaft im Deutschen Bundestag, dass die Wahrscheinlichkeit für Betrug
durch globale Warenströme gestiegen sei. Demgegenüber erklärte Bundesminis-
ter Christian Schmidt in einer Pressemitteilung vom 31. März 2016, dass das Sys-
tem der Lebensmittelüberwachung funktioniere, da im Rahmen der „Operation
Opson V“ gefälschte Lebensmittel sichergestellt worden seien.
Auch der Interessenverband der Lebensmittelwirtschaft in Deutschland, BLL
(Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e. V.), sieht nach den Be-
trugsfunden keinen Handlungsbedarf, das Kontrollsystem zu verbessern (Presse-

Drucksache 18/8288 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

mitteilung des BLL vom 31. März 2016). In diesem Zusammenhang ist hervor-
zuheben, dass Grundlage der Lebensmittelsicherheit in Europa die eigenverant-
wortlichen Kontrollen der Lebensmittelunternehmen sind, deren Wirksamkeit
von den Behörden überwacht werden soll.
Experten beklagen seit Jahren die unzureichende Ausstattung der Überwachungs-
behörden in Deutschland. Insbesondere nach Lebensmittelskandalen wurde auf
eine unzureichende Zusammenarbeit der Behörden der Bundesländer und des
Bundes, einen unzureichenden Informationsaustausch sowie auf Koordinations-
mängel hingewiesen. Zudem könnten die Überwachungsbehörden ihrer Überwa-
chungspflicht aufgrund von Personal- und Ausstattungsmängeln nicht hinrei-
chend nachkommen (siehe Gutachten des Präsidenten des Bundesrechnungshofs
als Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung, „Organisation
des gesundheitlichen Verbraucherschutzes – Schwerpunkt Lebensmittel“ von
Oktober 2011). Das System der Lebensmittelsicherheit in Deutschland fußt auf
EU-Recht, das im Wesentlichen mit dem Lebensmittel- und Futtermittelgesetz-
buch (LFGB) in nationales Recht umgesetzt wurde. Obwohl in Deutschland die
Bundesländer die Lebensmittelüberwachung durchführen, ist der Bund für die
Umsetzung und Einhaltung der EU-Vorgaben einschließlich der damit zusam-
menhängenden Berichtspflichten zuständig. Zudem muss er laufend die Wirk-
samkeit durch Kontrollverfahren überprüfen und koordiniert die Zusammenarbeit
mit den Ländern. In diesem Sinne muss er zum gesundheitlichen Schutz der Ver-
braucherinnen und Verbraucher unverzüglich tätig werden, wenn die Lebensmit-
telüberwachung in den Bundesländern nicht hinreichend effizient erfüllt werden
kann.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie werden nach Kenntnis der Bundesregierung die „Opson“-Operationen

von Europol/INTERPOL vorbereitet und durchgeführt, wie ist Deutschland
dabei eingebunden, und wie wird entschieden, was im Einzelnen im Bundes-
gebiet kontrolliert wird?

2. An welchen internationalen Aktionen von Europol/INTERPOL zur Aufde-
ckung von Lebensmittelbetrug im Rahmen der „Operationen Opson I bis V“
war Deutschland in welchem Umfang beteiligt?
Welche Bundesländer und welche Bundeseinrichtungen waren mit wie vie-
len Beamten an den jeweiligen Operationen I bis V beteiligt, und welche Le-
bensmittel wurden dabei je Operation kontrolliert?

3. Welche Mengen an gefälschten Lebensmitteln wurden nach Kenntnis der
Bundesregierung in Deutschland und insgesamt jeweils sichergestellt, und
wie stellten sich die Fälschungen der Lebensmittel im Einzelnen dar?

4. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung nach jeder „Opson“-Operation
zur Verbesserung der Lebensmittelsicherheit ergriffen, und wie hat sie die
Wirksamkeit dieser Maßnahmen überprüft?

5. Welche weiteren Maßnahmen will die Bundesregierung nach der aktuellen
„Operation Opson V“ ergreifen, um die Lebensmittelsicherheit zum gesund-
heitlichen und wirtschaftlichen Schutz der Verbraucherinnen und Verbrau-
cher wirksam zu verbessern?

6. Wie hoch ist nach Erkenntnissen der Bundesregierung die Aufdeckungs-
quote bzw. der Anteil nicht entdeckter Betrugswaren in Deutschland?

7. Wie hoch muss die Aufdeckungsquote sein, um zu belegen, dass das jetzige
System der Lebensmittelüberwachung hinreichend funktioniert, um den ge-
sundheitlichen und wirtschaftlichen Schutz der Verbraucherinnen und Ver-
braucher zu gewährleisten?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/8288
 

8. Bei welchen Lebensmitteln ist die Betrugsgefahr am größten?
9. Welche Faktoren führen dazu, dass besonders globalisierte Warenströme von

Lebensmitteln anfällig für irreführende oder betrügerische Praktiken sind?
10. Wie haben sich die Lebensmittelimporte aus Drittstaaten und aus den EU-

Mitgliedstaaten nach Deutschland seit dem Jahr 1990 insgesamt entwickelt
(bitte nach Jahren und nach Drittstaat und EU-Mitgliedstaat auflisten), und
was sind die wichtigsten 20 Importlebensmittel (bitte in Tonnen und Euro
angeben)?

11. Wie werden sich die Lebensmittelimporte aus Drittstaaten und aus den EU-
Mitgliedstaaten nach Deutschland in den nächsten Jahren entwickeln?
Bei welchen Lebensmitteln werden weitere Importzunahmen erwartet?

12. Vor welchen Problemen stehen die Lebensmittelunternehmen und nationalen
Kontrollbehörden nach Kenntnis der Bundesregierung aufgrund der ver-
zweigten und globalen Warenströme für Lebensmittel?

13. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass in den zuständigen Lebensmit-
telüberwachungsbehörden der Länder die Überwachungsaufgaben im erfor-
derlichen Maß durchgeführt werden, um ein Höchstmaß an gesundheitli-
chem Verbraucherschutz und die Erfüllung des europäischen Lebensmittel-
rechts zu gewährleisten?

14. Welche Konsequenzen ergeben sich für ein Bundesland, wenn es seinen
Kontrollpflichten, die sich aus der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über
Grundsätze zur Durchführung der amtlichen Überwachung der Einhaltung
lebensmittelrechtlicher, weinrechtlicher, futtermittelrechtlicher und tabak-
rechtlicher Vorschriften (AVV Rahmen-Überwachung – AVV RÜb) erge-
ben, nicht ausreichend nachkommt?

15. Wer kontrolliert die Einhaltung des mehrjährigen nationalen Kontrollplanes
(MNKP), der durch die Bundesländer gemäß § 10 AVV RÜb erstellt wird?
Welche Konsequenzen ergeben sich für ein Bundesland, wenn es den MNKP
nur unzureichend erfüllt?

16. Wer kontrolliert die Einhaltung des bundesweiten Überwachungsplans (BÜp),
der gemäß § 11 AVV RÜb zwischen den Ländern die Durchführung der amt-
lichen Kontrolle der Einhaltung der lebensmittelrechtlichen, weinrechtlichen
und tabakrechtlichen Vorschriften durch die zuständigen Behörden ab-
stimmt?
Welche Konsequenzen ergeben sich für ein Bundesland, wenn es den Über-
wachungsplan nur unzureichend erfüllt?

17. Welche Bundesländer haben in den letzten zehn Jahren den durch das Bun-
desamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit erstellten jährli-
chen Arbeitsplan in welchem Maß erfüllt bzw. nicht erfüllt (bitte nach Bun-
desland und Jahr auflisten)?

18. Wie haben sich nach Erkenntnis der Bundesregierung die Lebensmittelkon-
trollen in den Bundesländern als Reaktion auf die Zunahme des globalen Le-
bensmittelhandels entwickelt?
Wie schlägt sich diese Veränderung in den Überwachungs- und Kontrollplä-
nen nieder?

19. Welche Abteilung beschäftigt sich beim Zoll mit der Aufdeckung von Le-
bensmittelbetrug, und wie viele Beamte und Stellen sind für die Aufgabe der
Lebensmittelkontrolle zuständig?

Drucksache 18/8288 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

20. Wie häufig kontrollierte der Zoll in den Jahren 2010 bis 2015 Lebensmittel,
in welchen Mengen wurden dabei irreführende bzw. betrügerische Waren si-
chergestellt, und was waren die häufigsten Täuschungs- und Betrugsprakti-
ken?

21. Wann und wie soll der im Rahmen des BfR-Symposiums „Risiken entlang
globaler Lebensmittel-Warenketten“ von Spitzenbeamten des BMEL vorge-
schlagene „Nationale Sachverständigenrat für Lebensmittelsicherheit“ ge-
gründet werden, und was sollen seine Aufgaben sein?

22. Mit welchen Maßnahmen stellt sich Deutschland den Herausforderungen in
der Lebensmittelüberwachung und -sicherheit, die durch die Zunahme des
globalisierten und verzweigten Warenhandels im Lebensmittelbereich ent-
stehen?

23. Mit welchen nationalen und internationalen Strafen müssen die Inverkehr-
bringer von gefälschten Lebensmittelprodukten rechnen, und ist die Bundes-
regierung der Auffassung, dass diese Sanktionen eine ausreichende Höhe
und Wirkung haben, um eine wirksame Abschreckung für zukünftige Be-
trugsversuche zu bewirken (bitte Antwort begründen)?

Berlin, den 25. April 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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