BT-Drucksache 18/8272

Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Neuordnung der Beleidigungsdelikte

Vom 28. April 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8272
18. Wahlperiode 28.04.2016

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Harald Petzold, Frank Tempel, Dr. André Hahn, Ulla Jelpke,
Jan Korte, Petra Pau, Martina Renner, Kersten Steinke, Jörn Wunderlich und
der Fraktion DIE LINKE.

Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches
– Neuordnung der Beleidigungsdelikte

A. Problem
Das Strafgesetzbuch (StGB) regelt die Beleidigungsdelikte grundsätzlich in den
§§ 185 ff. StGB. Die Beleidigungsdelikte umfassen neben der Beleidigung auch
die üble Nachrede und die Verleumdung. Dennoch sind im StGB an verschiede-
nen Stellen sog. Sonderbeleidigungsdelikte normiert. Dabei handelt es sich um
die Verunglimpfung des Bundespräsidenten (§ 90 StGB), die Beleidigung von
Organen und Vertretern ausländischer Staaten (§ 103 StGB) sowie die üble Nach-
rede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens (§ 188 StGB).

Diese Sonderbeleidigungsdelikte legen einen nicht zu akzeptierenden Unter-
schied zwischen den Betroffenen von Beleidigungsdelikten gesetzlich fest, der
sich im Hinblick auf die dem Tatverdächtigen im Fall einer Verurteilung drohende
Strafe auswirkt. Damit wird die Beleidigung bestimmter Betroffener strafrecht-
lich schwerwiegender gewertet als die Beleidigung anderer Betroffener. In Arti-
kel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) heißt es aber: „Alle Menschen sind vor
dem Gesetz gleich.“ Der Grundsatz verbietet, „gleiche Sachverhalte ungleich oder
ungleiche gleich zu behandeln, es sei denn, ein abweichendes Vorgehen wäre
sachlich gerechtfertigt“ (Beck OK, GG/Kischel, Artikel 3). Eine sachliche Recht-
fertigung für eine unterschiedliche Behandlung Beleidigter ist im Hinblick auf das
Schutzobjekt der Beleidigungsdelikte der §§ 185 ff. StGB nicht erkennbar. § 185
StGB schützt nach allgemeiner Auffassung die Ehre (vgl. Müko StGB, Regge/Pe-
gel, § 185, Rn. 1). Als Beleidigung gilt die „Kundgabe von Geringschätzung,
Nicht- oder Missachtung“ (a. a. O., Rn. 3). Im Rahmen des § 185 StGB sind drei
Begehungsformen möglich: „die Äußerung von Werturteilen gegenüber dem Be-
troffenen selbst, von Werturteilen über den Betroffenen gegenüber Dritten und
schließlich von Tatsachenbehauptungen gegenüber dem Betroffenen“ (a. a. O.,
Rnd. 3). Die Regelungen in den §§ 185 ff. StGB sowie die Regelung in § 130
StGB (Volksverhetzung) sind ausreichend, um einen strafrechtlichen Schutz zu
gewährleisten. Es bedarf keiner Sonderbeleidigungstatbestände.

An verschiedenen Stellen im StGB wird die Strafverfolgung von einer sog. Ver-
folgungsermächtigung abhängig gemacht. Ohne eine solche Verfolgungsermäch-
tigung kann die Staatsanwaltschaft im Hinblick auf die im Einzelnen genannten

Drucksache 18/8272 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Straftaten nicht tätig werden. Eine Verfolgungsermächtigung muss nicht den Ver-
folgungswillen dokumentieren, „vielmehr genügt die Erklärung, dass der Wille
des betroffenen Staatsorgans der Strafverfolgung nicht entgegensteht“ (vgl.
Beck OK, StGB/Dallmeyer, § 77e, Rn. 2). Die Erteilung einer sog. Verfolgungs-
ermächtigung liegt in den Fällen der Vorbereitung einer schweren staatsgefähr-
denden Gewalttat (§ 89a StGB), der Aufnahme von Beziehungen zur Begehung
einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89b StGB) sowie im Fall der Ter-
rorismusfinanzierung (§ 89c StGB) und in einem speziellen Fall des Straftatbe-
standes der kriminellen und terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129b
StGB) beim Bundesministerium für Justiz und für Verbraucherschutz. Im Fall der
verfassungsfeindlichen Verunglimpfung von Verfassungsorganen (§ 90b StGB)
liegt die Erteilung einer Verfolgungsermächtigung beim betroffenen Verfol-
gungsorgan. Die Bundesregierung erteilt die Verfolgungsermächtigung im Fall
der Preisgabe von Staatsgeheimnissen (§ 97 StGB) und nach § 104a StGB in Fäl-
len von Straftaten gegen ausländische Staaten (§§ 102 ff. StGB). Bei den Beleidi-
gungsdelikten obliegt die Befugnis zur Erteilung einer sog. Verfolgungsermäch-
tigung bei der betroffenen Körperschaft (§ 194 Absatz 4 StGB).

Die Verfolgungsermächtigung durchbricht den Grundsatz der Gewaltenteilung.
Die Strafverfolgungsbehörden, insbesondere die Staatsanwaltschaften, können
ihre Arbeit nur erledigen, soweit eine Verfolgungsermächtigung vorliegt. Ob nach
den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen Anklage erhoben wird, mithin ob
Strafverfolgung stattfindet, ist somit von politischen Entscheidungen abhängig,
da ohne Ermächtigung die Staatsanwaltschaft eine solche Ermittlung überhaupt
nicht durchführen kann. In einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung sollte
die Strafverfolgung unabhängig von politischen Entscheidungen gewährleistet
werden.

B. Lösung
Die §§ 90, 103 und 188 StGB werden ersatzlos aufgehoben. Durch die ersatzlose
Streichung wird sichergestellt, dass zukünftig für alle Beleidigten die gleichen
Straftatbestände einschlägig sind und sog. Sonderbeleidigungsdelikte nicht mehr
existieren.

Durch Änderungen in bzw. Streichungen der §§ 77e, 89a Absatz 4, des § 89b Ab-
satz 4, § 89c Absatz 4, § 90b Absatz 2, § 97 Absatz 3, der §§ 104a, 129b Absatz 1
Satz 3 und des § 194 Absatz 4 StGB wird die Verfolgungsermächtigung gestri-
chen und somit die Frage, ob staatsanwaltschaftliche Ermittlungen aufgenommen
werden, dürfen von politischer Einflussnahme befreit.

C. Alternativen
Die §§ 90, 103 und 188 StGB bleiben bestehen und somit die damit verbundene
Ungleichbehandlung und Diskriminierung der Geschädigten.

Die politische Einflussnahme auf die Frage, ob staatsanwaltschaftliche Ermittlun-
gen aufgenommen werden dürfen, bleibt bestehen.

D. Kosten
Bund, Länder und Gemeinden werden durch die Änderung nicht mit Kosten be-
lastet.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/8272

Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches
– Neuordnung der Beleidigungsdelikte

Vom …

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Strafgesetzbuches

Das Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das
zuletzt durch … geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. Die Inhaltsübersicht wird wie folgt geändert:

a) Die Angabe zu § 90 wird wie folgt gefasst:

„§ 90 (weggefallen)“.

b) Die Angabe zu § 103 wird wie folgt gefasst:

„§ 103 (weggefallen)“.

c) Die Angabe zu § 188 wird wie folgt gefasst:

„§ 188 (weggefallen)“.

2. § 5 Nummer 3b wird wie folgt gefasst:

„3b. im Fall des § 90a Absatz 2“.

3. In § 77e werden die Wörter „mit Ermächtigung oder“ gestrichen.

4. § 89a wird wie folgt geändert:

a) Absatz 4 wird aufgehoben.

b) Die Absätze 5 bis 7 werden die Absätze 4 bis 6.

5. § 89b wird wie folgt geändert:

a) Absatz 4 wird aufgehoben.

b) Absatz 5 wird Absatz 4.

6. § 89c wird wie folgt geändert:

a) Absatz 4 wird aufgehoben.

b) Die Absätze 5 bis 7 werden die Absätze 4 bis 6.

7. § 90 wird aufgehoben.

8. § 90b Absatz 2 wird aufgehoben.

9. § 97 Absatz 3 wird aufgehoben.

10. § 103 wird aufgehoben.

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11. § 104a wird wie folgt gefasst:

㤠104a

Voraussetzung der Strafverfolgung

Straftaten nach diesem Abschnitt werden nur verfolgt, wenn die Bundesrepublik Deutschland zu dem
anderen Staat diplomatische Beziehungen unterhält, die Gegenseitigkeit verbürgt ist und auch zur Zeit der
Tat verbürgt war und ein Strafverlangen der ausländischen Regierung vorliegt.“

12. § 129b Absatz 1 Satz 3 wird aufgehoben.

13. § 188 wird aufgehoben.

14. § 194 Absatz 4 wird aufgehoben.

Artikel 2

Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch

In Artikel 308 Absatz 1 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch, das zuletzt durch … geändert worden
ist, wird das Wort „Ermächtigung“ gestrichen.

Artikel 3

Änderung der Strafprozessordnung

Die Strafprozessordnung, die zuletzt durch … geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. In § 100a Absatz 2 Nummer 2a wird die Angabe „89c Absatz 1 bis 4“ durch die Angabe „89c Absatz 1 bis
3“ ersetzt.

2. In § 100c Absatz 2 Nummer 2a wird die Angabe „89c Absatz 1 bis 4“ durch die Angabe „89c Absatz 1 bis
3“ ersetzt.

3. In § 103 Satz 2 wird die Angabe „89c Absatz 1 bis 4“ durch die Angabe „89c Absatz 1 bis 3“ ersetzt.

4. In § 111 Absatz 1 Satz 1 wird die Angabe „89c Absatz 1 bis 4“ durch die Angabe „89c Absatz 1 bis 3“
ersetzt.

5. In § 112a Absatz 1 Nummer 2 wird die Angabe „89c Absatz 1 bis 4“ durch die Angabe „89c Absatz 1 bis 3“
ersetzt.

6. In § 154e Absatz 1 wird die Angabe „188“ durch die Angabe „187“ ersetzt.

7. In § 374 Absatz 1 Nummer 2 werden die Wörter „wenn sie nicht gegen eine der in § 194 Absatz 4 des Straf-
gesetzbuches genannten politischen Körperschaften gerichtet ist“ gestrichen.

8. In § 443 Absatz 1 Nummer 1 wird die Angabe „89c Absatz 1 bis 4“ durch die Angabe „89c Absatz 1 bis 3“
ersetzt.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/8272

Artikel 4

Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes

In § 74a Absatz 1 Nummer 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes, das zuletzt durch … geändert worden ist,
wird die Angabe „90“ durch die Angabe „89c“ ersetzt.

Artikel 5

Änderung des Pressegesetzes

In § 18 Absatz 1 Nummer 2 des Pressegesetzes, das zuletzt durch … geändert worden ist, wird die Angabe
„90b“ gestrichen.

Artikel 6

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Berlin, den 26. April 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Drucksache 18/8272 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Begründung

A. Allemeiner Teil

I. Zielsetzung und wesentlicher Inhalt des Entwurfs

Die Existenz sog. Sonderbeleidigungsdelikte und die Abhängigkeit der Tätigkeit von Staatsanwaltschaften durch
sog. Verfolgungsermächtigungen hat lange ein Schattendasein geführt.

Grundsätzlich werden die Beleidigungsdelikte in den §§ 185 ff. StGB geregelt. Der § 185 StGB schützt nach
allgemeiner Auffassung die Ehre (vgl. Müko StGB, Regge/Pegel, § 185, Rn. 1). Als Beleidigung gilt die „Kund-
gabe von Geringschätzung, Nicht- oder Missachtung“ (a. a. O., Rn. 3). Im Rahmen des § 185 StGB sind drei
Begehungsformen möglich: „die Äußerung von Werturteilen gegenüber dem Betroffenen selbst, von Werturtei-
len über den Betroffenen gegenüber Dritten und schließlich von Tatsachenbehauptungen gegenüber dem Betroffe-
nen“ (a. a. O., Rnd. 3). Die Beleidigungsdelikte umfassen neben der Beleidigung auch die üble Nachrede und die
Verleumdung. Die Beleidigung (§ 185 StGB) und die üble Nachrede (§ 186 StGB) wird im Höchstmaß mit Frei-
heitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft. Wird die Beleidigung mittels einer Tätlichkeit begangen und die üble Nach-
rede öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften ist die Strafandrohung höchstens Freiheitsstrafe bis zu zwei
Jahren. Eine Verleumdung (§ 187 StGB) wird mit Freiheitsstrafe im Höchstmaß bis zu zwei Jahren und soweit
die Tat öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften begangen wird höchstens mit Frei-
heitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft. Die Volksverhetzung (§ 130 StGB) sieht ein Strafmaß von drei Monaten
bis fünf Jahren vor, im Falle des Absatzes 2 liegt das Strafmaß bei bis zu drei Jahren Freiheitsentzug. Schutzgut
der Volksverhetzung ist zunächst der öffentliche Frieden, der Individualschutz der Angehörigen der jeweiligen
Bevölkerungsteile ist aber auch gegeben (vgl. BeckOK, StGB/Rackow, § 130, Rn. 10).

Trotz dieses umfassenden Schutzes sind im StGB an verschiedenen Stellen sog. Sonderbeleidigungsdelikte nor-
miert. Dabei handelt es sich um die Verunglimpfung des Bundespräsidenten (§ 90 StGB), die Beleidigung von
Organen und Vertretern ausländischer Staaten (§ 103 StGB) sowie die üble Nachrede und Verleumdung gegen
Personen des politischen Lebens (§ 188 StGB).

Diese Sonderbeleidigungsdelikte legen einen nicht zu akzeptierenden Unterschied zwischen den Betroffenen von
Beleidigungsdelikten gesetzlich fest, der sich im Hinblick auf die dem Tatverdächtigen im Falle einer Verurtei-
lung drohende Strafe auswirkt. So wird die Verunglimpfung des Bundespräsidenten (§ 90), die Beleidigung von
Organen und Vertretern ausländischer Staaten (§ 103 StGB) und die üble Nachrede und Verunglimpfung gegen
Personen des politischen Lebens (§ 188 StGB) mit Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten bis zu fünf Jahren
bestraft.

Weder bedarf es eines unterschiedlichen Strafmaßes im Hinblick auf die Beleidigungsdelikte der §§ 185 ff. StGB
sowie des § 130 StGB, noch gesonderter Straftatbestände. Durch die Existenz der sog. Sonderbeleidigungsdelikte
wird die Beleidigung bestimmter Betroffener strafrechtlich schwerwiegender gewertet als die Beleidigung anderer
Betroffener. Mithin findet eine Hierarchisierung zwischen der Person oder Gruppe zukommenden Ehre statt. Da-
bei heißt es doch in Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ Dieser Grund-
satz verbietet, „gleiche Sachverhalte ungleich oder ungleiche gleich zu behandeln, es sei denn, ein abweichendes
Vorgehen wäre sachlich gerechtfertigt“ (Beck OK, GG/Kischel, Artikel 3). Eine sachliche Rechtfertigung für eine
unterschiedliche Behandlung Beleidigter ist im Hinblick auf das Schutzobjekt der Beleidigungsdelikte der
§§ 185 ff. StGB nicht erkennbar. Die Ehre einer Person oder Gruppe kann nicht von ihrer gesellschaftlichen Stel-
lung abhängig gemacht werden. Die Verleumdung, Beleidigung oder die üble Nachrede einem oder einer Ob-
dachlosen gegenüber ist ebenso strafwürdig wie die Verleumdung, Beleidigung oder die üble Nachrede gegenüber
Personen des politischen Lebens oder dem Bundespräsidenten. Die Regelungen in den §§ 185 ff. StGB sowie die
Regelung in § 130 StGB (Volksverhetzung) sind ausreichend, um einen strafrechtlichen Schutz für Alle zu ge-
währleisten. Es bedarf keiner Sonderbeleidigungstatbestände.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/8272
Vor diesem Hintergrund schlägt der Gesetzentwurf vor, die Straftatbestände der Verunglimpfung des Bundesprä-
sidenten (§ 90 StGB), der Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten (§ 103 StGB) sowie der
Üblen Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens (§ 188 StGB) ersatzlos zu streichen.
Eine Schutzlücke entsteht durch die Existenz der §§ 185 ff. StGB und § 130 StGB nicht.

Erst durch die sog. Böhmermann-Affäre und die am 15. April 2016 erteilte Verfolgungsermächtigung wurde der
Aspekt, dass die Politik Einfluss darauf nehmen kann, ob eine staatsanwaltschaftliche Ermittlung stattfindet oder
nicht, wieder in das Bewusstsein gerückt. Unabhängig davon wie die konkrete Entscheidung der Bundesregierung
bewertet wird, bleibt ein für einen Rechtsstaat erhebliches Problem. An verschiedenen Stellen im StGB wird die
Strafverfolgung von einer sog. Verfolgungsermächtigung abhängig gemacht. Ohne eine solche Verfolgungser-
mächtigung kann die Staatsanwaltschaft im Hinblick auf die im Einzelnen genannten Straftaten nicht tätig werden.
Eine Verfolgungsermächtigung muss nicht den Verfolgungswillen dokumentieren, „vielmehr genügt die Erklä-
rung, dass der Wille des betroffenen Staatsorgans der Strafverfolgung nicht entgegensteht“ (vgl. Beck OK,
StGB/Dallmeyer, § 77e, Rn. 2). Die Erteilung einer sog. Verfolgungsermächtigung liegt in den Fällen der Vorbe-
reitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89a StGB), der Aufnahme von Beziehungen zur Bege-
hung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89b StGB) sowie im Fall der Terrorismusfinanzierung
(§ 89c StGB) und in einem speziellen Fall des Straftatbestandes der Kriminellen und terroristischen Vereinigung
im Ausland (§ 129b StGB) beim Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz. Im Fall der verfassungs-
feindlichen Verunglimpfung von Verfassungsorganen (§ 90b StGB) liegt die Erteilung einer Verfolgungsermäch-
tigung beim betroffenen Verfolgungsorgan. Die Bundesregierung erteilt die Verfolgungsermächtigung im Fall
der Preisgabe von Staatsgeheimnissen (§ 97 StGB) und nach § 104a StGB in Fällen von Straftaten gegen auslän-
dische Staaten (§§ 102 ff. StGB). Bei den Beleidigungsdelikten obliegt die Befugnis zur Erteilung einer sog. Ver-
folgungsermächtigung bei der betroffenen Körperschaft (§ 194 Absatz 4 StGB).

Die Verfolgungsermächtigung durchbricht den Grundsatz der Gewaltenteilung. Die Strafverfolgungsbehörden,
insbesondere die Staatsanwaltschaften, können ihre Arbeit nur erledigen, soweit eine Verfolgungsermächtigung
vorliegt. Ob nach den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen Anklage erhoben wird, mithin ob Strafverfolgung
stattfindet, ist somit von politischen Entscheidungen abhängig, da ohne Ermächtigung die Staatsanwaltschaft eine
solche Ermittlung überhaupt nicht durchführen kann. In einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung sollte
die Strafverfolgung unabhängig von politischen Entscheidungen gewährleistet werden. Der Gesetzgeber macht
die Gesetze und die Justiz wendet sie an. Der Einfluss von Politik auf Entscheidungen, die in die Kompetenz der
Justiz fallen, muss zurückgedrängt werden. Die Frage ob und in welchem Umfang strafrechtliche Ermittlungen
eingeleitet werden soll unabhängig von politischer Einflussnahme sein.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird eine Verfolgungsermächtigung für politische Organe abgeschafft.
Dazu werden die §§ 77e StGB, 89a Absatz 4 StGB, § 89b Absatz 4 StGB, § 89c Absatz 4 StGB, § 90b Absatz 2
StGB, § 97 Absatz 3 StGB, die §§ 104a, 129b Absatz 1 Satz 3 und § 194 Absatz 4 StGB im Hinblick auf diese
Grundsatzentscheidung angepasst oder gestrichen.

II. Alternativen

Es bestünde die Möglichkeit daran festzuhalten, dass es grundsätzlich oder im konkreten Einzelfall sog. Sonder-
beleidigungsdelikte und Verfolgungsermächtigungen gibt.

III. Gesetzgebungskompetenz

Die Gesetzgebungszuständigkeit ergibt sich aus Artikel 74 Absatz 1 Nummer 1 Grundgesetz.

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Änderung des Strafgesetzbuches – StGB)

Zu Nummer 1 (Änderung der Inhaltsübersicht)

Notwendige Anpassung infolge der Aufhebung von Normen.

Drucksache 18/8272 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Zu Nummer 2

Folgeänderung der ersatzlosen Streichung des § 90 StGB.

Zu Nummer 3 (§ 77e StGB)

Folgeänderung nach der Grundsatzentscheidung die Verfolgungsermächtigung abzuschaffen.

Zu Nummer 4 (§ 89a Absatz 4 StGB )

Folgeänderung nach der Grundsatzentscheidung die Verfolgungsermächtigung abzuschaffen.

Zu Nummer 5 (§ 89b Absatz 4 StGB)

Folgeänderung nach der Grundsatzentscheidung die Verfolgungsermächtigung abzuschaffen.

Zu Nummer 6 (§ 89c Absatz 4)

Folgeänderung nach der Grundsatzentscheidung die Verfolgungsermächtigung abzuschaffen.

Zu Nummer 7 (§ 90)

§ 90 StGB stellt die Verunglimpfung des Bundespräsidenten unter besondere Strafe, jenseits der allgemeinen
Beleidigungsdelikte nach §§ 185 ff. StGB.

Die Vorschrift soll sowohl das Amt, wie auch die Person des Bundespräsidenten schützen (vgl. BeckOK,
StGB/Valerius, § 90, Rn. 1). Die für die Erfüllung des Tatbestandes des § 90 StGB notwendige Verunglimpfung
kann durch eine „nach Form, Inhalt und den Begleitumständen erhebliche Beleidigung, üble Nachrede oder Ver-
leumdung geschehen“ (Schönke-Schröder/Sternberg-Lieben, StGB, § 90, Rn. 2).

Die Vorschrift ist aber nicht mehr zeitgemäß und missachtet den Grundsatz, dass alle Menschen vor dem Gesetz
gleich sind. Die Würde und die Persönlichkeitsrechte des Bundespräsidenten sind durch die allgemeinen Straf-
vorschriften zu Beleidigung, übler Nachrede und Verleumdung (§§ 185 bis 187 StGB) ausreichend geschützt. Der
Bundespräsident verfügt nicht über mehr Würde als jede andere Bürgerin / jeder andere Bürger, so dass es keinen
Grund für eine härtere Bestrafung (Mindeststrafmaß drei bzw. sechs Monate) gibt.

Hinzu kommt, dass der § 90 StGB eine Strafverfolgungsermächtigung durch den Bundespräsidenten voraussetzt.
Wenn eine Strafverfolgung aber schon derzeit nur bei Strafverfolgungsermächtigung des Bundespräsidenten mög-
lich ist, spricht nichts dagegen den § 90 StGB ersatzlos zu streichen und die Verleumdung des Bundespräsidenten
allein im Rahmen der §§ 185 ff. StGB weiterhin unter Strafe zu stellen. Soweit der Bundespräsident auf Grund
der §§ 185 ff. StGB eine Strafverfolgung wünscht, kann er den Strafantrag nach § 194 StGB stellen.

Zu Nummer 8

Folgeänderung nach der Grundsatzentscheidung die Verfolgungsermächtigung abzuschaffen.

Zu Nummer 9

Folgeänderung nach der Grundsatzentscheidung die Verfolgungsermächtigung abzuschaffen.

Zu Nummer 10

Der § 103 StGB, der die Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten strafrechtlich sanktio-
niert, stammt aus dem Jahr 1871, als Deutschland noch ein Kaiserreich war, und sollte damals das Persönlich-
keitsrecht von Monarchen schützen. Er ist damit ein Ausfluss des vordemokratischen Strafrechts und folglich ein
Anachronismus. Im Jahre 1953 wurde die Vorschrift wieder in das bundesdeutsche StGB eingefügt, diesmal aber
mit einem weiteren Anwendungsbereich, denn es sollte fortan nicht nur majestätische Oberhäupter, sondern ge-
nerell Organe und Vertreter ausländischer Staaten schützen. Es wurde weiterhin geregelt, dass eine Strafverfol-
gung nach § 103 StGB nur mit Ermächtigung der Bundesregierung erfolgen kann. In den Sechzigerjahren hatte
sich Schah Mohammad Reza Pahlavi von Persien mehrfach auf diese Vorschrift berufen. Beispielsweise fühlte
sich der Schah 1964 durch eine karikierende Fotomontage im "Kölner Stadt-Anzeiger" beleidigt, und die verant-
wortlichen Mitarbeiter mussten eine Geldstrafe zahlen. Daher ist § 103 StGB auch als so genannter Schah-Para-
graph bekannt geworden. Ansonsten wurde die Vorschrift relativ selten angewandt.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/8272
Ergänzend ist als Argument für die Abschaffung des § 103 StGB heranzuzuziehen, dass § 103 StGB die Würde
eines Organes oder Vertreters eines ausländischen Staates höher bewertet als die Würde und Ehre anderer Be-
troffener von Beleidigungen, Verleumdungen oder übler Nachrede. Dies wird daran deutlich, dass das Strafmaß
mit einer Höchststrafe von drei oder fünf Jahren Haft deutlich höher ausfällt als bei den Beleidigungsdelikten der
§§ 185 ff. StGB.

Die allgemeinen Beleidigungstatbestände der §§ 185 ff. StGB reichen völlig aus, die Rechte auch ausländischer
Organe und Vertreter zu wahren, und trägt dem Umstand Rechnung, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich
sein sollen. Der VGH München hat in einem Urteil vom 8.3.2010 (10 B 09.1102, 10 B 09.1837) noch einmal klar
gestellt: Die Tathandlung in § 103 StGB entspricht der der Beleidigung nach § 185 StGB.

Zu Nummer 11 (§ 104a)

In der Folge der Grundsatzentscheidung, die Verfolgungsermächtigung abzuschaffen, ist eine redaktionelle An-
passung des § 104a StGB vorzunehmen. Durch die Änderung wird die Verfolgungsermächtigung der Bundesre-
gierung aus dem Anwendungsbereich des § 104a StGB gestrichen.

Zu Nummer 12 (§ 129b Absatz 1 Satz 3)

Folgeänderung nach der Grundsatzentscheidung die Verfolgungsermächtigung abzuschaffen.

Zu Nummer 13 (§ 188)

Nach § 188 StGB wird die üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens strafrechtlich
sanktioniert.

Die Norm stellt eine Qualifikation zu den §§ 186, 187 StGB dar und soll einen verstärkten Ehrenschutz für die
Persönlichkeiten des politischen Lebens schaffen und somit der Vergiftung des politischen Lebens durch Ehrab-
schneidungen entgegenwirken, geschützt wird die Person (vgl. Schönke/Schröder-Lenker/Eisele, StGB, § 188,
Rn. 1).

Es ist jedoch aus grundsätzlichen Erwägungen heraus nicht einzusehen, warum der in diesem Paragrafen benannte
Personenkreis eines besonderen Schutzes bedarf, wenn die Tathandlung auch über die §§ 185 bis 187 strafbar ist.

Zu Nummer 14 (§ 194 Absatz 4)

Folgeänderung nach der Grundsatzentscheidung die Verfolgungsermächtigung abzuschaffen.

Zu Artikel 2 (Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch – EStGB)

Folgeänderung nach der Grundsatzentscheidung die Verfolgungsermächtigung abzuschaffen.

Zu Artikel 3 (Änderung der Strafprozessordnung – StPO)

Zu Nummer 1 (§ 100a Absatz 2 Nummer 2a)

Die Änderung ist notwendige Folge der Streichung der Streichung des § 89c Absatz 4.

Zu Nummer 2 (§ 100c Absatz 2 Nummer 2a)

Die Änderung ist notwendige Folge der Streichung des § 89c Absatz 4.

Zu Nummer 3 (§ 103 Satz 2)

Die Änderung ist notwendige Folge der Streichung des § 89c Absatz 4.

Zu Nummer 4 (§ 111 Absatz 1 Satz 1)

Die Änderung ist notwendige Folge der Streichung des § 89c Absatz 4.

Zu Nummer 5 (§ 112a Absatz 1 Nummer 2)

Die Änderung ist notwendige Folge der Streichung des § 89c Absatz 4.

Zu Nummer 6 (§ 154e Absatz 1)

Die Änderung ist notwendige Folge der Streichung des § 188 StGB.

Drucksache 18/8272 – 10 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Zu Nummer 7 (§ 374 Absatz 1 Nummer 2)

Die Änderung ist notwendige Folge der Streichung des § 194 Absatz 4.

Zu Nummer 8 (§ 443 Absatz 1 Nummer 1)

Die Änderung ist notwendige Folgeänderung der Streichung des § 89c Absatz 4.

Zu Artikel 4 (Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes – GVG)

Die Änderung in § 74a Absatz 2 Nummer 2 GVG ist die notwendige Folge der Streichung des § 90 StGB.

Zu Artikel 5 (Änderung des Pressegesetzes – PrG)

Die Änderung in § 18 Absatz 1 Nummer 2 PrG ist notwendige Folgeänderung der Änderung in § 90b.

Zu Artikel 6 (Inkrafttreten)

Die Norm regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

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