BT-Drucksache 18/8227

Einsatzmöglichkeiten von Militär und Geheimdiensten gegen sogenannte hybride Bedrohungen

Vom 22. April 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8227
18. Wahlperiode 22.04.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken,
Christine Buchholz, Annette Groth, Inge Höger, Ulla Jelpke, Jan Korte,
Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu, Harald Petzold (Havelland),
Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Einsatzmöglichkeiten von Militär und Geheimdiensten gegen sogenannte hybride
Bedrohungen

Am 6. April 2016 veröffentlichten die Europäische Kommission und der Europä-
ische Auswärtige Dienst ihre Initiative „Gemeinsamer Rahmen für die Abwehr
hybrider Bedrohungen, die Stärkung der Resilienz der EU, ihrer Mitgliedstaaten
und Partnerländer und den Ausbau der Zusammenarbeit mit der NATO bei der
Bekämpfung solcher Bedrohungen“. Ein entsprechendes Papier enthält Vor-
schläge für 22 operative Maßnahmen (JOIN(2016) 18 final). Laut einer am glei-
chen Tag herausgegebenen Pressemitteilung seien die Europäische Union und
ihre Mitgliedstaaten „in zunehmendem Maße hybriden Bedrohungen ausgesetzt“.
Das Sicherheitsumfeld habe sich drastisch verändert, auch an den Außengrenzen
der Europäischen Union nähmen „hybride Bedrohungen“ zu. „Hybride“ Aggres-
sionen würden nicht nur unmittelbaren Schaden anrichten und Verwundbarkeiten
ausnutzen, sondern Gesellschaften destabilisieren und „durch Verschleierungs-
taktik“ die Entscheidungsfindung zu einer gemeinsamen Antwort behindern. In-
nere und äußere Sicherheit müssten deshalb noch stärker miteinander verknüpft
werden. Auch Geheimdienste sollen sich an der Abwehr von „hybriden Angrif-
fen“ unterhalb der Schwelle militärischer Gewalt beteiligen. Das Lagezentrum
Intelligence and Situation Centre (INTCEN) in Brüssel soll mit einer „Hybrid
Fusion Cell“ erhalten. Die Zelle soll Frühwarnberichte erstellen und mit anderen
Agenturen zusammenarbeiten. Genannt werden die bei Europol angesiedelten
Zentren gegen Cyberkriminalität sowie gegen Terrorismus, die Grenzschutzagen-
tur FRONTEX und das Computersicherheits-Ereignis- und Reaktionsteam der
Europäischen Union (CERT-EU). Zur besseren Zusammenarbeit soll die
„Hybrid Fusion Cell“ ein Abkommen mit der Abteilung gegen „hybride Bedro-
hungen“ bei der NATO schließen. Anvisiert sind unter anderem gemeinsame
Übungen „auf politischer und technischer Ebene“.
Ein eigenes Kapitel widmet sich den Cyberbedrohungen. Zwar hat die Europäi-
sche Union bereits eine Strategie zur Cybersicherheit veröffentlicht (Ratsdoku-
ment 6225/13). Trotzdem müsse vor allem die Abwehrfähigkeit kritischer Infra-
strukturen ausgebaut werden. Hierzu gehören die Bereiche Energie, Verkehr und
Raumfahrt, aber auch der Schutz des Finanzsystems. Dessen Geschäfte und Inf-
rastrukturen sollen nun mit weiteren Maßnahmen geschützt werden. Das Finanz-
system werde aber auch zur „hybriden Kriegsführung“ genutzt. Deshalb soll die
Polizeiagentur Europol nun mit ihren Strukturen zum Aufspüren von Terroris-
musfinanzierung und Geldwäsche eingebunden werden. Europol solle auch bei

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der Bekämpfung von gewalttätigem Extremismus und Radikalisierung unterstüt-
zen. Diese seien zwar nicht per se „hybrider Natur“, würden jedoch von Tätern
genutzt, um „verletzbare“ Teile der Gesellschaft durch moderne Kommunikati-
onsmittel und Propaganda zu radikalisieren. Im Sommer hatte Europol eine
„Meldestelle für Internetinhalte“ eröffnet, die zunächst auf „terroristisch/extre-
mistische“ Postings beschränkt war. Kurz darauf folgte die Ausweitung der Zu-
ständigkeit auf „Migrantenschmuggel“, nun soll die Meldestelle auch bei „hybri-
den Bedrohungen“ tätig werden und Inhalte durch die Internetanbieter entfernen
lassen.
Im September 2015 hat der Europäische Auswärtige Dienst ein Team für
„Strategische Kommunikation“ (EU East StratCom Task Force) ins Leben geru-
fen, um damit die politischen EU-Ziele in der östlichen Nachbarschaft „voranzu-
treiben“ (Bundestagsdrucksache 18/6486). Die Arbeitsgruppe soll „Russlands an-
dauernden Desinformationskampagnen über den Ukrainekonflikt“ kontern. Die
EU East StratCom Task Force will keine Gegenpropaganda lancieren, entwickelt
aber „positive Narrative und Kommunikationsprodukte“ in russischer Sprache.
Schließlich wird in der Mitteilung vom 6. April 2016 auch die Abwehr eines
„großangelegten, schweren hybriden Angriffs“ vorbereitet. Mit der Solidaritäts-
klausel nach Artikel 222 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen
Union (AEUV) verfügt die Europäische Union über Möglichkeiten zur Krisenre-
aktion. Die Mitteilung vom 6. April 2016 schlägt vor, die mögliche Nutzung des
Artikels 222 AEUV im Falle „hybrider Angriffe“ zu diskutieren. Entsprechende
Maßnahmen könnten dann in einer Ausführungsbestimmung festgelegt werden.
In Artikel 42 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) hat sich die EU mit
der Beistandsklausel zudem die Möglichkeit einer gemeinsamen militärischen
Antwort auf Bedrohungen geschaffen. Die erstmals von Frankreich nach den
Paris-Anschlägen im November 2015 ausgerufene Beistandspflicht soll nun
ebenfalls für „hybride Angriffe“ ausgebaut werden.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie definiert die Bundesregierung den Begriff „hybride Bedrohungen“?

a) Wodurch grenzen sich „hybride Bedrohungen“ aus Sicht der Bundesre-
gierung von „terroristischen“ oder „kriminellen“ Angriffen oder Praxen
ab?

b) Inwiefern können „hybride Bedrohungen“ aus Sicht der Bundesregierung
als Praxen von staatlichen oder nichtstaatlichen Akteuren differenziert
werden?

c) Unter welchen Umständen sind aus Sicht der Bundesregierung auch „ge-
walttätiger Extremismus“ und „Radikalisierung“ als Angriffe „hybrider
Natur“ einzustufen?

2. Was ist der Bundesregierung aus ihrer Teilnahme an Ratsarbeitsgruppen über
gemeinsame Treffen mit Russland bekannt, die nach Kenntnis der Fragestel-
ler im Februar 2016 in Brüssel stattfanden und die Themenfelder „gewalttä-
tigen Extremismus“ und „Terrorismusbekämpfung“ thematisierten?
a) Auf wessen Initiative fanden die Treffen statt, und wer nahm daran teil?
b) Welche Ergebnisse der Treffen sind der Bundesregierung bekannt?

3. Inwiefern hält es die Bundesregierung für erforderlich oder nicht erforder-
lich, sich auf einen „großangelegten, schweren hybriden Angriff“ vorzube-
reiten?

4. Inwiefern ist der Einsatz „hybrider Bedrohungen“ aus Sicht der Bundesre-
gierung auch bei Mitgliedstaaten der NATO zu beobachten?

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5. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, inwiefern auch das internati-
onale Finanzsystem zur „hybriden Kriegsführung“ genutzt wird oder werden
könnte?

6. In welchem Maß sieht sich die Bundesregierung „hybriden Bedrohungen“
ausgesetzt, und welchen Einfluss haben diese demnach auf ihr Sicherheits-
umfeld?
a) In welchen geografischen Bereichen treten diese „hybriden Bedrohun-

gen“ besonders häufig auf?
b) Welcher konkrete Schaden wurde dabei bereits angerichtet?

7. Inwiefern ist auch die Bundesregierung wie die Europäische Kommission
und der Europäische Auswärtige Dienst der Ansicht, „hybride Bedrohungen“
seien geeignet, Gesellschaften zu destabilisieren und „durch Verschleie-
rungstaktik“ die Entscheidungsfindung zu einer gemeinsamen Antwort zu
behindern?

8. In welchen herausragenden Fällen ist dies in der jüngeren Vergangenheit be-
reits zu beobachten gewesen?

9. Inwiefern teilt die Bundesregierung die von dem durch das Bundesministe-
rium der Verteidigung als Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswär-
tige Politik e. V. (DGAP) vorgestellten Stefan Meister im März 2016 vor
Vertretern von Europäischer Union, NATO und des Auswärtigen Amts vor-
getragene Behauptung, wonach „eines der wichtigsten Instrumente“ zur Ver-
breitung der „Propaganda-Nachrichten des Kreml“ das Online-Medienportal
„Sputnik“ sei, bei dem „Kreml-Trolle“ zur Verbreitung falscher oder erfun-
dener Informationen beschäftigt seien (bmvg.de vom 4. April 2016, Autor:
Tilman Engel)?

10. Welche Einteilung von Kategorien digitaler Angriffe hält die Bundesregie-
rung für sinnvoll, und inwiefern macht sie sich die Einschätzung des NATO
Strategic Communications Centre of Excellence (NATO StratCom COE) in
Riga zu eigen, das in „Verschwörungs-Trolle“, „Wut-Trolle“, „Anhang-
Trolle“, „Wikipedia-Trolle“ und „Bikini-Trolle“ unterscheidet (bmvg.de
vom 4. April 2016, Autor: Tilman Engel)?

11. Wann haben der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND) und der
Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) erstmals belastbare
Kenntnisse davon erlangt, dass der Whistleblower Edward Snowden „Teil
russischer Geheimdienstoperationen gegen Deutschland und Westeuropa“
gewesen sei (FOCUS vom 15. April 2016)?
a) Aus welchem Grund hält es die Bundesregierung für „sehr auffällig“, dass

Edward Snowden „ausgerechnet Unterlagen über die Zusammenarbeit
der National Security Agency (NSA) mit dem BND oder dem englischen
Geheimdienst Government Communications Headquarters (GCHQ) ver-
öffentlicht hat“?

b) Über welche belastbaren Erkenntnisse verfügen der Präsident des BND
und der Präsident des BfV, dass Edward Snowden auch über Dokumente
zu Ländern wie China oder Russland verfügt, diese aber zurückhält, um
durch den „Verrat“ lediglich eines Teils der Dokumente „einen Keil zwi-
schen Westeuropa und die USA zu treiben“?

12. Welche „psychologischen Operationen“ unter Zuhilfenahme von „Desinfor-
mation, Infiltration, Einflussnahme, Propaganda und Zersetzung“ haben „die
Russen“ nach Kenntnis des Präsidenten des BND bereits in Deutschland
durchgeführt (FOCUS vom 15. April 2016)?

13. Inwiefern sind mit dem Begriff „die Russen“ auch nicht-staatliche Kräfte ge-
meint?

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14. Wie viele Referenten und Referatsleiter des BfV sind derzeit mit der Aufar-
beitung der Akten für Untersuchungsausschüsse beschäftigt, und wie viele
Referenten und Referatsleiter befassen sich derzeit mit dem „Bereich is-
lamistischer Terrorismus“ (FOCUS vom 15. April 2016)?

15. Welche Cyberbedrohungen sind aus Sicht der Bundesregierung nicht von der
EU-Strategie zur Cybersicherheit erfasst, und welche weiteren Maßnahmen
sind demnach erforderlich?

16. Inwiefern sollten „hybride Bedrohungen“ aus Sicht der Bundesregierung
auch durch mehr Beobachtung und Kontrolle des Internets bekämpft wer-
den?
a) Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, welche Aufgabe

die zunächst für „terroristisch/extremistische“ Postings und schließlich
auf „Migrantenschmuggel“ erweiterte, bei Europol eingerichtete „Melde-
stelle für Internetinhalte“ hierzu übernehmen könnte?

b) Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, welche weiteren internati-
onalen Strafverfolgungsbehörden sowie Internetunternehmen an der von
Europol unterstützten Operation der britischen „Counter Terrorism Inter-
net Referral Unit“ (CTIRU) teilnahmen, um unerwünschte Internetinhalte
aufzuspüren und zu entfernen (Pressemitteilung „International operation
against online terrorism and extremism“ vom 21. April 2016)?

c) Inhalte welcher „internationaler terroristischer Organisationen“ außer
dem „Islamischen Staat im Irak und in Syrien“ (ISIS) und „Boko Haram“
sowie welcher „extrem rechter Gruppierungen“ wurden dabei gefunden
und entfernt?

17. Was ist der Bundesregierung über Pläne zur Einrichtung einer „Hybrid Fu-
sion Cell“ im Lagezentrum INTCEN in Brüssel bekannt, und wer soll ihr
angehören?
a) Inwiefern soll die neue „Hybrid Fusion Cell“ auch Internetbeobachtung

betreiben?
b) Auf welche Weise könnte die „Hybrid Fusion Cell“ aus Sicht der Bun-

desregierung mit der Polizeibehörde Europol und der Grenzschutzagentur
FRONTEX kooperieren?

c) Inwiefern wird auch die Bundesregierung eine nationale Kontaktstelle für
die „Hybrid Fusion Cell“ einrichten, und welche Aufgaben werden dort
von welchen Behörden übernommen?

18. Auf welche Weise soll nach Kenntnis der Bundesregierung die EU East
StratCom Task Force ihre Anstrengungen zur Erstellung und Verteilung „po-
sitiver Narrative und Kommunikationsprodukte“ verstärken?

19. Welche weiteren Schritte bzw. Initiativen zur Umsetzung des „Aktionsplans
über strategische Kommunikation“ wurden nach Kenntnis der Bundesregie-
rung zu den Aktivitätsfeldern „Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit
der EU, Zusammenarbeit mit Partnern, Unterstützung für Presse- und Mei-
nungsfreiheit, public diplomacy in den Nachbarländern der EU, Training für
Journalisten, Unterstützung für Pluralismus in russischsprachigen Medien
und Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft“ entfaltet (Bundestagsdruck-
sache 18/6486)?

20. Auf welche Weise wird die Bundesregierung die „Schlussfolgerungen des
Rates zur Bewältigung hybrider Bedrohungen“ vom 19. April 2016 (Ratsdo-
kument 7928/16) berücksichtigen und/oder umsetzen, der ein „rasches und
angemessenes Handeln zur Prävention und Bewältigung von hybriden Be-
drohungen für die Union und ihre Mitgliedstaaten sowie für ihre Partner“
anmahnt?

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a) Was ist der Bundesregierung über Pläne einer noch einzurichtenden
„Hybrid Fusion Cell“ bekannt, mit einer NATO-Abteilung gegen „hy-
bride Bedrohungen“ gemeinsame Übungen „auf politischer und techni-
scher Ebene“ durchzuführen, und worum handelt es sich dabei?

b) Sofern diese Übungen „auf politischer und technischer Ebene“ noch nicht
ausformuliert sind, welche Anstrengungen hält die Bundesregierung
hierzu für notwendig?

21. Inwiefern und mit welchen Einschränkungen könnte aus Sicht der Bundes-
regierung die Solidaritätsklausel nach Artikel 222 AEUV und die Beistands-
klausel nach Artikel 42 EUV zur Vorbeugung und Reaktion auf „hybride Be-
drohungen“ angewandt werden, und welche Änderungen zur Ausführung
oder Umsetzung wären hierfür erforderlich?

Berlin, den 22. April 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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