BT-Drucksache 18/8182

Politischer Handlungsbedarf - 40 Jahre Unternehmensmitbestimmung in Deutschland

Vom 15. April 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8182
18. Wahlperiode 15.04.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Corinna Rüffer, Brigitte Pothmer,
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Markus Kurth, Dr. Thomas Gambke und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Politischer Handlungsbedarf – 40 Jahre Unternehmensmitbestimmung
in Deutschland

Spätestens seit der letzten Wirtschaftskrise ist die Unternehmensmitbestimmung
in Deutschland in der politischen Debatte nahezu unumstritten, denn sie hat mit
dazu beigetragen, dass die Krise erfolgreich bewältigt wurde. Im Gegensatz zu
anderen Staaten wurden in Deutschland mithilfe der Unternehmensmitbestim-
mung Strukturbrüche und Massenentlassungen vermieden und der Beschäfti-
gungsstand während der Krise wurde gehalten. So konnte die deutsche Industrie
schnell wieder an das Produktionsniveau vor der Krise anknüpfen.
Die Vorteile der Unternehmensmitbestimmung sind vielfältig. Sie kann sich nicht
nur positiv auf die Produktivität, sondern auch auf die Rentabilität und Kapital-
marktbewertung von Unternehmen auswirken (Schmollers Jahrbuch 131, 2011).
Zudem trägt sie zur guten Unternehmensführung im Sinne eines nachhaltigen so-
wie sozial verträglichen Wirtschaftens bei, denn sie befördert soziale Stabilität
und Zusammenhalt. Durch transparente, gemeinschaftlich vereinbarte Unterneh-
menskonzepte entsteht Vertrauen und in der Folge eine hohe Identifikation der
Beschäftigten mit dem Unternehmen. Vor allem ist die Unternehmensmitbestim-
mung ein wichtiger Teil unserer demokratischen Kultur.
Trotz dieser Vorteile werden die weißen Flecken der Unternehmensmitbestim-
mung auf der Landkarte der Bundesrepublik Deutschland immer größer, weil sich
einige Unternehmen durch den geschickten Gebrauch von anerkannten Rechts-
formen der Mitbestimmung entziehen. Die Unternehmen im kirchlichen Bereich
verfügen über keinerlei Unternehmensmitbestimmung, weil sie im kirchlichen
Arbeitsrecht nicht vorgesehen ist. Zum 40. Jahrestag der Unternehmensmitbe-
stimmung stellt sich die Frage nach dem politischen Handlungsbedarf.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie haben sich die Zahlen der mitbestimmten Unternehmen nach dem Drit-

telbeteiligungsgesetz (Kapitalgesellschaften mit mehr als 500 Beschäftig-
ten), dem Mitbestimmungsgesetz von 1976 (mit mehr als 2 000 Beschäftig-
ten) und dem Montanmitbestimmungsgesetz (mehr als 1 000 Beschäftigte in
Montanunternehmen) nach Kenntnis der Bundesregierung in den letzten
40 Jahren entwickelt (bitte mit Zahlen in Zehn-Jahresschritten und differen-
ziert nach Gesetzesgrundlage sowie Branchen angeben)?

Drucksache 18/8182 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
2. Wie viele Vertreterinnen und Vertreter der Arbeitnehmerseite bzw. Arbeit-
geberseite gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung aktuell in deutschen
Aufsichtsräten, die nach dem Drittelbeteiligungsgesetz, dem Mitbestim-
mungsgesetz von 1976 und dem Montanmitbestimmungsgesetz mitbestimmt
sind, und wie viele Beschäftigte profitieren davon (bitte nach Gesetzesgrund-
lage und Geschlecht differenzieren)?

3. Wie viele Unternehmen in Deutschland nutzen nach Kenntnis der Bundesre-
gierung die folgenden anerkannten und üblichen Rechtsformen missbräuch-
lich, um die Unternehmensmitbestimmung nach dem Drittelbeteiligungsge-
setz einzufrieren oder sich der Unternehmensmitbestimmung vollständig zu
entziehen:
a) Auslandskapitalgesellschaft & Co. KG;
b) europäische Aktiengesellschaft bzw. SE & Co. KG;
c) Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA);
d) Stiftungen;
e) Auslandsgesellschaft (als Zwischenholding);
f) Kapitalgesellschaft und Co. KG;
(bitte jeweils Zahl der Beschäftigten, die davon betroffen sind, angeben)?

4. Wie viele Unternehmen in Deutschland wenden nach Kenntnis der Bundes-
regierung in Deutschland Ausgliederungs- bzw. Desintegrationsstrategien an
oder haben grenzübergreifende Verschmelzungen genutzt, um sich der Un-
ternehmensmitbestimmung zu entziehen oder diese einzuschränken (bitte je-
weils Zahl der Beschäftigten, die davon betroffen sind, angeben)?

5. Wie viele Unternehmen ignorieren nach Kenntnis der Bundesregierung Mit-
bestimmungspflichten, obwohl die Beschäftigten das Recht haben, die Ge-
schicke des Unternehmens im Aufsichtsrat mitzubestimmen, und wie viele
Beschäftigte sind davon betroffen?

6. Wie beurteilt die Bundesregierung das Ausmaß der Vermeidung der Unter-
nehmensmitbestimmung in Deutschland?
a) Wird die Bundesregierung auf nationaler Ebene Maßnahmen ergreifen,

um die Vermeidung deutscher Mitbestimmungsregeln zu verhindern?
Wenn nein, warum nicht?
Wenn ja, welche Maßnahmen hält die Bundesregierung, bezogen auf die
in den Fragen 3a bis 3f, 4 und 5 abgefragten Umgehungsstrategien, je-
weils für notwendig?

b) Wird die Bundesregierung auf europäischer Ebene Maßnahmen anstoßen,
um nationale Mitbestimmungsregeln zu erhalten bzw. zu stärken?
Wenn nein, warum nicht?
Wenn ja, welche Maßnahmen hält die Bundesregierung, bezogen auf die
in den Fragen 3a bis 3f und 4 abgefragten Umgehungsstrategien, jeweils
für notwendig?

7. Wie viele kirchliche Unternehmen gibt es nach Kenntnis der Bundesregie-
rung, die mitbestimmungspflichtig wären, wenn es im kirchlichen Arbeits-
recht eine Unternehmensmitbestimmung analog zum Drittelbeteiligungsge-
setz oder zum Mitbestimmungsgesetz von 1976 gäbe, und wie viele Beschäf-
tigte würden davon profitieren?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/8182
8. Sieht die Bundesregierung beim kirchlichen Arbeitsrecht für die Unterneh-
mensebene Handlungsbedarf?
Wenn nein, warum nicht?
Wenn ja, in welcher Form?

9. Welchen Wert misst die Bundesregierung der Unternehmensmitbestimmung
bei, und welchen Anteil hat diese am wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands?

Berlin, den 15. April 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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