BT-Drucksache 18/8178

Freiheitsbeschränkungen und Grundrechtsentzug für deutsche Staatsbürger in Lettland

Vom 19. April 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8178
18. Wahlperiode 19.04.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dağdelen, Jan Korte, Katrin Kunert,
Petra Pau, Harald Petzold (Havelland), Jörn Wunderlich und
der Fraktion DIE LINKE.

Freiheitsbeschränkungen und Grundrechtsentzug für deutsche Staatsbürger
in Lettland

Mindestens sechs deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger wurden am
15. März 2016 an der Einreise nach Lettland gehindert. Sie wollten dort an Pro-
testen gegen den Gedenkmarsch zu Ehren der Waffen-SS teilnehmen, der jedes
Jahr am 16. März durch die Innenstadt von Riga führt. Organisiert wird der
Marsch von der nationalistischen Organisation „Daugavas Vanagi“, einer Vete-
ranenvereinigung ehemaliger SS-Legionäre. Die deutschen Staatsbürger waren
einer Einladung der Organisation „Lettland ohne Nazismus“ gefolgt, die Proteste
gegen den SS-Marsch angemeldet hatte (Panorama, 24. März 2016).
Der SS-Gedenkmarsch erregt international erhebliche Aufmerksamkeit und stößt
auf vielfältige Proteste. Der Leiter des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Jerusalem,
Efraim Zuroff, wirft den Teilnehmern des Gedenkmarsches vor: „Sie verherrli-
chen die Kollaborateure von früher, sie verbinden Antisemitismus mit Antikom-
munismus, sie setzen den Holocaust mit sowjetischen Verbrechen gleich. In Riga
werden die früheren Waffen-SS-Männer als Freiheitskämpfer bezeichnet, was
furchtbarer Unsinn ist. Diese Leute haben für das mörderischste Regime der Ge-
schichte gekämpft, viele von ihnen haben selbst Juden ermordet“ (junge Welt,
19. März 2015).
Bereits vor zwei Jahren haben rund 20 deutsche Antifaschistinnen und Antifa-
schisten an einer Protestkundgebung in Riga teilgenommen. Die meisten von
ihnen waren bei der Einreise nach Lettland registriert worden. Offenbar wurden
ihre Namen gespeichert und dienten jetzt als Grundlage für ein Einreiseverbot.
Der Bundesvorsitzenden der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes –
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, VVN – BdA e. V. wurde am
15. März 2016 am Hamburger Flughafen mitgeteilt, sie dürfe nicht nach Riga
fliegen, weil sie auf einer „black list“ der lettischen Einwanderungsbehörde stehe.
Fünf Personen, die aus Berlin nach Riga gereist waren, wurden dort am Flughafen
stundenlang festgehalten und schließlich von der Polizei an die lettisch-litauische
Grenze gefahren und abgeschoben. Teilnehmer der Gruppe berichteten, es sei
ihnen von Seiten der Beamten ausdrücklich bestätigt worden, dass ihre Teilnahme
an den Protesten gegen den SS-Marsch verhindert werden solle (Panorama,
24. März 2016).
Die Deutsche Botschaft Riga hat inzwischen bestätigt, dass das lettische Innen-
ministerium eine Reihe von Ausländern mit einer Einreisesperre vom 14. bis
16. März 2016 belegt habe (Schreiben an Sabine Lösing, Mitglied im Europäi-
schen Parlament, vom 17. März 2016, liegt den Fragestellern vor).

Drucksache 18/8178 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

Nach Kenntnis der Fragestellerinnen und -steller hat es in der Vergangenheit bei
Protesten gegen den SS-Marsch keine Zwischenfälle gegeben. Keiner der deut-
schen Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Protesten im Jahr 2014 ist poli-
zeilich auffällig geworden. Es ist daher nicht zu erkennen, dass es für die Einrei-
sesperre eine Berechtigung gegeben hat.
Die Fragestellerinnen und -steller betrachten den Vorgang als Zeichen dafür, dass
die lettische Regierung den Protest gegen den SS-Marsch behindern will und dem
SS-Marsch mit Sympathie gegenübersteht, auch wenn sie sich selbst nicht daran
beteiligt.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Auf welcher Rechtsgrundlage beruhte nach Kenntnis der Bundesregierung

die Entscheidung des lettischen Innenministeriums, die deutschen Staatsbür-
gerinnen und Staatsbürger mit einer Einreisesperre zu belegen (bitte die
exakte Rechtsgrundlage zitieren)?

2. Inwiefern besteht zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union
nach Kenntnis der Bundesregierung grundsätzlich Konsens darüber, dass
Angehörige eines EU-Staates an legalen Demonstrationen in einem anderen
Mitgliedstaat teilnehmen dürfen?

3. Hat die lettische Regierung in der Vergangenheit nach Kenntnis der Bundes-
regierung signalisiert, dass aus ihrer Sicht die Teilnahme ausländischer Bür-
gerinnen und Bürger an Demonstrationen gegen den Waffen-SS-Gedenk-
marsch in Riga unerwünscht ist, und wenn ja, wann, in Hinsicht auf welche
Herkunftsländer und mit welcher Begründung oder in welchem Kontext?

4. Wie gelangten die lettischen Behörden nach Kenntnis der Bundesregierung
an die Daten der mit Einreisesperren belegten Personen, und welche Daten
genau liegen den lettischen Behörden vor?
a) Haben deutsche Sicherheitsbehörden in Zusammenhang mit dem Waffen-

SS-Gedenkmarsch Daten deutscher Staatsbürger an lettische Behörden
weitergeleitet, und wenn ja, wie viele Personen waren davon betroffen, in
welchen Datenbanken waren die Daten gespeichert, an welche lettischen
Behörden erfolgte die Datenübermittlung, und warum wurden die Daten
übermittelt?

b) Haben deutsche Sicherheitsbehörden Informationen über zu erwartende
Teilnahmen deutscher Staatsbürger an den Protesten gegen den SS-
Marsch in Riga an lettische Behörden übermittelt, und wenn ja, welche
Informationen, aus welchen Quellen, über welche Organisationen, an
welche lettischen Behörden und warum?

c) Inwiefern gab es in diesem Zusammenhang Informationsersuchen wel-
cher lettischen Behörden gegenüber deutschen Behörden, und inwiefern
wurde diesen entsprochen (bitte angeben, welche Informationen bzw. Da-
ten wann angefragt und ggf. erteilt wurden)?

5. Welche Informationen haben welche lettischen Behörden an welche deut-
schen Behörden in Zusammenhang mit den Einreisesperren für eine Reihe
deutscher Staatsbürger übermittelt (bitte möglichst vollständig darlegen)?

6. Wie viele deutsche Staatsbürger wurden nach Kenntnis der Bundesregierung
aus welchen Gründen in die Liste unerwünschter Ausländer nach § 61 Ab-
satz 1 des lettischen Einwanderungsgesetzes oder vergleichbarer Rechts-
grundlagen (bitte nach Möglichkeit benennen) gesetzt?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/8178
 

7. Welche Informationen hat die Bundesregierung über Einreisesperren, die
von lettischen Behörden gegenüber anderen Unionsbürgern sowie Bürgern
von Drittstaaten in Zusammenhang mit dem SS-Marsch verhängt worden
sind (Anzahl, Herkunftsländer, Anlassbezogenheit, Geltungsdauer etc.)?
Inwiefern betrifft dies ausschließlich Personen, die an Protesten gegen den
Marsch teilnehmen wollten, oder auch Rechtsextremisten, die sich am SS-
Marsch beteiligen wollten (vor dem Hintergrund, dass zumindest im Jahr
2014 auch Mitglieder der rechtsextremen Partei „Die Rechte“ am Marsch
beteiligt waren, vgl. www.antifainfoblatt.de/artikel/internationale-proteste-
gegen-ss-gedenkmarsch-riga)?

8. Wann wurden nach Kenntnis der Bundesregierung die Einreisesperren gegen
die deutschen Staatsbürger verhängt?
Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus, dass die letti-
schen Behörden die – namentlich ja bekannten – Bürger über die Einreise-
sperre nicht vorab informiert haben, um ihnen die Kosten einer vergeblichen
Anreise und die Zumutung einer unter Umständen längeren Ingewahrsam-
nahme zu ersparen?

9. Aus welchem Grund haben die lettischen Behörden nach Kenntnis der Bun-
desregierung die fraglichen deutschen Staatsbürger auf die Liste gesetzt?
Welche Vorwürfe gegen sie wurden erhoben, bzw. welche Risiken wurden
bei einer Einreiseerlaubnis unterstellt?

10. Ist es nach Kenntnis der Bundesregierung am 16. März 2014, als bereits eine
größere Gruppe deutscher Staatsbürger die Proteste gegen den SS-Marsch
unterstützt hatten, zu Gesetzesverstößen seitens dieser deutschen Staatsbür-
ger gekommen (wenn ja, bitte ausführen)?

11. Wird die Bundesregierung gegenüber den lettischen Behörden den Stand-
punkt unterstreichen, dass deutsche Staatsbürger, die keinerlei Straftaten be-
schuldigt werden, von den lettischen Behörden nicht einfach an der Wahr-
nehmung des Rechts auf Versammlungsfreiheit gehindert werden dürfen
(bitte darlegen und begründen)?
Wenn sie bereits einen entsprechenden Vorstoß gemacht hat, welche Reak-
tion gab es von Seiten der lettischen Behörden, und welche Schlussfolgerun-
gen zieht sie daraus?

12. Wird die Bundesregierung gegenüber den lettischen Behörden darauf drin-
gen, dass die Daten der betroffenen deutschen Staatsbürger, soweit nicht
konkrete Vorwürfe gegen sie erhoben werden, aus den Dateien der lettischen
Behörden gelöscht werden, und wenn nein, warum nicht?

13. Wird die Bundesregierung sich bei den lettischen Behörden danach erkundi-
gen, ob Daten jener deutschen Staatsbürger, denen am 16. März 2016 die
Teilnahme an den Protesten gegen den SS-Marsch gelungen ist, nunmehr
ebenfalls gespeichert wurden, und inwiefern wird sie sich dafür einsetzen,
diese zu löschen, sofern keine strafrechtlichen Vorwürfe gegen die betroffe-
nen Personen erhoben werden (bitte begründen)?

14. Wird die Bundesregierung gegenüber den lettischen Behörden darauf drin-
gen, dass deutsche Staatsbürger, gegen die keine strafrechtlichen Vorwürfe
oder konkreten Sicherheitsbedenken vorliegen (auch jene, die in diesem Jahr
mit einer Einreisesperre belegt waren), in Zukunft unbehelligt nach Lettland
reisen können, explizit auch im kommenden Jahr zu einer allfälligen Wie-
derholung der Proteste gegen den SS-Marsch (bitte konkrete Maßnahmen
beschreiben), und wenn nein, warum nicht?

Drucksache 18/8178 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

15. Inwiefern ist nach Auffassung der Bundesregierung das Verhalten der letti-
schen Regierung mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar
(bitte begründen)?

16. Wer hat nach Kenntnis sowie Rechtsauffassung der Bundesregierung die
Kosten für eine Abschiebung bzw. einen vorzeitigen Rückflug eines deut-
schen Staatsbürgers zu tragen, wenn er, ohne selbst davon vorab in Kenntnis
gesetzt zu werden, mit einem Einreiseverbot belegt worden ist (bzw. wer ist
für die Erstattung der Flugkosten im Fall einer Beförderungsverweigerung,
die auf einem solchen Einreiseverbot beruht, verantwortlich)?

17. Welche Möglichkeiten gibt es für deutsche Staatsbürger nach Kenntnis der
Bundesregierung, gegen Einreisesperren nach dem lettischen Einwande-
rungsgesetz rechtlich vorzugehen?

18. Wenn die Bundesregierung zu bestimmten Fragen keine Kenntnis hat, hat sie
bzw. das Auswärtige Amt oder die Deutsche Botschaft Riga bei den letti-
schen Behörden entsprechend um Informationen nachgesucht, oder ist sie
bereit, dies noch zu tun, und wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 19. April 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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