BT-Drucksache 18/8164

Aktuelle Entwicklungen der ODA-Quote

Vom 14. April 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8164
18. Wahlperiode 14.04.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Niema Movassat, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz,
Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko, Kathrin Vogler und der
Fraktion DIE LINKE.

Aktuelle Entwicklungen der ODA-Quote

Am 24. Oktober 1970 hat sich die Bundesrepublik Deutschland mit der Annahme
der UN-Resolution 2626 (International Development Strategy for the Second
United Nations Development Decade) dazu verpflichtet, die Zahlungen für die
öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (Official Development Assistance/
ODA) zu steigern und dabei eine ODA-Quote von mindestens 0,7 Prozent des
Bruttonationaleinkommens (BNE) zu erreichen.
Dieses Ziel hat die Bundesrepublik Deutschland im Laufe der Jahre immer wieder
in internationalen Abkommen bekräftigt, beispielsweise in den „Millennium
Development Goals“ der Vereinten Nationen im Jahr 2000. Erst im vergangenen
Jahr wurde das 0,7-Prozent-Ziel im „Sustainable Development Goal“ Nummer 17
erneuert festgeschrieben. Derweil haben die Staats- und Regierungschefs der
Europäischen Union schon im Jahr 2005 beschlossen, die ODA-Quote bis zum
Jahr 2015 stufenweise auf 0,7 Prozent zu erhöhen. Laut Zahlen der OECD erfüll-
ten im Jahr 2014 nur Schweden (1,09 Prozent), Luxemburg (1,06 Prozent),
Dänemark (0,86 Prozent) und das Vereinigte Königreich (0,70 Prozent) diese An-
forderung. Die durchschnittliche ODA-Quote aller EU-Länder verzeichnete im
Jahr 2014 sogar einen Rückgang und lag bei 0,42 Prozent (www.oecd.org/
dac/stats/data.htm).
Die Bundesrepublik Deutschland verfehlt nach Ansicht der Fragesteller das selbst
auferlegte Stufenziel deutlich und kann seit dem Jahr 2005 keine signifikante
Steigerung der ODA-Quote verzeichnen. Im Jahr 2014 lag die deutsche ODA-
Quote bei 0,42 Prozent und entsprach damit gerade dem EU-Durchschnitt. Von
dem Ziel, bis zum Jahr 2015 0,7 Prozent des BNE in die ODA zu investieren, ist
Deutschland somit auch 45 Jahre nach der UN-Resolution 2626 immer noch weit
entfernt. Deutschland missachtet damit seine internationalen Verpflichtungen ge-
genüber den ärmsten Ländern der Welt.
Die Bundesregierung selbst sendet widersprüchliche Signale hinsichtlich der
ODA-Quote aus. Während der Bundesminister der Finanzen Dr. Wolfgang
Schäuble Ende des Jahres 2015 betonte, dass Deutschland sein Tempo zur Errei-
chung des 0,7-Prozent-Ziels erhöhen müsse (www.sueddeutsche.de/news/politik/
migration-schaeuble-will-militaerausgaben-und-entwicklungshilfe-aufstocken-
dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-151227-99-580071), gab der Parla-
mentarische Staatssekretär Thomas Silberhorn in der Antwort auf die Schriftliche
Frage 79 des Abgeordneten Niema Movassat auf Bundestagsdrucksache 18/6301
am 5. Oktober 2015 als Ziel für die kommenden Jahre aus, „die ODA-Quote bei
mindestens 0,4 Prozent des BNE zu stabilisieren“. Zwar sprach er Anfang des

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Jahres 2016 auch von dem Ziel der Bundesregierung, „die Ausgaben für die Ent-
wicklungszusammenarbeit in den kommenden Jahren weiter […] auf einem Fi-
nanzierungspfad zum ‚0,7-Prozent-Ziel‘ [zu erhöhen]“, gestand aber gleichzeitig
ein, dass es dafür bislang keinen Stufenplan gebe (Antwort auf die Schriftliche
Frage 37 des Abgeordneten Niema Movassat auf Bundestagsdrucksache 18/7274
vom 12. Januar 2016).
Laut einer neuen Studie des Verbands Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe
deutscher Nichtregierungsorganisationen e. V. (VENRO) auf Grundlage des
Haushalts 2015 des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (BMZ) wird die deutsche ODA im Jahr 2020 maximal 0,51 Prozent
des BNE betragen. Zum Erreichen des 0,7-Prozent-Pfades bis zum Jahr 2020
existiert somit eine Finanzierungslücke von 15,2 Mrd. Euro. Allein für das
Jahr 2017 beträgt diese Lücke noch immer 1,5 Mrd. Euro – trotz der geplanten
Erhöhung im BMZ-Haushalt um 550 Mio. Euro (http://venro.org). Sollte in den
nächsten Jahren keine deutlich stärkere Erhöhung der ODA-anrechenbaren Aus-
gaben stattfinden, wird Deutschland auch in Zukunft die getätigten Zusagen nicht
erfüllen.
Zudem wird selbst die jetzige, niedrige ODA-Quote von 0,42 Prozent nur unter An-
rechnung von Ausgaben erreicht, deren entwicklungspolitischer Nutzen zumindest
fragwürdig ist (vgl. www.concord.se/wp-content/uploads/FINAL_AidWatch2015.
pdf, S. 6). Dazu zählen etwa Verwaltungskosten im Geberland, Schuldenerlässe,
die auf Exportkreditversicherungen (sog. Hermesdeckungen) zurückgehen, erlas-
sene Studiengebühren für Studierende aus Entwicklungsländern, Ausbildungs-
maßnahmen bzw. der Bau von Ausbildungseinrichtungen für Soldatinnen und
Soldaten, Polizistinnen und Polizisten, der Bau von Bundeswehrunterkünften in
Afghanistan, Klimaschutzmaßnahmen und Kosten für Abschiebungen abgelehn-
ter Asylbewerberinnen und Asylbewerber.
Jüngst berichtete das „Handelsblatt“ von Plänen der Bundesregierung, im
Inland entstandene Kosten für Geflüchtete auf die ODA-Quote anzurech-
nen (www.handelsblatt.com/my/politik/deutschland/bruttonationalprodukt-
fluechtlingsausgaben-zaehlen-als-entwicklungshilfe/13351798.html). Je nach
Höhe des angerechneten Pro-Kopf-Betrags könnte diese Einbeziehung eine Stei-
gerung der ODA auf bis zu 0,52 Prozent im Jahr 2015 und 0,6 Prozent im
Jahr 2016 bewirken. Zwar dürfen solche Ausgaben nach Maßgabe des Develop-
ment Assistance Committee auf die ODA-Quote angerechnet werden. Gleichzei-
tig widerspricht ein solches Vorgehen jedoch dem ursprünglichen Ziel, mit ODA-
Geldern die wirtschaftliche Entwicklung und die Lebensbedingungen der Men-
schen in Entwicklungsländern zu fördern bzw. zu verbessern.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. In welchem Jahr beabsichtigt die Bundesregierung, das Ziel, 0,7 Prozent des

BNE für Entwicklungszusammenarbeit aufzuwenden, zu erreichen und da-
mit das bereits im Jahr 1970 getätigte Versprechen Deutschlands einzulösen?

2. Hat die Bundesregierung inzwischen einen Stufenplan erstellt, der auflistet,
wann und in welchem Umfang Erhöhungen der Ausgaben für Entwicklungs-
zusammenarbeit geplant sind (bitte in diesem Fall den Stufenplan beifügen)?

3. Hat die Bundesregierung inzwischen einen Stufenplan erstellt, in dem die
geplante Erhöhung der ODA-Quote bis zum Erreichen des 0,7-Prozent-Ziels
beschrieben ist (bitte in diesem Fall den Stufenplan beifügen)?

4. Sieht die Bundesregierung die Gefahr, dass die ODA-Quote ab dem
Jahr 2018 dadurch sinken könnte, dass ab diesem Jahr eine Neubewertung
konzessionärer Darlehen gilt, wodurch nur noch das Schenkungselement
auf die offizielle Quote angerechnet werden kann?

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5. Wie hoch schätzt die Bundesregierung den im Rahmen dieser Neuberech-
nung eintretenden Rückgang der ODA-Quote Deutschlands ein?

6. Plant die Bundesregierung, konzessionäre Darlehen zukünftig generell mit
einem höheren Schenkungselement zu versehen (bitte in diesem Fall die kon-
kreten Pläne auflisten)?

7. Hat die Bundesregierung konkrete Pläne, in welcher Höhe und mit welchem
Schenkungselement konzessionäre Darlehen in den kommenden Jahren ver-
geben werden sollen (bitte in diesem Fall die Pläne offenlegen)?

8. Inwiefern steht die Bundesregierung noch immer zu ihrer im Jahr 1970 nie-
dergeschriebenen Verantwortung, die wirtschaftliche Entwicklung zu för-
dern sowie die Lebensbedingungen der Menschen in Entwicklungsländern
zu verbessern, insbesondere in Anbetracht der andauernden Erhöhung nicht-
entwicklungsbezogener Ausgaben in der ODA?

9. Inwiefern tragen in Deutschland anfallende Verwaltungskosten, die im
Jahr 2014 immerhin 5,2 Prozent der deutschen ODA ausmachten, für die
Bundesregierung zur wirtschaftlichen Entwicklung bzw. zur Verbesserung
der Lebensbedingungen in Entwicklungsländern bei?

10. Inwiefern trägt der Bau von Bundeswehrunterkünften in Afghanistan, den
Deutschland im Rahmen der ODA angerechnet hat, für die Bundesregierung
zur wirtschaftlichen Entwicklung bzw. zur Verbesserung der Lage vor Ort
bei?

11. Inwiefern trägt die „Flüchtlingshilfe im Geberland“, die im Jahr 2014
1,5 Prozent der deutschen ODA ausmachte, zur wirtschaftlichen Entwick-
lung bzw. zur Verbesserung der Lebensbedingungen in Entwicklungsländern
bei?

12. Inwiefern tragen Schuldenerlässe, die auf Exportkreditversicherungen (sog.
Hermesdeckungen) zurückgehen und die sich Deutschland auf die ODA-
Quote anrechnet, nach Meinung der Bundesregierung zur Verbesserung der
Lebensbedingungen in Entwicklungsländern bei?

13. In welcher Höhe rechnete die Bundesregierung in den vergangenen 5 Jahren
die
a) erlassenen Studiengebühren für Studierende aus Entwicklungsländern in

Deutschland,
b) Kosten für Ausbildungsmaßnahmen bzw. den Bau von Ausbildungs-

einrichtungen für Soldatinnen und Soldaten,
c) Kosten für Klimaschutzmaßnahmen in Entwicklungsländern,
d) Kosten für die Unterbringung von Flüchtlingen, und
e) Schuldenerlässe, die auf Exportkreditversicherungen (sog. Hermesde-

ckungen) zurückgehen,
im Rahmen der ODA an (bitte die konkreten Posten für die einzelnen Jahre
auflisten)?

14. Befürwortet die Bundesregierung die im „Handelsblatt“ beschriebenen und
vom CDU-Abgeordneten Eckhardt Rehberg geforderte Option, die in
Deutschland entstandenen Kosten für Geflüchtete künftig noch stärker als
ODA-anrechenbare Ausgaben für Entwicklungshilfe zu deklarieren?
Wenn ja, warum?

15. Inwieweit plant die Bundesregierung in diesem und den Folgejahren, in
Deutschland entstandene Ausgaben für Geflüchtete generell als ODA anzu-
rechnen (bitte gegebenenfalls geplante Höhe der Anrechnung angeben)?

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16. Plant die Bundesregierung, den bisher als ODA angerechneten Betrag pro
Geflüchteten zu erhöhen (bitte in diesem Fall die konkreten Pläne und Be-
träge auflisten)?

17. Wie stark wird sich nach Berechnung der Bundesregierung durch diese Maß-
nahme die ODA-Quote für das Jahr 2015 sowie in den kommenden Jahren
erhöhen?

18. Inwiefern sieht die Bundesregierung in der Anrechnung der Kosten für Ge-
flüchtete im Inland einen entwicklungspolitischen Nutzen für die Länder des
Globalen Südens?

19. Was hindert die Bundesregierung daran, die ODA-Quote noch in diesem
bzw. im folgenden Jahr auf 0,7 Prozent zu erhöhen, insbesondere zur Be-
kämpfung von Fluchtursachen angesichts der aktuellen Migrationskrise?

20. Wo liegen nach Meinung der Bundesregierung die Gründe dafür, dass
Deutschland auch 45 Jahre nach der Unterzeichnung der UN-Resolu-
tion 2626 das Versprechen, 0,7 Prozent des BNE für offizielle Entwicklungs-
zusammenarbeit aufzuwenden, nicht erreicht bzw. noch nie erreicht hat?

Berlin, den 13. April 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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