BT-Drucksache 18/7976

Bewertung von Anwendungsbeobachtungen und den entsprechenden Meldepflichten

Vom 22. März 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7976
18. Wahlperiode 22.03.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Kathrin Vogler, Sabine Zimmermann (Zwickau), Azize Tank,
Harald Weinberg, Birgit Wöllert, Pia Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Bewertung von Anwendungsbeobachtungen und den entsprechenden
Meldepflichten

Anwendungsbeobachtungen (AWB) sind Studien, bei denen die Wirkungen von
Arzneimitteln oder anderen Behandlungen nicht unter kontrollierten, sondern un-
ter realen Praxisbedingungen untersucht werden können. AWB sind für
viele aber inzwischen zu einem Synonym für Pseudostudien geworden. denn
Pharmaunternehmen verfolgen mit ihnen häufig Marketingzwecke. Kritische Or-
ganisationen wie Transparency International rücken sie eher in die Nähe von Kor-
ruption als von Forschung (www.transparency.de/fileadmin/pdfs/Themen/
Gesundheitswesen/Positionspapier_Anwendungsbeobachtungen_10-11-03.pdf
bzw. www.deutschlandfunk.de/transparency-international-arzneimittel-studien-
als-mittel.769.de.html?dram:article_id=320164).
Die Befürchtung, es „werden Ärzte geschmiert, damit sie bestimmte Medika-
mente verschreiben“ (BILD, 20. Juli 2009) wurde vom Gesetzgeber aufgegriffen.
Das Arzneimittelgesetz (AMG) schreibt inzwischen vor, dass Entschädigungen,
die an Ärzte für ihre Beteiligung an Anwendungsbeobachtungen geleistet werden,
nach ihrer Art und Höhe so zu bemessen sind, dass kein Anreiz für eine bevor-
zugte Verschreibung oder Empfehlung bestimmter Arzneimittel entsteht (§ 37
Absatz 6 Satz 3 AMG).
Zudem wurden Meldepflichten eingeführt und nachfolgend teils ausgeweitet. Der
Gesetzgeber hat vorgeschrieben, dass die Durchführung einer AWB der zustän-
digen Bundesoberbehörde, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), dem
GKV-Spitzenverband (GKV = gesetzliche Krankenversicherung) und dem Ver-
band der Privaten Krankenversicherung e. V. unverzüglich anzuzeigen ist. Dabei
sind Ort, Zeit, Ziel und Beobachtungsplan der Anwendungsbeobachtung anzuge-
ben. Gegenüber der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem GKV-Spit-
zenverband sind die beteiligten Ärzte namentlich mit Angabe der lebenslangen
Arztnummer zu benennen (§ 67 Absatz 6 Satz 2 AMG). Sofern es um Verord-
nungen an GKV-Versicherte geht, sind auch die Höhe der geleisteten Entschädi-
gung an die Ärztin bzw. den Arzt sowie eine Darstellung des Aufwandes für die
beteiligten Ärztinnen und Ärzte sowie eine Begründung für die Angemessenheit
der Entschädigung zu übermitteln. Der zuständigen Bundesoberbehörde ist zu-
dem innerhalb eines Jahres nach Abschluss der Datenerfassung bei Untersuchun-
gen mit Arzneimitteln, die zur Anwendung bei Menschen bestimmt sind, ein Ab-
schlussbericht zu übersenden (§ 67 Absatz 6 Satz 7 AMG).
Die Meldepflichten täuschen nach Auffassung der Fragesteller allerdings darüber
hinweg, dass sie die Durchführung von AWB weder direkt beschränken noch die
gemeldeten Daten einer systematischen Auswertung unterzogen werden müssten.

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Es ist nicht einmal vorgeschrieben, dass in einer definierten und elektronisch aus-
wertbaren Form gemeldet werden muss, sodass die Meldungen an die unter-
schiedlichen Institutionen nur schwer zusammengeführt und abgeglichen werden
können.
In den USA werden die Pharmakonzerne und sogar die Namen der Geldleistun-
gen empfangenden Ärztinnen und Ärzte von der zuständigen Bundesbehörde im
Internet veröffentlicht. In Deutschland sind die Patientinnen und Patienten auf
engagierte Menschen in der Zivilgesellschaft angewiesen: So hat das Recherche-
zentrum correctiv.org gemeldete Daten eingesehen und veröffentlicht. Ob die ei-
gene Ärztin bzw. der Arzt für das Verordnen von bestimmten Arzneimitteln Geld
bezieht, ist in Deutschland jedoch nach wie vor geheim. Die Koalition aus
CDU/CSU und SPD hat das Rad nach Auffassung der Fragesteller sogar teils
wieder zurückgedreht: So wurde die Vorschrift, dass gerade das Verordnungsver-
halten von Ärztinnen und Ärzten, die an AWB teilnehmen, auf Wirtschaftlichkeit
überprüft werden soll, gestrichen (vgl. GKV-Versorgungsstärkungsgesetz, Arti-
kel 2 Nummer 6).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie hat sich die Zahl der Anwendungsbeobachtungen seit der Einführung

der Meldepflicht nach Kenntnis der Bundesregierung entwickelt (bitte An-
zahl der Studien sowie Anzahl der beteiligten Ärztinnen und Ärzte sowie der
einbezogenen Patientinnen und Patienten angeben)?

2. Wie viele Anwendungsbeobachtungen werden nach Kenntnis der Bundesre-
gierung jeweils in den einzelnen Bundesländern durchgeführt (bitte Anzahl
der Studien sowie Anzahl der beteiligten Ärztinnen und Ärzte sowie der ein-
bezogenen Patientinnen und Patienten angeben)?

3. In welchen Indikationen/bei welchen Behandlungsarten finden nach Kennt-
nis der Bundesregierung besonders häufig AWB statt, und welche Rück-
schlüsse zieht die Bundesregierung daraus?

4. Wie viele AWB wurden bzw. werden während der frühen Nutzenbewertung
bzw. des ersten Vermarktungsjahres nach Kenntnis der Bundesregierung
durchgeführt?

5. Wie viele AWB wurden bzw. werden zu Präparaten durchgeführt, bei denen
bei der frühen Nutzenbewertung kein Zusatznutzen festgestellt wurde, und
inwiefern sieht die Bundesregierung hierin auch ein Mittel, diese Präparate
schnellstmöglich am Markt zu etablieren und den GKV-Spitzenverband bei
den anschließenden Preisverhandlungen unter Druck zu setzen?

6. Wie haben sich die durchgeführten AWB in Bezug auf Ziel, Ausgestaltung
der Beobachtungspläne und Art der Aufwandsentschädigungen seit Bestehen
der entsprechenden Meldepflicht nach Kenntnis der Bundesregierung verän-
dert?

7. Wie haben sich die AWB nach Kenntnis der Bundesregierung in Bezug auf
ihre Laufzeit verändert?
Inwiefern beobachtet die Bundesregierung, dass AWB mit sehr langen Lauf-
zeiten zunehmen, bei denen auf diesem Wege die Meldepflichten in Bezug
auf Studienergebnisse und andere Parameter im Vermarktungszeitraum mit
Patentschutz umgangen werden?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7976
 

8. Wie hat sich die Höhe der Aufwandsentschädigungen an die teilnehmenden
Ärztinnen und Ärzte nach Kenntnis der Bundesregierung verändert (bitte
Entwicklung seit Bestehen der entsprechenden Meldepflicht angeben und so-
wohl durchschnittliche Zuwendungen an die Ärztinnen und Ärzte als auch
die in Deutschland gezahlte Gesamtsumme für Aufwandsentschädigungen
bei AWB angeben)?

9. Inwiefern kann die Bundesregierung nachweisen, ob die Vorschrift, dass die
Entschädigungen nach ihrer Art und Höhe so zu bemessen sind, dass kein
Anreiz für eine bevorzugte Verschreibung oder Empfehlung bestimmter Arz-
neimittel entsteht, hinreichende Wirkung zeigt?

10. Wer bestimmt nach Kenntnis der Bundesregierung in diesem Zusammen-
hang, bei welchen Entschädigungshöhen/-arten (k)ein Anreiz für das Ver-
ordnen bestimmter Arzneimittel entsteht?
Welche Kriterien werden dabei zugrunde gelegt?

11. Inwiefern können regionale Unterschiede in der Häufigkeit von Anwen-
dungsbeobachtungen nach Ansicht der Bundesregierung auch mit der unter-
schiedlichen Auslegung des Anreizes für bestimmte Verordnungsverhalten
erklärt werden (vgl. Frage 2)?

12. Aus welchen Gründen wurde nach Kenntnis der Bundesregierung bei An-
wendungsbeobachtungen im Gegensatz zu klinischen Untersuchungen keine
Genehmigungspflicht eingeführt?

13. Inwiefern ist die Bundesregierung der Ansicht, dass Studien, die nicht nach-
vollziehbar der Wissensgenerierung dienen, die Wissenschaft insgesamt be-
schädigen?

14. Inwiefern ist die Bundesregierung der Ansicht, dass die ärztliche Teilnahme
an Studien, die nicht nachvollziehbar der Wissensgenerierung dienen, das
Ansehen der Ärzteschaft insgesamt beschädigt?

15. Welche Auswirkungen hat momentan die Teilnahme an Anwendungsbe-
obachtungen für die Ärztinnen und Ärzte im Hinblick auf Wirtschaftlich-
keitsprüfungen?
Wann und aus welchen Gründen wurden die momentan geltenden Regelun-
gen eingeführt?

16. Was waren die Beweggründe der Bundesregierung, die Vorschriften zur
Wirtschaftlichkeitsprüfung der Verordnungen von Ärztinnen und Ärzten, die
an AWB teilnehmen, bei der Neuformulierung von § 106 des Fünften Buches
Sozialgesetzbuch (SGB V) im Entwurf des GKV-Versorgungsstärkungsge-
setzes mit Wirkung ab dem 1. Januar 2017 zu streichen?
Inwiefern erachtet die Bundesregierung eine entsprechende Vereinbarung im
Rahmenvertrag als gleichwertig, und inwiefern ist gewährleistet, dass diese
dauerhaft bestehen bleibt?

17. Wie viele Anwendungsbeobachtungen werden nach Kenntnis der Bundesre-
gierung von den Initiatoren veröffentlicht, und wie hat sich diese Zahl in den
letzten zehn Jahren entwickelt (bitte absolut und relativ zur Gesamtheit der
AWB angeben)?

18. Inwiefern sieht die Bundesregierung Anwendungsbeobachtungen grundsätz-
lich oder teilweise als problematisch an?
a) Welche Anwendungsbeobachtungen sieht die Bundesregierung als prob-

lematisch an (bitte begründen)?

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b) Wie groß ist der Anteil der von der Bundesregierung als problematisch
erachteten Anwendungsbeobachtungen (bitte Entwicklung seit dem Be-
stehen der entsprechenden Meldepflicht angeben)?

c) Inwiefern hält es die Bundesregierung für problematisch, dass gerade für
Analogpräparate, also neue und häufig teure Arzneimittel ohne relevanten
Zusatznutzen für die Patientinnen und Patienten, besonders viele Anwen-
dungsbeobachtungen durchgeführt werden (siehe www.correctiv.org),
und welche Ursachen sieht die Bundesregierung dafür?

d) Inwiefern verfolgt die Bundesregierung das Ziel, die Zahl von Anwen-
dungsbeobachtungen insgesamt zu reduzieren?

e) Inwiefern verfolgt die Bundesregierung das Ziel, die Zahl von Anwen-
dungsbeobachtungen zu reduzieren, deren Ergebnisse nicht veröffentlicht
werden?

f) Inwiefern verfolgt die Bundesregierung das Ziel, die Zahl von Anwen-
dungsbeobachtungen zu reduzieren, die sie als problematisch erachtet?

19. Wie kann nach Kenntnis der Bundesregierung die Zahl von Anwendungsbe-
obachtungen reduziert werden?

20. Inwiefern werden andere nichtinterventionelle Studien, die auch „dazu be-
stimmt sind, Erkenntnisse bei der Anwendung zugelassener oder registrierter
Arzneimittel zu sammeln“ (§ 67 Absatz 6 Satz 1 AMG), etwa Auswertungen
von Routine- oder Registerdaten, von den anderen Sätzen des § 67 Absatz 6
erfasst, die teils explizit „Anwendungsbeobachtungen“ (§ 67 Absatz 6 Satz 2)
benennen?
Inwiefern ist nach Kenntnis der Bundesregierung eine Unterscheidung poli-
tisch intendiert?

21. Welche gemeldeten Daten werden nach Kenntnis der Bundesregierung
a) bei der zuständigen Bundesoberbehörde
b) bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV)
c) beim GKV-Spitzenverband
d) beim PKV-Verband
ausgewertet und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht?

22. Für welche bzw. wie viele AWB-bezogenen Meldedaten finden nach Kennt-
nis der Bundesregierung keine Auswertung, keine für die Bundesregierung
nachvollziehbare Auswertung und keine für die Öffentlichkeit nachvollzieh-
bare Auswertung statt?

23. Inwiefern erfüllen aufgrund einer Meldepflicht erhobene Daten, die nicht
hinreichend ausgewertet werden, ihren politisch intendierten Zweck und sind
nach Ansicht der Bundesregierung insofern auch datenschutzrechtlich pro-
blematisch?

24. In welcher Form haben die Beteiligten jeweils an die zuständige Bundesober-
behörde, die Kassenärztliche Bundesvereinigung, den Spitzenverband Bund
der Krankenkassen und den Verband der Privaten Krankenversicherung zu
melden (bitte aufschlüsseln nach den unterschiedlichen Meldepflichten in
§ 67 Absatz 6 SGB V)?

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25. Inwiefern plant die Bundesregierung, die Formatvorgaben, die für Meldun-
gen an die zuständigen Bundesoberbehörden gelten, auch für Meldungen an
die KBV und den GKV-Spitzenverband verbindlich vorzuschreiben, wie es
vom GKV-Spitzenverband bereits vorgeschlagen wurde (www.bundestag.
de/blob/393162/53f188d3717da38bc300102674f7b4f8/gkv-spitzenverband-
data.pdf)?

26. Inwiefern werden die verschiedenen Datensätze der genannten Institutionen
nach Kenntnis der Bundesregierung zusammengeführt, um Rückschlüsse
zum Meldeverhalten zu erhalten und die Validität der Auswertung zu ver-
bessern?

27. Welche Daten müssen nicht an die zuständige Bundesoberbehörde, sondern
nur an den GKV-Spitzenverband und/oder die Kassenärztliche Bundesverei-
nigung gemeldet werden?

28. Wie werden die an den GKV-Spitzenverband und die KBV gemeldeten Da-
ten nach Kenntnis der Bundesregierung ausgewertet?
a) Inwiefern ist der Bundesregierung bekannt, dass hier Unterschiede beim

Meldeverhalten an die unterschiedlichen Organisationen existieren?
b) Wie sollten diese Daten nach der Vorstellung der Bundesregierung aus-

gewertet werden, um den Zweck der Meldepflicht zu erfüllen?
c) Inwiefern ist der Bundesregierung bekannt, dass es bei den die Meldun-

gen empfangenden Institutionen Unterschiede beim Bemühen um Aus-
wertung der gemeldeten Daten gibt?

d) Inwiefern hält die Bundesregierung bei der Auswertung der Meldedaten
Interessenskonflikte für ein Problem?

29. Inwiefern hält es die Bundesregierung für wünschenswert, dass in Deutsch-
land ähnlich wie in den USA transparent gemacht wird, welche Ärztinnen
und Ärzte für die Teilnahme an AWB Geldleistungen beziehen, und was tut
sie gegebenenfalls dafür?

30. Inwiefern hält es die Bundesregierung für wünschenswert, dass AWB, die
eher Marketing- als Forschungszwecken dienen, von dem in der Beratung
befindlichen Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen
erfasst werden, und inwiefern hält sie dies in der von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfsfassung für gewährleistet?

Berlin, den 22. März 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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