BT-Drucksache 18/7958

Problematik des "racial profiling" und anlasslose Kontrollen der Bundespolizei im Jahr 2015

Vom 21. März 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7958
18. Wahlperiode 21.03.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dağdelen, Harald Petzold (Havelland),
Martina Renner, Dr. Petra Sitte, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Problematik des „racial profiling“ und anlasslose Kontrollen der Bundespolizei
im Jahr 2015

Organisationen wie das Deutsche Institut für Menschenrechte e. V. und die Initi-
ative Schwarzer Menschen in Deutschland e. V. werfen der Bundespolizei vor,
sich bei anlasslosen Personenkontrollen des sog. racial profiling zu bedienen. Im
Fokus stehen dabei hauptsächlich die Befugnisse nach § 22 Absatz 1a, § 23 Ab-
satz 1 Nummer 3 und § 44 Absatz 2 des Bundespolizeigesetzes (BPolG).
Nach § 22 Absatz 1a BPolG kann die Bundespolizei „zur Verhinderung oder Un-
terbindung unerlaubter Einreise […] in Zügen und auf dem Gebiet der Bahnanla-
gen […], soweit anzunehmen ist, dass diese zur unerlaubten Einreise genutzt wer-
den, […] jede Person kurzzeitig anhalten, befragen und verlangen, dass mitge-
führte Ausweispapiere oder Grenzübertrittspapiere zur Prüfung ausgehändigt
werden, sowie mitgeführte Sachen in Augenschein nehmen“.
§ 23 Absatz 1 Nummer 3 BPolG verleiht der Bundespolizei die Befugnis, „im
Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von dreißig Kilometern zur Verhinderung oder
Unterbindung unerlaubter Einreise“ die Identität einer Person festzustellen. Nach
§ 44 Absatz 2 BPolG kann die Bundespolizei innerhalb dieses Grenzgebiets zum
gleichen Zweck Sachen durchsuchen.
Von den Befugnissen zur Kontrolle von Personen wurde im Jahr 2014 rund
440 000 Mal (§ 22 Absatz 1a BPolG) bzw. 2,3 Millionen Mal (§ 23 Absatz 1
Nummer 3 BPolG) Gebrauch gemacht, von den Befugnissen zur Kontrolle von
Sachen (§ 44 Absatz 2 BPolG) 593 000 Mal (vgl. Bundestagsdrucksache
18/4149).
Kritikern zufolge sind von den Kontrollmaßnahmen überwiegend Personen be-
troffen, die maßgeblich aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, wie etwa der
Hautfarbe, von der Polizei ausgesucht werden. Das würde das Kriterium eines
„racial profiling“ erfüllen.
Die Bundesregierung hat dies in der Vergangenheit stets zurückgewiesen (vgl.
Bundestagsdrucksachen 18/4149 und 18/453). Auf Bundestagsdrucksache
17/14569 hat sie als Grundlage für Eingriffe nach § 22 Absatz 1a, § 23 Absatz 1
Nummer 3 und § 44 Absatz 2 BPolG ein Kriterienbündel beschrieben, das neben
bestimmten Spezifika von Örtlichkeiten und grundsätzlichen Angaben zu Ver-
kehrswegen und Migrationsrouten auch „das äußere Erscheinungsbild einer Per-
son“ benennt. Die Fragesteller sehen deswegen das Risiko, dass Bundespolizisten
bei Erfüllung mehrerer dieser Kriterien die Hautfarbe einer Person durchaus als
erhebliches Kriterium betrachten, um eine Personenkontrolle durchzuführen. Aus
ihrer Sicht handelt es sich dabei um „racial profiling“.

Drucksache 18/7958 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

Zweifel an der Rechtmäßigkeit der genannten Paragraphen des BPolG hat auch
die Europäische Kommission, die in Hinblick auf § 23 Absatz 1 Nummer 3
BPolG ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland
eingeleitet hat, weil im Gesetz Regelungen zur Begrenzung von stichpunktartigen
Binnengrenzkontrollen fehlen, so dass das Prinzip einer unkontrollierten Reise-
freiheit innerhalb der Europäischen Union tangiert ist (vgl. u. a. Bundestags-
drucksache 18/4149). Auch das Amtsgericht Kehl hat in einem Vorlagebeschluss
vom 21. Dezember 2015 (Az. 3 Ds 303 Js 7262/14) an den Europäischen Ge-
richtshof die Frage aufgeworfen, inwiefern die §§ 22 Absatz 1a und 23 Absatz 1
Nummer 3 BPolG mit dem Schengener Grenzkodex vereinbar sind.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Inwiefern ist die Hautfarbe einer Person eines von mehreren Kriterien, auf

die Bundespolizistinnen und Bundespolizisten eine Maßnahme nach den
§§ 22 Absatz 1a, 23 Absatz 1 Nummer 3 oder 44 Absatz 2 BPolG stützen
können?
Welche Bedeutung kann die Hautfarbe einer Person bei der Entscheidungs-
findung von Angehörigen der Bundespolizei zur Durchführung einer Kon-
trollmaßnahme haben?

2. Wie viele Beschwerden in Zusammenhang mit Maßnahmen nach den er-
wähnten Bestimmungen des BPolG sind in den Jahren 2013 bis 2015 jeweils
eingereicht worden, und wie häufig (wie viele Personen betreffend) wird da-
bei die Problematik des „racial profiling“ angesprochen?

3. Wie wurde mit diesen Beschwerden jeweils umgegangen, wie viele von
ihnen wurden ganz oder teilweise für berechtigt eingeschätzt, und welche
Folgen hatte dies jeweils?

4. Welche Beschwerde- oder Gerichtsverfahren sind nach Kenntnis der Bun-
desregierung derzeit im Zusammenhang mit der Durchführung von Perso-
nenkontrollen nach § 22 Absatz 1a und § 23 Absatz 1 Nummer 3 BPolG an-
hängig, und welche Vorwürfe erheben die Beschwerdeführer bzw. Kläger
dabei?
Inwiefern geht es dabei um die erwähnte Problematik des „racial profiling“?

5. In welchem Umfang hat die Bundespolizei im Jahr 2015 von § 22 Absatz 1a,
§ 23 Absatz 1 Nummer 3 und § 44 Absatz 2 BPolG Gebrauch gemacht (bitte
nach Grenzgebiet, Inland und Flughäfen differenzieren und zusätzlich ange-
ben, wie häufig bei Maßnahmen nach § 22 Absatz 1a BPolG auch die
Aushändigung von Ausweispapieren bzw. Grenzübertrittpapieren verlangt
wurde sowie mitgeführte Sachen in Augenschein genommen worden sind)?

6. Ist der Bundesregierung die Praxis der britischen Polizei bekannt, polizeilich
durchgeführte Personenkontrollen zentral zu erfassen und darin auch, sofern
die kontrollierten Personen dies wünschen, deren „ethnische Zugehörigkeit“
anzugeben?
Inwiefern hat sie sich mit dieser Praxis befasst und geprüft, ob sie ein Instru-
ment sein könnte, das Risiko von „racial profiling“ zu verringern (Quelle:
Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung e. V.)?

7. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die in Frage stehenden
Regelungen des BPolG dahingehend zu ändern oder wenigstens ergänzende
Dienstanweisungen oder Merkblätter zu erlassen, um klarzustellen, dass die
Hautfarbe kein Kriterium sein darf, das die Einleitung einer polizeilichen
Maßnahme rechtfertigt (bitte ggf. erläutern oder begründen, wenn sie keine
Möglichkeiten sieht)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7958
 

8. Wie viele Feststellungen zu unerlaubter Einreise und unerlaubtem Aufenthalt
sind bei Maßnahmen nach § 22 Absatz 1a und § 23 Absatz 1 Nummer 3
BPolG jeweils gemacht worden, und welches waren die zehn Haupther-
kunftsländer?

9. Welchen Fortgang hat das Vertragsverletzungsverfahren bis jetzt genom-
men?

Berlin, den 18. März 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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