BT-Drucksache 18/7957

Umgang mit Posttraumatischen Belastungsstörungen und Agoraphobien bei Bundeswehrangehörigen als Folge von Auslandseinsätzen

Vom 16. März 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7957
18. Wahlperiode 16.03.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katrin Kunert, Michael Leutert, Christine Buchholz,
Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Jan Korte, Stefan Liebich, Niema Movassat,
Kersten Steinke, Azize Tank, Alexander Ulrich, Kathrin Vogler, Harald Weinberg,
Birgit Wöllert, Pia Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Umgang mit Posttraumatischen Belastungsstörungen und Agoraphobien
bei Bundeswehrangehörigen als Folge von Auslandseinsätzen

Seit Anfang der 1990er Jahre werden deutsche Soldatinnen und Soldaten ver-
mehrt in Auslandseinsätze geschickt. Der Deutsche Bundestag trägt hierfür eine
besondere Mitverantwortung, da die Einsätze in der Regel das Mandat einer Par-
lamentsmehrheit benötigen. Damit verbunden ist die Fürsorgepflicht, Soldatinnen
und Soldaten, die aus den Einsätzen mit einer körperlichen oder seelischen Ver-
sehrung zurückkehren, eine fachgerechte medizinische Behandlung und Versor-
gung zukommen zu lassen.
Die meisten Auslandseinsätze der Bundeswehr verfolgten bzw. verfolgen einen
Kampfauftrag in bewaffneten innerstaatlichen Konflikten im Rahmen von frie-
denserzwingenden UNO-Missionen oder von NATO-Einsätzen. Als Folge der
massiven Gewalterfahrungen ist eine starke Zunahme von sogenannten Posttrau-
matischen Belastungsstörungen (PTBS) und Agoraphobien (Angstneurosen/Pa-
nikattacken) bei den Soldatinnen und Soldaten zu verzeichnen. Zudem ist nach
den Ergebnissen einer im Jahr 2012 von der Technischen Universität Dresden
erstellten Studie von einer hohen Dunkelziffer unentdeckter Erkrankungsfälle
auszugehen. Wegen der befürchteten gesellschaftlichen Stigmatisierung und
beruflicher Zukunftsängste verschweigen die Betroffenen oft selbst die langwie-
rige psychische Erkrankung. Lediglich zehn bis 20 Prozent der erkrankten Solda-
tinnen und Soldaten begeben sich laut der Dunkelzifferstudie innerhalb eines Jah-
res in ärztliche Behandlung.
Nach Berichten des ARD-Politikmagazins „Kontraste“ vom 3. März 2016 müs-
sen Soldatinnen und Soldaten, die wegen einer einsatzbedingten PTBS oder Ago-
raphobie dienstunfähig werden, häufig in jahrelangen Verfahren um die Anerken-
nung ihres Rechts auf Entschädigung und Therapie kämpfen. Demnach sollen
zermürbende Wehrdienstbeschädigungsverfahren und negative Gutachten an der
Tagesordnung sein, um die Zahl der offiziellen Erkrankungsfälle möglichst
zu reduzieren und die hohen Behandlungs- und Entschädigungskosten einzuspa-
ren (vgl. www.rbb-online.de/kontraste/archiv/kontraste-03-03-2016/kriegstrauma-
nach-kampfeinsatz.html, abgerufen am 7. März 2016).
Gleichzeitig bekräftigte die Bundesministerin der Verteidigung, Dr. Ursula von der
Leyen, unlängst ihre Absicht, künftig mehr Personal für die Teilnahme an Aus-
landseinsätzen der Bundeswehr rekrutieren zu wollen (vgl. www.ksta.de/politik/
bundeswehr-von-der-leyen-fordert-mehr-soldaten-23290982, abgerufen am 7. März
2016).

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Nach Ansicht der Fragesteller stellt der bisherige Umgang mit an PTBS bzw. an
Agoraphobien erkrankten Soldatinnen und Soldaten eine schwerwiegende Ver-
letzung der Fürsorgeverantwortung des Dienstherrn dar. Auch der Wehrbeauf-
tragte des Deutschen Bundestages kommt in seinem aktuellen Jahresbericht 2015
zu dem Schluss, dass „die psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung
der Soldatinnen und Soldaten mit psychischen Belastungen und Erkrankungen
immer noch nicht ausreichend [ist]“ (Bundestagsdrucksache 18/7250, S. 67).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Soldatinnen und Soldaten wurden im Zeitraum von 2010 bis 2015

aus welchen Auslandseinsätzen der Bundeswehr wegen einer mutmaßlichen
oder bereits diagnostizierten PTBS bzw. Agoraphobie zurückgeholt (bitte
pro Jahr, Einsatz, Anzahl und Geschlecht aufschlüsseln)?

2. Wie viele sogenannte Recreation-Maßnahmen wurden im Zeitraum von
2010 bis 2015 im Zusammenhang mit welchen Auslandseinsätzen der Bun-
deswehr durchgeführt (bitte pro Jahr, Einsatz und Anzahl aufschlüsseln)?

3. Wie oft wurden im Zeitraum von 2010 bis 2015 Präventivkuren gegen mög-
liche psychische Späterkrankungen durch Auslandseinsätze wie PTBS bzw.
Agoraphobien genehmigt bzw. abgelehnt bzw. werden noch bearbeitet (bitte
pro Jahr, Einsatz und Anzahl aufschlüsseln)?

4. Wie viele Fälle von einsatzbedingten PTBS- bzw. Agoraphobie-Erkrankun-
gen bei Soldatinnen und Soldaten wurden im Zeitraum von 2010 bis 2015
erst im Nachhinein (Monate bzw. Jahre) nach einem Auslandseinsatz festge-
stellt, und mit welchen geeigneten Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung
ggf. die zeitliche Lücke zwischen der Erstmanifestation und Erstdiagnose
dieser Erkrankungen zu schließen bzw. zu verkürzen (bitte erläutern)?

5. In wie vielen Fällen haben nach Kenntnis der Bundesregierung im Zeitraum
von 2010 bis 2015 Soldatinnen und Soldaten trotz einer bekannten PTBS-
bzw. Agoraphobie-Erkrankung (ggf. auch unter medikamentöser Behand-
lung) an Auslandseinsätzen der Bundeswehr teilgenommen (bitte pro Jahr,
Einsatz, Anzahl und Geschlecht aufschlüsseln)?

6. Wie erfolgte die medizinische Behandlung von einsatzbedingten PTBS-
bzw. Agoraphobie-Erkrankungen in den psychiatrischen Fachabteilungen
der Bundeswehrkrankenhäuser?
a) Wie viele der bekannten an einer einsatzbedingten PTBS bzw. Agorapho-

bie erkrankten Soldatinnen und Soldaten mussten sich im Zeitraum von
2010 bis 2015 in stationäre Behandlung begeben (bitte pro Jahr und An-
zahl auflisten)?

b) Wie viele stationäre Behandlungsplätze stehen aktuell für einsatzbedingte
PTBS- bzw. Agoraphobie-Erkrankungen in den Bundeswehrkrankenhäu-
sern zur Verfügung?

c) Wie lange müssen an einer einsatzbedingten PTBS bzw. Agoraphobie er-
krankte Soldatinnen und Soldaten durchschnittlich auf einen stationären
Behandlungsplatz in einem Bundeswehrkrankenhaus warten?

d) Wie viele der bekannten an einer einsatzbedingten PTBS bzw. Agorapho-
bie erkrankten Soldatinnen und Soldaten wurden im Zeitraum von 2010
bis 2015 ohne stationäre Aufnahme ambulant in Bundeswehrkrankenhäu-
sern behandelt (bitte pro Jahr und Anzahl auflisten)?

e) Wie sehen die aktuellen tagesklinischen Behandlungskapazitäten in den
Bundeswehrkrankenhäusern aus, wie viel Fachpersonal steht hierfür bis-
lang zur Verfügung, und welcher darüber hinausgehende Personalbedarf
ist ggf. vorhanden (bitte erläutern)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7957
 

7. Welche zivilen Gesundheitseinrichtungen außerhalb der Bundeswehr sind
nach Kenntnis der Bundesregierung aktuell auf die medizinische Behandlung
von einsatzbedingten PTBS- bzw. Agoraphobie-Erkrankungen spezialisiert?
a) Wie viele der bekannten an einer einsatzbedingten PTBS bzw. Agorapho-

bie erkrankten Soldatinnen und Soldaten wurden im Zeitraum von 2010
bis 2015 in hierauf spezialisierten zivilen Gesundheitseinrichtungen stati-
onär behandelt (bitte pro Jahr und Anzahl auflisten)?

b) Wie viele der bekannten an einer einsatzbedingten PTBS bzw. Agorapho-
bie erkrankten Soldatinnen und Soldaten wurden im Zeitraum von 2010
bis 2015 in hierauf spezialisierten zivilen Gesundheitseinrichtungen am-
bulant behandelt (bitte pro Jahr und Anzahl auflisten)?

8. Wie viele Anträge auf Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung wurden
im Zeitraum von 2010 bis 2015 beim Bundesamt für das Personalmanage-
ment der Bundeswehr (BAPersBw) im Zusammenhang mit einsatzbedingten
PTBS- bzw. Agoraphobie-Erkrankungen gestellt (bitte pro Jahr und Anzahl
auflisten)?
a) Wie viele der im Zeitraum von 2010 bis 2015 diesbezüglich beim

BAPersBw gestellten Anträge auf Anerkennung einer Wehrdienstbeschä-
digung wurden bislang bewilligt (bitte pro Jahr, in absoluten Zahlen und
in Prozent auflisten)?

b) Wie viele der im Zeitraum von 2010 bis 2015 diesbezüglich beim
BAPersBw gestellten Anträge auf Anerkennung einer Wehrdienstbeschä-
digung wurden bislang mit welcher Begründung abgelehnt (bitte pro Jahr,
in absoluten Zahlen und in Prozent auflisten)?

c) Wie viele der im Zeitraum von 2010 bis 2015 diesbezüglich beim
BAPersBw gestellten Anträge auf Anerkennung einer Wehrdienstbeschä-
digung befinden sich derzeit noch in Bearbeitung (bitte pro Monat bzw.
Jahr, in absoluten Zahlen und in Prozent auflisten)?

d) Wie lang ist die durchschnittliche Bearbeitungsdauer bei Wehrdienstbe-
schädigungsverfahren im Zusammenhang mit einsatzbedingten PTBS-
bzw. Agoraphobie-Erkrankungen vom Antragseingang bis zum Antrags-
bescheid?

e) Welche Entschädigungs- und Versorgungsleistungen werden im Fall der
Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung durch einsatzbedingte
PTBS- bzw. Agoraphobie-Erkrankungen regelweise gewährt (bitte erläu-
tern)?

f) Welche finanziellen Kosten sind der Bundeswehr im Zusammenhang mit
positiv entschiedenen Wehrdienstbeschädigungsverfahren wegen einsatz-
bedingter PTBS- bzw. Agoraphobie-Erkrankungen im Zeitraum von 2010
bis 2015 bislang entstanden (bitte pro Jahr und Betrag auflisten)?

g) Wie viele Soldatinnen und Soldaten, die im Zeitraum von 2010 bis 2015
beim BAPersBw einen Antrag auf Anerkennung einer Wehrdienstbeschä-
digung im Zusammenhang mit einer einsatzbedingten PTBS- bzw. Ago-
raphobie-Erkrankung gestellt haben, sind nach Kenntnis der Bundesregie-
rung zwischenzeitlich verstorben, und wie viele Fälle von Suiziden sind
nach Kenntnis der Bundesregierung darunter (bitte pro Jahr, Anzahl der
Todesfälle insgesamt sowie Anzahl der Suizide aufschlüsseln)?

Drucksache 18/7957 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

h) Treffen die Angaben des Berichts des ARD-Politikmagazins „Kontraste“
vom 3. März 2016 zu, wonach kurzfristig eine interne Arbeitsgruppe ein-
gesetzt worden sein soll, um eine mögliche Beschleunigung der Wehr-
dienstbeschädigungsverfahren zu prüfen, und falls ja, wem ist diese
Arbeitsgruppe unterstellt, wie lautet der genaue Arbeitsauftrag, und aus
welchen Gründen wurde die Arbeitsgruppe nicht bereits zu einem frühe-
ren Zeitpunkt eingerichtet (vgl. www.rbb-online.de/kontraste/archiv/
kontraste-03-03-2016/kriegstrauma-nach-kampfeinsatz.html, abgerufen
am 7. März 2016)?

i) Aus welchen Gründen wurde laut dem Bericht des ARD-Politikmagazins
„Kontraste“ vom 3. März 2016 in dem exemplarisch dargestellten Fall ei-
nes betroffenen Soldaten trotz einer durchgeführten ärztlichen Auslands-
verwendungsfähigkeitsuntersuchung vor einem Auslandseinsatz und ei-
ner durch Fachmedizinerinnen und Fachmediziner eines Bundeswehr-
krankenhauses nach Rückkehr aus dem Auslandseinsatz diagnostizierten
PTBS-Erkrankung ein Wehrdienstbeschädigungsverfahren negativ beur-
teilt, und wie viele weitere Fälle hat es diesbezüglich im Zeitraum
von 2010 bis 2015 gegeben (vgl. www.rbb-online.de/kontraste/archiv/
kontraste-03-03-2016/kriegstrauma-nach-kampfeinsatz.html, abgerufen am
7. März 2016; bitte erläutern sowie pro Jahr und Anzahl auflisten)?

9. Wie ist der aktuelle Stand bei dem Prüfauftrag bzw. dem Betreuungskonzept,
mit welchen Maßnahmen die Bundeswehr künftig auch die unter Einsatzfol-
gen leidenden ehemaligen Bundeswehrangehörigen zu unterstützen gedenkt
(vgl. die Antwort der Bundesregierung auf die Schriftliche Frage 82 der Ab-
geordneten Katrin Kunert der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksa-
che 18/7473), und um welche konkreten inhaltlichen Fragen geht es dabei?

10. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Empfehlung des
Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, wonach aufgrund der Fürsor-
geverantwortung des Dienstherrn für die Soldatenfamilien geprüft werden
soll, in welchem Umfang auch die Behandlungskosten von selbst psychisch
erkrankten Familienangehörigen (hervorgerufen durch die PTBS- bzw. Ago-
raphobie-Erkrankung einer Soldatin oder eines Soldaten innerhalb der Fami-
lie) von der truppenärztlichen Versorgung unentgeltlich übernommen wer-
den könnten (vgl. Bundestagsdrucksache 18/7250, S. 68 f.)?

11. Über welche fachlichen Qualifikationen müssen externe Gutachterinnen und
Gutachter verfügen, die im Auftrag des BAPersBw medizinische Überprü-
fungen von mutmaßlichen einsatzbedingten PTBS- bzw. Agoraphobie-Er-
krankungen bei Soldatinnen und Soldaten durchführen, und welche Möglich-
keiten der fachmedizinischen Begutachtung durch hierfür spezialisiertes Per-
sonal sind innerhalb der Bundeswehr selbst vorhanden (bitte erläutern)?

12. Womit begründet die Bundesregierung den Einsatz von externen Gutachterin-
nen und Gutachtern, die im Auftrag des BAPersBw medizinische Überprüfun-
gen von mutmaßlichen einsatzbedingten PTBS- bzw. Agoraphobie-Erkran-
kungen bei Soldatinnen und Soldaten durchführen, vor dem Hintergrund, dass
unter Punkt 2.c der Durchführungsbestimmung zur Einsatzunfallverordnung
(Bonn, 20. Mai 2013) ausdrücklich festgestellt wird, dass nur die Fachärztin-
nen und Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie der Bundeswehr die not-
wendige wehrmedizinische Fachkompetenz besitzen, weil andere Fachärztin-
nen und Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie mangels praktischer Er-
fahrungen mit den belastenden Folgen von militärischen Kampfeinsätzen nicht
hinreichend vertraut sind (vgl. www.personal.bundeswehr.de/portal/a/pers, ab-
gerufen am 10. März 2016; bitte erläutern)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/7957
 

13. Wie viele Anträge von aktiven und ehemaligen Soldatinnen und Soldaten
wurden im Zeitraum von 2010 bis 2015 im Zusammenhang mit einer ein-
satzbedingten PTBS- bzw. Agoraphobie-Erkrankung bei der Deutschen Här-
tefallstiftung bzw. der vormaligen Treuhänderischen Stiftung zur Unterstüt-
zung besonderer Härtefälle in der Bundeswehr und der ehemaligen NVA ge-
stellt, und wie viele der Anträge wurden bewilligt, abgelehnt oder befinden
sich derzeit noch in Bearbeitung (bitte pro Jahr und Antragsstand auflisten)?

Berlin, den 16. März 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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