BT-Drucksache 18/7952

Mögliche Folgekosten durch die Erweiterung der Erdgas-Ostseepipeline Nord Stream 2

Vom 17. März 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7952
18. Wahlperiode 17.03.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Annalena Baerbock, Oliver Krischer, Dr. Julia Verlinden,
Jürgen Trittin, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Christian Kühn (Tübingen),
Steffi Lemke, Peter Meiwald und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Mögliche Folgekosten durch die Erweiterung der Erdgas-Ostseepipeline
Nord Stream 2

Im Jahr 2015 hat der russische Energieversorger PAO Gazprom gemeinsam mit
E.ON SE, Royal Dutch Shell, ENGIE S. A., OMV Aktiengesellschaft und
BASF SE/Wintershall Holding GmbH den Ausbau der Nord-Stream-Pipeline
vereinbart, mit der zusätzliches Erdgas aus Russland nach Deutschland geliefert
werden soll. Konkret soll die Kapazität der bestehenden Pipeline bis zum Jahr
2019 um 55 Milliarden Kubikmeter verdoppelt werden, wenngleich die ersten
beiden Stränge bisher nur zu 70 Prozent ausgelastet sind.
Für Nord Stream 2 wurde die New European Pipeline AG gegründet, welche
ihren Sitz in der Schweiz hat und damit nicht unter EU-Recht fällt und an der
PAO Gazprom 50 Prozent der Anteile besitzt. Ungeachtet der Beschlüsse zur eu-
ropäischen Energieunion, die eine Diversifizierung europäischer Rohstoffbezugs-
quellen vorsieht, treibt die Bundesregierung das Nord-Stream-2-Projekt aktiv vo-
ran und stellt sich nach Auffassung der Fragesteller damit klar gegen die energie-
politischen Ziele der Europäischen Kommission. So traf der Bundesminister für
Wirtschaft und Energie Sigmar Gabriel im Oktober 2015 den russischen Präsi-
denten Wladimir Putin und den PAO Gazprom-Konzernchef Alexei Miller zu bi-
lateralen Gesprächen über die künftige Versorgungsstrategie der Bundesrepublik
Deutschland mit russischem Gas.
Das Betreiberkonsortium und die Bundesregierung sprechen bei Nord Stream 2
von einem rein privatwirtschaftlichen Projekt, dessen Kosten und Risiken in Höhe
von rund 8 Mrd. Euro nach Informationen der Fragesteller durch die beteiligten
Konzerne bzw. privates Fremdkapital übernommen werden sollen. Ölpreisinde-
xiertes Pipeline-Gas profitiert derzeit von einem niedrigen Ölpreis und geringeren
Overheadkosten als beispielsweise importiertes Flüssiggas. Dennoch ist auch für
Nord Stream 2 mit Folgekosten in Milliardenhöhe für Anschlussinfrastruktur in
Deutschland und Europa zu rechnen.

Drucksache 18/7952 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hat die Bundesregierung Kenntnisse und Schätzungen über die Infrastruk-
turkosten, die sich aus einer möglichen Kapazitätserweiterung der bestehen-
den Nord-Stream-Pipeline für die Verteilungsinfrastruktur in Deutschland
ergeben?
a) Wenn ja, wie hoch sind diese?
b) Wenn nein, warum nicht, und wird sie diesbezüglich Studien in Auftrag

geben?
2. Welche der im Netzentwicklungsplan (NEP) Gas für die Jahre 2015 und

2016 befindlichen Maßnahmen dienen nach Kenntnis der Bundesregierung
bereits der Übertragung zusätzlicher Gaskapazitäten durch Nord Stream 2?

3. Zu welchem konkreten Zeitpunkt hat die Bundesnetzagentur erstmals gefor-
dert, dass Nord Stream 2 in die Szenarienrahmen des NEP 2016 aufgenom-
men wird, und wie wurde dies konkret begründet?

4. Welche Fernleitungsnetzbetreiber (FNB) wären mit einer möglichen Kapa-
zitätserweiterung der Ostsee-Pipeline-Anbindungsleitung (OPAL) und
Nordeuropäischen Erdgasleitung (NEL) betraut, und gab es bereits Konsul-
tationen zwischen den betreffenden FNB und der Bundesnetzagentur oder
der Bundesregierung?
Wenn ja, mit welchem Ergebnis?

5. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass die öffentliche Hand ganz oder
teilweise über deutsche oder europäische Mittel an der Finanzierung mögli-
cher Gasinfrastrukturerweiterungen beteiligt werden wird, die durch Nord
Stream 2 nötig würden, und falls nein, wie hoch wären diese (bitte begrün-
den)?

6. Wie lang sind nach Kenntnis der Bundesregierung die Abschreibungszeit-
räume für Fernleitungsnetze im Gassektor, und passen diese nach Ansicht
der Bundesregierung mit den deutschen und europäischen energiepolitischen
Zielen zur Abkehr von fossilen Energieträgern zusammen (bitte begründen)?

7. Ist die Nord-Stream-Erweiterung angesichts der Abschreibungszeiten aus
Sicht der Bundesregierung ökonomisch sinnvoll (bitte begründen)?

8. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung auf den möglichen
Einfluss von Nord Stream 2 auf die Gaspreisentwicklung in Deutschland und
Europa, und wie begründet sie diese?

9. Ist Nord Stream 2 nach Kenntnis der Bundesregierung vereinbar mit dem eu-
ropäischen Energierecht, insbesondere mit den Entflechtungsvorgaben, wel-
che sich aus dem dritten Energiepaket der Europäischen Union ergeben (bitte
begründen)?

10. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den jüngst veröf-
fentlichten Plänen der Europäischen Kommission (https://ec.europa.eu/
energy/en/news/commission-proposes-new-rules-gas-and-heating-and-cooling-
strategy) zur Verbesserung der europäischen Versorgungssicherheit und dem
Importzuwachs von „liquefied natural gas“ (LNG) in Bezug auf den paralle-
len Ausbau von Pipeline-Infrastruktur von Nord Stream 2, und sieht sie hie-
rin einen möglichen Widerspruch?

11. Inwieweit sieht die Bundesregierung eine Erhöhung der Versorgungssicher-
heit durch Diversifizierung der europäischen Gasbezugsquellen gemäß der
LNG-Strategie der Europäischen Kommission als gegeben an?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7952

12. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung darüber, dass die Europäische

Kommission derzeit untersucht, ob und inwieweit PAO Gazprom mit der
Festsetzung von unfairen Preisen gegen die europäische Gesetzgebung ver-
stößt, und wie bewertet sie infolgedessen die weitere Konzentration der Ga-
zprom-Abhängigkeit durch die geplante Nord-Stream-Erweiterung?

13. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der Forderung des polnischen Außenministers Witold Waszczykowski,
die Nord-Stream-2-Pipeline über polnisches Territorium zu verlegen (BILD,
Interview vom 4. Januar 2016)?

14. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus den Ankündigungen des ukrainischen Gaskonzernes Naftogaz, die
Durchleitungsgebühren für russisches Gas nach Europa von 1,8 Mrd. Euro
auf mehr als 5,5 Mrd. Euro pro Jahr zu erhöhen (www.derwesten.de/
wirtschaft/gazprom-schickt-ukraine-milliarden-gasrechnung-id11477694.html),
und welche Auswirkungen würde dies aus Sicht der Bundesregierung auf
Gaspreise in Deutschland haben?

15. Wie beurteilt die Bundesregierung den Zustand des ukrainischen Gasnetzes
und dessen Auswirkung auf die europäische Versorgungssicherheit?

16. Verfügt die Bundesregierung über eigene Analysen und Prognosen zur künf-
tigen Erdgasnachfrage in Deutschland und Europa, und wenn ja, welche
Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus?

17. Welchen Beitrag sollen nach Plänen der Bundesregierung von ihr im Natio-
nalen Aktionsplan Energieeffizienz (NAPE) initiierte Maßnahmen zur Ener-
gieeffizienz und zum Energiesparen zur Verringerung der Erdgasnachfrage
in Deutschland leisten?

18. Wie beurteilt die Bundesregierung die Annahme, dass in Deutschland zeit-
gleich ein Lieferausfall, ein besonders kalter Winter und ein niedriger Spei-
cherstand zusammentreffen müssen, damit es zu einem Erdgasversorgungs-
engpass in Deutschland kommt, und als wie wahrscheinlich schätzt die Bun-
desregierung ein solches Zusammentreffen ein?

19. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Fragesteller, dass in puncto
Versorgungssicherheit zu sehr auf angebotsorientierte Politiken gesetzt wird
und zu wenig auf die Senkung der Nachfrage?
Wenn nein, warum nicht?

20. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Neu- und Ausbaubedarf
für deutsche Ferngasleitungen insgesamt bis zum 2030 (bitte Kilometer und
geschätzte Kosten angeben), und welcher Anteil daran würde allein durch
die Kapazitätserweiterung durch Nord Stream 2 entstehen?

21. Gab es zu dem geplanten Projekt Nord Stream 2 vor der Reise des Bundes-
ministers für Wirtschaft und Energie Sigmar Gabriel nach Moskau im Okto-
ber 2015 Abstimmungen innerhalb der Bundesregierung (bspw. zwischen
dem Auswärtigen Amt, dem Bundeskanzleramt und dem Bundesministerium
für Wirtschaft und Energie) zu den politischen Implikationen der Pipeline-
Erweiterung?
Wenn ja, wann, und mit welchem Ergebnis?

22. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus jüngsten Studien
(Energy Union Choices: A Perspective on Infrastructure and Energy Security
In the Transition), die besagen, dass die Erdgasnachfrage europaweit bis zum
Jahr 2030 auf 320 Milliarden Kubikmeter sinken wird und das bestehende
Gasnetz sogar einen Nachfragezuwachs decken könnte?

Drucksache 18/7952 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

23. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Erkenntnis

(ebd.), dass das bestehende europäische Erdgassystem selbst einen beschleu-
nigten Kohleausstieg ohne signifikante Infrastrukturinvestitionen bewältigen
könnte?

24. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Erkenntnis
(ebd.), dass der Investitionsbedarf für die europäische Gasinfrastruktur auf
unter 4 Mrd. Euro gesenkt werden könne (sogar um 80 Prozent gegenüber
heutigen Szenarien), wenn die Effizienzpolitik im Strom-, Wärme- und Ge-
bäudebereich gestärkt und besser integriert würde?

Berlin, den 15. März 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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