BT-Drucksache 18/7909

zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Katrin Kunert, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. - Drucksache 18/4335 - 100. Jahresgedenken des Völkermords an den Armenierinnen und Armeniern 1915/1916 - Deutschland muss zur Aufarbeitung und Versöhnung beitragen

Vom 21. März 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7909
18. Wahlperiode 21.03.2016

Beschlussempfehlung und Bericht
des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Katrin Kunert, Wolfgang Gehrcke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.
– Drucksache 18/4335 –

100. Jahresgedenken des Völkermords an den Armenierinnen und Armeniern
1915/1916 – Deutschland muss zur Aufarbeitung und Versöhnung beitragen

A. Problem
Gedacht werden soll der Opfer der Deportationen und Massaker im Osmanischen
Reich während des Ersten Weltkriegs 1915/1916, die zur fast vollständigen Ver-
nichtung der armenischen Bevölkerung in Anatolien geführt haben. Nach wissen-
schaftlichen Schätzungen fielen den Verbrechen bis zu 1,5 Millionen Menschen
zum Opfer.
Die Antragsteller bewerten die von der Regierung des Osmanischen Reichs sys-
tematisch geplante und organisierte Vernichtung der armenischen Bevölkerung
als Völkermord nach der UN-Konvention über die Bestrafung und Verhütung des
Völkermords von 1948. Nach dem Forschungsstand in der Wissenschaft stelle die
aramäisch-assyrische Bevölkerung eine weitere Opfergruppe dieses Völkermord-
verbrechens dar.
Der Antrag hebt bedauernd die historische Mitverantwortung des Deutschen
Reichs bei der Vernichtung der Armenier hervor, welches als Verbündeter des
Osmanischen Reichs trotz entsprechender Informationen nicht mit Nachdruck in-
terveniert habe, um die Gräueltaten zu unterbinden, und dessen im Osmanischen
Reich stationierte Militärs teilweise Deportationsbefehle der osmanischen Regie-
rung mit unterzeichnet und aktiv an der militärischen Niederschlagung von arme-
nischen Selbstverteidigungsaufständen mitgewirkt hätten. Nach dem Ersten Welt-
krieg seien führenden Verantwortlichen der entmachteten jungtürkischen Regie-
rung in Deutschland Asyl und Schutz vor internationaler Strafverfolgung gewährt
worden. Die Armenier werden für die Beihilfe des Deutschen Reichs zum Völker-
mord um Entschuldigung gebeten.
Die Antragsteller bekräftigen die Notwendigkeit, aktiv zur Aufklärung über die
politischen Hintergründe des Völkermordverbrechens und die Rolle des Deut-
schen Reichs beizutragen, was insbesondere die vollständige Umsetzung des An-
trags auf Bundestagsdrucksache 15/5689 aus dem Jahr 2005, einschließlich der

Drucksache 18/7909 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
bildungspolitischen Verankerung des Völkermords an den Armeniern in den
Lehrplänen des Schulunterrichts durch die Bundesländer, erfordere.
Geehrt werden sollen jene Deutschen und Türken, welche sich für das Existenz-
recht der Armenier und deren Rettung eingesetzt haben. Diese Helden, so der An-
trag, könnten als Vorbilder bei der Aufarbeitung der jüngeren Geschichte der Tür-
kei dienen.
Die Antragsteller begrüßen die in den letzten Jahren zunehmend offener geführte
Diskussion in der türkischen Zivilgesellschaft, bemängeln aber, dass Wissen-
schaftler, Journalisten, Künstler und Filmschaffende immer noch unter Druck ge-
rieten, wenn sie sich öffentlich mit dem Völkermord beschäftigten. Ermutigt wer-
den sollen alle Bestrebungen in der Türkei, die sich der Aufarbeitung des Völker-
mordes und der Aussöhnung zwischen Türken und Armeniern widmen.
Mit dem Antrag soll die Bundesregierung unter anderem aufgefordert werden,
sich vorbehaltlos zur historischen Mitverantwortung des Deutschen Reichs am
Völkermord zu bekennen; den Antrag auf Bundestagsdrucksache 15/5689 voll-
ständig, einschließlich der Aufnahme des Völkermordthemas in die Schulcurri-
cula durch die Bundesländer, umzusetzen; die ausgewogene Würdigung aller his-
torischen deutschen Persönlichkeiten, welche sich für das Existenzrecht der Ar-
menier eingesetzt haben, sicherzustellen; der armenischen Regierung die Einrich-
tung einer deutsch-armenischen Schulbuchkommission anzubieten; der Türkei
und Armenien bei der Aufarbeitung, Aussöhnung und Normalisierung der zwi-
schenstaatlichen Beziehungen, u. a. durch finanzielle Unterstützung an die Türkei
zwecks Errichtung beispielsweise einer türkisch-armenischen Versöhnungsstif-
tung, Hilfe zu leisten; sich gegenüber der Türkei für Meinungsfreiheit, auch im
Zusammenhang mit dem Schicksal der Armenier, einzusetzen; gegenüber der tür-
kischen Regierung die Notwendigkeit der aktiven Unterstützung der öffentlichen
Aufarbeitung der Geschichte der Türkei zu betonen und sich dazu für die öffent-
liche Zugänglichmachung auch der relevanten Akten des Archivs des Auswärti-
gen Amts durch die türkische Regierung einzusetzen.

B. Lösung
Ablehnung des Antrags mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. bei Stimmenthaltung der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

C. Alternativen
Keine.

D. Kosten
Keine.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7909
Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,
den Antrag auf Drucksache 18/4335 abzulehnen.

Berlin, den 16. März 2016

Der Auswärtige Ausschuss

Dr. Norbert Röttgen
Vorsitzender

Dr. Christoph Bergner
Berichterstatter

Niels Annen
Berichterstatter

Sevim Dağdelen
Berichterstatterin

Marieluise Beck (Bremen)
Berichterstatterin

Drucksache 18/7909 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Bericht der Abgeordneten Dr. Christoph Bergner, Niels Annen, Sevim Dağdelen und
Marieluise Beck (Bremen)

I. Überweisung

Der Deutsche Bundestag hat den Antrag auf Drucksache 18/4335 in seiner 101. Sitzung am 24. April 2015 in
erster Lesung beraten und zur federführenden Beratung dem Auswärtigen Ausschuss, zur Mitberatung dem Aus-
schuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe sowie dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol-
genabschätzung überwiesen.

II. Wesentlicher Inhalt der Vorlage

Gedacht werden soll der Opfer der Deportationen und Massaker im Osmanischen Reich während des Ersten Welt-
kriegs 1915/1916, die zur fast vollständigen Vernichtung der armenischen Bevölkerung in Anatolien geführt ha-
ben. Nach wissenschaftlichen Schätzungen fielen den Verbrechen bis zu 1,5 Millionen Menschen zum Opfer.
Die Antragsteller bewerten die von der Regierung des Osmanischen Reichs systematisch geplante und organi-
sierte Vernichtung der armenischen Bevölkerung als Völkermord nach der UN-Konvention über die Bestrafung
und Verhütung des Völkermords von 1948. Nach dem Forschungsstand in der Wissenschaft stelle die aramäisch-
assyrische Bevölkerung eine weitere Opfergruppe dieses Völkermordverbrechens dar.
Der Antrag hebt bedauernd die historische Mitverantwortung des Deutschen Reichs bei der Vernichtung der Ar-
menier hervor, welches als Verbündeter des Osmanischen Reiches trotz entsprechender Informationen nicht mit
Nachdruck interveniert habe, um die Gräueltaten zu unterbinden, und dessen im Osmanischen Reich stationierte
Militärs teilweise Deportationsbefehle der osmanischen Regierung mit unterzeichnet und aktiv an der militäri-
schen Niederschlagung von armenischen Selbstverteidigungsaufständen mitgewirkt hätten. Nach dem Ersten
Weltkrieg seien führenden Verantwortlichen der entmachteten jungtürkischen Regierung in Deutschland Asyl
und Schutz vor internationaler Strafverfolgung gewährt worden. Die Armenier werden für die Beihilfe des Deut-
schen Reichs zum Völkermord um Entschuldigung gebeten.
Die Antragsteller bekräftigen die Notwendigkeit, aktiv zur Aufklärung über die politischen Hintergründe des Völ-
kermordverbrechens und die Rolle des Deutschen Reichs beizutragen, was insbesondere die vollständige Umset-
zung des Antrags auf Bundestagsdrucksache 15/5689 aus dem Jahr 2005, einschließlich der bildungspolitischen
Verankerung des Völkermords an den Armeniern in den Lehrplänen des Schulunterrichts durch die Bundesländer,
erfordere.
Geehrt werden sollen jene Deutschen und Türken, welche sich für das Existenzrecht der Armenier und deren
Rettung eingesetzt haben. Diese Helden, so der Antrag, könnten als Vorbilder bei der Aufarbeitung der jüngeren
Geschichte der Türkei dienen.
Die Antragsteller begrüßen die in den letzten Jahren zunehmend offener geführte Diskussion in der türkischen
Zivilgesellschaft, bemängeln aber, dass Wissenschaftler, Journalisten, Künstler und Filmschaffende immer noch
unter Druck gerieten, wenn sie sich öffentlich mit dem Völkermord beschäftigten. Ermutigt werden sollen alle
Bestrebungen in der Türkei, die sich der Aufarbeitung des Völkermords und der Aussöhnung zwischen Türken
und Armeniern widmen.
Mit dem Antrag soll die Bundesregierung unter anderem aufgefordert werden, sich vorbehaltlos zur historischen
Mitverantwortung des Deutschen Reichs am Völkermord zu bekennen; den Antrag auf Bundestagsdrucksa-
che 15/5689 vollständig, einschließlich der Aufnahme des Völkermordthemas in die Schulcurricula durch die
Bundesländer, umzusetzen; die ausgewogene Würdigung aller historischen deutschen Persönlichkeiten, welche
sich für das Existenzrecht der Armenier eingesetzt haben, sicherzustellen; der armenischen Regierung die Ein-
richtung einer deutsch-armenischen Schulbuchkommission anzubieten; der Türkei und Armenien bei der Aufar-
beitung, Aussöhnung und Normalisierung der zwischenstaatlichen Beziehungen, u. a. durch finanzielle Unterstüt-
zung an die Türkei zwecks Errichtung beispielsweise einer türkisch-armenischen Versöhnungsstiftung, Hilfe zu
leisten; sich gegenüber der Türkei für Meinungsfreiheit, auch im Zusammenhang mit dem Schicksal der Arme-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/7909
nier, einzusetzen; gegenüber der türkischen Regierung die Notwendigkeit der aktiven Unterstützung der öffentli-
chen Aufarbeitung der Geschichte der Türkei zu betonen und sich dazu für die öffentliche Zugänglichmachung
auch der relevanten Akten des Archivs des Auswärtigen Amts durch die türkische Regierung einzusetzen.

III. Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse

Der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe hat den Antrag auf Drucksache 18/4335 in seiner
58. Sitzung am 16. März 2016 beraten und empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD
gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. bei Stimmenthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
die Ablehnung.
Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung hat den Antrag auf Drucksache
18/4335 in seiner 61. Sitzung am 16. März 2016 beraten und empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. bei Stimmenthaltung der Fraktion BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN die Ablehnung.

IV. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse im federführenden Ausschuss

Der Auswärtige Ausschuss hat den Antrag auf Drucksache 18/4335 in seiner 65. Sitzung am 16. März 2016
beraten und empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion
DIE LINKE. bei Stimmenthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Ablehnung.
Berlin, den 16. März 2016

Dr. Christoph Bergner
Berichterstatter

Niels Annen
Berichterstatter

Sevim Dağdelen
Berichterstatterin

Marieluise Beck (Bremen)
Berichterstatterin

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.