BT-Drucksache 18/79

Provenienz-Recherche und Restitutionsansprüche im Fall des sogenannten Schwabinger Kunstfundes

Vom 21. November 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 18/79
18. Wahlperiode 21.11.2013
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sigrid Hupach, Diana Golze, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein,
Ulla Jelpke, Jan Korte, Harald Petzold (Havelland) und der Fraktion DIE LINKE.

Provenienz-Recherche und Restitutionsansprüche im Fall des sogenannten
Schwabinger Kunstfundes

Am 4. November 2013 enthüllte das Nachrichtenmagazin „FOCUS“, dass
bereits im Zeitraum vom 28. Februar bis 2. März 2012 die Staatsanwaltschaft
Augsburg bei einer Wohnungsdurchsuchung im Rahmen eines Steuervergehens
bei Cornelius Gurlitt ca. 1 400 Bilder beschlagnahmte, die im Verdacht stehen,
NS-Raubkunst zu sein. Es handelt sich hierbei um die so genannte Sammlung
Hildebrand Gurlitt. Hildebrand Gurlitt war einer der vier Kunsthändler, die in
der NS-Zeit nach den Säuberungsaktionen gegen „entartete Kunst“ in eine Kom-
mission zur Verwertung dieser beschlagnahmten Werke berufen wurde. Aufgabe
war es, diese gegen Devisen ins Ausland zu verkaufen. Hildebrand Gurlitt
beschaffte zudem auftragsgemäß Kunst für das geplante „Führermuseum“ in
Linz, vorwiegend in Frankreich. Nach Kriegsende gab er an, dass große Teile
seiner Sammlung verbrannt seien. Einen Teil dieser Sammlung konfiszierten die
Amerikaner und gaben sie im Jahr 1950 an Hildebrand Gurlitt zurück. Dieser
verlieh Werke seiner Sammlung in den folgenden Jahren an Ausstellungen, d. h.
es war kein Geheimnis, dass die Gurlitt-Sammlung zumindest in Teilen weiter-
hin existierte. Weder Hildebrand Gurlitt noch sein Sohn und Erbe Cornelius
Gurlitt unternahmen Versuche, Bilder, die sich in ihrem Besitz befanden und von
denen sie möglicherweise wussten, dass sie nicht die eigentlichen Eigentümer
waren, an die rechtmäßigen Eigentümer zurückzugeben.
Die Staatsanwaltschaft Augsburg betraute im Jahr 2012 nach der Beschlagnah-
mung der Bilder aus der Wohnung von Cornelius Gurlitt die Kunsthistorikerin
Meike Hoffmann von der Forschungsstelle „Entartete Kunst“ der Freien Univer-
sität Berlin mit der Aufgabe, die Herkunft der rund 1 400 Bilder zu klären.
Die Bundesregierung hat sich mit der Washingtoner Erklärung aus dem Jahr
1998 und der gemeinsamen Erklärung von Bundesregierung, Ländern und kom-
munalen Spitzenverbänden aus dem Jahr 1999 international verpflichtet, zur
Provenienzforschung und Restitution beizutragen. Schwerpunkt ist hierbei die
mit größtmöglicher Transparenz vorzunehmende Identifikation von Werken, die
möglicherweise in der Zeit des Nationalsozialismus ihren früheren Eigentümern
verfolgungsbedingt entzogen wurden. Gleichzeitig ist in § 197 Absatz 1 Num-
mer 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nach der Schuldrechtsreform aus
dem Jahr 2001 festgelegt, dass Herausgabeansprüche an Eigentum – und dies
gilt auch für NS-Raubkunst – nach 30 Jahren verjähren.

Drucksache 18/79 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Seit wann hat die Bundesregierung von den von der Staatsanwaltschaft

Augsburg beschlagnahmten Bildern aus der Schwabinger Wohnung von
Cornelius Gurlitt Kenntnis, wer informierte sie, und kann die Bundesregie-
rung einen Überblick darüber geben, ab wann welche Bundesbehörden und
Bundesministerien Kenntnis von den beschlagnahmten Bildern aus dem
Besitz von Cornelius Gurlitt hatten?

2. Welche Schritte hat die Bundesregierung unternommen, nachdem sie über
die in der Wohnung von Cornelius Gurlitt beschlagnahmten Bilder und den
Verdacht, dass es sich hierbei um NS-Raubkunst und Bestände aus der so
genannten entarteten Kunst handeln könnte, informiert wurde, um die Her-
kunft und die Frage der Eigentumsverhältnisse an den Werken zu klären?

3. Wann hat die Bundesregierung erstmalig Kontakt zu Cornelius Gurlitt auf-
genommen?

4. Mit welcher rechtlichen Begründung bzw. auf welcher Rechtsgrundlage
wurden die Werke insgesamt, also auch die Werke, die sich offenbar legal
im Besitz von Cornelius Gurlitt befinden, nach Kenntnis der Bundesregie-
rung von der Staatsanwaltschaft Augsburg beschlagnahmt, die die Wohnung
von Cornelius Gurlitt im Rahmen eines Verdachts einer Steuerstraftat
durchsuchte, und wann sollen zumindest die sich legal im Besitz von
Cornelius Gurlitt befindlichen Werke nach Kenntnis der Bundesregierung
an ihren Besitzer zurückgegeben werden?

5. Um wie viele Werke handelt es sich nach Kenntnis der Bundesregierung
konkret, und in welcher Anzahl sind unter diesen Werken solche, die sich
der „NS-Raubkunst“ zuordnen lassen, und solche, die aus Beständen der
„entarteten Kunst“ stammen, bzw. wie viele Werke sind rechtmäßiger Be-
sitz von Cornelius Gurlitt?

6. Wer hat die bisherige Einteilung der Werke in diese drei Kategorien nach
Kenntnis der Bundesregierung vorgenommen, und nach welchen Kriterien?

7. Warum hat die Bundesregierung die Öffentlichkeit bis zur Veröffentlichung
des Artikels im Nachrichtenmagazins „FOCUS“ Anfang November 2013
nicht unterrichtet, obwohl laut bayerischem Justizministerium sowohl das
Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen als auch der
Staatsminister für Kultur und Medien, Bernd Neumann, bereits kurz nach
der Beschlagnahmung der Bilder über diese informiert worden waren?

8. Wie bringt die Bundesregierung den zuletzt am 10. Mai 2013 von Staatsmi-
nister Bernd Neumann in einer Pressemitteilung formulierten Anspruch,
dass „die Suche nach NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut und die
Formulierung von fairen und gerechten Lösungen in Restitutionsfragen ein
wichtiges Anliegen der Bundesregierung seien“ mit der anscheinend fast
18-monatigen Untätigkeit seitens der Bundesregierung im Fall Gurlitt in
Übereinstimmung, und welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen
zieht die Bundesregierung aus dem Vorwurf, dass durch eine solche
Untätigkeit und Intransparenz die Möglichkeit potentieller Erben, Restitu-
tionsansprüche geltend machen zu können, eingeschränkt worden wäre?

9. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, ob, und wenn ja, in welchem Um-
fang, Restitutionsansprüche zu Werken aus der Gurlitt-Sammlung geltend
gemacht wurden?

10. Hat die Bundesregierung Kenntnis, ob es Restitutionsansprüche bezüglich
von Werken aus der Sammlung Gurlitt von Seiten des französischen Staates
gibt?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/79
11. Nach welchen Kriterien wurden die Experten der inzwischen eingerichteten
„Taskforce Schwabinger Kunstfund“ ausgesucht, wer sind diese Experten,
und wer ist für die Anzahl der Experten und Zusammensetzung und Zielset-
zung der Taskforce verantwortlich?

12. Wie begründet die Bundesregierung, dass eine solche Expertengruppe erst
jetzt, 18 Monate nach Beschlagnahmung der Sammlung, und nicht sofort
nach Beschlagnahmung der Werke eingerichtet wurde und stattdessen die
Provenienzrecherche zu den über tausend beschlagnahmten Bildern einer
einzigen Kunsthistorikerin, Meike Hoffmann, von der Forschungsstelle
„Entartete Kunst“ der Freien Universität Berlin übergeben wurde?

13. Plant die Bundesregierung, Mitglieder der Jewish Claims Conference, z. B.
den deutschen Repräsentanten der Organisation Rüdiger Mahlo, an der
„Taskforce“-Gruppe zu beteiligen, nachdem es doch in der Washingtoner
Erklärung heißt, dass Opferverbände bei der Aufklärung beteiligt werden
sollten?

14. Von welchen Unterlagen, die möglicherweise über Herkunft und Erwerb der
Werke der Sammlung Gurlitt Auskunft geben könnten, hat die Bundesregie-
rung Kenntnis, und seit wann?

15. Hat die Bundesregierung vor, eine unabhängige Expertenkommission zur
Formulierung klarer Regeln, wie mit der in der NS-Zeit geraubten und der
aus Museen beschlagnahmten Kunst politisch umgegangen wird, wie dies
nach Informationen der Fragesteller z. B. in Österreich und den Niederlan-
den der Fall ist, einzurichten?

16. Plant die Bundesregierung die Einsetzung unabhängiger Restitutionskomit-
tees, die Fälle wie den von Hildebrand Gurlitt oder Bernhard Böhmer und
Conrad Doebbeke erforschen und klären könnten?

17. Wie begründet die Bundesregierung, dass erst im Jahr 2008, also zehn Jahre
nach der Washingtoner Erklärung, eine Arbeitsstelle für Provenienzrecher-
che und Provenienzforschung (AfP), unterstützt durch Bundesmittel in Höhe
von jährlich 2 Mio. Euro, eingerichtet wurde?

18. Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, ob der von Projektantragstellern
selbst aufzubringende Eigenanteil von ca. 40 Prozent der bei der AfP bean-
tragten Summe kleinere und mittlere Institutionen aufgrund fehlender
Eigenmittel von der Provenienzforschung in den eigenen Beständen abhält?

19. Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, welche Kosten die aktuell von
ihr eingerichtete „Taskforce Schwabinger Kunstfund“ verursachen wird und
welcher Etat diese Kosten abdecken soll?

20. Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, ob die für die Veröffentlichung
aller bisher 590 Kunstwerke aus dem Schwabinger Kunstfund, bei denen ein
möglicher NS-verfolgungsbedingter Entzug nicht ausgeschlossen werden
kann, notwendigen technischen Voraussetzungen Kosten für die Koordinie-
rungsstelle Magdeburg verursachen, und wenn ja, in welcher Höhe, und
kann die Bundesregierung Auskunft darüber geben, auf welcher rechtlichen
Grundlage die Bilder im Internet veröffentlicht werden können?

21. Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass, da trotz der Einrichtung der
AfP, bisher nur ein Bruchteil der öffentlichen Museen, Bibliotheken und
Sammlungen eine systematische Bestandsprüfung in Hinblick auf NS-
Raubgut geleistet hat, die Mehrheit aber nach wie vor nicht, die AfP in der
Anzahl ihrer Mitarbeiter, speziell auch in der Öffentlichkeitsarbeit und in ih-
rer finanziellen Ausstattung einer Aufstockung bedarf?

Drucksache 18/79 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
22. Plant die Bundesregierung die in § 197 Absatz 1 Nummer 1 BGB festgeleg-
ten Verjährungsfristen für die Herausgabe an Eigentum für Kulturgüter,
welche in der Zeit des Nationalsozialismus ihren früheren Eigentümern ver-
folgungsbedingt entzogen wurden, sprich für Raubkunst, zu überarbeiten?

23. Plant die Bundesregierung das „Gesetz über Einziehung von Erzeugnissen
entarteter Kunst“ aus dem Jahr 1938, welches weder nach 1945 von den
Alliierten noch von der Bundesrepublik Deutschland aufgehoben wurde und
also im Rahmen der Rechtskontinuität nach wie vor besteht, auszusetzen?

24. Plant die Bundesregierung zukünftig öffentliche Institutionen zur Veröffent-
lichung von belasteten Beständen, d. h. Kulturgütern, bei denen der Ver-
dacht besteht, dass sie in der Zeit des Nationalsozialismus ihren früheren
Eigentümern verfolgungsbedingt entzogen wurden, zu verpflichten?

25. Plant die Bundesregierung über die rechtlich unverbindlichen Absichts-
erklärungen der Washingtoner Erklärung aus dem Jahr 1998 und der ge-
meinsamen Erklärung von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbän-
den aus dem Jahr 1999 rechtlich verbindliche Regelungen zum Umgang mit
Kulturgütern, welche in der Zeit des Nationalsozialismus ihren früheren
Eigentümern verfolgungsbedingt entzogen wurden, vorzugeben?

Berlin, den 21. November 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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