BT-Drucksache 18/7773

Einrichtung eines europäischen Geheimdienstzentrums

Vom 26. Februar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7773
18. Wahlperiode 26.02.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Jan van Aken, Christine Buchholz,
Annette Groth, Inge Höger, Ulla Jelpke, Niema Movassat, Kathrin Vogler
und der Fraktion DIE LINKE.

Einrichtung eines europäischen Geheimdienstzentrums

Laut einem Bericht des Magazins „DER SPIEGEL“ vom 19. Februar 2016 wol-
len europäische Geheimdienste ihre Kooperation abermals ausweiten. Demnach
entstehe ein „Anti-Terror-Zentrum“ (im Folgenden: Geheimdienstzentrum) in der
Nähe von Den Haag, Vorbild sei das „Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum“
(GTAZ) in Berlin. Das Zentrum in Den Haag wird dem Magazin „DER SPIE-
GEL“ zufolge im Rahmen der europäischen „Counter Terrorism Group“ (CTG)
errichtet, in der sich die Geheimdienste aller EU-Mitgliedstaaten sowie aus Nor-
wegen und der Schweiz organisieren. Die „CTG“ wird turnusgemäß derzeit vom
niederländischen Geheimdienst AIVD geführt (Bundestagsdrucksache 18/7466).
„DER SPIEGEL“ zitiert dessen Leiter mit den Worten, das neue Zentrum sei als
„gemeinsame Gegenstrategie“ gegen Terrorismus entworfen. Unter anderem
würden die Beteiligten „Erkenntnisse zu ausländischen Kämpfern und der Bedro-
hung, die von ihnen ausgeht, auf multilateraler Basis so schnell und umfassend
wie möglich“ austauschen. Auch die EU-Polizeiagentur Europol hat jüngst ein
„Europäisches Zentrum für Terrorismusbekämpfung“ (ECTC) gestartet (netzpo-
litik.org vom 26. Januar 2016). Das Zentrum wurde von Europol-Direktor Rob
Wainwright im Beisein des EU-Innenkommissars Dimitris Avramopoulos und
des niederländischen Innenministers Ardvander Steur in Amsterdam der Öffent-
lichkeit vorgestellt. Das ECTC vereint fünf bereits bei Europol existierende Ab-
teilungen. Hierzu gehören die Kontaktstellen „Hydra“ und „Travellers“, in denen
Europol Daten über „ausländische terroristische Kämpfer“ speichert. Als Zentral-
stelle für Finanzermittlungen will Europol Finanzströme im Bereich „Terroris-
mus“ verfolgen sowie anstößige Internetinhalte ermitteln und deren Entfernung
beantragen. Die am ECTC beteiligten Stellen sowie die EU-Mitgliedstaaten kom-
munizieren über das verschlüsselte SIENA-Netzwerk (Secure Information
Exchange Network Application) von Europol (Bundestagsdrucksache 18/6223).
Die „CTG“ wurde von dem informellen „Berner Club“ ins Leben gerufen, der
von den fünf Staaten Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich und Schweiz
gegründet wurde und an dem mittlerweile die Inlandsgeheimdienste aller EU-
Mitgliedstaaten sowie Norwegen teilnehmen (Bürgerrechte & Polizei, Cilip, Aus-
gabe 91). Die Europäische Kommission ist ebenfalls Teil der „CTG“. Treffen auf
„Arbeitsebene“ finden vierteljährlich statt. Zwar hat die EU keine Kompetenz für
geheimdienstliche Belange, dennoch ist beim Generalsekretariat des Rates das
Lagezentrum „Intelligence Cell“ (früher: Joint Situation Center –IntCen) ange-
siedelt. Wie die „CTG“ erstellt das IntCen Lageberichte und Bedrohungsanalysen
für die Inlandsgeheimdienste der EU-Mitgliedstaaten. Das IntCen wird mittler-
weile von dem deutschen Ex-Bundesnachrichtendienstler Gerhard Conrad gelei-
tet (The Times of Israel vom 12. Dezember 2015).

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Sämtliche Auskünfte zur Arbeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz in der
„CTG“, dem „Berner Club“ oder der „Intelligence Cell“ sind geheim und den
Abgeordneten wird auch nicht die Einsicht in der Geheimschutzstelle des Bun-
destages ermöglicht (Bundestagsdrucksache 17/9844). So kann aus Sicht der Fra-
gesteller nicht nachvollzogen werden, aus welchem Grund eine weitere Zentrali-
sierung europäischer Geheimdienste in dem neuen „Anti-Terror-Zentrum“ erfor-
derlich sein soll. Besonders gravierend ist die Nichtauskunft auch deshalb, da die
Bundesregierung eine frühere Nachfrage zu dem geplanten Zentrum ausweichend
beantwortet hatte, und zwar zum „Anti-Terror-Zentrum“ bei Europol Auskunft
gab, aber nicht zum erfragten Geheimdienstzentrum (Bundestagsdrucksa-
che 18/7466).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Inwiefern hat sich die noch vor einem halben Jahr vorgetragene Haltung der

Bundesregierung verändert, wonach die Europäische Union „keine Zustän-
digkeit für die Belange der Nachrichtendienste“ habe und deshalb auf Ebene
der Europäischen Union „keine Zusammenarbeit von Nachrichtendiensten“
stattfinde und die deutschen Geheimdienste für die internationale Zusam-
menarbeit deshalb ausschließlich „die bewährten Kooperationsformate“ nut-
zen (Bundestagsdrucksache 18/5048)?

2. Welche weiteren Details kann die Bundesregierung zur Einrichtung eines
Geheimdienstzentrums mit europäischen Geheimdiensten mitteilen?

3. Wer hat die Einrichtung des Geheimdienstzentrums vorgeschlagen, und
wann wurde dessen Einrichtung beschlossen?

4. Wo genau soll das Geheimdienstzentrum entstehen, und an welche bestehen-
den Räumlichkeiten ist es angegliedert?

5. Inwiefern ist die Europäische Kommission in die Errichtung oder den Betrieb
des Geheimdienstzentrums involviert, und welche Angehörigen der Kom-
mission haben hierzu an welchen konstituierenden Treffen teilgenommen?

6. Inwiefern ist die Europäische Kommission auch in die Arbeit der „CTG“
bzw. ihre Belange involviert, und welche Angehörigen der Kommission neh-
men hierzu an welchen Treffen teil?

7. Welche Aufgaben soll das Geheimdienstzentrum konkret übernehmen?
8. Welche Phänomene der Bereiche Kriminalität und Terrorismus werden von

dem Geheimdienstzentrum behandelt?
9. Im Rahmen welcher Zusammenarbeitsformen wird das Geheimdienst-

zentrum geführt, und über welches Personal verfügt es?
10. Welche Plattformen und Dienstleistungen werden in dem Geheimdienst-

zentrum zusammengeführt, welche interne Organisationsstruktur ist vorge-
sehen, und welche Ressourcen werden hierfür eingesetzt?

11. Welche Kosten entstehen für den Betrieb des Geheimdienstzentrums, und
wie werden diese übernommen?

12. Welche Behörden welcher Mitgliedstaaten werden sich in dem Geheim-
dienstzentrum organisieren oder austauschen?

13. Welche (Unter-)Arbeitsgruppen werden in dem Geheimdienstzentrum ein-
gerichtet, wer führt diese an, und welche Aufgaben sollen diese übernehmen?

14. Nach welcher Maßgabe soll das Geheimdienstzentrum „assessed intelli-
gence“, also bereits ausgewertete Informationen, oder auch Originalquellen
(„raw intelligence“) verarbeiten?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7773
 

15. Über welche Kanäle und mithilfe welcher Analysewerkzeuge werden in dem
Geheimdienstzentrum Informationen über „Gefährder“ und „Terrorfinanzie-
rung“ ausgetauscht?

16. Welche Aufgaben werden in dem Geheimdienstzentrum derzeit vom nieder-
ländischen Geheimdienst AIVD übernommen?

17. In welcher Häufigkeit sollen regelmäßige Treffen der Beteiligten des Ge-
heimdienstzentrums bzw. der (Unter-)Arbeitsgruppen stattfinden?

18. Welche Datensammlungen werden in dem Zentrum eingerichtet, und wer
darf dort einstellen bzw. abrufen?

19. Auf welche Weise wird das Geheimdienstzentrum auch mit dem ECTC bei
Europol zusammenarbeiten oder Strukturen des ECTC nutzen?

20. Im Rahmen welcher Zusammenarbeitsformen und Rechtssetzungen können
das Geheimdienstzentrum und das ECTC Informationen austauschen?

21. Welche Geheimdienste welcher Länder (auch Deutschlands) koordinieren
sich nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit in der CTG und im „Berner
Club“, und inwiefern arbeiten dort auch Auslandsgeheimdienste der EU-Mit-
gliedstaaten zusammen?

22. Auf welche Weise ist der informelle „Berner Club“ in die Einrichtung des
Geheimdienstzentrums involviert?

23. Inwiefern ist das EU-Lagezentrum IntCen in die Errichtung oder den Betrieb
des Geheimdienstzentrums involviert?

24. Auf welche Weise wird sich das Geheimdienstzentrum mit dem EU-Lage-
zentrum IntCen austauschen?

25. Welche Aufgaben werden vom niederländischen Geheimdienst AIVD als
Vorsitz in der „CTG“ übernommen?

26. Wie ist die „CTG“ gegliedert, wenn sie sich nicht in Arbeitsgruppen und
Unterarbeitsgruppen auffächert (Bundestagsdrucksache 18/7466)?

27. Aus welchem Grund hatte die Bundesregierung im Februar 2016 nicht be-
antwortet, inwiefern die „CTG“ oder der „Berner Club“ mit der Einrichtung
eines „EU-Anti-Terror-Zentrums“ europäischer Geheimdienste befasst wa-
ren oder hierzu Diskussionen geführt haben (Bundestagsdrucksache
18/7466)?

28. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, dass europäische Inlandsge-
heimdienste ihre Zusammenarbeit im Rahmen einer „Intelligence Cell“ aus-
bauen wollen, und welche „Koordinierungsaufgaben“ sollen von dieser über-
nommen werden (WELT ONLINE vom 4. Januar 2016)?

29. Inwiefern handelt es sich bei der auf Bundestagsdrucksache 18/7466 erfrag-
ten „Intelligence Cell“ um das nun gegenständliche Geheimdienstzentrum
nahe Den Haag?

30. Inwiefern würden aus Sicht der Bundesregierung nach der Einrichtung des
Geheimdienstzentrums bisherige Zusammenarbeitsformen europäischer In-
oder Auslandsgeheimdienste überflüssig?

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31. Aus welchem Grund hält die Bundesregierung ein Fortbestehen und die wei-
tere Teilnahme an der „Civilian Intelligence Cell“ des EU Situation Centre,
dem „Berner Club“ und der „CTG“ für weiterhin notwendig oder auch ent-
behrlich?

Berlin, den 26. Februar 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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