BT-Drucksache 18/777

Die Energiewende europäisch verankern

Vom 12. März 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/777
18. Wahlperiode 12.03.2014

Antrag
der Abgeordneten Oliver Krischer, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn,
Sylvia Kotting-Uhl, Dr. Julia Verlinden, Christian Kühn (Tübingen), Steffi
Lemke, Peter Meiwald, Harald Ebner, Matthias Gastel, Kai Gehring, Anja
Hajduk, Stephan Kühn (Dresden), Friedrich Ostendorff, Markus Tressel,
Dr. Valerie Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die Energiewende europäisch verankern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Schutz des Klimas ist eines der zentralen Handlungsfelder der Europäischen
Union. Bis 2020 hat sich die Europäische Union eigene Zielsetzungen bei der
CO2-Minderung, dem Ausbau erneuerbarer Energien und der Steigerung der
Energieeffizienz gegeben. Von dieser europäischen Rahmensetzung hat auch die
Energiewende in Deutschland profitiert. Ihre weitere erfolgreiche Umsetzung
wird letztlich nur gelingen, wenn sie europäisch verankert wird.

Die Europäische Union wird in diesem Jahr die Grundzüge ihrer weiteren Klima-
und Energiepolitik für die Zeit bis 2030 festlegen, mit der sie dann auch an den
Verhandlungstisch der internationalen Klimaverhandlungen in Paris im Jahr 2015
gehen wird. Dort soll ein internationales Klimaabkommen für die Zeit nach 2020
beschlossen werden. Diese Fortschreibung der europäischen Energie- und Klima-
politik wird auch einen neuen Rahmen für die nationale Klima- und Energiepoli-
tik setzen, mit weitreichenden Auswirkungen auf die Energiewende in Deutsch-
land.

Der Deutsche Bundestag sieht die Bundesregierung in der Pflicht, jetzt die Chan-
ce auf europäischer Ebene zu nutzen, um die von allen Fraktionen unterstützte
nationale Energiewende auch in Europa zu verankern und ihren Fortgang damit
effizienter und schneller zu gestalten. Er erwartet von der Bundesregierung, dass
sie sich mit aller Kraft für ambitionierte CO2-Reduktions-, Erneuerbare- und
Effizienzziele sowie den Fortbestand der erfolgreichen Förderung erneuerbarer
Energien über das EEG (Erneuerbare-Energien-Gesetz) einsetzt, um die Ener-
giewende in Deutschland und Europa zu unterstützen und weiter voranzubringen.
Verbindliche nationale Ziele sind zudem eine Voraussetzung zur Schaffung glei-
cher Wettbewerbsbedingungen im EU-Energiebinnenmarkt und ein wichtiger
Schritt, die sich abzeichnende Renationalisierung der Energiepolitik abzuwenden.

Wie wichtig der europäische Rahmen für das Gelingen der nationalen Energie-
wende ist, zeigt die derzeitige Situation des europäischen Emissionshandels.

Drucksache 18/777 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Dieser ist gekennzeichnet durch einen massiven Überschuss von aktuell rund
2 Milliarden CO2-Zertifikaten, der zu einem massiven Einbrechen des Preises für
Emissionszertifikate geführt hat. Statt eines erwarteten Preisniveaus von rund
20 Euro liegt der CO2-Preis derzeit bei nur etwa 6 Euro je Tonne. Die Folge sind
eine Bevorteilung klimaschädlicher Braunkohlekraftwerke im Strommarkt sowie
eine massive Verunsicherung von Investoren, die auf die Wirksamkeit des Emis-
sionshandels gesetzt haben. Damit ist der Emissionshandel bislang als Lenkungs-
instrument für Klimaschutzinvestitionen ausgefallen.

Angesichts dieser Fehlentwicklung ist der Deutsche Bundestag besorgt über die
aktuellen Vorschläge der EU-Kommission, lediglich ein völlig unambitioniertes
40-Prozent-Ziel für die CO2-Minderung bis 2030 festzulegen, zugleich die bisher
verbindlichen Ziele für den Anteil erneuerbarer Energien auf der Ebene der Mit-
gliedstaaten und die Steigerung der Energieeffizienz für den Zeitraum 2020 bis
2030 aufzugeben. Damit würden zusätzliche Anstrengungen beim Klimaschutz
unterminiert. Die Bundesregierung muss sich deshalb dafür einsetzen, dass Euro-
pa im Klimaschutz wieder eine Vorreiterrolle einnimmt. Die internationale Wir-
kung mit Blick auf die Klimaverhandlungen in Paris 2015 wäre fatal. Ohne eine
Einigung im Sinne von ambitionierterem Klimaschutz bei den internationalen
Klimaverhandlungen in Paris wird die globale Erwärmung nicht auf unter 2 Grad
zu begrenzen sein. In der Konsequenz würden Zahl und Ausmaß von Unwetter-
katastrophen, die wir heute schon empfindlich spüren und die mit Schäden in
Milliardenhöhe einhergehen, weltweit weiter stark ansteigen. Darüber hinaus sind
es die Entwicklungsländer, die bereits heute am meisten unter den Folgen des
Klimawandels zu leiden haben – obwohl sie wenig bis nichts mit der Verursa-
chung des von Menschen gemachten Klimawandels zu tun haben.

Dass die Europäische Kommission jetzt im Rahmen des Beihilfeprüfverfahrens
die bestehenden Ausnahmen der Industrie bei der EEG-Umlage grundsätzlich
infrage stellt, ist das Ergebnis einer fehlgeleiteten Politik, die in den letzten vier
Jahren bewusst immer mehr Unternehmen zu Lasten von Mittelstand und Privat-
haushalten begünstigt. Trotz des Drucks aus Brüssel hat die Bundesregierung
noch immer kein Konzept, wie stromintensive, im internationalen Wettbewerb
stehende Unternehmen im EEG europarechtskonform entlastet werden können.
Der Deutsche Bundestag appelliert an die Bundesregierung, sich zügig mit der
EU-Kommission auf eine Beschränkung der Privilegierung von Unternehmen auf
der Grundlage der EU-Strompreiskompensationsrichtlinie zu einigen.

Die Europäische Kommission hat die immer weiter ausufernden Befreiungen der
deutschen Industrie von den Kosten der Energiewende jetzt als Anlass genutzt,
das deutsche EEG-Fördersystem grundsätzlich infrage zu stellen, ungeachtet
einer klaren Rechtslage, nach der die Vergütungszahlungen im EEG keine Beihil-
fe darstellen. Die neue Beihilfeleitlinie der EU-Kommission ist jetzt der offen-
sichtliche Versuch, über eine neue Rechtsgrundlage im Wettbewerbsrecht die
bisherigen nationalen Fördermechanismen für erneuerbare Energien auszuhebeln.
Der Deutsche Bundestag kritisiert, dass hier über das Wettbewerbsrecht massiv in
die nationale Energiepolitik eingegriffen wird, und fordert die Bundesregierung
mit Nachdruck auf, sich für den Fortbestand der gültigen und erfolgreichen
Einspeisevergütung einzusetzen. Dies gilt umso mehr, da im Rahmen der neuen
Beihilferegelung nach wie vor die Gefahr besteht, dass künftig Atomkraft den
erneuerbaren Energien gleichgestellt wird, trotz der unbeherrschbaren Risiken
und der im Vergleich zu den erneuerbaren Energien exorbitant hohen Kosten. So
drängt die Regierung des Vereinigten Königreichs auf die Einführung einer
Einspeisevergütung für Atomstrom. Damit droht ein Rückfall der europäischen
Energiepolitik in alte zentralistische und unflexible Strukturen, die der Energie-
wende in Deutschland entgegenstehen und mit unbeherrschbaren Risiken und

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/777

steigenden Kosten verbunden sind. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundes-
regierung auf, sich dem mit aller Macht entgegenzustellen.

In diesem Zusammenhang gilt es auch, die von der EU-Kommission geforderte
Einführung von Ausschreibungssystemen beim Ausbau erneuerbarer Energien zu
hinterfragen. In der Praxis haben derartige Ausschreibungssysteme keinen dyna-
mischen Ausbau bewirkt und zudem höhere Preise für Ökostrom zur Folge. Der
Deutsche Bundestag sieht die von der EU vorgesehene Regelung als kontrapro-
duktiv an. Er kritisiert zudem den Beschluss der Bundesregierung, die neue EU-
Regelung im Vorgriff und über das Erforderliche hinaus umzusetzen, indem im
EEG ab 2017 auch der Bau von Anlagen unterhalb der von der Kommission vor-
geschlagenen Größe von 5 MW einer Ausschreibung unterzogen werden sollen.
Damit würden insbesondere Bürgergenossenschaften und kleinere Unternehmen
vom Energiemarkt ausgeschlossen werden. Das wäre das Ende der Bürgerenergie
in Deutschland und hätte gravierende Folgen für die Ausbaudynamik und die
Akzeptanz in der Öffentlichkeit. Der Deutsche Bundestag erwartet von der Bun-
desregierung, sich nicht nur für eine Lösung bei den Industrieprivilegien, sondern
ebenso intensiv für den Fortbestand eines bürgerfreundlichen Fördersystems
einzusetzen.

Der Deutsche Bundestag sieht in der sich aktuell abzeichnenden EU-Klima- und
Energiepolitik zudem die Gefahr negativer volkswirtschaftlicher Konsequenzen.
Klimaschutz und Energiewende haben in den vergangenen Jahren hunderttausen-
de Arbeitsplätze geschaffen und enorme Investitionen ausgelöst. Die Europäische
Kommission selbst hat berechnet, dass eine ambitionierte Zieltrias für 1,25 Milli-
onen neue Jobs in Europa sorgen würde. Eine europäische Klima- und Energie-
politik, die Atom und Kohle begünstigt, behindert dagegen all jene Unternehmen,
die in Erwartung einer ambitionierten Klimapolitik in erneuerbare Energien, Effi-
zienz und Klimaschutz investiert haben. Bereits getätigte Investitionen drohen so
zum Verlustgeschäft zu werden, neue Investitionen werden geschoben oder gar
gestoppt, mit negativen Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung und die inter-
nationale Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union. Eine solche rückwärts-
gewandte und innovationsfeindliche Entwicklung einer europäischen Energiepo-
litik würde auch die Schieflage bei der Verteilung der Kosten weiter verstärken,
Großunternehmen könnten weiterhin von niedrigen Börsenstrompreisen profitie-
ren, wogegen nichtprivilegierte Letztverbraucher eine weiter ansteigende EEG-
Umlage und damit die Kosten der Energiewende alleine schultern müssten. Da-
rüber hinaus führt diese Politik nicht dazu, die enormen Kosten für den Import
von Öl, Gas und Kohle in Höhe von 500 Mrd. Euro in die Europäische Union zu
reduzieren und damit die Volkswirtschaften in Europa durch eigene Wertschöp-
fung zu stabilisieren und zu stärken.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich bei den Beratungen der EU-Klima- und Energieziele mit Nachdruck
dafür einzusetzen, dass

die verbindliche Zieltrias beibehalten und mit folgenden Zielwerten un-
terlegt wird: Verringerung der CO2-Emission um mindestens 55 Prozent
bis 2030 und um mindestens 30 Prozent bis 2020 gegenüber dem Stand
von 1990, Anstieg des Anteils erneuerbarer Energien am Bruttoenergie-
verbrauch auf mindestens 45 Prozent sowie eine Senkung des Energie-
verbrauchs um mindestens 40 Prozent bis 2030;
für diese Bereiche verbindliche nationale Ziele für die einzelnen Mit-
gliedstaaten festgelegt werden;
Drucksache 18/777 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

2. sich für folgende Maßnahmen zur Stärkung des EU-Emissionshandels-
systems einzusetzen:

dass die von der EU-Kommission vorgeschlagene Marktstabilitätsreser-
ve schon deutlich vor 2020 eingeführt wird, spätestens jedoch ab dem
Jahr 2016;
dass es eine unabhängige Prüfung und gegebenfalls eine Absenkung des
durch die Marktstabilitätsreserve anvisierten Zertifikatekorridors (der-
zeit zwischen 400 Millionen und 833 Millionen Zertifikaten) ermöglicht
wird;
dass die jährliche lineare Reduktionsrate der zulässigen Gesamtemissio-
nen von derzeit 1,74 Prozent schon vor 2020 erhöht wird, um sicherzu-
stellen, dass die langfristigen Klimaziele sicher erreicht werden;
dass die im Rahmen der europäischen Backloading-Entscheidung vorü-
bergehend vom Markt zu nehmenden 900 Millionen Emissionszertifika-
te unmittelbar in diese Marktstabilitätsreserve überführt werden;
dass darüber hinaus eine dauerhafte Entnahme (set-aside) der derzeit
überschüssigen zwei Milliarden Emissionszertifikate aus dem europäi-
schen Emissionshandelssystem erfolgt;
dass unabhängig davon eine europäische Preisuntergrenze für Emissi-
onszertifikate eingeführt wird, die in jedem Fall einen Mindestpreis für
CO2 sicherstellt und so Investitionssicherheit für den Klimaschutz
schafft;

3. beim Beihilfeprüfverfahren gegen die Industrieprivilegien im EEG einen
Kompromiss mit der EU-Kommission zu suchen und dazu eine Regelung,
etwa analog zur EU-Strompreiskompensationsrichtlinie, zu entwickeln und
mit der EU-Kommission abzustimmen, bei der nur noch tatsächlich stromin-
tensive Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, begünstigt
werden und so den Unternehmen die dringend notwendige Planungssicher-
heit zurückgegeben;

4. zur Stärkung der Verhandlungsposition im Hinblick auf die Vereinbarung
verbindlicher Effizienzziele unverzüglich einen Gesetzentwurf zur Umset-
zung der EU-Effizienzrichtlinie in nationales Recht vorzulegen, um die von
der EU gesetzte Frist bis Anfang Juni 2014 noch einzuhalten;

5. sich auf EU-Ebene in Bezug zum Entwurf der Beihilfevorschriften für Ener-
gie- und Umweltschutz dafür einzusetzen,

dass das effiziente System der Einspeisetarife für erneuerbar erzeugten
Strom beibehalten wird,
dass eine Gleichbehandlung von Strom aus erneuerbaren Energien und
Atomkraft verhindert und die Gewährung fester Einspeisevergütungen
für Atomstrom EU-rechtlich unterbunden wird,
die geplante Umstellung auf Ausschreibungsverfahren bei Anlagen zur
Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien mit einer Leistung ab
5 Megawatt abzuwenden und dafür Sorge zu tragen, dass auch künftig
Bürgergenossenschaften und kleinere Unternehmen sicher in den Aus-
bau erneuerbarer Energien investieren können.

Berlin, den 11. März 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.