BT-Drucksache 18/7748

gemäß § 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu dem Gesetzentwurf der Abgeordneten Katja Keul, Ulle Schauws, Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 18/5384 - Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches zur Verbesserung des Schutzes vor sexueller Misshandlung und Vergewaltigung

Vom 1. März 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7748
18. Wahlperiode 01.03.2016
Bericht
des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss)
gemäß § 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung

zu dem Gesetzentwurf der Abgeordneten Katja Keul, Ulle Schauws, Renate
Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksache 18/5384 –

Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches zur Verbesserung
des Schutzes vor sexueller Misshandlung und Vergewaltigung

A. Problem
In den Neunzigerjahren wurden die strafrechtlichen Vorschriften über die Vergewal-
tigung und sexuelle Nötigung wesentlich umgestaltet. Den bisherigen Nötigungsmit-
teln der Gewalt und Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben
wurde als weitere Tatvariante in § 177 Absatz 1 Nummer 3 Strafgesetzbuch (StGB)
die Nötigung unter Ausnutzung einer Lage hinzugefügt, in der das Opfer der Ein-
wirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist. Damit sollten Strafbarkeitslücken für
die Fälle geschlossen werden, in denen Frauen vor Schreck starr oder aus Angst vor
der Anwendung von Gewalt sexuelle Handlungen über sich ergehen lassen. Doch
die Rechtsprechung hat seitdem gezeigt, dass die „schutzlose Lage“ in Nummer 3
nicht geeignet ist, alle strafwürdigen Konstellationen zu erfassen. Von einer schutz-
losen Lage ist nach der Rechtsprechung auszugehen, wenn das Opfer bei objektiver
Ex-ante-Betrachtung keine Aussicht hat, sich den als mögliche Nötigungsmittel in
Betracht zu ziehenden Gewalthandlungen des Täters zu widersetzen, sich seinem
Zugriff durch Flucht zu entziehen oder fremde Hilfe zu erlangen. Die Anforderungen
an das Vorliegen einer schutzlosen Lage sind derart hoch, dass § 177 Absatz 1 Num-
mer 3 häufig nicht im sozialen Nahbereich zum Tragen kommt, obwohl dort die
meisten sexuellen Übergriffe stattfinden. In zahlreichen Fällen erfolgte die Einstel-
lung des Verfahrens daher nicht wegen Mangels an Beweisen, sondern ausdrücklich
wegen der Nichterfüllung des Tatbestandes.
Das Sexualstrafrecht geht bis heute von einem idealisierten Opferverhalten aus. Ob-
wohl gerade im häuslichen Bereich, bzw. bei Taten die durch Verwandte oder Be-
kannte begangen werden, die Opfer oft auf Grund von Überraschungssituationen,
Angst oder Schock, keine Gegenwehr leisten können, setzt § 177 StGB zur Verwirk-
lichung des Tatbestandes der sexuellen Nötigung oder der Vergewaltigung bis heute
den Einsatz eines qualifizierten Nötigungsmittels voraus. Der Täter muss Gewalt
angewandt, mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben des Opfers gedroht,
oder eine objektiv schutzlose Lage des Opfers ausgenutzt haben, um sich gemäß
§ 177 StGB wegen sexueller Nötigung bzw. Vergewaltigung strafbar gemacht zu

Drucksache 18/7748 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
haben. Aus der Formulierung „Leib oder Leben“ folgt dabei laut Bundesgerichtshof
sogar, dass nicht jede Drohung mit einer Körperverletzung genügt, um den Tatbe-
stand zu verwirklichen. Es muss ferner eine „zweckbestimmte Verknüpfung zwi-
schen dem Nötigungsmittel und dem Taterfolg vorliegen“. Die Gewalt muss also der
Herbeiführung der sexuellen Handlung dienen. Eine allgemeine, auf frühere Gewalt-
anwendung gegründete Furcht des Opfers reicht meist nicht aus. Wenn der Täter das
Opfer daher zunächst aus einem anderen Grund angreift und erst danach den Ent-
schluss fasst mit der Verängstigten den Beischlaf zu vollziehen, ist der Tatbestand
des § 177 StGB nicht erfüllt. Genauso verhält es sich laut Bundesgerichtshof, wenn
ein Täter gegen den erklärten Willen eines Opfers mit ihm den Beischlaf vollzieht
und dieses lediglich auf Grund der Anwesenheit von Kindern im Nebenraum keine
Gegenwehr leistet.
Auch sogenannte „Überraschungsfälle“ werden nicht erfasst. Dringt der Täter in das
schlafende Opfer gegen dessen Willen ein, stellt das Eindringen in den Körper laut
Bundesgerichtshof noch keine Vergewaltigung im Sinne des § 177 StGB dar, da
dieser voraussetzt, dass das Opfer das sexuelle Ansinnen des Täters erkannt sowie
einen entgegenstehenden Willen gebildet hat. Daran fehlt es aber nach dem Bundes-
gerichtshof, wenn der Täter die sexuelle Handlung so überraschend vornimmt, dass
die Angegriffene einen Abwehrwillen nicht bilden konnte.
Mit der Anknüpfung an eine aktive Widerstandsleistung seitens des Opfers, wird die
Erfüllung des Tatbestandes durch den Täter auch abhängig vom Opferverhalten. Er-
fährt die Angegriffene, dass die Strafbarkeit wegen eines Sexualdelikts auf Grund
ihres passiven Verhaltens entfällt, kann das Opfer unter Schuldgefühlen leiden; es
findet eine erneute Viktimisierung statt.
Durch die derzeitige Ausgestaltung des § 177 StGB und die restriktive Auslegung
der Norm durch den Bundesgerichtshof wird der Schutzbereich der sexuellen Selbst-
bestimmung nach wie vor in nicht hinnehmbarer Weise verkürzt.

B. Lösung
Eine Neufassung des § 177 StGB mit dem Ziel, die derzeitigen Schutzlücken soweit
wie möglich zu schließen, ohne dabei sozialadäquates sexuelles Anbahnungsverhal-
ten zu kriminalisieren.

C. Alternativen
Keine.

D. Kosten
Wurden im Ausschuss bislang nicht erörtert.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7748
Bericht der Vorsitzenden des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz,
Renate Künast

I. Verlangen eines Berichts

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat gemäß § 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Deutschen Bun-
destages einen Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz über den Stand der Beratungen des
Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/5384 verlangt. Die Voraussetzungen für die Berichterstattung liegen vor.

II. Überweisung

Der Deutsche Bundestag hat die Vorlage auf Drucksache 18/5384 in seiner 127. Sitzung am 1. Oktober 2015
beraten und an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz zur federführenden Beratung und an den Innen-
ausschuss sowie an den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur Mitberatung überwiesen.

III. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse der mitberatenden Ausschüsse

Der Innenausschuss und der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend haben die Vorlage 18/5384
bislang noch nicht beraten.

IV. Beratungsverlauf im federführenden Ausschuss

Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz hat die Vorlage in seiner 80. Sitzung am 16. Dezember 2015
beraten und in seiner 81. Sitzung am 13. Januar 2016 die Durchführung einer öffentlichen Anhörung dem Grunde
nach beschlossen. In seiner 87. Sitzung am 17. Februar 2016 und in seiner 91. Sitzung am 24. Februar 2016 hat
er beschlossen, zu der Vorlage keine öffentliche Anhörung am 14. März 2016 durchzuführen.

Berlin, den 29. Februar 2016

Renate Künast
Vorsitzende

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.