BT-Drucksache 18/7668

Atomkraftwerk Cattenom sofort abschalten

Vom 24. Februar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7668
18. Wahlperiode 24.02.2016
Antrag
der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn,
Oliver Krischer, Christian Kühn (Tübingen), Steffi Lemke, Peter Meiwald,
Dr. Julia Verlinden, Dr. Tobias Lindner, Tabea Rößner, Corinna Rüffer,
Markus Tressel, Harald Ebner, Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden),
Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, Dr. Valerie Wilms und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Atomkraftwerk Cattenom sofort abschalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die vier Reaktoren des französischen Atomkraftwerks Cattenom liegen nur elf Ki-
lometer von der deutschen Grenze und weniger als 60 Kilometer von Trier und Saar-
brücken entfernt. Allein im Einzugsgebiet von 30 Kilometern leben 800.000 Men-
schen. Im Umkreis von 75 Kilometern sind es bereits über 3 Millionen Menschen,
die von einem Unfall in Cattenom direkt und unmittelbar betroffen wären.
Sachverständige und Kritiker wie Dieter Majer bemängelten bereits vor Jahren, dass
die Anlage nur einen unzureichenden Überflutungs- und Erdbenschutz besitzt und
Nachweise über die Auswirkungen extremen Schneefalls fehlten. Es gibt zudem er-
hebliche Zweifel an der Zuverlässigkeit elektrischer Einrichtungen, von Kabelfüh-
rungen, Pumpen und Wasserzuleitungen. Auch gegen den Absturz eines Flugzeugs
ist die Anlage nicht ausreichend gesichert. Dabei liegt der luxemburgische Flughafen
gerade einmal 22 Kilometer von der Anlage entfernt, die Flughäfen Metz-Nancy und
Saarbrücken befinden sich ebenfalls in der Nähe. Die französischen AKW wurden
gegen die Einwirkungen aus kleinen Zivilflugzeugen von weniger als sechs Tonnen
ausgelegt. Von den benannten Flughäfen starten jedoch auch regelmäßig Flugzeuge,
die deutlich mehr wiegen, darunter die Boeing 737-700 mit einem Leergewicht von
etwa 38 Tonnen oder der Airbus A330-200 mit einem Leergewicht von 168 Tonnen.
Nun hat Professor Dr. Manfred Mertins – bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand
über viele Jahre hinweg einer der wichtigsten Sachverständigen der Bundesregie-
rung – im Auftrag der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Gut-
achten „Risiken des grenznahen AKW Cattenom“ vorgelegt. Er kommt zu alarmie-
renden Ergebnissen, die nur einen Schluss zulassen: Das AKW Cattenom muss so-
fort abgeschaltet werden.
So gibt es Defizite bei sicherheitstechnischen Einrichtungen zur Wärmeabfuhr sowie
der Notstromversorgung. Mehrere sicherheitstechnische Einrichtungen sind „ver-
mascht“, das heißt nicht unabhängig und voneinander getrennt. Damit besteht das
Risiko, dass bei einem Fehler nicht nur eine Einrichtung, sondern gleich mehrere
ausfallen. Laut Professor Mertins kann für das AKW Cattenom sowohl hinsichtlich

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Erdbeben als auch Überflutungen keine ausreichende Widerstandsfähigkeit bestätigt
werden: Wichtige sicherheitsrelevante Einrichtungen sind nicht für seismische Ein-
wirkungen qualifiziert, würden also ausfallen. Der Schutz gegen Einwirkungen aus
einem Flugzeugabsturz ist z. B. in Bezug auf die Lagerung abgebrannter Brennele-
mente im Vergleich zu deutschen Anlagen geringer ausgeführt.
Eine von der französischen Atomaufsicht geforderte Nachrüstung, der sogenannte
Hardened Safety Core, entlarvt das Gutachten als zweifelhafte Beruhigungspille:
Nachgerüstet würde frühestens ab 2020. Zudem ist eine „Verschlimmbesserung“
nicht ausgeschlossen. Denn ob die versprochene Nachrüstung aktuellen Anforderun-
gen entspricht, ist unbelegt, und Aussagen zur Kompatibilität mit der bestehenden
Anlagenauslegung sind nicht verfügbar.
Rheinland-Pfalz, das selbst in seiner Geschichte lediglich ein einziges Atomkraft-
werk (Mülheim-Kärlich) für eine kurze Laufzeit von 30 Monaten am Netz hatte, ist
ebenso wie das Saarland, das nie ein Atomkraftwerk besaß, dem atomaren Risiko
des störanfälligen Atomkraftwerks Cattenom ausgesetzt.
Die Ergebnisse des Gutachtens lassen sich in drei zentralen Aussagen zusammen-
fassen:
Erstens: Cattenom erfüllt nicht die europäischen Mindestanforderungen an bestehen-
de AKW, die auch von der französischen Atomaufsicht beschlossen wurden. Mithin
wird Cattenom den in Frankreich geltenden Regeln nicht gerecht.
Zweitens: Die Beherrschbarkeit von Kernschmelzunfällen ist nicht nachgewiesen.
Cattenom hat derart viele und gravierende Defizite, dass eine ausreichend zuverläs-
sige Störfallsicherheit nicht gegeben ist. Stünde die Anlage auf der deutschen Seite
der Grenze – sie müsste sofort stillgelegt werden.
Drittens: Ließe sich Cattenom auch durch noch so aufwändige Nachrüstungen nicht
auf den Stand von Wissenschaft und Technik bringen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. mit Frankreich bilaterale Verhandlungen zum Zweck einer unverzüglichen Still-
legung des grenznahen, besonders anfälligen und alten Atomkraftwerks Catte-
nom aufzunehmen,

2. die Abschaltforderungen aus den Bundesländern Rheinland-Pfalz und Saarland
sowie der luxemburgischen Regierung mit allen ihr zur Verfügung stehenden
Mitteln zu unterstützen.

Berlin, den 23. Februar 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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