BT-Drucksache 18/7652

Intelligente Mobilität fördern - Rechtssichere Regelung zur Ausweisung von Carsharing-Stationen schaffen

Vom 24. Februar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7652
18. Wahlperiode 24.02.2016
Antrag
der Abgeordneten Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden), Markus Tressel,
Dr. Valerie Wilms, Annalena Baerbock, Harald Ebner, Bärbel Höhn, Sylvia
Kotting-Uhl, Christian Kühn (Tübingen), Steffi Lemke, Nicole Maisch, Peter
Meiwald, Friedrich Ostendorff, Dr. Julia Verlinden, Britta Haßelmann, Corinna
Rüffer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Intelligente Mobilität fördern – Rechtssichere Regelung zur Ausweisung von
Carsharing-Stationen schaffen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mobilität ist intelligent, wenn sie auf einer digital unterstützten Vernetzung unter-
schiedlicher umweltfreundlicher Verkehrsangebote basiert. In einem modernen Mo-
bilitätssystem greifen Bahnen und Busse, öffentlicher Personennahverkehr, Fahrrad
und Auto nahtlos ineinander. Mobil sein heißt immer selbstverständlicher, die ge-
eignetste Fahrtoption über das Internet auszuwählen. Statt mit dem Auto im Stau zu
stehen und den letzten freien Parkplatz zu suchen, steigen Bürgerinnen und Bürger
flexibel und bequem ein, zu und um, um ihre Ziele zu erreichen.
Carsharing ist ein Bestandteil der modernen Mobilitätswelt. Es macht motorisierten
Individualverkehr in Minutenschnelle zugänglich, entkoppelt ihn aber vom teuren
und aufwändigen Besitz eines Privat-Pkw. Carsharing entlastet die Umwelt, da es
ergänzend mit anderen Verkehrsmitteln des Umweltverbundes genutzt wird, und
vermindert den Verbrauch von Ressourcen.
Auch die Bundesregierung hat erkannt, dass Carsharing zu einem wichtigen Seg-
ment nachhaltiger städtischer Mobilität geworden ist, das langfristig zu einer Redu-
zierung des Flächenbedarfs für das Parken und damit zu einer qualitativen Verbes-
serung im Wohnumfeld führt. Die Bundesregierung ist überzeugt, dass Carsharing
geeignet ist, zu der gewünschten breiten und schnelleren Marktdurchdringung um-
weltschonender Antriebstechnologien beizutragen (vgl. Antwort der Bundesregie-
rung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Bundes-
tagsdrucksache 18/4356). Folgerichtig hat die Bundesregierung die Unterstützung
von Carsharing in Städten als Maßnahme zur klimafreundlichen Gestaltung des Per-
sonenverkehrs in ihr Klimaschutz-Aktionsprogramm 2020 aufgenommen.
Das Teilen und die gemeinschaftliche Nutzung von Kraftfahrzeugen erfahren in
Deutschland einen stark wachsenden Zuspruch. In den vergangenen fünf Jahren hat
sich die Anzahl der registrierten Fahrberechtigten sowie der zur Verfügung gestell-
ten Fahrzeuge annähernd verzehnfacht. Carsharing wird bundesweit in rund
500 Städten angeboten.

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Carsharing profitiert von der guten Erreichbarkeit und beständigen Nutzbarkeit spe-
ziell ausgewiesener Parkflächen. Um Carsharing-Stationen im öffentlichen Ver-
kehrsraum einrichten und damit eine gesicherte Bereitstellung von Mobilitätsdienst-
leistungen durch Carsharing-Unternehmen gewährleisten zu können, benötigen
Kommunen sichere Rechtsgrundlagen. Von entscheidender Bedeutung sind dabei
bundesweit einheitliche Rahmenbedingungen, die die unterschiedlichen Carsharing-
Modelle gleichermaßen berücksichtigen. Nur so können die Potentiale des Carsha-
ring ausgeschöpft und Wettbewerbsverzerrungen verhindert werden. So sind insbe-
sondere stationsbasierte Angebote darauf angewiesen, dass eine feste und eindeutige
Zuordnung von Stellplatz und Carsharing-Fahrzeug beziehungsweise -Unternehmen
erfolgen kann.
Die Bundespolitik ringt seit vielen Jahren um die geforderte bundeseinheitliche ge-
setzliche Regelung für die Ausweisung von Carsharing-Stellflächen. Auch Bundes-
verkehrsminister Alexander Dobrindt hat ein Gesetz zur Förderung von Carsharing
angekündigt (vgl. Bild-Zeitung vom 22.4.2015, Frankfurter Allgemeine Zeitung
vom 10.1.2015), bleibt bislang jedoch der dritte Amtsinhaber in Folge, der Bundes-
tag und Bundesrat kein Carsharing-Gesetz vorlegen konnte.
Der Deutsche Bundestag stellt fest, dass die Bundesregierung das im Klimaschutz-
aktionsprogramm beschlossene Ziel, im Jahr 2015 Carsharing durch ein Carsharing-
Gesetz zu unterstützen, nicht umgesetzt hat. Der Deutsche Bundestag nimmt ferner
zur Kenntnis, dass die SPD-Bundestagsfraktion Bundesverkehrsminister Alexander
Dobrindt vorwirft, einen Gesetzentwurf unnötig zu verzögern und zu verkomplizie-
ren. Die sozialdemokratische Fraktion hat in diesem Zusammenhang beklagt, dass
„das Thema von Beamten im Ministerium blockiert wird“, obwohl es eine Lösung,
juristische Gutachten und den Willen beider Koalitionsfraktionen gebe (vgl. SPIE-
GEL ONLINE vom 8. Januar 2016).
Anstatt das Bestehende zu verteidigen ist der Gestaltungswille des Bundesgesetzge-
bers zugunsten neuer Mobilitätsdienstleistungen gefragt. Mehrere Rechtsgutachten
belegen: Eine bundeseinheitliche Regelung für Stellflächen, die Carsharing-Fahr-
zeugen eines bestimmten Anbieters vorbehalten werden, kann auf Grundlage des
Straßenverkehrsrechtes verfassungskonform erfolgen. Es ist überfällig, dass die
Bundesregierung ihre rechtliche Kompetenz wahrnimmt, um die derzeit improvi-
sierten Lösungswege verschiedener Länder, die rechtlich nicht überzeugen, durch
eine eindeutige und einheitliche Regelung zu ersetzen. Wer das Autoteilen und eine
Ausweitung des Angebots fördern will, muss die bestehende Rechtszersplitterung in
Deutschland beenden und die Planungssicherheit für Carsharing-Unternehmen erhö-
hen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

a) einen Gesetzentwurf vorzulegen, der
1. auf Grundlage des Straßenverkehrsrechtes eine Bevorrechtigung des stati-

onsbasierten und stationsunabhängigen Carsharing in Kommunen ermög-
licht;

2. das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur gemeinsam
mit dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi-
cherheit und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie verpflich-
tet, in unselbständigen Verordnungen nach § 6 Absatz 1 des Straßenverkehrs-
gesetzes Bevorrechtigungstatbestände für Carsharing zu definieren und hier-
bei insbesondere die Ausweisung separater gesicherter Stellflächen für an-
bieterspezifische Carsharing-Parkplätze zu ermöglichen;

3. die Befreiung von Parkgebühren für Carsharing-Fahrzeuge ermöglicht;
4. die Definition und Kennzeichnung, insbesondere Verkehrszeichen und Ver-

kehrseinrichtungen, für Carsharing-Fahrzeuge beinhaltet;

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7652
b) ein Leitkonzept für die städtische Mobilität vorzulegen, das die Bedingungen

für den Fußgänger- und Radverkehr verbessert und den ÖPNV stärkt, die Poten-
tiale von Carsharing hebt, die Flächenknappheit und Fahrzeugdichte im öffent-
lichen Straßenraum vermindert, die Abhängigkeit von fossilen Kraftstoffen re-
duziert, die CO2-Emissionen absenkt und Luftschadstoffe wirksam bekämpft;

c) eine verkehrsträgerübergreifende Strategie zu intelligenter Mobilität auf Basis
erneuerbarer Energien und digitaler Unterstützung vorzulegen, die soziale Inno-
vationen wie Carsharing und Ridesharing beinhaltet.

Berlin, den 23. Februar 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

Mehr als eine Millionen Fahrberechtigte setzen auf Carsharing bei rund 150 Carsharing-Anbietern in Deutsch-
land. Carsharing boomt. Sowohl stationsunabhängiges als auch stationsbasiertes Carsharing verzeichnet ein
starkes Kundenwachstum. Während die stationsunabhängigen Systeme sich auf wenige deutsche Großstädte
über 500.000 Einwohner beschränken und dort ihr Wachstum erzielen, bedienen stationsbasierte Carsharer die
Nachfrage weiterhin in die Fläche. Kleine und mittelständische Initiativen sind die Garanten für Carsharing-
Angebote in ganz Deutschland.
Positive Bespiele wie das der Stadt Bremen zeigen, dass mit einer gezielten Förderung des Autoteilens bis zu
zehn Privatwagen durch ein Carsharing-Auto ersetzt werden können und sich der Parkdruck in Stadtquartieren
stark verringern lässt. Berechnungen der Verbraucherorganisation Stiftung Warentest ergeben, dass sich Car-
sharing vor allem für Menschen lohnt, die auf ein eigenes Auto verzichten und nicht mehr als 5.000 Kilometer
im Jahr fahren. Die Umweltbewusstseinsstudie 2015 kommt zu dem Ergebnis, dass das Potential von Carsharing
bei einem Viertel der deutschen Bevölkerung liegt. Insbesondere jüngere Menschen befürworten neue Mobili-
tätskonzepte. Die gleiche Studie zeigt auf, dass 82 Prozent der Befragten sich wünschen, dass der Autoverkehr
an ihrem Wohnstandort zurückgedrängt wird.
Bereits 2005 hat der Deutsche Bundestag die Bundesregierung erstmals aufgefordert, die Schaffung eines dich-
ten Carsharing-Stationsnetzes mit wohnortnahem Zugang und an Knotenpunkten des öffentlichen Verkehrs zu
unterstützen und gemeinsam mit den Ländern durch eine Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und der Stra-
ßenverkehrsordnung eine Einrichtung von reservierten Carsharing-Stellplätzen im öffentlichen Verkehrsraum
zu ermöglichen. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung hat im März 2007 einen Re-
ferentenentwurf vorgelegt, der auf Grundlage des Straßenverkehrsgesetzes und der Straßenverkehrsordnung
eine Möglichkeit für Kommunen schaffen sollte, für Carsharing bestimmte Parkzonen einzurichten. Dieser Ent-
wurf stellte heraus, dass „das größte Problem für das weitere Wachstum dieser innovativen Verkehrsdienstleis-
tung (…) in der bisherigen Restriktion“ liege, „dass Carsharing-Stationen nicht auf Stellplätzen im öffentlichen
Straßenraum eröffnet werden können“ (vgl. Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 2015). Der Referenten-
entwurf aus dem BMVBS scheiterte jedoch am Widerstand des Bundeswirtschaftsministeriums. Der Bundesrat
hat in den Jahren 2009 und 2013 die Bundesregierung ebenfalls aufgefordert, rechtssichere Ausweisungsmög-
lichkeiten für Carsharing-Stellplätze zu schaffen und dabei auch anbieterspezifische Regelungen zu prüfen.
Auch der Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages hat im Jahr 2012 die Bundesregierung zu einem neuen
Anlauf für eine gesetzliche Regelung aufgefordert.
Die Bundesregierung hat mit ihrem Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 beschlossen, Carsharing durch ein
eigenständiges Carsharing-Gesetz zu unterstützen und dadurch die Entwicklung des Carsharing-Marktes voran-
zutreiben. Ebenso hat sie auf Nachfrage der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bekannt, den
unterschiedlichen Bedürfnisse der stationsgebundenen und stationsunabhängigen Carsharing-Anbieter im Ge-

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
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setzentwurf Rechnung tragen zu wollen (vgl. Bundestagsdrucksache 18/6763). Politisch wird die Bundesregie-
rung seit vielen Jahren in diesem Vorhaben breit unterstützt. So hat die Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN schon im Jahr 2009 gefordert, eine Gesetzesänderung zur Bevorrechtigung von Carsharing im öf-
fentlichen Verkehrsraum zügig auf den Weg zu bringen (vgl. Bundestagsdrucksache 16/12863).
Ebenso unterstützen Organisationen wie der Deutsche Städte- und Gemeindebund, der Deutsche Städtetag, der
ADAC sowie zahlreiche Umweltverbände die Ausweitung von Carsharing. Große Unternehmen wie die Deut-
sche Bahn AG, BMW und Daimler sind auf dem Carsharing-Markt aktiv und wollen ihre Angebote verbessern.
Eine Mobilitätsstudie von car2go und DriveNow aus dem Jahr 2015 stellt fest: „Mit angemessenen politischen
Weichenstellungen und im gegenseitigen Zusammenwirken der Städte mit den Anbietern des Free-Floating-
Carsharing, stationsbasiertem Carsharing sowie anderen Verkehrsträgern kann es gelingen, den urbanen Ver-
kehrsmittelmix zu optimieren bzw. für alle Stadtbewohner attraktiv zu gestalten“.
Tatsächlich schließen Unternehmen und Verbünde des öffentlichen Nahverkehrs zunehmend Kooperationen
mit Carsharing-Anbietern und optimieren damit die Anschlussmobilität ihrer Kundinnen und Kunden. Das Pro-
jekt „WiMobil“ hat ermittelt, dass 51 Prozent der Flinkster- und 43 Prozent der DriveNow-Kunden ein Abon-
nement für den öffentlichen Verkehr besitzen. Vision ist ein klimafreundliches Mobilitätssystem, in dem Elek-
tro-Carsharing-Fahrzeuge die Passagiere des öffentlichen Verkehrs von Bahnstationen oder Busterminals aus
die letzten Kilometer zu ihrem individuellen Ziel bringen und anschließend autonom zu ihrem Stellplatz zu-
rückfahren können.
Die derzeitige Gesetzeslage behindert die Entfaltung von Carsharing. In einzelnen Kommunen wird auf unter-
schiedliche Weise improvisiert Parkraum im Wege von Sondernutzungserlaubnissen eingeräumt, was aber
grundsätzlich nur befristet und widerruflich möglich ist. Da das Parken ein ausschließlich straßenverkehrsrecht-
licher Vorgang ist, besitzt der Bund eine grundsätzliche Gesetzgebungskompetenz für die Regelung von Car-
sharing-Stationen auf Grundlage von Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Grundgesetz. Als Hindernis für eine Gesetzesände-
rung, die Carsharing im öffentlichen Straßenraum begünstigt, galt die sogenannte Privilegienfeindlichkeit des
Straßenverkehrsrechts, wonach eine Bevorrechtigung unvereinbar sei mit dem verfassungsrechtlichen Gleich-
heitsgrundsatz. Rechtsgutachten stellen fest, dass Parkvorrechte aus Gründen des Klima- und Umweltschutzes
zulässig sein können.
Intelligente Mobilität auf Basis erneuerbarer Energien und digitaler Vernetzung – das ist das zentrale Ziel einer
klimafreundlichen Verkehrswende. Die verkehrs- und umweltpolitische sowie stadtplanerische Bedeutung von
Carsharing ist unstrittig. Es ist daher nicht nachvollziehbar, warum die Bundesregierung seit 10 Jahren nicht in
der Lage ist, Carsharing straßenverkehrsrechtlich abzusichern und die Grundausrichtung des Straßenverkehrs-
rechts um Belange des Klimaschutzes zu erweitern. Noch im März 2015 hat die Bundesregierung auf Anfrage
der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Absicht bekundet, „in Kürze“ einen Gesetzentwurf
vorzulegen (vgl. Bundestagsdrucksache 18/4356). Im November 2015 soll sich der Gesetzentwurf zur Bevor-
rechtigung des Carsharing „in der Schlussabstimmung“ befunden haben (vgl. Bundestagsdrucksache 18/6763).
Tatsächlich blockiert das Bundesverkehrsministerium noch immer eine auf bundesgesetzlicher Kompetenz ba-
sierende einheitliche Regelung für stationsbasierte Anbieter und für alle Straßen.

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