BT-Drucksache 18/7637

Deutsche Waffen im türkischen Bürgerkrieg

Vom 19. Februar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7637
18. Wahlperiode 19.02.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan van Aken, Christine Buchholz, Annette Groth,
Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko, Katrin Kunert, Kathrin Vogler
und der Fraktion DIE LINKE.

Deutsche Waffen im türkischen Bürgerkrieg

Spätestens seit dem Sommer 2015 geht die türkische Regierung in immer drasti-
scherer Weise gegen Kurdinnen und Kurden in der Türkei vor und hat einige Re-
gionen des Landes faktisch unter Ausnahmezustand gestellt. Im Falle der Offen-
siven von türkischer Armee, Paramilitärs und Polizei werden dabei immer mehr
Zivilisten verletzt und getötet; beim Kampf gegen vermeintliche oder tatsächliche
Mitglieder der Kurdischen Arbeiterpartei PKK bricht die Türkei nach Auffassung
der Fragesteller humanitäres Völkerrecht. Beim Vorgehen des türkischen Militärs
gegen aufständische Teile der kurdischen Bevölkerung findet keine Unterschei-
dung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten statt.
Die Türkei und Deutschland verbinden jahrzehntelange enge Beziehungen, auch
und gerade im Bereich der militärischen und rüstungsindustriellen Zusammenar-
beit. Deutschland hat die Türkei über Jahrzehnte mit schweren und leichten
Kriegswaffen ausgestattet, die jederzeit auch gegen die kurdische Minderheit und
andere missliebige oppositionelle Gruppierungen in der Türkei eingesetzt werden
können.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Endverbleibserklärungen der Türkei existieren für die Lieferung

deutscher Waffen und Rüstungsgüter, die den Einsatz derselben bei inneren
Unruhen bzw. innerstaatlichen Konflikten bzw. gegen bewaffnete interne
Opposition ausschließen sollen (bitte einzeln auflisten)?

2. Welche Endverbleibserklärungen der Türkei existieren für die Produktion
von Waffen und Rüstungsgütern, die auf der Basis deutscher Herstellungs-,
Fertigungs- und Technologieunterlagen (zusammenfassend: Lizenzproduk-
tionen) gefertigt werden, die den Einsatz dieser Güter bei inneren Unruhen
bzw. innerstaatlichen Konflikten bzw. gegen bewaffnete interne Opposition
ausschließen sollen?

3. Wurden die in den Jahren 1990 bis 1994 an die Türkei gelieferten Leo-
pard 1-Panzer nach Kenntnis der Bundesregierung bislang tatsächlich „aus-
schließlich in Übereinstimmung mit Artikel 5 des NATO-Vertrages (Vertei-
digung gegen bewaffnete Angriffe)“ und zu keinem Zeitpunkt bei inneren
Unruhen bzw. innerstaatlichen Konflikten bzw. gegen bewaffnete interne
Opposition eingesetzt (Antwort der Bundesregierung vom 22. November
2011 auf die Schriftliche Frage 51 des Abgeordneten Jan van Aken auf Bun-
destagsdrucksache 17/7084)?

Drucksache 18/7637 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

4. Wurden andere im Rahmen der NATO-Verteidigungshilfe an die Türkei ge-
lieferte Waffen und Rüstungsgüter nach Kenntnis der Bundesregierung bis-
lang tatsächlich „ausschließlich in Übereinstimmung mit Artikel 5 des
NATO-Vertrages (Verteidigung gegen bewaffnete Angriffe)“ und zu keinem
Zeitpunkt bei inneren Unruhen bzw. innerstaatlichen Konflikten bzw. gegen
bewaffnete interne Opposition eingesetzt (Antwort der Bundesregierung
vom 22. November 2011 auf die Schriftliche Frage 51 des Abgeordneten Jan
van Aken auf Bundestagsdrucksache 17/7084)?

5. Schließt die einschränkende Bestimmung „ausschließlich in Übereinstim-
mung mit Artikel 5 des NATO-Vertrages (Verteidigung gegen bewaffnete
Angriffe)“ nach Ansicht der Bundesregierung den Einsatz der jeweiligen
Waffen und Rüstungsgüter bei inneren Unruhen bzw. innerstaatlichen Kon-
flikten bzw. gegen bewaffnete interne Opposition aus (Antwort der Bundes-
regierung vom 22. November 2011 auf die Schriftliche Frage 51 des Abge-
ordneten Jan van Aken auf Bundestagsdrucksache 17/7084)?

6. Vor welchem konkreten Hintergrund und mit welcher Intention wurde die
einschränkende Bestimmung „ausschließlich in Übereinstimmung mit Arti-
kel 5 des NATO-Vertrages (Verteidigung gegen bewaffnete Angriffe)“ zum
damaligen Zeitpunkt in die „zugrunde liegenden Verträge“ aufgenommen?

7. Welche Rolle spielten die militärischen Offensiven der türkischen Armee ge-
gen die PKK und die Berichte in der europäischen Öffentlichkeit über Men-
schenrechtsverletzungen der Türkei bei der Aufnahme dieser Bestimmung?

8. Welche ausschließenden Bestimmungen existieren im Wortlaut in den „zu-
grunde liegenden Verträgen“ (bitte unter Anfügung von Kopien der jeweili-
gen Verträge bzw. Abkommen)?

9. Welche ausschließenden Bestimmungen in Art der genannten (siehe Frage 3)
gibt es in weiteren militärischen Kooperationsverträgen mit der Türkei (bitte
unter Beifügung der jeweiligen Verträge bzw. Abkommen)?

10. Vor welchem konkreten Hintergrund und mit welcher Intention wurde ab
welchem Zeitpunkt darauf verzichtet, die einschränkende Bestimmung „aus-
schließlich in Übereinstimmung mit Artikel 5 des NATO-Vertrages (Vertei-
digung gegen bewaffnete Angriffe)“ bei Abgaben und Ausstattungshilfen
aufzunehmen?

11. Existierten oder existieren derartige ausschließende Bestimmungen außer-
halb des Rahmens von Endverbleibserklärungen im Zusammenhang von an-
deren stattgefundenen oder geplanten Exporten und Überlassungen von Waf-
fen und Rüstungsgütern in die Türkei (bitte unter Nennung des jeweiligen
Guts, Auftragsvolumens und Datums)?

12. Sind der Bundesregierung Fälle von Verletzungen der Endverbleibserklärun-
gen im Zusammenhang von aus Deutschland in die Türkei exportierten Waf-
fen durch die Türkei bekannt?
Wenn ja, welche (bitte unter Nennung des Guts, des Drittlandes, in welchem
das Gut auftauchte und des Datums des Bekanntwerdens des Vorfalls)?

13. Sind der Bundesregierung Fälle von Verletzungen anderer ausschließender
Bestimmungen (außerhalb des Rahmens von Endverbleibserkärungen) durch
die Türkei bekannt?
Wenn ja, welche?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7637
 

14. Hat die Bundesregierung nach der Lieferung der Leopard-Panzer in den Jah-
ren 1990 bis 1994 jemals die Botschaft in Ankara, den Bundesnachrichten-
dienst oder eine andere Stelle angewiesen, die Vertragstreue der türkischen
Regierung bezüglich des Vorbehalts der Nutzung „ausschließlich in Über-
einstimmung mit Artikel 5 des NATO-Vertrages“ zu überprüfen, und falls
ja, an wen erging welche genaue Weisung zu welchem Zeitpunkt, und wel-
ches Ergebnis hatte die Überprüfung?

15. Falls die Bundesregierung eine solche Weisung (Frage 14) nicht erteilt haben
sollte, kann die Bundesregierung tatsächlich mit Sicherheit ausschließen,
dass eine Verletzung des Vorbehalts durch die türkische Regierung nicht ge-
schehen ist, und falls die Bundesregierung dies ausschließen kann, auf wel-
cher Basis tut sie dies?

16. Waren türkische Anfragen nach Rüstungslieferungen und/oder Bundeswehr-
abgaben Gegenstand der Gespräche anlässlich der Regierungskonsultationen
und Staatsbesuche der vergangenen 36 Monate, und wenn ja, um welche
konkreten Exportvorhaben bzw. Abgaben ging es hierbei?

17. Von welchen Waffen oder sonstigen Rüstungsgütern aus Beständen der Na-
tionalen Volksarmee (NVA), die von Deutschland seit dem Jahr 1990 an die
Türkei überlassen oder verkauft worden sind, hat die Bundesregierung
Kenntnisse auf Basis der ihr zur Verfügung stehenden Unterlagen (bitte nach
Empfänger bzw. Behörde, Jahr, Gegenstand, Stückzahl und ggf. Genehmi-
gungswert aufschlüsseln)?

18. Wie beurteilt die Bundesregierung aktuell das Risiko, dass aus Deutschland
gelieferte bzw. in Lizenz in der Türkei hergestellte Rüstungsgüter bei Mili-
täroperationen gegen die kurdische Bevölkerung und/oder gegen die PKK
eingesetzt werden, und auf welche Informationen stützt sich diese Einschät-
zung?

19. Wie beurteilt die Bundesregierung aktuell das Risiko, dass aus Deutschland
gelieferte bzw. in Lizenz in der Türkei hergestellte Rüstungsgüter bei Mili-
täroperationen in den Grenzgebieten im Irak und/oder Iran und/oder in Sy-
rien durch die Türkei eingesetzt werden, und auf welche Informationen stützt
sich diese Einschätzung?

20. Welche Geschütze (Haubitzen, Panzerhaubitzen etc.) nutzte die Türkei nach
Kenntnis der Bundesregierung im Februar 2016, um Ziele in Syrien (Region
Afrin, Region Azaz) zu bekämpfen?

21. Wie viele Menschen sind nach Kenntnis der Bundesregierung bei diesen An-
griffen (Frage 20) ums Leben gekommen, und welche Kenntnisse besitzt die
Bundesregierung über zivile Opfer dieser Angriffe?

22. Wie beurteilt die Bundesregierung den türkischen Artilleriebeschuss Syriens
rechtlich?

23. Besitzt die Bundesregierung aktuell – auch nachrichtendienstliche – Er-
kenntnisse über Massierungsbewegungen des türkischen Militärs bzw. von
bewaffneten Sicherheitskräfte an den türkischen Grenzabschnitten zu den sy-
rischen Kurdengebieten, Rojava (bitte unter Beifügung der jeweiligen Be-
richte)?

Berlin, den 19. Februar 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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