BT-Drucksache 18/7597

Entschädigung für NS-Opfer in Italien

Vom 16. Februar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7597
18. Wahlperiode 16.02.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Annette Groth,
Dr. André Hahn, Andrej Hunko, Jan Korte, Dr. Alexander S. Neu, Petra Pau,
Harald Petzold (Havelland), Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Entschädigung für NS-Opfer in Italien

Die juristischen Auseinandersetzungen um die Entschädigungsforderungen von
NS-Opfern in Italien sind nach wie vor nicht beendet. Zwar hat der Internationale
Gerichtshof (IGH) im Jahr 2012 die Urteile der italienischen Justiz, mit denen
Deutschland zu Entschädigungsforderungen in Millionenhöhe verurteilt wurde,
als Verletzung der Staatenimmunität gewertet, aber der italienische Verfassungs-
gerichtshof hat mit seinem Urteil 238/2014 die Zuständigkeit der italienischen
Justiz für solche Verfahren bekräftigt. Daher ist auch in Zukunft damit zu rech-
nen, dass Deutschland vor italienischen Gerichten zu Entschädigungszahlungen
verurteilt werden wird. Diese können zumindest in Italien selbst Rechtskraft ent-
falten und durch die Beschlagnahmung deutschen Staatseigentums vollstreckt
werden. Nach Informationen der Fragesteller führt die Bundesregierung vor ita-
lienischen Gerichten auch weiterhin Auseinandersetzungen hinsichtlich der Be-
schlagnahmung deutschen Staatseigentums, insbesondere der Villa Vigoni und
Vermögen der Deutschen Bahn AG.
Das Urteil des italienischen Verfassungsgerichtshofes ist auch für die Opfer des
SS-Massakers vom 10. Juni 1944 im griechischen Distomo relevant. Diese haben
seit dem Jahr 1997 ein rechtskräftiges Urteil aus Griechenland, das ihnen eine
Entschädigung in Höhe von rund 28 Millionen Euro zuspricht. Bis zur Entschei-
dung des IGH haben sie in Italien ebenfalls erfolgreich Vollstreckungsverfahren
geführt.
Den Fragestellern liegen Hinweise vor, nach denen die Bundesregierung sich mit
der Frage beschäftigt, erneut gegen Italien vor dem IGH vorzugehen. Dabei hat
die Bundesregierung nach eigenem Eingeständnis keinerlei Grund dafür anzuneh-
men, dass die klagenden NS-Opfer jemals entschädigt worden sind. Sie räumt
auch ein, dass die deutschen Streitkräfte häufig entgegen dem geltenden Kriegs-
völkerrecht gehandelt haben (vgl. Bundestagsdrucksache 18/3492).
Den Fragestellern ist es unverständlich, wie die Bundesregierung vor diesem Hin-
tergrund angeben kann, „alle Bundesregierungen seit 1949“ hätten sich „mit Er-
folg bemüht, für das von den Nationalsozialisten begangene Unrecht zu entschä-
digen.“ Solange ganze Opfergruppen wie ehemalige italienische Militärinter-
nierte und Massakeropfer von Entschädigungen ausgeschlossen bleiben und
Deutschland den Überlebenden noch nicht einmal symbolische Anerkennungs-
zahlungen anbietet, sondern lieber juristisch gegen Italien vorgeht, anstatt die dor-
tigen Urteile zu akzeptieren, sehen die Fragesteller keine Rechtfertigung dafür,
von einem „Erfolg“ der Entschädigungspolitik zu sprechen.

Drucksache 18/7597 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie hat sich die juristische Auseinandersetzung um Entschädigungsforde-
rungen in Italien aus Sicht der Bundesregierung seit Beantwortung der Klei-
nen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. „Entschädigung für NS-Opfer in Ita-
lien“ am 9. Dezember 2014 (Bundestagsdrucksache 18/3492) entwickelt?

2. Welche juristischen Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit Entschä-
digungsforderungen sind derzeit vor italienischen Gerichten gegen Deutsch-
land anhängig?
a) Welche konkreten deutschen Verbrechen gegen welche Opfer oder Op-

fergruppen stehen hinter den entsprechenden Entschädigungsforderun-
gen?

b) Um was genau geht es in den anhängigen Verfahren?
c) Vor welchen Gerichten werden diese Verfahren geführt und welchen

Stand haben sie?
d) Beteiligt sich die Bundesregierung an diesen Verfahren, und wenn ja, wel-

che Rolle hat sie dabei?
3. Trifft es zu, dass in Italien nach wie vor Prozesse bzgl. Vollstreckungsmaß-

nahmen (Zwangsvollstreckung, Hypotheken, Beschlagnahmungen usw.) ge-
gen deutsches Staatseigentum anhängig sind oder durchgeführt werden, und
wenn ja
a) um welches Eigentum konkret geht es dabei,
b) welche konkreten deutschen Verbrechen gegen welche Opfer oder Opfer-

gruppen stehen hinter den entsprechenden Vollstreckungsforderungen,
c) inwiefern beteiligt sich die Bundesregierung an diesen Vollstreckungs-

verfahren, und welche Rolle hat sie dabei, und
d) welchen Stand haben die entsprechenden Verfahren?

4. Inwiefern treffen Informationen der Fragesteller zu, dass die Bundesregie-
rung bzw. Vertreter der Deutschen Bahn AG vor italienischen Gerichten in
Vollstreckungssachen ausführen, Vermögen der Deutschen Bahn AG seien
kein deutsches Staatseigentum, so dass dieses nicht zur Vollstreckung von
Forderungen gegen die Bundesrepublik Deutschland beschlagnahmt werden
dürfe?
a) Vor welchen Gerichten finden diese Auseinandersetzungen statt, und um

welche konkreten Verbrechen und welche Opfer geht es bei den zugrun-
deliegenden Entschädigungsforderungen,

b) welchen Stand haben die entsprechenden Verfahren, und
c) um welche Vermögenswerte genau geht es dabei?

5. Hat die Bundesregierung auf ihre Bitte um Erläuterung, in welcher Weise die
italienische Regierung die Befolgung des Urteils des IGH sicherstellen will
(vgl. Antwort auf Frage 11 auf Bundestagsdrucksache 18/3492), seitens der
italienischen Regierung eine Antwort erhalten, und wenn ja, was ist Inhalt
der Ausführungen der italienischen Regierung?

6. Inwiefern erlaubt das Urteil des italienischen Verfassungsgerichtshofes – so-
weit die Bundesregierung das einschätzen kann – aus Sicht der italienischen
Justiz die Vollstreckung rechtskräftiger Urteile zugunsten griechischer NS-
Opfer (Distomo-Fall)?
Inwiefern sind bereits konkrete Schritte in dieser Hinsicht unternommen
worden, vor welchem Gericht, welchen Stand hat das Verfahren, und inwie-
fern ist die Bundesregierung am Verfahren beteiligt?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7597
7. Hat die Bundesregierung Schritte unternommen, um deutsches Staatseigen-
tum (ggf. wirksamer als bisher) vor Beschlagnahmungen zur Zwangsvoll-
streckung in Entschädigungsangelegenheiten zu schützen, und wenn ja, wel-
che, und um welches Staatseigentum geht es dabei?

8. Ist nach Einschätzung der Bundesregierung eine (erneute) Beschlagnahmung
bzw. sind Eintragungen von Sicherungshypotheken oder ähnliche Maßnah-
men gegen deutsches Staatseigentum zu befürchten?
Wenn nein, ist sie dann bereit, dem Deutschen Bundestag eine komplette
Liste aller Liegenschaften und Immobilien, die sich in Italien in deutschem
Staatsbesitz befinden, sowie sonstiger Vermögen der Bundesrepublik
Deutschland in Italien zu übermitteln (bitte begründen, wenn nicht)?

9. In wie vielen Gesprächen bzw. Kommunikationen wurde seit der Entschei-
dung des italienischen Verfassungsgerichtshofes seitens der Bundesregie-
rung mit der italienischen Regierung die Entschädigungsthematik angespro-
chen, und was war Tenor dabei?
Inwiefern wurden Absprachen oder Übereinkünfte getroffen oder vorberei-
tet?
Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus?

10. Hat die Bundesregierung Überlegungen angestellt, gegen Italien erneut vor
dem Internationalen Gerichtshof vorzugehen, und wenn ja,
a) um welchen konkreten Vorwurf gegen Italien geht es dabei,
b) mit welchem Ziel,
c) unter welchen Umständen soll eine solche Klage eingereicht werden,
d) inwiefern sind dazu bereits Gutachten oder Vorarbeiten erfolgt, und wel-

chen Tenor haben die entsprechenden Dokumente, und
e) inwiefern ist die italienische Regierung über diese Überlegungen unter-

richtet, und wie hat sie darauf reagiert?
11. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Kommentie-

rung des Urteils des italienischen Verfassungsgerichtshofes in der (internati-
onalen) Fachliteratur?

12. Welche (weiteren) Auswirkungen hat das Urteil des italienischen Verfas-
sungsgerichtshofes aus Sicht der Bundesregierung, und welche Schlussfol-
gerungen zieht sie daraus?

13. Inwiefern wurde beim Besuch des griechischen Präsidenten im Januar 2016
die Entschädigungsthematik erörtert, und welchen Standpunkt haben die an
den entsprechenden Gesprächen beteiligten Seiten jeweils eingenommen?

14. Hat die Bundesregierung Überlegungen angestellt, gegen Griechenland vor
dem Internationalen Gerichtshof vorzugehen, und wenn ja,
a) um welchen konkreten Vorwurf gegen Griechenland geht es dabei,
b) mit welchem Ziel und unter welchen Umständen soll eine solche Klage

eingereicht werden,
c) inwiefern sind dazu bereits Gutachten oder Vorarbeiten erfolgt, und wel-

chen Tenor haben diese, und
d) inwiefern ist die griechische Regierung über diese Überlegungen unter-

richtet, und wie hat sie darauf reagiert?

Drucksache 18/7597 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

15. Hat sich die Bundesregierung noch einmal mit der Aussage des Internationa-

len Gerichtshofs auseinandergesetzt, der es in seinem Urteil als „überra-
schenden Umstand“ ansieht und ausdrücklich „bedauert, dass Deutschland
entschieden hat, jegliche Entschädigung“ für bestimmte Opfergruppen zu
verweigern und anregt, durch weitere Verhandlungen die Entschädigungslü-
cke zu schließen (Nummern 99 und 104 der Urteilsbegründung), und inwie-
fern ist sie bereit, dieser Anregung zu folgen?

Berlin, den 15. Februar 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.