BT-Drucksache 18/7550

Pkw-Abgasskandal aufklären und für eine bessere Luftqualität in Städten sorgen

Vom 17. Februar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7550
18. Wahlperiode 17.02.2016
Antrag
der Abgeordneten Stephan Kühn (Dresden), Oliver Krischer, Peter Meiwald,
Dr. Valerie Wilms, Matthias Gastel, Markus Tressel, Annalena Baerbock,
Harald Ebner, Britta Haßelmann, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Christian
Kühn (Tübingen), Steffi Lemke, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff,
Dr. Julia Verlinden und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Pkw-Abgasskandal aufklären und für eine bessere Luftqualität in Städten
sorgen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Stickoxide verursachen erhebliche Gefahren für die Gesundheit und stellen eine
massive Einschränkung der Lebensqualität dar. In 29 Regionen Deutschlands liegt
die Luftbelastung seit Jahren über den zulässigen Grenzwerten. An weit über der
Hälfte der Messstellen in Deutschland werden immer wieder stark überhöhte Schad-
stoffwerte festgestellt. Nach Berechnungen der Europäischen Umweltagentur (EEA)
starben 2012 in Deutschland 10.400 Menschen vorzeitig an den Folgen erhöhter
Stickoxid-Konzentrationen. Messungen in Großstädten zeigen, dass die zulässigen
Grenzwerte für Stickoxide an lebensnahen Orten wie Wohnungen, Kindertagesstät-
ten und Schulzimmern überschritten werden. Stickoxide sind für die Atemwege von
Kindern besonders gefährlich. Die EU-Kommission hat wegen anhaltend hoher
Stickoxidwerte und unzureichender Gegenmaßnahmen ein Vertragsverletzungsver-
fahren gegen Deutschland angestrengt.
Der Umweltbericht der Bundesregierung 2015 benennt die Ursachen der Luftver-
schmutzung in Ballungsräumen unmissverständlich: „Modellrechnungen haben er-
geben, dass der überwiegende Anteil der NO2-Immissionen an den am höchsten be-
lasteten Messpunkten dem Straßenverkehr zuzurechnen ist. Insbesondere Diesel-
Fahrzeuge verursachen die immer noch zu hohen Stickstoffdioxidwerte.“
Autos mit Dieselmotoren stoßen seit vielen Jahren zu viel Feinstaub und zu viele
Stickoxide aus. Im alltäglichen Fahrbetrieb verursachen sie zum Teil erheblich hö-
here Stickoxidemissionen als unter den Prüfbedingungen des Neuen Europäischen
Fahrzyklus (NEFZ). Nach Angaben der EU-Kommission überschreiten unter realen
Fahrbedingungen derzeit hergestellte Euro-6-Dieselfahrzeuge im Durchschnitt den
Grenzwert für Stickoxide um das Vier- bis Fünffache.
Für die Luftqualität in Innenstädten ist der Pkw-Altbestand einschließlich Fahrzeu-
gen der Euro-6-Abgasnorm ausschlaggebend. Das Umweltbundesamt gibt an, dass
die hohe NO2-Belastung in vielen Gebieten noch über zehn Jahre andauern wird.
Erst im Jahr 2030 können vielerorts die europäischen Vorgaben zur Luftreinhaltung
eingehalten werden – unter der Voraussetzung, dass alle Diesel-Neuzulassungen

Drucksache 18/7550 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
auch im realen Fahrbetrieb gesetzlich vorgeschriebene Umweltstandards tatsächlich
erfüllen.
Das Bundesverkehrsministerium hat bislang unterlassen, Gründe für erhöhte Stick-
oxidwerte im realen Fahrbetrieb und für die verspäteten Kontrollen seitens des Kraft-
fahrt-Bundesamts aufzuklären. Die von Bundesverkehrsminister Alexander Do-
brindt eingesetzte und in ihrer Zusammensetzung bis zuletzt geheim gehaltene Un-
tersuchungskommission ist für diese Aufgabe nicht geeignet. Um den Abgasskandal
aufzuarbeiten, bedarf es einer unabhängigen Untersuchungskommission, die nicht
ihrerseits in den Verdacht geraten kann, eigene Versäumnisse und Fehleinschätzun-
gen zu verdecken.
Nach Berechnungen des Umweltbundesamtes verursachen Dieselfahrzeuge Um-
welt- und Gesundheitsschäden in Höhe von 33 Milliarden Euro pro Jahr. Um die
Luftbelastung und anhaltende Gefährdung von Bürgerinnen und Bürgern durch
Stickoxide zu bekämpfen, haben Bundesumweltministerin Hendricks und die Präsi-
dentin des Umweltbundesamts, Maria Krautzberger, eine grundsätzliche Neuorien-
tierung der Verkehrspolitik eingefordert. Dazu gehören etwa eine bessere Infrastruk-
tur für Fahrrad und E-Bike, bessere Bedingungen für Fußgänger und den ÖPNV,
eine Ausweitung der Umweltzonen, gezielte Förderungen für Elektroautos und
Elektrobusse sowie die rechtliche Sicherstellung von Carsharing im öffentlichen
Straßenraum. Die einseitige steuerliche Förderung von Diesel gegenüber Benzin ist
umwelt- und verkehrspolitisch unbegründet.
Das Bundesverkehrsministerium hat bislang nicht erkennen lassen, ob es aus dem
Abgasskandal verkehrspolitische Schlussfolgerungen zieht.

II. Der Deutsche Bundestag fordert daher die Bundesregierung auf,

1. den Abgasskandal umfassend aufzuklären, indem sie
− untersucht und darüber informiert, ob Dieselfahrzeuge entsprechend den

deutschen und den europäischen Regeln gebaut und auch geprüft worden sind
und den umwelttechnischen Anforderungen im realen Fahrbetrieb standhal-
ten;

− die Modalitäten und fahrzeugtechnischen Konsequenzen der unterschiedli-
chen Rückrufe von Modellen des VW-Konzerns veröffentlicht;

− unverzüglich einen Zwischenbericht über die angeordneten Nachprüfungen
von Dieselfahrzeugen vorlegt, einen Zeitplan benennt, wann ein Gesamtbe-
richt über die Aufarbeitung des Abgasskandals erfolgt, und den Umweltäm-
tern von Bund und Ländern die Ergebnisse von Fahrzeugprüfungen zur Ver-
fügung stellt, damit Emissionsfaktoren für Dieselfahrzeuge für eine verlässli-
che Modellierung aktualisiert und erforderliche Maßnahmen zur Minderung
der Luftbelastung getroffen werden können;

− die angekündigte Offenlegung der Motorensoftware bei der Typgenehmigung
von Fahrzeugen in der Praxis umsetzt;

− die angekündigten staatlichen Prüfstände zur Nachkontrolle von Fahrzeugen
in Betrieb nimmt;

− den Sachverständigenrat für Umweltfragen bittet, einen Bericht über die Um-
weltauswirkungen der Diesel- und Benzinfahrzeuge (unter Berücksichtigung
des klimatischen Aspektes der Feinstaubproblematik und der Auswirkungen
auf die Biodiversitätsstrategie der Bundesregierung durch die Stickstoffemis-
sionen) vorzulegen;

− einen Technikfolgenbericht über die mittelfristigen ökologischen und ökono-
mischen Erfolgsaussichten der Benzin- und Dieselmotoren in der deutschen
Automobilwirtschaft – unter der Maßgabe der verlässlichen Einhaltung von
Grenzwerten im realen Betrieb – vorlegt;

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7550

− dem Bundestag einen Bericht über die umwelt-, verkehrs- und finanzpoliti-
schen Folgen der steuerlichen Förderung von Diesel gegenüber Benzin vor-
legt;

2. wirksame Maßnahmen gegen Luftverschmutzung durch Diesel-Pkw vorzuberei-
ten, indem sie
− ein Leitkonzept für die städtische Mobilität vorlegt, das die Bedingungen für

den Fußgänger- und Radverkehr verbessert und den ÖPNV stärkt, die Abhän-
gigkeit von fossilen Kraftstoffen reduziert, die CO2-Emissionen absenkt und
Luftschadstoffe wirksam bekämpft;

− die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 2. Dezember 2015 zu
einer nachhaltigen städtischen Mobilität (2914/2242(INI)) in ihrer Verkehrs-
politik berücksichtigt;

− sich in der Verkehrs- und Umweltministerkonferenz mit den Ländern über
einheitliche und zügige Maßnahmen zur Verringerung der Luftbelastung
durch Emissionen des Straßenverkehrs in Städten verständigt und einen „Ak-
tionsplan Luftqualität“ erarbeitet;

− eine Novellierung der Bundesimmissionsschutzverordnung prüft, durch die
es Kommunen in großen Städten und Ballungsräumen ermöglicht werden
soll, Durchfahrverbote in Umweltzonen zur Senkung der Belastung mit Stick-
stoffdioxid zu erlassen;

− ein Nachrüstungsprogramm zur Abgasreduzierung von Taxis, Transportern
und Bussen auflegt und die Ausweitung von E-Carsharing fördert;

− die Elektromobilität im Straßenverkehr stärkt durch Förderung von Kommu-
nen, die für innerstädtischen Logistikverkehr nur noch E-Fahrzeuge und Las-
tenfahrräder zulassen, sowie durch ein zeitlich befristetes Marktanreizpro-
gramm für Elektro-Nahverkehrsbusse und Elektroautos;

− die Besteuerung von Dienstwagen an den CO2-Ausstoß koppelt und die Steu-
erprivilegien für Dienstwagen mit einem CO2-Ausstoß oberhalb der europäi-
schen CO2-Grenzwerte abbaut;

− im Bundeshaushalt ein Investitionsprogramm Elektromobilität auflegt und so
den Aufbau einer öffentlich zugänglichen Ladeinfrastruktur, die auf erneuer-
barem Strom basiert und ein nutzerfreundliches eRoaming beinhaltet, steuer-
lich fördert sowie ein bundesweites kostenfreies Parkvorrecht für Elektroau-
tos an Ladepunkten und baurechtliche Vorgaben für Ladeanschlüsse an öf-
fentlichen Einrichtungen und Neubauten einführt.

Berlin, den 16. Februar 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Drucksache 18/7550 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Begründung

Die Bundesregierung hat die gesundheitlichen Gefahren, die von Verbrennungsmotoren in Diesel-Pkw ausge-
hen, auf fahrlässige Weise verharmlost. Erst infolge der Aufdeckungen illegaler Motorsoftware durch die US-
amerikanische Umweltbehörde Environment Protection Agency (EPA) hat das Bundesverkehrsministerium in-
tensive Nachprüfungen bei Dieselfahrzeugen angeordnet. Damit reagiert die Bundesregierung verspätet auf
zahlreiche Untersuchungen der vergangenen Jahre, die offengelegt haben, dass Techniken zur Verminderung
der Stickoxidemissionen unter realen Bedingungen bislang weitgehend wirkungslos bleiben.
Der Bundesverkehrsminister hat nach Bekanntwerden des Abgasskandals eine „lückenlose Aufklärung der Ma-
nipulationen, vollständige Transparenz, Kooperation und öffentliche Unterrichtung“ eingefordert (vgl. Deut-
scher Bundestag, Plenarprotokoll vom 25.9.2015, S. 12189). Auf Nachfrage hat das Bundesverkehrsministe-
rium bestätigt, dass die Ergebnisse der Nachprüfungen nach Abschluss der Untersuchungen durch das Kraft-
fahrt-Bundesamt veröffentlicht werden (vgl. Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll vom 30.9.2015, S. 12228;
Antwort Nr. 38 der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-
Drucksache 18/6592). In einer Pressemitteilung vom 11. November 2015 hat das Kraftfahrt-Bundesamt zwi-
schenzeitlich bekannt gegeben, dass sowohl bei Messungen auf dem Rollenprüfstand als auch durch Portable
Emissionsmesssysteme (PEMS) auf der Straße zum Teil erhöhte Stickoxidwerte festgestellt wurden.
Die Automobilindustrie sieht sich durch den Abgasskandal einem Generalverdacht ausgesetzt. Dieser konnte
jedoch bislang nicht entkräftet werden. Unterschiedliche unabhängige Nachprüfungen, etwa der Deutschen Um-
welthilfe und des Fernsehmagazins „Frontal 21“, haben aufgedeckt, dass auch bei weiteren Herstellern auffäl-
lige Abweichungen zwischen Labormessungen und Nachprüfungen im realen Fahrbetrieb auftreten. Das
Prüfinstitut TNO hat im Auftrag des niederländischen Umweltministeriums bei einer Mercedes-C-Klasse in der
modernsten Euro-6-Version bei Messungen auf der Straße Spitzenwerte von bis zu 2000 Milligramm Stickoxid
pro Kilometer gemessen, was einen bis zu 40-fach höheren Ausstoß als auf dem Rollenprüfstand darstellt. Die
Messungen erfolgten bei Stadtgeschwindigkeiten und einer Außentemperatur von 7 bis 10 Grad Celsius, was
den Jahresdurchschnittstemperaturen zum Beispiel der Stadt Stuttgart entspricht. Daimler gibt an, dass das Ab-
gasregelungssystem des untersuchten Dieselfahrzeugs über einen Mechanismus verfüge, der die Abgasnachbe-
handlung je nach Bedingungen wie Außentemperaturen und Lastzuständen unterschiedlich regelt, um Motor-
bauteile zu schützen und um Funktionalität des Abgasnachbehandlungssystems bis zu einer Laufleistung von
mindestens 160.000 Kilometern sicherzustellen.
Die Einführung von Fahrzeugtests auf der Straße ab dem Jahr 2017 ist ein überfälliger Fortschritt. Allerdings
sind der Automobilindustrie für eine Übergangszeit von drei Jahren großzügige Toleranzen (in Form eines Kon-
formitätsfaktors von 2,1) zugebilligt worden, der nach wie vor hohe Abweichungen zwischen Laborwerten und
Real Driving Emissions (RDE) erlaubt. Hoch problematisch bleibt jedoch vor allem ein Altbestand von 14 Mil-
lionen Diesel-Pkw in Deutschland.
Zur Bekämpfung der hohen Luftbelastung ist eine Neuausrichtung der Verkehrspolitik erforderlich. Weltweit
gibt es zahlreiche positive Beispiele für Kommunen, die massiv auf eine Förderung des Radverkehrs und des
ÖPNV setzen, um Luftverschmutzung zu reduzieren und Innenstädte vom Autoverkehr zu entlasten. Die Bun-
desregierung hat es bislang abgelehnt, etwa Impulse der EU-Kommission und des Europäischen Parlaments
aufzugreifen und ein eigenes Leitkonzept für die städtische Mobilität zu entwickeln.
Trotz vielfacher öffentlicher Absichtsbekundungen scheitert die Bundesregierung ebenso an der Aufgabe,
Elektromobilität im Straßenverkehr wirksam zu fördern. Kaufprämien sind in zahlreichen Ländern ein Erfolgs-
modell zur Einführung von Elektroautos. Um einseitige Belastungen des Bundeshaushaltes zu vermeiden und
eine ökologische Lenkungswirkung zu erreichen, müssen Kaufzuschüsse für Elektroautos und verbrauchsarme
Plug-In-Hybrid-Fahrzeuge über eine Umlage der Kfz-Steuer für Pkw, deren CO2-Ausstoß oberhalb der europä-
ischen CO2-Grenzwerte liegt, gegenfinanziert werden.

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.