BT-Drucksache 18/7346

Flüchtlingsabkommen zwischen EU und Türkei

Vom 20. Januar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7346
18. Wahlperiode 20.01.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan van Aken, Christine Buchholz,
Wolfgang Gehrcke, Annette Groth, Inge Höger, Andrej Hunko, Jan Korte,
Katrin Kunert, Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu, Alexander Ulrich,
Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Flüchtlingsabkommen zwischen EU und Türkei

Am 29. November 2015 vereinbarten die EU-Regierungschefs mit der Türkei ei-
nen gemeinsamen Aktionsplan zum Umgang mit Flüchtlingen. Die Türkei erhält
stufenweise 3 Mrd. Euro von der EU, um ihre Grenzen besser zu kontrollieren
und eine Weiterreise von Flüchtlingen nach Europa zu verhindern sowie die be-
reits im Land lebenden über zwei Millionen syrische Flüchtlinge besser zu unter-
stützten. Der EU-Türkei-Deal beinhaltet fernerhin eine Intensivierung der EU-
Beitrittsverhandlungen. Kritikerinnen und Kritiker wie die Flüchtlingshilfsorga-
nisation Pro Asyl sprechen von einem „Deal auf Kosten der Menschenrechte“,
bei dem die EU ihre selbsterklärten demokratischen und menschenrechtlichen
Standards hintanstelle. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan werde für
seine „Türsteherdienste“ nicht nur finanziell fürstlich entlohnt. Die Abschottung
der europäischen Außengrenzen seien zudem mit dem Stillschweigen der EU zu
Menschenrechtsverletzungen durch den innenpolitisch zunehmend autoritär agie-
renden türkischen Präsidenten erkauft (www.proasyl.de/de/news/detail/news/
-7e87ae7da7/).
Der Bundesminister des Innern Dr. Thomas de Maizière sprach in einem am
13. Dezember 2015 in der „WELT“ veröffentlichten Interview von einer „Schlüs-
selrolle“ der Türkei bei der Sicherung der EU-Außengrenzen. Die aktuellen Ver-
handlungen hätten das Ziel einer größtmöglichen Unterbindung der Ausreise in
die EU durch die Türkei. Dafür sei die EU bereit, der Türkei in vielen Bereichen
entgegenzukommen. Der Bundesinnenminister lobte „erkennbare türkische Be-
mühungen, den Grenzübertritt zu verhindern“, es sei aber noch zu früh, von einer
Trendwende zu sprechen (www.welt.de/politik/deutschland/article149895074/
Der-Hass-kriecht-bis-in-die-Mitte-der-Gesellschaft.html).
Bereits einen Tag nach dem EU-Türkei-Gipfel nahm die türkische Polizei in Küs-
tennähe rund 1 300 Flüchtlinge fest, die vermutlich eine Überfahrt in Richtung
der griechischen Inseln geplant hatten. Die Festgenommenen sollen zunächst
in Abschiebezentren verbracht und zum Teil bereits abgeschoben worden
sein (www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-nimmt-1300-fluechtlinge-fest-a-
1065355.html).
Schon vor dem EU-Türkei-Gipfel beklagte der Europäische Flüchtlingsrat, dass
die Türkei an ihrer Grenze zu Syrien zunehmend rigider gegenüber Schutzsu-
chenden agiere. Flüchtlinge stranden demnach im Grenzgebiet, zudem finden
illegale Rückführungen nach Syrien statt (www.proasyl.de/de/news/detail/
news/vor_dem_eu_tuerkei_gipfel_illegale_rueckfuehrungen_an_der_syrischen_

Drucksache 18/7346 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

grenze_sind_bereits_alltag/). Seit September 2015 haben türkische Behörden laut
der Menschenrechtsinformation Amnesty International hunderte Flüchtlinge aus
Syrien und dem Irak vor allem in Grenznähe festgenommen und sie vor die Wahl
gestellt, entweder in ihre Heimatländer abgeschoben oder auf unbestimmte Zeit
inhaftiert zu werden. Im osttürkischen Erzurum und im südtürkischen Osmaniye
seien entsprechende Haftzentren für Flüchtlinge errichtet worden, deren Insassen
in der Regel keinen Kontakt zur Außenwelt hätten. Die Haftzentren seien aus EU-
Geldern finanziert (www.spiegel.de/politik/ausland/amnesty-international-wirft-
tuerkei-abschiebung-syrischer-fluechtlinge-vor-a-1068039.html).
Mitte Dezember 2015 wurde bekannt, dass die Türkei an ihrer Grenze zum kur-
dischen Selbstverwaltungskanton Afrin im Osten Syriens eine Mauer errichtet.
Eine Flucht der kurdischen Bevölkerung vor den dschihadistischen Gruppierun-
gen, die derzeit den Kanton belagern und attackieren, wird damit weiter erschwert
(http://anfenglish.com/kurdistan/turkish-soldiers-building-a-wall-at-efrin-border).
Von der türkischen Regierung kommt zudem der Plan, mindestens 100 000 syri-
sche Flüchtlinge in „sichere Gebiete“ nach Syrien abzuschieben (www.
welt.de/politik/ausland/article149596721/Tuerkei-plant-Rueckfuehrung-von-
syrischen-Fluechtlingen.html).
Die von der Türkei ergriffenen Maßnahmen zur Unterbindung einer Weiterflucht
nach Europa führen in der Praxis dazu, dass die Flucht für die Schutzsuchenden
noch teurer, länger und gefährlicher wird, da Schlepper mehr Geld für ihre
Dienste verlangen und auf längere Fluchtrouten über die Ägäis ausweichen. Al-
lein in den ersten zehn Tagen des Dezember 2015 kamen nach Angaben der In-
ternationalen Organisation für Migration (IOM) 86 Menschen in der Ägäis ums
Leben – ungeachtet der jeweiligen Dunkelziffer fast ebenso viele wie im gesam-
ten Vormonat (www.proasyl.de/de/news/detail/news/-7e87ae7da7/).
Das EU-Türkei-Flüchtlingsabkommen erfolgte, nachdem die EU in ihrem im No-
vember 2015 veröffentlichten Fortschrittsbericht der Türkei deutliche Rück-
schritte unter anderem bei der Presse- und Meinungsfreiheit, der Rechtsstaatlich-
keit und dem Umgang mit Minderheiten konstatiert hatte (www.welt.de/politik/
ausland/article148644604/Bemerkenswerte-Rueckschritte-bei-Meinungsfreiheit.
html). In den letzten Wochen häuften sich erneut Übergriffe auf oppositionelle
Medien. So wurden der Chefredakteur der Tageszeitung „Cumhuriyet“ und der
Leiter ihres Hauptstadtbüros, Can Dündar und Erdem Gül, unter Spionagevor-
würfen verhaftet, weil die Zeitung über Waffenlieferungen des türkischen Ge-
heimdienstes an syrische Dschihadistengruppierungen berichtet hatte. Zudem
wurden mehrere regierungskritische Medienhäuser aufgrund von Terrorismus-
vorwürfen unter staatliche Aufsicht gestellt (www.zeit.de/politik/ausland/2015-
11/pressefreiheit-tuerkei-jouralisten-gefaengnis-can-duendar; www.tagesspiegel.de/
politik/polizei-besetzt-regierungskritische-sender-die-tuerkei-versinkt-im-politischen-
wahnsinn/12507204.html).
Menschenrechtsvereinigungen und Oppositionspolitikerinnen und -politiker be-
klagen zudem gravierende Menschenrechtsverletzungen im Rahmen vermeintli-
cher Antiterroraktionen insbesondere gegenüber der kurdischen Zivilbevölke-
rung. Laut einem Bericht der Menschenrechtsstiftung der Türkei (TIHV) hat es
allein zwischen dem 16. August und dem 12. Dezember 2015 insgesamt 52 un-
begrenzte und rund um die Uhr anhaltende Ausgangssperren von insgesamt
163 Tagen in 17 Kreisen in sieben kurdischen Provinzen im Südosten der Türkei
gegeben, von denen rund 1,3 Millionen Menschen betroffen waren. Im selben
Zeitraum sollen 140 Zivilistinnen und Zivilisten von den türkischen Sicherheits-
kräften getötet worden sein. Durch Kampfhandlungen und den Beschuss von
Wohngebieten aus Kriegswaffen einschließlich Artillerie und Kampfhubschrau-
bern wurden zudem zahlreiche Wohnhäuser sowie historische Monumente be-
schädigt oder zerstört und zehntausende Bewohnerinnen und Bewohner der be-
troffenen Städte in die Flucht getrieben (www.jungewelt.de/2015/12-15/028.php).

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Der Vorsitzende der Rechtsanwaltskammer von Diyarbakir, Tahir Elci, wurde am
28. November 2015 auf offener Straße erschossen, als er auf einer Pressekonfe-
renz gegen die Zerstörung des historischen Erbes der Stadt bei Polizeioperationen
protestiert hatte. Die Opposition sprach von gezieltem Mord infolge einer „Lynch-
kampagne“ der AKP-Regierung gegen Tahir Elci (www.welt.de/politik/
ausland/article149386417/Prominenter-kurdischer-Rechtsanwalt-erschossen.html).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche genauen Maßnahmen und Übereinkünfte wurden zwischen der EU

und der Türkei im Rahmen ihres Abkommens zum Umgang mit Flüchtlingen
vereinbart?

2. In welchen Punkten und mit welcher Begründung erfolgten in dem am
29. November 2015 zwischen der EU und der Türkei angenommenen Akti-
onsplan Änderungen oder Konkretisierungen gegenüber dem am 15. Oktober
2015 angenommenen Aktionsplan ad Referendum?

3. Welche weiteren Verhandlungsrunden bzw. Gipfeltreffen zwischen der EU
und der Türkei oder Treffen untergeordneter Behörden bezüglich der Umset-
zung des Aktionsplans sind nach Kenntnis der Bundesregierung wann und
wo und in welchem Rahmen geplant?

4. Inwieweit und mit welchem Ergebnis wurde auf dem EU-Türkei-Gipfel über
eine vorbehaltlose Ratifikation der Genfer Flüchtlingskonvention durch die
Türkei gesprochen bzw. auf eine solche hingewirkt?

5. Für welche konkreten Aufgaben soll die Türkei entsprechend dem Abkom-
men vom 29. November 2015 wann und wie viel Geld von der EU aus wel-
chen Mitteln erhalten?
a) Inwieweit, in welchen Fällen und welchem Umfang sind in den zugesag-

ten Geldern auch Mittel enthalten, die der Türkei aus früheren Abkommen
bereits zugesagt wurden?

b) Wie viele von der der Türkei zugesagten Mittel sind für die Versorgung
von Flüchtlingen in der Türkei vorgesehen, und wie soll diese Versorgung
aussehen (bitte so detailliert wie möglich ausführen, welche konkreten
Maßnahmen und Leistungen geplant sind)?

c) Wie viele von den der Türkei zugesagten Mittel sind für die Sicherung der
türkischen Grenzen zur EU vorgesehen?

d) Wie viele von den der Türkei zugesagten Mittel sind für die Sicherung der
türkischen Grenzen gegen eine illegale Einreise von Flüchtlingen in die
Türkei vorgesehen, und wie soll nach Kenntnis der Bundesregierung diese
Sicherung ausgestaltet sein?

e) Inwieweit haben welche EU-Gremien oder Behörden die Möglichkeit,
eine ordnungsgemäße Verwendung dieser Gelder zu kontrollieren und zu
überprüfen, und welche Sanktionen oder Konsequenzen sind für den Fehl-
gebrauch der Gelder vorgesehen?

6. Welche Bereiche meint der Bundesminister des Innern konkret und im Ein-
zelnen, bei denen die EU bereit ist, der Türkei für eine Sicherung ihrer Au-
ßengrenzen entgegenzukommen (www.welt.de/politik/deutschland/article
149895074/Der-Hass-kriecht-bis-in-die-Mitte-der-Gesellschaft.html)?

7. Inwieweit hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Zahl der aus der
Türkei in die EU kommenden Flüchtlinge seit Abschluss des EU-Türkei-Ab-
kommens verringert?
a) Inwieweit sieht die Bundesregierung darin eine Folge der verstärkten

Grenzsicherung durch die Türkei?

Drucksache 18/7346 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
b) Welche anderen möglichen Gründe für einen Rückgang der Flüchtlings-
zahl von der Türkei in die EU kommen nach Kenntnis der Bundesregie-
rung in Betracht?

8. Inwieweit hat sich die Zahl der bei einer Weiterreise aus der Türkei in die
EU ums Leben gekommenen Flüchtlinge nach Kenntnis der Bundesregie-
rung seit Abschluss des Türkei-EU-Abkommens verändert, welche Routen
sind hiervon besonders betroffen, und worauf führt die Bundesregierung dies
gegebenenfalls zurück?

9. Inwieweit hält die Bundesregierung das vom Bundesinnenminister genannte
Ziel der Zusammenarbeit mit der Türkei, die Zuflucht von Flüchtlingen in
die EU größtmöglich zu unterbinden, für vereinbar mit dem Zurückwei-
sungsverbot der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Gedanken eines in-
ternationalen Flüchtlingsschutzes (www.welt.de/politik/deutschland/article
149895074/Der-Hass-kriecht-bis-in-die-Mitte-der-Gesellschaft.html)?

10. Welche Initiativen hat die Bundesregierung bislang unternommen oder ge-
plant, um das im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD verein-
barte Ziel zu erreichen, dass in der EU-Flüchtlingspolitik der Grundsatz der
Nichtzurückweisung umfassend geachtet werden soll, und wie ist es hiermit
vereinbar, dass insbesondere die Vereinbarungen mit der Türkei das Ziel ver-
folgen, „die Flüchtlinge aufzuhalten und dass die Türkei uns hilft, dass die
Flüchtlinge gar nicht erst bis nach Europa durchkommen“, so der österrei-
chische Außenminister Sebastian Kurz laut dpa vom 14. Dezember 2015
(bitte differenziert auflisten, was gegebenenfalls das Bundesinnen- bzw. das
Bundesaußenministerium diesbezüglich auf EU-Ebene unternommen ha-
ben)?

11. Wie ist der aktuelle Stand der von der Europäischen Kommission vorge-
schlagenen Einstufung der Türkei als sicherer Herkunftsstaat?
a) Inwieweit und zu welcher Gelegenheit hat welche Vertreterin, welcher

Vertreter der türkischen Regierung selbst den Wunsch geäußert, zum si-
cheren Herkunftsstaat erklärt zu werden?

b) Inwieweit und mit welchem Ergebnis war eine derartige Einstufung
Thema des EU-Türkei-Gipfels?

c) Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung die derzeitige Position von
Frankreich und Schweden zu dieser Frage?

d) Wie hat sich die Bundesregierung bislang innerhalb der EU in der Frage
einer Einstufung der Türkei als sicherer Herkunftsstaat positioniert?

e) Wie gedenkt die Bundesregierung, sich zukünftig in dieser Frage zu po-
sitionieren, insbesondere wenn die anderen EU-Staaten einer solchen Ein-
stufung zustimmen sollten?

f) Sollte die Bundesregierung eine Einstufung der Türkei als sicherer Her-
kunftsstaat grundsätzlich befürworten: Wie lässt sich eine solche Einstu-
fung mit dem auch vom im November 2015 veröffentlichten EU-Fort-
schrittsbericht konstatierten Rückgang demokratischer Rechte, der sich in
den letzten Monaten rapide verschlechternden Menschenrechtslage insbe-
sondere in den kurdischen Landsteilen sowie mit der durchschnittlichen
EU-weiten Anerkennungsquote von 23 Prozent von Flüchtlingen aus der
Türkei und der nur teilweisen Ratifikation der Genfer Flüchtlingskonven-
tion durch die Türkei vereinbaren?

12. Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Stand der Überlegungen und
Pläne auf EU-Ebene, die Türkei zum sicheren Drittstaat zu erklären, und in-
wieweit und mit welchem Ergebnis wurden solche Überlegungen auf dem
EU-Türkei-Gipfel thematisiert?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/7346

13. Wie positioniert sich die Bundesregierung gegebenenfalls gegenüber solchen

Absichten, die Türkei zum sicheren Drittstaat zu erklären (Positionierung
bitte begründen)?

14. Welche von der Türkei ergriffenen Maßnahmen, die eine illegale Einreise
von Flüchtlingen in die Türkei verhindern sollen, sind der Bundesregierung
bekannt?
a) Welche dieser Maßnahmen wurden bereits vor dem Abschluss des EU-

Türkei-Abkommens getroffen?
b) Welche dieser Maßnahmen sind mittelbarer oder unmittelbarer Bestand-

teil der Abmachungen zwischen der EU und der Türkei?
c) Inwieweit sieht die Bundesregierung die ergriffenen Maßnahmen im Ein-

klang stehend mit internationalen, völker- und menschenrechtlichen Ver-
pflichtungen der Türkei?

15. Wie viele Flüchtlinge wurden von türkischen Sicherheitskräften oder Behör-
den nach Kenntnis der Bundesregierung innerhalb der letzten fünf Jahre fest-
genommen, interniert und gegebenenfalls abgeschoben (bitte aufschlüsseln
nach dem jeweiligen Jahr und danach, ob die Flüchtlinge bei der Einreise in
die Türkei, während ihres Aufenthaltes im Land oder beim Versuch der Aus-
oder Weiterreise in Richtung der EU inhaftiert wurden und wohin die Ab-
schiebungen erfolgten)?

16. Inwieweit kann die Bundesregierung eine Zunahme der Festnahmen von
Flüchtlingen seit dem EU-Türkei-Abkommen zur Flüchtlingspolitik erken-
nen?
a) Wie viele Flüchtlinge wurden seit Ende November 2015 festgenommen

(bitte aufschlüsseln, ob die Flüchtlinge bei der Einreise in die Türkei,
während ihres Aufenthaltes im Land oder beim Versuch der Ausreise in
Richtung der EU inhaftiert wurden)?

b) Was geschah nach Kenntnis der Bundesregierung mit den seit Ende No-
vember 2015 festgenommenen Flüchtlingen in der Türkei, und wohin
wurden diese mit welcher Begründung verbracht?

c) Inwieweit teilt die Bundesregierung die Absichtserklärung des EU-Tür-
kei-Gipfels, wonach sich die Bekämpfung der „illegalen Migration“ und
Abschiebungen nicht gegen Personen richten sollen, die internationalen
Schutzes bedürfen, und welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesre-
gierung diesbezüglich aus der am Tag nach dem EU-Türkei-Gipfel erfolg-
ten Festnahme von rund 1 300 offenkundig schutzbedürftigen Flüchtlin-
gen aus Syrien, dem Irak, Iran und Afghanistan in der Türkei?

17. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Existenz von Aufnah-
mezentren für Flüchtlinge in Osmaniye, Erzurum und möglicherweise ande-
ren Orten in der Türkei, bei denen es sich nach Ansicht der Menschenrechts-
organisation Amnesty International um „Haftzentren“ für Flüchtlinge han-
delt (www.spiegel.de/politik/ausland/amnesty-international-wirft-tuerkei-
abschiebung-syrischer-fluechtlinge-vor-a-1068039.html)?
a) Welche genauen Vereinbarungen gibt es zwischen der Türkei und der EU

zum Bau und Betrieb von Aufnahmezentren für Flüchtlinge in der Türkei,
und wie viele und welche finanziellen Hilfen von Seiten der EU wurden
dafür vorgesehen, zugesagt oder bereits ausgezahlt bzw. verwendet?

b) Inwieweit liegen der Bundesregierung Hinweise darauf vor, dass es sich
bei den sechs mit EU-Mitteln geplanten oder bereits realisierten Aufnah-
mezentren für Flüchtlinge in der Türkei in Wahrheit um Haftzentren han-
delt?

Drucksache 18/7346 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
c) Wie viele solcher Aufnahme- bzw. Haftzentren für Flüchtlinge gibt es
nach Kenntnis der Bundesregierung seit wann an welchen Orten in der
Türkei?

d) Inwieweit handelt es sich nach Kenntnis der Bundesregierung bei den von
Amnesty International genannten Haftzentren für Flüchtlinge in Osma-
niye und Erzurum um Aufnahmezentren, die im Rahmen des Abkommens
zwischen der Türkei und der EU vereinbart wurden?

e) Was ist nach Kenntnis oder Einschätzung der Bundesregierung die Auf-
gabe dieser Aufnahmezentren?

f) Wie viele und welche Flüchtlinge werden nach Kenntnis der Bundesre-
gierung aus welchem Grund und aufgrund welcher Rechtsgrundlage und
für wie lange in solchen Haftzentren interniert?

g) Wie sind nach Kenntnis der Bundesregierung die Haftbedingungen in die-
sen Zentren, und inwieweit ist es den Insassen möglich, Kontakte zur Au-
ßenwelt wahrzunehmen?

h) Inwieweit und unter welchen Umständen ist es den in solchen Haftzentren
internierten Flüchtlingen nach Kenntnis der Bundesregierung möglich,
sich rechtlichen Beistand zu suchen bzw. diesen in Anspruch zu nehmen?

18. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die laut Amnesty Inter-
national von türkischen Behörden mit der Drohung unbefristeter Inhaf-
tierung erzwungenen Ausreisen von Flüchtlingen in den Irak oder nach
Syrien (www.spiegel.de/politik/ausland/amnesty-international-wirft-tuerkei-
abschiebung-syrischer-fluechtlinge-vor-a-1068039.html)?
a) Wie viele Flüchtlinge aus welchen Ländern wurden in welchem Zeitraum

mit einer solchen Drohung nach Kenntnis der Bundesregierung zur Rück-
reise in ihre Heimatländer bewegt?

b) Inwieweit wurde ein solches Vorgehen zwischen der EU und der Türkei
vereinbart, für grundsätzlich zulässig erklärt oder aber explizit ausge-
schlossen?

c) Inwieweit sieht die Bundesregierung ein solches Vorgehen mit dem inter-
nationalen Recht im Einklang stehend (bitte Bezug nehmen auf die maß-
geblichen internationalen Regelungen und Grundlagen)?

d) Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung gegebenenfalls
aus einem solchen Vorgehen bezüglich der weiteren Zusammenarbeit mit
der Türkei in Flüchtlingsfragen?

19. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den Bau einer Mauer ent-
lang der türkischen Grenze zum Selbstverwaltungskanton Afrin im Norden
Syriens?
a) Welchem Zweck dient diese Grenzbefestigung nach Kenntnis der Bun-

desregierung?
b) Inwieweit steht der Mauerbau in Verbindung mit dem zwischen der EU

und der Türkei vereinbarten Maßnahmenkatalog zur Flüchtlingsthematik?
c) Welche möglichen Hinweise gibt es, dass der Bau dieser und weiterer

Grenzbefestigungen durch die von der EU im Zuge des Flüchtlingsab-
kommens der Türkei zugesicherten Gelder finanziert wird?

d) Welche weiteren bestehenden oder geplanten türkischen Grenzbefesti-
gungen auf welchen Abschnitten der Grenze zu Syrien sind der Bundes-
regierung bekannt, was ist deren Zweck, und inwieweit verhindern diese
das Einreisen von Flüchtlingen in die Türkei?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/7346

20. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über türkische Pläne, syrische

Flüchtlinge in „sichere Gebiete“ Syriens abzuschieben (www.welt.de/
politik/ausland/article149596721/Tuerkei-plant-Rueckfuehrung-von-syrischen-
Fluechtlingen.html)?
a) Inwieweit hat die türkische Regierung bislang solche Pläne gegenüber der

Bundesregierung oder der EU geäußert?
b) Wie viele Flüchtlinge will die türkische Regierung nach Kenntnis der

Bundesregierung gegebenenfalls nach Syrien abschieben?
c) Welche syrischen Gebiete erachtet die türkische Regierung nach Kenntnis

der Bundesregierung als so sicher, dass dorthin Flüchtlinge abgeschoben
werden können, und wie begründet sich diese Einschätzung?

d) Inwieweit ist die Abschiebung von Flüchtlingen nach Syrien und ihre An-
siedlung in dortigen vermeintlich sicheren Gebieten Bestandteil der Ab-
sprachen zwischen der EU und der Türkei?

e) Inwieweit und mit welchen Mitteln unterstützt die EU etwaige Pläne der
Türkei zur Abschiebung von Flüchtlingen nach Syrien?

f) Für wie realistisch im Sinne einer politischen und praktischen Umsetzbar-
keit hält die Bundesregierung etwaige Pläne der türkischen Regierung zur
Abschiebung einer großen Zahl von Flüchtlingen nach Syrien?

g) Inwieweit sieht die Bundesregierung etwaige Pläne der türkischen Regie-
rung zur Abschiebung einer großen Zahl von Flüchtlingen nach Syrien im
Einklang mit internationalen völkerrechtlichen und humanitären Ver-
pflichtungen der Türkei?

21. Wie viele Flüchtlinge halten sich nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit
in der Türkei auf (bitte nach Herkunftsstaat und bisheriger Aufenthaltsdauer
und asylrechtlichem Status aufgliedern)?
a) Wie viele dieser Flüchtlinge befinden sich derzeit in welchen Flüchtlings-

lagern welcher Organisationen oder Institutionen?
b) Wo leben die übrigen Flüchtlinge, die nicht in Flüchtlingslagern Auf-

nahme gefunden haben?
c) Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung die humanitäre, soziale und

rechtliche Situation der Flüchtlinge in der Türkei? Wie ist dabei ggf. zwi-
schen bestimmten Flüchtlingsgruppen, z. B. nach Herkunftsland oder eth-
nischem Hintergrund, zu differenzieren?

d) Inwieweit und mit welchem Ergebnis wurde auf dem EU-Türkei-Gipfel
ein legaler Zugang der syrischen Flüchtlinge zum türkischen Arbeits-
markt thematisiert?

e) Welche Maßnahmen hat die türkische Regierung bislang getroffen, um
die Flüchtlinge in der Türkei zu versorgen und zu integrieren?

22. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem von Flücht-
lingshilfs- und Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl und Amnesty
International berichteten Umgang der Türkei mit Flüchtlingen, einschließlich
der Abschiebung oder mit Haftdrohungen erpressten Ausreise nach Syrien
oder in den Irak, bezüglich möglicher Pläne der EU oder von einzelnen
EU-Mitgliedstaaten zur Einstufung der Türkei als sicheren Drittstaat
(www.proasyl.de/de/news/detail/news/vor_dem_eu_tuerkei_gipfel_illegale_
rueckfuehrungen_an_der_syrischen_grenze_sind_bereits_alltag/; www.spiegel.
de/politik/ausland/amnesty-international-wirft-tuerkei-abschiebung-syrischer-
fluechtlinge-vor-a-1068039.html)?

Drucksache 18/7346 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

23. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über von Menschenrechtsorga-

nisationen und örtlichen Politikerinnen und Politikern beklagte Menschen-
rechtsverletzungen durch türkische Sicherheitskräfte bei sogenannten Anti-
terroroperationen, insbesondere von mehr als 50 oft wochenlangen Aus-
gangssperren über Städte oder Stadtteile, der Tötung von über 140 Zivilisten
durch Sicherheitskräfte, dem Beschuss von Wohngebieten durch Artillerie
und aus Kampfhubschraubern sowie der Zerstörung von Wohnhäusern und
historischen Bauwerken in den mehrheitlich kurdisch bewohnten Provinzen
der Türkei seit Juli dieses Jahres (www.jungewelt.de/2015/12-15/028.php)?
a) Inwiefern erachtet die Bundesregierung tage- und wochenlange ununter-

brochene Ausgangssperren über Städte und Stadtteile, während derer die
Bevölkerung weder Nahrungsmittel kaufen noch Krankenhäuser aufsu-
chen kann, für verhältnismäßig im Rahmen der vermeintlichen Terrorbe-
kämpfung?

b) Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis vom Beschuss ziviler Wohn-
viertel der Städte Diyarbakir, Cizre, Silvan, Nusaybin, Silopi und weiterer
Orte durch Kriegswaffen einschließlich Artillerie, Panzern und Kampf-
hubschraubern im Rahmen vermeintlicher Antiterroroperationen durch
türkische Sicherheitskräfte?

c) Wie viele Zivilistinnen und Zivilisten, Angehörigen der Sicherheitskräfte
sowie Militanten welcher vermeintlicher oder tatsächlicher terroristischer
Organisationen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung wann und wo
im Zusammenhang mit sogenannten Antiterroroperationen seit Juli 2015
verwundet oder getötet?

d) Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den berichte-
ten Menschenrechtsverletzungen bezüglich möglicher Pläne auf EU-
Ebene oder durch einzelne Mitgliedstaaten, die Türkei zu einem sicheren
Herkunftsstaat zu erklären?

24. Inwieweit, bei welcher Gelegenheit und mit welchem Ergebnis hat die Bun-
desregierung das derzeitige Vorgehen türkischer Sicherheitskräfte gegenüber
der kurdischen Zivilbevölkerung, die zumindest nach Ansicht von Oppositi-
onsabgeordneten unter Beteiligung von Sicherheitskräften erfolgte Tötung
des Vorsitzenden der Anwaltskammer von Diyarbakir Tahir Elci während
einer Pressekonferenz, die kürzlich erfolgte Inhaftierung der Cumhuriyet-
Journalisten Can Dündar und Erdal Gül unter Spionagevorwürfen nach ihren
Berichten über türkische Waffenlieferungen an syrische Dschihadisten-
gruppen sowie die Übernahme oppositioneller Medienhäuser durch regie-
rungsnahe Treuhänder gegenüber der türkischen Regierung thematisiert
(www.welt.de/politik/ausland/article149386417/Prominenter-kurdischer-
Rechtsanwalt-erschossen.html; www.jungewelt.de/2015/12-15/028.php)?

25. Inwieweit hält es die Bundesregierung angesichts einer vom Bundesinnen-
minister Dr. Thomas de Maizière konstatierten „Schlüsselrolle“ der Türkei
bei der Sicherung der EU-Außengrenzen für angemessen, Kritik der EU und
Bundesregierung an etwaigen Menschenrechtsverletzungen der türkischen
Sicherheitskräfte gegenüber der kurdischen Zivilbevölkerung sowie der In-
haftierung regierungskritischer Journalisten und anderer gegen die Presse-
freiheit gerichteter Maßnahmen hintanzustellen oder zu bagatellisieren?

Berlin, den 19. Januar 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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