BT-Drucksache 18/7343

Aufbau von EU-Grenzschutzeinheiten für Interventionen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union

Vom 22. Januar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7343
18. Wahlperiode 22.01.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Christine Buchholz, Annette Groth,
Dr. André Hahn, Inge Höger, Andrej Hunko, Niema Movassat,
Dr. Alexander S. Neu, Kathrin Vogler, Halina Wawzyniak und
der Fraktion DIE LINKE.

Aufbau von EU-Grenzschutzeinheiten für Interventionen in den
Mitgliedstaaten der Europäischen Union

Die Europäische Kommission hat Mitte Dezember 2015 einen Vorschlag zur
Schaffung europäischer Küsten- und Grenzschutzeinheiten vorgestellt, die teil-
weise als „stehendes Korps“ konzipiert sein sollen. Einer zu schaffenden Europä-
ischen Agentur für Grenz- und Küstenschutz soll das Recht eingeräumt werden,
Maßnahmen gegebenenfalls auch gegen den Willen des betroffenen Mitglieds-
landes durchzuführen. „Die Entscheidungen der Agentur sind für die Mitglied-
staaten bindend“, heißt es in dem Vorschlag, der auf dem EU-Gipfel am
17. Dezember 2015 grundsätzlich gebilligt wurde und innerhalb von sechs Mo-
naten umgesetzt werden soll (Reuters, 18. Dezember 2015). Sollten die Maßnah-
men nicht innerhalb der gesetzten Frist umgesetzt werden, könne die Kommission
selbständig Anordnungen treffen, „einschließlich der Entsendung Europäischer
Grenz- und Küstenschutzteams“. Diese Teams müssten in der Lage sein, einzu-
greifen, wenn der nationale Grenzschutz des Mitgliedstaates an der Frontlinie,
aus welchen Gründen auch immer, den Herausforderungen nicht selbst effektiv
entgegentritt. Das Grenzschutzkorps soll innerhalb weniger Tage mobilisierbar
und einsatzbereit sein, um die Außengrenzen zu sichern. Es soll zudem auch bei
Abschiebemaßnahmen eingesetzt werden – auch dabei ggf. gegen den Willen des
betroffenen Landes (statewatch.org). Als Aufgabenbereiche der Agentur werden
sowohl die Durchführung von Aufgaben der Grenzkontrolle auf allen Ebenen als
auch die Entwicklung des Hotspot-Konzepts genannt.
Aufgebaut werden soll die Agentur aus dem Personal von FRONTEX, das um
Personal aus dem Grenzschutz der Mitgliedsländer verstärkt werden soll. Insge-
samt sind derzeit 1 000 feste Mitarbeiter sowie ein rasch mobilisierbarer Pool von
weiteren 1 500 Grenzschützern in der Diskussion (DER TAGESSPIEGEL,
16. Dezember 2015).
Der Einsatz eines multinationalen Grenzschutzkorps an der Außengrenze eines
Mitgliedstaates gegen dessen Willen wäre eine Verletzung der nationalen Souve-
ränität, die nach Kenntnis der Fragestellerinnen und Fragesteller bislang beispiel-
los ist. So wird bislang allenfalls mit Staaten umgegangen, mit denen man sich
im Krieg befindet. Der Vorschlag der Kommission wirft zahlreiche Fragen auch
für den Bereich der deutschen Innenpolitik auf, da die Bundesregierung den Plan
befürwortet und daher damit zu rechnen ist, dass auch deutsche Beamte von der
„Agentur“ in Einsätze geschickt werden. Das tangiert eine Reihe binnen-, aber
auch internationale Rechtsfragen. Außerdem sehen die Fragestellerinnen und Fra-
gesteller die Pläne der Kommission als Gefahr für eine menschenrechtsorientierte

Drucksache 18/7343 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

und humanitäre Flüchtlingspolitik: Ein Staat, der nach Auffassung der Kommis-
sion oder der Agentur „zu viele“ Flüchtlinge einreisen lässt, müsste künftig damit
rechnen, dass ausländische Grenzschutzbeamte seine eigenen Landesgrenzen
schließen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche grundsätzlichen Aufgaben soll die Agentur nach den Vorstellungen

der Bundesregierung wahrnehmen, und welche Notwendigkeit sieht die Bun-
desregierung dafür?

2. Verlangt die Verabschiedung des Plans neben der Zustimmung des Europä-
ischen Parlaments nach Auffassung der Bundesregierung auch die einstim-
mige Zustimmung der Mitgliedstaaten, oder genügt hier eine einfache Mehr-
heit (bitte Rechtsgrundlagen angeben)?

3. Inwiefern ist die bisherige Grenzschutzagentur FRONTEX mit ihrem Prinzip
der Freiwilligkeit nicht mehr ausreichend, so dass eine Agentur gegründet
werden soll, die ggf. auch gegen den Willen eines Mitgliedslandes in diesem
tätig werden soll?

4. Inwiefern hat ein Mitgliedstaat in der Vergangenheit ein Verhalten an den
Tag gelegt, das es aus Sicht der Bundesregierung geboten erscheinen lässt,
eine Agentur zu gründen, die auch gegen den Willen eines Mitgliedslandes
Grenzschützer an dessen Außengrenzen entsenden darf (bitte sowohl hin-
sichtlich des Schutzes der Außengrenze als auch des Bereichs von Abschie-
bungen/Rückführungen ausführen)?
Falls ein solches Verhalten bislang aus Sicht der Bundesregierung nicht fest-
zustellen war, inwiefern sieht sie dann eine Notwendigkeit dafür, ggf. gegen
den Willen eines Mitgliedstaates tätig zu werden?

5. Wie soll sich das „stehende Korps“ der Agentur nach Kenntnis bzw. nach
den Vorstellungen der Bundesregierung zusammensetzen und welche Auf-
gaben soll es erfüllen?
Inwiefern soll dieses Personal auch selbständig operative Aufgaben an den
Außengrenzen durchführen?

6. Welche Überlegungen gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung, bei einem
Einsatz gegen den Willen des betroffenen Landes die tatsächliche Einsatzbe-
reitschaft der entsandten Grenzschutztruppe zu gewährleisten (da der Zugang
zu Ressourcen und Infrastruktur, Bewegungsfreiheit usw. von dem betref-
fenden Staat eingeschränkt oder verweigert werden könnte)?

7. Wer sollte im gegebenen Fall die Entscheidung treffen können, dass ein Mit-
gliedstaat die Herausforderungen des Grenzschutzes nicht effektiv bewältigt,
so dass ein Einsatz der Agentur nötig würde?
Obliegt diese Einschätzung der Leitung der Agentur selbst oder ist hierfür
ein (einstimmiger) Beschluss der Kommission oder des Rates nötig?
Inwiefern sollte in solche Entscheidungen das Europäische Parlament einbe-
zogen werden?

8. Welche konkreten Aktivitäten sollen von dem festen Korps der Agentur so-
wie dem ggf. zu mobilisierenden Reservepool erfüllt werden (bitte möglichst
die Bandbreite möglicher Aktivitäten anführen)?
Inwiefern umfassen diese beispielsweise Dokumentenkontrolle, Abnahme
von Fingerabdrücken von Migranten, Registrierung von Flüchtlingen, Zu-
rückweisungen?

9. Welche Rechtsbefugnisse soll das ggf. gegen den Willen des betroffenen
Mitgliedstaates entsandte EU-Grenzschutzkorps haben?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7343
Wie verhält sich in diesen Fällen das nationale Recht des betroffenen Landes
und das der Entsendestaaten?
Welchen Rechtsgrundlagen sind in solchen Fällen Angehörige der Bundes-
polizei unterworfen?

10. Inwiefern können nach Einschätzung oder Vorstellungen der Bundesregie-
rung zum Reservepool der Agentur auch Angehörige von Streitkräften bzw.
von Gendarmeriekräften gehören?
Inwiefern ist es vorstellbar, dass Bundeswehr-Angehörige Teil des Reser-
vepools sind und ggf. von der Agentur eingesetzt werden?

11. Soll das Personal aus dem Reservepool nach Kenntnis bzw. Vorstellungen
der Bundesregierung im Einsatz unter das Kommando der Agentur gestellt
werden, dem Kommando des Einsatzlandes oder dem Kommando des Ent-
sendestaates untergeordnet werden?

12. Wie viel Personal könnte – angesichts chronischer Unterbesetzung etwa von
Polizeibehörden in Deutschland – nach Einschätzung der Bundesregierung
in Deutschland als verbindlicher Beitrag zum Reservepool gemeldet werden,
das auf Anforderung der Agentur innerhalb weniger Tage in Marsch zu set-
zen wäre?
Welche strukturellen und personellen Vorkehrungen würde dies zuvor in
Deutschland erfordern?

13. Welcher Art sollen die „corrective actions“ sein, die von der Agentur ver-
bindlich den Behörden einzelner Mitgliedstaaten vorgeschrieben werden
können?

14. Wie genau soll der Zugang der Agentur zu technischer Ausrüstung, Fahrzeu-
gen usw. gewährleistet werden (bitte Unterschiede zur bisherigen Tool-Lö-
sung bei FRONTEX darstellen)?

15. Wie sollen nach den Vorstellungen der Bundesregierung die Kontrollmecha-
nismen zur Überprüfung der Arbeit und der Einsätze der Agentur ausgestaltet
werden?

16. Von wem soll nach den Vorstellungen der Bundesregierung der Menschen-
rechtsbeauftragte der Agentur ernannt werden, und welche Mittel sollen die-
sem zur Verfügung gestellt werden?

17. Welche Aufgaben und Befugnisse sollen den Verbindungsoffizieren, die in
nationale Grenzbehörden entsandt werden, verliehen werden?
Soll auch die Entsendung solcher Verbindungsoffiziere ggf. gegen den Wil-
len des betroffenen Mitgliedstaates erfolgen?

18. Wie soll die Kooperation der Agentur mit anderen Behörden bzw. Einrich-
tungen der EU, der Nationalstaaten und auf internationaler Ebene ausgestal-
tet werden?

19. Inwiefern soll die Agentur zur Anlage von Datenbanken berechtigt werden?
20. Inwiefern sollen die Agentur, die Mitarbeiter der Grenzschutzkorps sowie

des Reservepools zur Nutzung bestehender Datenbanken berechtigt werden
(diese bitte angeben und sowohl Lese- als auch Schreibbefugnisse mitteilen)?

Berlin, den 22. Januar 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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