BT-Drucksache 18/698

Mögliche Nichtumsetzung des Bundesratsbeschlusses zur "Pille danach"

Vom 28. Februar 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/698
18. Wahlperiode 28.02.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Kathrin Vogler, Cornelia Möhring, Sabine Zimmermann
(Zwickau), Inge Höger, Katja Kipping, Birgit Wöllert, Harald Weinberg,
Pia Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Mögliche Nichtumsetzung des Bundesratsbeschlusses zur „Pille danach“

Mit dem Referentenentwurf vom 12. Juni 2013 hat die Bundesregierung eine
turnusmäßige Verordnung zur Änderung der Arzneimittelverschreibungsverord-
nung und der Verordnung über apothekenpflichtige und freiverkäufliche Arznei-
mittel auf den Weg gebracht. Diese Verordnung ist nach § 48 Absatz 2 Satz 1 des
Arzneimittelgesetzes (AMG) im Bundesrat zustimmungspflichtig und sollte ur-
sprünglich Ende des Jahres 2013 in Kraft treten. Über die Verordnung hat nach
§ 48 Absatz 2 Satz 1 AMG das Bundesministerium für Gesundheit Einverneh-
men mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie herzustellen.
Am 8. November 2013 hat der Bundesrat beschlossen, der Verordnung nur dann
zuzustimmen, wenn unter anderem Notfallkontrazeptiva („Pille danach“) mit
bis zu 1,5 mg Levonorgestrel (LNG) pro abgeteilter Arzneiform zur einmaligen
Einnahme von der Rezeptpflicht ausgenommen werden (Bundesratsdrucksache
705/13).
Nach § 48 Absatz 2 Satz 2 AMG sind vor der Verordnungsänderung durch die
Bundesregierung Sachverständige anzuhören. Der dafür eingerichtete Sachver-
ständigenausschuss im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
(BfArM) hatte über Notfallkontrazeptiva mit Levonorgestrel bereits im Jahr
2003 beraten und die Rezeptfreiheit empfohlen.
Der zu diesem Zeitpunkt amtierende Bundesminister für Gesundheit, Daniel
Bahr, hatte nach dem Bundesratsbeschluss den Ausschuss erneut um eine Ein-
schätzung gebeten. Am 14. Januar 2014 hat er seine Empfehlung bekräftigt. Es
ist jetzt an der Bundesregierung, die Verordnung mit der Maßgabe des Bundes-
rates durch Verkündung im Bundesanzeiger in Kraft zu setzen.
Das Bundesministerium für Gesundheit sowie die Fraktion der CDU/CSU haben
sich trotz allem weiterhin gegen die Rezeptfreiheit der „Pille danach“ mit LNG
ausgesprochen (vgl. die von der Fraktion DIE LINKE. initiierte Bundestagsde-
batte am 14. Februar 2014).
Die einzige Möglichkeit der Bundesregierung, die Rezeptfreiheit der „Pille
danach“ mit LNG nicht herzustellen, besteht darin, die Verkündung der Verord-
nung als Ganzes einfach zu unterlassen. Damit entfielen auch die anderen vor-
gesehenen Regelungen.
§ 48 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 AMG regelt klar und abschließend die Kriterien
für die Rezeptpflicht von Arzneimitteln. Maßgeblich sind für Humanarzneimit-
tel nach Buchstabe a die unmittelbare oder mittelbare Gesundheitsgefährdung
auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch, wenn sie ohne ärztliche bzw. zahn-

Drucksache 18/698 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
ärztliche Überwachung angewendet werden sowie nach Buchstabe b eine erheb-
liche Missbrauchsgefahr, sofern dadurch die Gesundheit unmittelbar oder mit-
telbar gefährdet werden kann.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wäre zur Verkündung der Verordnung gemäß § 48 Absatz 2 Satz 1 AMG

das Einvernehmen mit dem Bundeswirtschaftsministerium herzustellen,
und wurde dieses Einvernehmen auch bezüglich der möglichen Nichtver-
kündung hergestellt?

2. Welche Position nimmt diesbezüglich das Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend ein?

3. Wie gedenkt die Bundesregierung, mit dem genannten Bundesratsbeschluss
vom 8. November 2013 umzugehen (bitte Zeithorizont angeben)?

4. Unter welchen Voraussetzungen kann die Bundesregierung die Verkündung
einer zustimmungspflichtigen Verordnung (hier Arzneimittelverschrei-
bungsverordnung – AMVV) nach Maßgabe des Beschlusses des Bundes-
rates unterlassen?

5. Welche Bedeutung misst die Bundesregierung den Voten des Sachverstän-
digenausschusses für Verschreibungspflicht bei, dessen Anhörung gesetz-
lich für das Verordnungsgebungsverfahren vorgesehen ist und dessen Mit-
glieder von der Bundesregierung selbst benannt wurden?

6. Welche Folgen hat die mögliche Nichtverkündung der durch den Bundesrat
geänderten Verordnung?

7. Plant die Bundesregierung, erneut einen Verordnungsentwurf zur Änderung
der Arzneimittelverschreibungsverordnung vorzulegen, der keine Entlas-
sung von LNG von der Verschreibungspflicht beinhaltet?

8. Welche EU-Bestimmungen sind aufgrund der Nichtverkündung der ge-
nannten Verordnungsänderung nicht in Kraft getreten (vgl. Frankfurter
Allgemeine Zeitung vom 22. Februar 2014), und welche Sanktionen sind
darauffolgend angedroht oder in die Wege geleitet worden?

9. Welche Informationen hat die Bundesregierung über Bemühungen, auf
europäischer Ebene die Rezeptfreiheit für Ulipristal zur Notfallkontra-
zeption herzustellen, und welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus?

10. Inwieweit können nach Ansicht der Bundesregierung andere als die in § 48
Absatz 2 Nummer 3 AMG genannten Kriterien bei Entscheidungen über die
Verschreibungspflicht herangezogen werden?

11. Inwieweit darf es nach Ansicht der Bundesregierung gemäß dem Arznei-
mittelgesetz bei der Entscheidung über die Rezeptpflicht eine Rolle spielen,
ob das betreffende Arzneimittel indikationsbezogen als Mittel erster Wahl
angesehen wird?

12. Bewertet die Bundesregierung Ulipristal in Übereinstimmung mit dem Bun-
desverband der Frauenärzte als „neue Standard-Methode“ (www.bvf.de/pdf/
fachinfo/130205_final_EC_update_18_5.2.2013[1].pdf ), oder stimmt sie
eher etwa dem Arzneimitteltelegramm zu, das Ulipristal als „Mittel der
Reserve“ (www.arznei-telegramm.de/db/wkstxt.php3?&knr=029411/4078
17&art=mono&nummer=Ulipristalazetat&ord=uaw) bewertet (bitte begrün-
den)?

13. Welchen Stellenwert haben für die Beurteilung der Bundesregierung die in
der EU-Switch-Guideline (Europäische Kommission (2006) A GUIDE-
LINE ON CHANGING THE CLASSIFICATION FOR THE SUPPLY OF
A MEDICINAL PRODUCT FOR HUMAN USE) genannten Kriterien für
die Verschreibungspflicht?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/698
14. Welche der in der EU-Switch-Guideline genannten Kriterien rechtfertigen
nach Ansicht der Bundesregierung die Verschreibungspflicht für LNG-hal-
tige Notfallkontrazeptiva?

15. Welches der im AMG genannten Kriterien findet für die Bundesregierung
bei der Entscheidung über die mögliche Nichtumsetzung einer Entlassung
von LNG zur Notfallkontrazeption Anwendung (bitte begründen)?

16. Welche Argumente hat der Sachverständigenausschuss für Verschreibungs-
pflicht bei der Verabschiedung seines Votums in seiner Sitzung am 14. Ja-
nuar 2014 gewürdigt, und in welchen Punkten kommt die Bundesregierung
zu einer anderen fachlichen Auffassung (bitte jeweils begründen)?

17. In welchen Fällen sind die Bundesregierung oder nach ihrer Kenntnis der
Bundesrat einem Votum des Sachverständigenausschusses für Verschrei-
bungspflicht in den letzten zehn Jahren nicht gefolgt, und inwiefern hält die
Bundesregierung diese Fälle für sachlich und rechtlich vergleichbar mit der
Entscheidung um LNG-haltige Notfallkontrazeptiva?

18. Welche Bedeutung hat nach Ansicht der Bundesregierung eine ärztliche
Überwachung bei der Einnahme einer einzigen Tablette entsprechend den
zugelassenen Anwendungsempfehlungen, und welche Kriterien sind nach
Kenntnis der Bundesregierung Gegenstand einer solchen ärztlichen Über-
wachung?

19. Inwiefern spielt nach Ansicht der Bundesregierung eine ärztliche Überwa-
chung der Anwendung von LNG zur Notfallkontrazeption für das Kriterium
nach § 48 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe b AMG eine Rolle?

20. Sind nach Ansicht der Bundesregierung Apothekerinnen und Apotheker als
Arzneimittelfachleute ebenso wie Ärztinnen und Ärzte qualifiziert, die er-
forderliche Beratung für eine sachgerechte und bestimmungsgemäße An-
wendung von Notfallkontrazeptiva zu leisten?

21. Ist die Abgabe und Beratung zu LNG-haltigen Notfallkontrazeptiva im
Rahmen des Apothekenbereitschaftsdienstes nach Ansicht der Bundesre-
gierung ein Hindernis für die Rezeptfreiheit?
Falls ja, welche Rückschlüsse zieht die Bundesregierung bezüglich der
Abgabe anderer rezeptpflichtiger und nichtrezeptpflichtiger Arzneimittel
daraus?

22. Welche seltenen (weniger als 1 pro 1 000 Anwendungen), schwerwiegenden
Nebenwirkungen können nach Erkenntnissen der Bundesregierung bei be-
stimmungsgemäßem Gebrauch von LNG zur Notfallkontrazeption auf-
treten?

23. Welche seltenen (weniger als 1 pro 1 000 Anwendungen), schwerwiegenden
Nebenwirkungen können nach Erkenntnissen der Bundesregierung bei be-
stimmungsgemäßem Gebrauch von nichtrezeptpflichtigen Schmerzmitteln
(Paracetamol, Diclofenac, Acetylsalicylsäure, Naproxen etc.), ggf. auch in
Kombinationsmitteln (etwa Erkältungsmitteln) auftreten?

24. Beabsichtigt die Bundesregierung, gegebenenfalls die Verschreibungs-
pflicht für die genannten Arzneimittel einzuführen?

25. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die anwendungsbe-
zogene Häufigkeit von venösen thromboembolischen Ereignissen und Fehl-
bildungen im Zusammenhang mit der bestimmungsgemäßen Anwendung
von LNG zur Notfallkontrazeption vor?

Berlin, den 28. Februar 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.