BT-Drucksache 18/6959

Sogenannte islamistische Gefährder

Vom 2. Dezember 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6959
18. Wahlperiode 02.12.2015

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Christine Buchholz, Annette Groth, Inge Höger,

Andrej Hunko, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Sogenannte islamistische Gefährder

Bei einem „Gefährder“ handelt es sich nach der gemeinsamen Definition von
Bund und Ländern um eine Person, „bei der bestimmte Tatsachen die Annahme
rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung,
insbesondere solche im Sinne des § 100a StPO, begehen wird“ (Bundestags-
drucksache 15/3284, S. 16, Antwort der Bundesregierung auf eine Schriftliche
Frage des Abgeordneten Dr. Max Stadler). Nach aktuellen, in der Presse veröf-
fentlichten Zahlen des Bundesamtes für Verfassungsschutz halten sich derzeit
420 Gefährderinnen und Gefährder aus dem islamistischen bzw. dschihadisti-
schen Spektrum in der Bundesrepublik Deutschland auf, darunter rund 70 Perso-
nen, die in Ausbildungslagern möglicherweise Fähigkeiten zum Begehen von An-
schlägen erlangt oder in Syrien Kampferfahrung gesammelt haben.

Neben Gefährdern werden von Sicherheitsbehörden auch sogenannte relevante
Personen erfasst, von denen ebenfalls ein – wenn auch im Vergleich zu den Ge-
fährdern geringeres – Gefahrenpotenzial ausgeht oder die über relevantes Wissen
verfügen könnten. Dieser Kreis soll innerhalb der islamistischen Szene 320 Per-
sonen umfassen.

Nach Behördenangaben sind seit Beginn des syrischen Bürgerkrieges im Jahr
2011 bislang 750 Personen aus Deutschland ausgereist, um sich dschihadisti-
schen Kampfformationen in Syrien anzuschließen.

Unklar bleibt nach Ansicht der Fragesteller, aufgrund welcher Informationen und
nach welchen Kriterien die Innenbehörden im Einzelnen zu solchen Zahlen und
Informationen über nach Syrien ausgereisten Personen, aber auch zu Gefährdern
oder „relevanten Personen“ in Deutschland kommen (www.n-tv.de/politik/Wer-
sind-die-Gefaehrder-article16389301.html).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie lauten die aktuellen, den oben genannten Zahlen zugrunde liegenden
Definitionen für die von der Bundesregierung gebrauchten Begriffe (islamis-
tische) „Gefährderin bzw. Gefährder“, „relevante Personen“ der islamisti-
schen Szene, „islamistisches Umfeld“, „islamistisch-terroristisches Spekt-
rum“, „salafistische Bestrebungen“ und „Dschihadismus“?

Inwieweit gibt es bei den genannten Spektren und Personengruppen Über-
schneidungen bzw. Doppelungen oder Abgrenzungen?

Und welche Behörden sind jeweils zuständig für diese Zuschreibungen?

Drucksache 18/6959 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

2. Aufgrund welcher Merkmale, Informationen, Einschätzungen welcher in-
und ausländischen Behörden und Eintragungen in welchen Dateien erfolgen
entsprechende Zuordnungen zu den in Frage 1 genannten Gruppierungen?

3. Wie viele in der Bundesrepublik Deutschland aufhältige Personen rechnet
die Bundesregierung gegenwärtig den folgenden Spektren zu (bitte mögliche
Überschneidungen angeben und nach männlichen bzw. weiblichen Personen
aufgliedern)?

Wie haben sich diese Zahlen über die letzten fünf Jahre hinweg verändert?

Und inwieweit handelt es sich um den Behörden namentlich bekannte Per-
sonen oder nur um Schätzwerte zu folgenden Gruppierungen:

a) islamistische Gefährderinnen bzw. Gefährder

b) relevante Personen in der islamistischen Szene

c) islamistische Szene

d) islamistisch-terroristisches Spektrum

e) salafistische Bestrebungen

f) Dschihadismus

g) gegebenenfalls weitere Spektren bzw. Zuschreibungen aus dem dschi-
hadistischen Milieu?

4. Auf welchen Informationsquellen basieren die vom Bundesministerium des
Innern regelmäßig veröffentlichten Zahlen von Personen aus Deutschland,
die zur Teilnahme am Dschihad nach Syrien ausgereist sein sollen?

a) Inwieweit handelt es sich hier lediglich um Schätzungen?

b) Die Identität wie vieler der in diesen Statistiken enthaltenen Personen ist
den Bundesbehörden tatsächlich bekannt?

c) Aufgrund welcher Informationsquellen im Einzelnen (z. B. Internet bzw.
soziale Netzwerke, Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen, In-
formanten und V-Leute, Informationen in- und ausländischer Geheim-
dienste, Angaben von Freunden und Verwandten der Ausgereisten,
Selbstbezichtigungen etc.) kommen diese Zahlen zustande?

Welchen Anteil haben die genannten Informationsquellen jeweils an der
Gesamtzahl, und für wie zuverlässig schätzt die Bundesregierung diese
Informationsquellen jeweils ein?

5. Wie viele Personen aus Deutschland (bitte Staatsbürgerschaft bzw. Aufent-
haltsstatus benennen) haben sich wann nach Kenntnis der Bundesregierung
zum gegenwärtigen Stand welchen dschihadistischen Gruppierungen in Sy-
rien angeschlossen?

a) Wie viele von ihnen haben eine Kampfausbildung gemacht (diese bitte
möglichst qualifizieren, etwa Schießausbildung, Artillerieausbildung,
Bombenbau etc.)?

b) Wie viele von ihnen haben aktiv an Kampfhandlungen teilgenommen?

c) Wie viele sind in Syrien gestorben oder getötet worden?

d) Wie viele von ihnen sind nach Deutschland zurückgekehrt, und wie viele
von diesen Rückkehrern haben eine Ausbildung (Frage 5a) erhalten
und/oder an Kampfhandlungen teilgenommen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6959

e) Gegen wie viele dieser Personen wurden in Deutschland Ermittlungsver-
fahren aufgrund welcher Straftatbestände eingeleitet, und in wie vielen
Fällen davon wurde das Ermittlungsverfahren wieder eingestellt ohne
dass es zu einer Anklage kam?

Falls nicht gegen alle der Personen nach Frage 5d Ermittlungsverfahren
eingeleitet worden sind, warum nicht?

f) Wie viele Syrien-Rückkehrerinnen und -Rückkehrer wurden bislang auf-
grund von Ermittlungsverfahren festgenommen, verhaftet, angeklagt
oder – mit welchem Ergebnis – verurteilt?

6. Welche Kenntnis aufgrund welcher Informationsquellen hat die Bundesre-
gierung über die Motivation und mögliche Gefährlichkeit von Syrien-Rück-
kehrerinnen und -Rückkehrern?

a) Welcher Anteil von Syrien-Rückkehrerinnen und -Rückkehrern gilt nach
Einschätzung der Bundesregierung als desillusioniert durch seine Erfah-
rungen in Syrien?

b) Welcher Anteil von Syrien-Rückkehrerinnen und -Rückkehrern gilt nach
Einschätzung der Bundesregierung als weiter radikalisiert, moralisch ent-
hemmt und an Gewalt gewöhnt aufgrund der Syrien-Erfahrungen?

c) Welcher Anteil von Syrien-Rückkehrerinnen und -Rückkehrern kommt
nur vorübergehend nach Deutschland zurück und plant anschließend wie-
der nach Syrien auszureisen, und was ist nach Kenntnis der Bundesregie-
rung der Grund der Rückkehr?

d) Welche Rolle spielen Syrien-Rückkehrerinnen und -Rückkehrer inner-
halb der islamistischen und salafistischen Szene nach Einschätzung der
Bundesregierung in Deutschland?

7. Welche Verbindungen zwischen der Salafistenszene in Deutschland und den
Gruppierungen IS und Al Qaida bzw. Al Nusra Front sowie weiteren als
dschihadistisch eingestuften Gruppierungen bestehen nach Kenntnis der
Bundesregierung?

a) Wie viele der nach Syrien ausgereisten Dschihadisten aus Deutschland
haben vor ihrer Reise nach Syrien wie lange welchen dem salafistischen
Spektrum zugerechneten Vereinigung angehört oder sich wie lange und
auf welche Weise in diesem Spektrum engagiert?

b) Wie viele der nach Syrien ausgereisten Dschihadisten aus Deutschland
besuchten vorher wie lange und wie regelmäßig welche dem salafisti-
schen Spektrum zugerechneten Moscheen?

c) Welche Positionierungen, öffentlichen oder internen Rechtfertigungen,
Solidarisierungen, Sympathiebekundungen aber auch Distanzierungen
oder Kritiken welcher Gruppierungen oder welcher bekannter Repräsen-
tanten des salafistischen Spektrums in Deutschland gegenüber dem IS und
Al Qaida bzw. Al Nusra Front und diesen Gruppierungen zugerechneten
Taten sind der Bundesregierung bekannt?

8. Wie viele Gefährderansprachen bei wie vielen Gefährderinnen und Gefähr-
dern aus dem islamistischen Spektrum fanden nach Kenntnis der Bundesre-
gierung wann und in welchen Bundesländern innerhalb der letzten fünf Jahre
statt?

a) Bei wie vielen der angesprochenen Gefährderinnen und Gefährdern han-
delte es sich um Syrien-Rückkehrerinnen und -Rückkehrer?

b) Wie viele der angesprochenen Gefährderinnen und Gefährder sind nach
ihrer Ansprache nach Syrien ausgereist?

Drucksache 18/6959 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

c) Nach welchen Kriterien wird nach Kenntnis der Bundesregierung zum
präventiven Mittel der Gefährderansprache gegriffen?

d) In welchem Umfang wurde nach Kenntnis der Bundesregierung von die-
sem Mittel nach den Anschlägen vom 13. November 2015 in Paris Ge-
brauch gemacht (bitte so weit möglich nach Ansprachen durch das Bun-
deskriminalamt, Landeskriminalämter, Bundesamt für Verfassungsschutz
und Landesämter des Verfassungsschutzverbundes auflisten)?

9. Wie viele Gefährderinnen und Gefährder aus dem islamistischen Spektrum
werden nach Kenntnis der Bundesregierung in welchem Umfang und über
welche Dauer durch Beamtinnen und Beamten welcher Polizeibehörden von
Bund und Ländern überwacht?

a) Von welchen Behörden wird auf welcher Ebene nach welchen genauen
Kriterien nach Kenntnis der Bundesregierung entschieden, ob und in wel-
chem Umfang Gefährderinnen und Gefährder jeweils durch Polizeibeam-
tinnen und Polizeibeamten von Bund und Ländern überwacht werden?

b) Wie viele Beamtinnen und Beamten welcher Polizeibehörden von Bund
und Ländern sind derzeit mit der Überwachung von wie vielen Gefährde-
rinnen und Gefährdern befasst?

c) Inwieweit und auf welcher Erkenntnisgrundlage sieht die Bundesregie-
rung die Notwendigkeit einer verstärkten Überwachung von Gefährderin-
nen und Gefährdern, und welche personellen und rechtlichen Gegeben-
heiten stehen dem möglicherweise entgegen?

10. In wie vielen und welchen Fällen wurden wann auf welcher rechtlichen
Grundlage in der Bundesrepublik Deutschland Ausreiseverbote und passbe-
schränkende Maßnahmen gegen Personen verhängt, die mutmaßlich nach
Syrien reisen wollten (bitte aufgliedern, welchen dschihadistischen Gruppie-
rungen diese Personen sich nach Kenntnis der Bundesregierung anschließen
wollten oder ob diese Personen sich den gegen die dschihadistischen Milizen
kämpfenden Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG/YPJ und mit
diesen verbündeten Gruppierungen wie der auf Initiative kommunistischer
Organisationen aus der Türkei gebildeten Internationalen Freiheitsbrigade
anschließen wollten)?

Berlin, den 1. Dezember 2015

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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