BT-Drucksache 18/6941

Unterstützung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag durch die Bundesregierung

Vom 1. Dezember 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6941
18. Wahlperiode 01.12.2015

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Frank Tempel, Wolfgang Gehrcke, Annette Groth,

Inge Höger, Ulla Jelpke, Katrin Kunert, Petra Pau, Dr. Petra Sitte, Kathrin Vogler,

Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Unterstützung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag durch die
Bundesregierung

Seit dem 1. Juli 2002 verfügt die Weltgemeinschaft über ein wichtiges Instrument
zur strafrechtlichen Verfolgung schwerster Menschenrechtsverletzungen: den In-
ternationalen Strafgerichtshof (IStGH, englisch: International Criminal Court,
ICC) mit Sitz in Den Haag in den Niederlanden. Er wurde von 120 Staaten durch
das Rom Statut eingerichtet und als permanenter Strafgerichtshof geschaffen.

Nicht erst vor dem Hintergrund der internationalen Militärgerichtshöfe von Nürn-
berg 1946 und Tokio nach dem Zweiten Weltkrieg entstand die Idee zur Grün-
dung eines Internationalen Strafgerichtshofes; sie wurde jedoch damals zum ers-
ten Mal ernsthaft in Erwägung gezogen („Versprechen von Nürnberg“). Während
des Kalten Krieges wurde die Idee allerdings wieder fallengelassen. 1994 schließ-
lich entwarf die VN-Völkerrechtskommission (VN: Vereinte Nationen) ihren ers-
ten Vorschlag für ein Statut eines Internationalen Strafgerichtshofs. Nach lang-
wierigen Verhandlungen beschloss die VN-Generalversammlung im Dezember
1997 per Resolution 52/160 eine Diplomatische Bevollmächtigtenkonferenz zur
Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs, welche im Juli 1998 in Rom
tagte. Das Ergebnis war das Statut von Rom, und damit die Errichtung des IStGH.
Zwölf Jahre nach dem Inkrafttreten des Römischen Statuts haben zum 15. März
2014 insgesamt 123 der 154 Unterzeichnerstaaten das Römische Statut ratifiziert
und somit die Kompetenz des IStGH endgültig anerkannt. 31 Unterzeichnerstaa-
ten, darunter auch Russland, haben den Vertrag zwar unterzeichnet, aber noch
nicht ratifiziert. Die US-Regierung hat im Jahr 2000 zwar das Statut des IStGH
unterzeichnet, aber noch im selben Jahr die völkerrechtlich unübliche, aber zuläs-
sige Rücknahme der Unterzeichnung erklärt. Gleiches gilt für Israel und den Su-
dan. Wieder andere Staaten wie China und Indien haben das Statut nicht unter-
zeichnet.

Im Juni 2010 tagte in Kampala (Uganda) die erste Überprüfungskonferenz des
IStGH (englisch: „Review Conference of the Rome Statute“), deren Ziel es unter
anderem war, das bisher ausgesparte Verbrechen der Aggression in das Römische
Statut zu integrieren. Der Konferenz gelang eine Einigung sowohl über die Defi-
nition als auch über die Bedingungen der Ausübung der Gerichtsbarkeit für das
Verbrechen der Aggression in Umsetzung des Mandats von Artikel 5 Absatz 2
IStGH-Statut. Diese Regelung hat aber relativ enge Grenzen und kann frühestens
2017 zur Anwendung kommen. In diesem Kontext ist es leider nicht gelungen,
das Weltrechtsprinzip zu implementieren.

Viele Befürworter des IStGH sind inzwischen reichlich ernüchtert, weil er letzt-
lich auch insoweit ein politisches Gericht ist, als militärische Führer „westlicher“

Drucksache 18/6941 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

 

Staaten bisher kaum befürchten müssen, es mit dem IStGH zu tun zu bekommen.
Der IStGH steht daher in den Augen vieler Beobachter für Doppelstandards und
wird teilweise als einseitiges Instrument der „Siegerjustiz“ und der Mächtigen
wahrgenommen. Was Verfahren und Verurteilungen angeht, gibt es bislang einen
überstarken Fokus auf afrikanische Staaten.

Über seine eigentlichen Aufgaben hinaus wurde Mitte November 2015 der IStGH
auch dadurch bekannt, dass die vom Bundesnachrichtendienst (BND) vorgelegte
900 Seiten umfassende Selektorenliste neben zahllosen anderen europäischen
und US-amerikanischen Zielen auch den IStGH in Den Haag enthalten hat (vgl.
u. a. ZEIT ONLINE vom 11. November 2015). Über die genauen Hintergründe
und Ziele der Überwachungs- und Abhörmaßnahmen ist bislang in der Öffent-
lichkeit nichts bekannt.

Nachdem Deutschland mit zu den Initiatoren des Internationalen Strafgerichts-
hofs gehört, besteht die Notwendigkeit, die Wirksamkeit der Institution einer
sorgfältigen Prüfung, aber auch den staatlichen Umgang wie er mit seiner Listung
als geheimdienstliches Beobachtungsobjekt sichtbar wird, einem derartigen po-
tenziell wichtigen internationalen Gremium einer kritischen Bilanz zu unterzie-
hen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Bedeutung misst die Bundesregierung den IStGH-Ermittlungen bzw.
dem Ende der Straflosigkeit für Menschenrechtsverbrechen in Ländern wie
der Zentralafrikanischen Republik oder der Demokratischen Republik
Kongo bei?

2. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung zur Evaluation der Arbeit des
IStGH ergriffen?

3. Wie bewertet die Bundesregierung die außerordentlich lange Dauer einiger
Verfahren, wie im Fall von Jean-Pierre Bemba aus der Demokratischen Re-
publik Kongo (sieben Jahre)?

4. Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um eine
faire Verfahrensdauer für alle Beschuldigten des IStGH sicherzustellen?

5. Mit welchen Argumenten hat die Bundesregierung ihre Ablehnung des Welt-
rechtsprinzips bzw. im Zusammenhang mit der Überprüfungskonferenz in
Kampala 2010 begründet, und sind derzeit Initiativen zu erwarten, die eine
Implementierung dieses Prinzips anstreben?

6. Welche Bestimmungen in der deutschen Strafprozessordnung erlauben es
derzeit, Verfahren mit internationalem Bezug nach dem Opportunitätsprinzip
durch deutsche Institutionen nicht verfolgen zu lassen?

7. Seit wann hat der BND mit welcher Zielsetzung und welchen genauen Zielen
(Büros, Abteilungen, Personen etc.) den IStGH ausgespäht?

8. Wurden die Abhör- und Überwachungsmaßnahmen mittlerweile eingestellt?

Wenn ja, wann und auf wessen Veranlassung hin?

Wenn nein, warum nicht und aufgrund welcher Entscheidungen in welchen
behördlichen oder Regierungsgremien?

9. Auf welche Art und Weise wurde der IStGH vom BND ausgespäht?

10. Wer hat die Ausspähung des IStGH durch den deutschen Auslandsnachrich-
tendienst beauftragt?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6941

 

11. Hat die Bundesregierung mittlerweile den IStGH über die Ausspähung durch
den BND informiert und sich dafür entschuldigt?

Wenn ja, wann, und in welcher Form, und auf wessen Veranlassung hin?

Wenn nein, warum und auf wessen Entscheidung hin nicht?

12. Was waren nach Ansicht der Bundesregierung die Gründe dafür, dass die
Afrikanische Union (AU) im Mai 2013 dem IStGH in Den Haag eine einsei-
tige Verfolgung von Verbrechern nach rassistischen Kriterien vorgeworfen
hat, und für wie berechtigt hielt bzw. hält die Bundesregierung diese Vor-
würfe (bitte begründen)?

13. Hält die Bundesregierung den Vorwurf vieler afrikanischer Staaten, der
VN-Sicherheitsrat messe Menschenrechtsfragen in ihren Ländern größeres
Gewicht bei als in anderen Teilen der Welt, für berechtigt, und wie reagiert
sie auf diesen Vorwurf?

14. Befürchtet die Bundesregierung einen Verlust an Glaubwürdigkeit des
VN-Systems, wenn es nicht gelingt, Verbrechen gegen die Menschlichkeit
in Ländern außerhalb Afrikas an den IStGH zu verweisen, und wenn ja, was
unternimmt sie konkret dagegen?

15. In welchen Staaten und zu welchen Situationen haben offizielle Untersu-
chungen des IStGH auf wessen Antrag hin bislang stattgefunden, und welche
Ergebnisse hatten diese jeweils (bitte entsprechend nach Staat bzw. Situation,
Antragsteller, Datum der Antragstellung, Fällen, Dauer der Untersuchungen
und Ergebnis auflisten)?

16. In welchen Staaten und zu welchen Situationen haben Vorermittlungen des
IStGH auf wessen Antrag hin bislang stattgefunden, und welche Ergebnisse
hatten diese jeweils (bitte entsprechend nach Staat bzw. Situation, Antrag-
steller, Datum der Antragstellung, Fällen, Dauer der Vorermittlungen und
Ergebnis auflisten)?

17. Welche Anstrengungen hat die Bundesregierung unternommen, diejenigen
Staaten, die bislang das Rom Statut noch nicht unterzeichnet haben, zu einer
Unterschrift zu bewegen (bitte für den jeweiligen Staat gesondert aufführen)?

18. Welche Anstrengungen hat die Bundesregierung unternommen, diejenigen
Staaten, die bislang das Rom Statut noch nicht ratifiziert haben, zu einer Ra-
tifizierung zu bewegen (bitte für den jeweiligen Staat gesondert aufführen)?

19. Mit welcher Argumentation verweigern die USA und Israel sowie Russland
eine Ratifizierung des Statuts, und finden derzeit Gespräche über eine Über-
windung der von diesen drei Staaten bezeichneten Hindernisse statt?

20. Auf welche Summe beläuft sich der deutsche Beitrag zur Finanzierung des
IStGH (bitte die jährlichen Beitragszahlungen für den Zeitraum 2002 bis
2015 aufschlüsseln)?

21. Hält die Bundesregierung die finanzielle und technische Ausstattung des
IStGH für ausreichend oder benötigt der Strafgerichtshof mehr Ressourcen,
um seiner Aufgabe gerecht werden zu können?

Berlin, den 1. Dezember 2015

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.