BT-Drucksache 18/6920

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 18/4655, 18/5581, 18/6909 - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Bestimmungen des Rechts des Energieleitungsbaus

Vom 2. Dezember 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6920
18. Wahlperiode 02.12.2015

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Oliver Krischer, Dr. Julia Verlinden, Anja Hajduk,
Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Christian Kühn
(Tübingen), Steffi Lemke, Peter Meiwald, Harald Ebner, Matthias Gastel,
Stephan Kühn (Dresden), Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, Markus
Tressel, Dr. Valerie Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung

– Drucksachen 18/4655, 18/5581, 18/6909 –

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Bestimmungen
des Rechts des Energieleitungsbaus

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mit weniger als 15 Minuten durchschnittlicher Stromausfallzeit hat Deutschland
heute eines der sichersten Stromnetze der Welt. In den letzten Jahren ist die Versor-
gungssicherheit sogar noch gestiegen – bei einem Anteil Strom aus erneuerbaren
Energien von inzwischen fast 30 Prozent. Damit erweisen sich zahlreiche „Vorher-
sagen“ der letzten Jahre als interessengeleitete Propaganda, mit dem Ausbau der
erneuerbaren Energien werde das Stromnetz instabiler.

Dennoch muss in das Stromnetz auf allen Spannungsebenen investiert werden. Zum
einen sind viele Leitungen in die Jahre gekommen und bedürfen der Erneuerung,
zum anderen fehlen zunehmend Leitungskapazitäten. Ohne dass dies mit dem
Ausbau der erneuerbaren Energien in Zusammenhang steht, müssen jährlich bis zu
einer halben Milliarde Euro für sog. „Redispatch-Kosten“ von den Stromverbrau-
chern aufgebracht werden, weil zwischen Stromerzeugung und -verbrauch die nöti-
gen Leitungskapazitäten fehlen und deshalb teure und oft ineffiziente und klima-
schädliche Ersatzkraftwerke in Anspruch genommen werden müssen. Durch den
weiteren Ausbau der schwankenden Erzeugung von Wind vor allem im Norden und
Sonne vor allem im Süden Deutschlands, werden weitere Leitungskapazitäten
gebraucht. Mit stark steigender Tendenz müssen Windenergieanlagen im Norden
und Osten Deutschlands abgeregelt werden, weil der Strom nicht nach Süden ab-
transportiert werden kann. Speicher und Lastmanagement können hier wesentlich
Abhilfe schaffen, aber der an den Zielen der Energiewende orientierte Stromnetz-
ausbau nicht nur im Übertragungs- sondern auch im Verteilnetz ist die mit Abstand

Drucksache 18/6920 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

wirtschaftlichste Flexibilitätsoption.

Die Bundesregierung erweist sich seit Jahren als unfähig, den Stromnetzbau in
Deutschland substanziell voranzubringen. Mit den EnLAG wurde 2007 der Bau von
Stromleitungen ohne Nachweis der Notwendigkeit per Gesetz angeordnet. Die Mög-
lichkeit zur Erdverkabelung zur Vermeidung von Konflikten mit Anwohnern wurde
auf wenige Pilotstrecken beschränkt, was nachvollziehbar zu Unverständnis und Ab-
lehnung bei Anwohner anderer Leitungen führte. Bis heute sind nur ein Bruchteil
der EnLAG-Leitungen realisiert und die Konflikte oft nicht gelöst worden. Daran
ändert der vorliegende Gesetzentwurf praktisch nichts.

Seit den im Jahr 2011 zusätzlich geschaffenen gesetzlichen Regelungen zum Strom-
netzbau müssen Neubauprojekte sich aus realistischen Energieszenaren und -zielen
ableiten, was ein richtiger Ansatz ist und die Notwendigkeit, z. B. von den geplanten
HGÜ-Leitungen belegt, aber dennoch beging die damalige schwarz-gelbe Koalition
mit Unterstützung der SPD, trotz eindringlicher Warnungen von Fachleuten, folgen-
schwere Fehler, die sich heute bitter rächen: Vor allem wurde die Bürgerbeteiligung
unzureichend verankert und die Möglichkeit von Erdverkabelung auf Ausnahmen
reduziert.

Vier Jahre später zeigt sich, dass dieses Konzept weitgehend gescheitert und die
Akzeptanz bei Anwohnern weitgehend zerstört ist. Alle Planungen müssen von
vorne beginnen, vier wertvolle Jahre sind verloren, Milliarden zusätzlicher Kosten
werden anfallen. Dass es ausgerechtet die CSU mit ihrem Ministerpräsidenten
Seehofer war, die 2011 Bürgerbeteiligung und Erdkabel am heftigsten bekämpfte,
die dann das Netzauskonzept mit Regionalpopulismus zu Fall brachte, ist ein
Treppenwitz der Geschichte.

Nun schlägt die Bundesregierung dank des Seehofer-Populismus ins andere Extrem:
Alle HGÜ-Leitungen sollen vorrangig erdverkabelt werden. Erdverkabelung an den
zahlreichen Konfliktstellen zu ermöglichen, ist zweifelsfrei richtig und überfällig.
Aber Trassenendpunkte und -verläufe und die Erdverkabelung überall politisch
anzuordnen, ist fragwürdig. Das treibt nicht nur die Kosten in die Höhe, sondern
schafft neue Konfliktfälle, z. B. mit den Zielen des Naturschutzes.

Der Bundestag äußert sein Unverständnis darüber, dass der südliche Teil der geplan-
ten Ultranet-Leitung von Osterrath nach Phillipsburg als einzige HGÜ-Leitung nicht
vorrangig erdverkabelt werden soll. Eine überzeugende Begründung dafür hat die
Bundesregierung nicht geliefert.

Die Bundesregierung scheint unfähig, einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen, der
angepasste Lösungen für die Konflikte rund um den Netzausbau ermöglicht. Heute
erscheint zweifelhafter denn je, ob die Bundesregierung in der Lage ist, die Heraus-
forderungen des Netzausbaus zu meistern.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

• den Erdkabelvorrang für HGÜ-Leitungen so auszugestalten, dass ausgerichtet
an den jeweiligen örtlichen Erfordernissen pragmatische Lösungen für die Kon-
flikte gefunden werden können;

• die Beschränkung der Erdverkabelung im EnLAG auf wenige Pilotstrecken
aufzugeben und stattdessen an den besonders problematischen Konfliktstellen
aller Projekte Erdverkabelung zu ermöglichen;

• den Einsatz neuer und innovativer Technologien wie z. B. Supraleiter und Hoch-
temperaturleiterseile zu ermöglichen und vorhandene Leitungen in der Umge-
bung von neue Leitungstrassen umzulegen oder erdzuverkabeln, wenn dies der
Schaffung von Akzeptanz dient;

• die Beteiligung und Information von Bürgerinnen und Bürger vor Ort umfas-
send, ehrlich und frühzeitig zu organisieren, den Betroffenen ausreichend Zeit

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6920

für die Bewertung des Sachverhalts und der Leitungsalternativen auch durch
eine neutrale Stellen einzuräumen;

• die Beschränkung der Klagemöglichkeiten auf eine Instanz zurückzunehmen, da
das die Akzeptanz weiter zerstört und im Regelfall auch keine Zeitersparnis
bringt.

Berlin, den 1. Dezember 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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