BT-Drucksache 18/6875

Bildungsherausforderungen gemeinsam verantworten - Kooperationsverbot in der Bildung endlich aufheben

Vom 1. Dezember 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6875

18. Wahlperiode 01.12.2015

Antrag

der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Eva Bulling-Schröter,

Nicole Gohlke, Ralph Lenkert, Birgit Menz, Norbert Müller (Potsdam),

Dr. Petra Sitte, Dr. Kirsten Tackmann, Katrin Werner und der Fraktion

DIE LINKE.

Bildungsherausforderungen gemeinsam verantworten – Kooperationsverbot

in der Bildung endlich aufheben

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Sieben Jahre nach dem Bildungsgipfel der Bundeskanzlerin bleiben grundsätzliche
Herausforderungen der Bildungspolitik ungelöst. Neue sind hinzugekommen.

Neben der strukturellen Unterfinanzierung des gesamten Bildungssystems in allen
Bildungsbereichen, die auch durch die begrenzte Aufhebung des Kooperationsver-
botes für den Hochschulbereich nicht annähernd ausgeglichen werden konnte, sind
bildungspolitische Herausforderungen in weit größerer Dimension entstanden, als
sie noch vor einigen Jahren vorauszusehen waren. Dazu gehören neben dem Abbau
der sozialen Spaltung im gesamten Bildungswesen die Digitalisierung in der Gesell-
schaft und die Erfordernisse für digitale Bildung und Medienkompetenz, der Ausbau
und die Sicherung von Schulsozialarbeit an allen Schulen, die Notwendigkeit von
interkultureller Bildung, die Herausforderungen durch die Gewährleistung des
Rechts auf Bildung auch für Geflüchtete, die Umsetzung von inklusiver Bildung und
die dafür erforderliche finanzielle und personelle Ausstattung, die qualitative Ver-
besserung und der quantitative Ausbau von Studienplätzen für Lehrkräfte, Sozialpä-
dagoginnen und Sozialpädagogen, Fachkräfte für Erziehung, die Sicherung von aus-
reichend Ausbildungsplätzen in der dualen Berufsausbildung auch für Geflüchtete
und in den Gesundheits- und Pflegeberufen, der Bau und die Sanierung von Bil-
dungseinrichtungen, die Ausstattung mit modernen Lehr- und Lernmitteln und vieles
mehr.

Angesichts der Größe der Aufgaben kann sich der Bund seiner Verantwortung für
das gesamte Bildungssystem nicht mehr entziehen. Das betrifft die frühkindliche
Bildung ebenso wie die allgemeinbildende Schule, die Berufsausbildung, die Hoch-
schulbildung und die gesamte Weiterbildung. Die durch die BAföG-Entlastung den
Ländern zur Verfügung stehenden zusätzlichen finanziellen Mittel reichen nicht im
Ansatz aus, die Finanzierung dieser Aufgaben sicherzustellen. Nicht einmal die seit
langem anstehenden Aufgaben der besseren Grundfinanzierung von Hochschulen
werden so dauerhaft gesichert, ganz zu schweigen von den zusätzlichen Erfordernis-
sen für Studienangebote für Geflüchtete, die in Deutschland studieren möchten.

Drucksache 18/6875 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Die bisherigen Strukturen und Verfahrensweisen bundesdeutscher Bildungspolitik,
das Auflegen zahlreicher zeitlich befristeter Programme, die keine Flächendeckung
erreichen, sind offensichtlich nicht geeignet, die anstehenden Probleme nachhaltig
und schnell zu lösen. Nach Aussage des Bundesinstituts für berufliche Bildung ver-
fügen rund zwei Millionen junge Menschen zwischen 20 und 34 Jahren über keinen
formalen Berufsabschluss. Ihnen sollen nun die im Berufsleben erworbenen berufli-
chen Qualifikationen anerkannt werden. Noch wichtiger allerdings wäre es, den Vie-
len rechtzeitig eine Chance auf eine voll qualifizierende berufliche Ausbildung zu
ermöglichen. Es ist unredlich, einerseits auf die Lösung des Fachkräfteproblems
durch Zuwanderung zu spekulieren, andererseits aber die Ausbildungskapazitäten
nicht zur Verfügung zu stellen. Nach den Zahlen der Bundesagentur für Arbeit wur-
den die in der Allianz für Aus- und Weiterbildung vereinbarten Zahlen für die Be-
reitstellung zusätzlicher Ausbildungsplätze nicht im Ansatz erreicht. Statt der ver-
sprochenen 20.000 Plätze konnten tatsächlich nur 7.300 mehr bereitgestellt werden.

Zusätzlich zu den ohnehin fehlenden Lehrkräften müssen deutlich mehr pädagogi-
sche Fachkräfte in Kita, Schule, und Ausbildung eingestellt werden. Sie müssen au-
ßerdem auf die Vermittlung von Deutsch als Zweitsprache und die Besonderheiten
im Umgang mit unterschiedlichen Kulturen vorbereitet werden. Das betrifft alle Bil-
dungsstufen und alle Schulformen. Schulen und Kindertageseinrichtungen müssen
saniert und neu gebaut werden, um allen ca. 18,5 Millionen Kindern und Jugendli-
chen unter 20 Jahren, darunter etwa 300.000 geflüchteten Kindern und Jugendlichen,
die in diesem Jahr nach Deutschland gekommen sind, gute Bedingungen für das
Aufwachsen und Lernen zu ermöglichen. Viele von ihnen werden bleiben, neue in
den nächsten Jahren hinzukommen. Dafür brauchen wir mehr, nicht weniger Schu-
len und Kitas, mehr und nicht weniger Lehrkräfte und weiteres pädagogisches Per-
sonal. Es geht insgesamt um eine bessere Bildungsinfrastruktur.

Die Umsetzung dieser Aufgaben kann bewirken, dass Schulwege wieder kürzer wer-
den, Kita-Plätze in ausreichender Zahl für alle zur Verfügung stehen, Klassen und
Lerngruppen wieder kleiner werden. Personal für umfassende pädagogische Arbeit
in hoher Qualität für alle muss dauerhaft gesichert werden. Doch für die Umsetzung
der Aufgaben haben Länder und Kommunen jetzt nicht hinreichend Zeit und auch
nicht genügend Geld. Angesichts des lange bekannten Problemstaus und der großen
Zahl geflüchteter Kinder und Jugendlicher muss schnell und wirksam gehandelt wer-
den.

In dieser Situation ist es geboten, eine gemeinsame große Anstrengung zu unterneh-
men. Die Zeit, da die Verantwortung fröhlich hin und hergeschoben wurde, muss
endlich vorbei sein. Darum ist es jetzt an der Zeit, das Kooperationsverbot zwischen
Bund und Ländern vollständig aufzuheben und die Substanz des Bildungssystems
gemeinsam zu erhalten und zu verbessern. Es reicht jedoch nicht, so wie bislang im
Hochschulbereich zu verzeichnen, einfach die bestehenden Instrumente – wie die
Exzellenzinitiative und die Hochschulpakte – nun dauerhaft zu finanzieren, sondern
es muss um mehr Geld und deutlich bessere Bedingungen für die Bildung gehen.
Das ist die gemeinsame Verantwortung von Bund, Ländern und Kommunen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

unverzüglich einen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes vorzulegen,
durch den das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in der Bildung auf-
gehoben und stattdessen eine umfassende Gemeinschaftsaufgabe Bildung im Arti-
kel 91b im Grundgesetz verankert wird. Darüber hinaus soll das Kooperationsverbot
in Artikel 104b Grundgesetz, d. h. die Beschränkung der Bundesförderung auf Be-
reiche, in denen der Bund Gesetzgebungskompetenz besitzt, aufgehoben werden.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6875
III. Der Deutsche Bundestag appelliert an die Länder,

jetzt ihre Blockadehaltung gegenüber einer Aufhebung des Kooperationsverbotes
aufzugeben und mit dem Bund über geeignete Verfahren und Gremien zu verhan-
deln, die gewährleisten, dass der Bund sich an der Finanzierung gemeinsamer Bil-
dungsaufgaben beteiligen kann, ohne dass die föderale Verantwortung der Länder in
Frage gestellt wird.

Berlin, den 1. Dezember 2015

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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