BT-Drucksache 18/6874

Keine militärische Antwort auf Terror

Vom 1. Dezember 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6874

18. Wahlperiode 01.12.2015

Antrag

der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Jan
van Aken, Christine Buchholz, Dr. Diether Dehm, Annette Groth, Inge Höger,
Andrej Hunko, Kerstin Kassner, Katrin Kunert, Stefan Liebich, Birgit Menz,
Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu, Dr. Petra Sitte, Azize Tank, Alexander
Ulrich, Kathrin Vogler, Harald Weinberg und der Fraktion DIE LINKE.

Keine militärische Antwort auf Terror

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Der Bundestag trauert um die Opfer der Attentate vom 13.11.2015 in Paris. Es
handelt sich dabei um einen barbarischen Terrorakt, der in aller Schärfe zu ver-
urteilen ist. Der Bundestag trauert ebenso um die Opfer der Attentate von Ba-
mako, Beirut, Suruç, Ankara und des Anschlags auf das russische Passagierflug-
zeug über dem Sinai sowie alle anderen Opfer terroristischer Gewalt. Gegen den
Terrorismus muss mit den rechtsstaatlichen Mitteln der polizeilichen Strafverfol-
gung vorgegangen werden. Militärische Einsätze im Kampf gegen Terrorismus
sind auszuschließen. Die bisherige Bilanz des sog. Kriegs gegen den Terror mit
vielen Tausenden von Toten seit 2001 zeigt, dass Krieg nur zu noch mehr Terror
führt.

2. Im Hinblick auf die Anrufung der Beistandsklausel unter Artikel 42 Absatz 7
EU-Vertrag (EUV) sind die vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Normen
zur Beteiligung des Bundestags an EU-Entscheidungen nicht eingehalten wor-
den. Der in § 3 Absatz 1 EUZBBG statuierte Grundsatz, dass die Bundesregie-
rung den Bundestag umfassend, fortlaufend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt
unterrichtet, wurde missachtet.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

− jeden Einsatz der Bundeswehr unter Berufung auf die Bekämpfung von Terror
bzw. auf Artikel 42 Absatz 7 EUV auszuschließen;

− in der Europäischen Union und bei den europäischen Partnerländern darauf hin-
zuwirken, dass die am 17.11.2015 vollzogene Akklamation der Aktivierung der
Beistandsklausel nach Artikel 42 Absatz 7 EUV zurückgenommen wird.

Berlin, den 1. Dezember 2015

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Drucksache 18/6874 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Begründung

Nach den terroristischen Anschlägen in Paris vom 13.11.2015 sieht die französische Regierung ihr Land „im
Krieg“ (Präsident François Hollande am 14.11.2015) und hat die Luftangriffe auf Stellungen des Islamischen
Staates (IS) in Syrien verstärkt. Davon ausgehend führte der französische Verteidigungsminister Jean-Yves Le
Drian nach einem Treffen mit seinen EU-Kollegen am 17.11.2015 in Brüssel aus, dass Frankreich auf bilate-
raler Ebene und „im Rahmen ihrer Möglichkeiten“ Unterstützung der EU-Staaten im Kampf gegen die islamis-
tische Miliz Islamischer Staat (IS) wünsche. Le Drian berief sich dabei auf Artikel 42 Absatz 7 des EU-Ver-
trages (EUV). Der Wortlaut des Artikels 42 Absatz 7 EUV sieht vor, dass sich EU-Länder bei einem bewaff-
neten Angriff auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates „alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung
schulden, im Einklang mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen. Dies lässt den besonderen Charakter
der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten unberührt.“

Artikel 42 Absatz 7 EUV benennt nicht ausdrücklich die Mittel und Maßnahmen für die Unterstützungsleis-
tungen der Mitgliedstaaten. Er schreibt nicht vor, dass der eingeforderte Beistand militärisch zu erfolgen habe.
Jedoch haben die französische Regierung und die Bundesregierung den Beistand militärisch definiert. Die Bun-
desregierung hat den Einsatz von Aufklärungstornados, einem Tankflugzeug und einer Fregatte zur Unterstüt-
zung der Luftschläge gegen den IS zugesagt.

Gegen den Terror muss entschlossen vorgegangen werden: mit den rechtsstaatlichen Mitteln der polizeilichen
Strafverfolgung. Die Bundesregierung darf sich auf die militärische Logik der Terrorbekämpfung nicht einlas-
sen. Bei den Anschlägen vom 13.11.2015 handelt es sich um barbarischen, menschenverachtenden Terror, aber
nicht um einen militärischen Angriff von außen auf französisches Hoheitsgebiet. Deshalb greift auch die Be-
rufung auf Artikel 51 VN-Charta nicht. Der Umstand, dass die bislang identifizierten Terroristen vom
13.11.2015 französische und belgische Staatsbürger waren, belegt dies und offenbart außerdem den Bedarf
nach verstärkter sozialer Prävention in den Staaten der EU selbst.

Für Terror kann es keine Rechtfertigung und keine mildernden Umstände geben. Aber das Wissen um die
Entstehungsbedingungen des Terrors könnte ein Ansatz für eine erfolgreiche Gegenstrategie sein.

Die Bilanz des Kriegs gegen den Terror seit 2001, insbesondere in Afghanistan, in Libyen, in Mali und im Irak,
zeigt, dass durch Krieg nur noch mehr Terror erzeugt wird. Diese Spirale der Gewalt muss durchbrochen
werden. Vielmehr müssen die Handels- und Versorgungswege des IS unterbrochen und seine finanziellen
Quellen ausgetrocknet werden. Die Ölverkäufe, die den islamistischen Terror finanzieren, müssen ebenso un-
terbunden werden wie die Überweisungen reicher Familien und Stiftungen aus den Golfstaaten an den IS. In-
ternationale Bankkonten des IS müssen aufgespürt und eingefroren werden. Waffenverkäufe in die Region
müssen beendet werden. Die Bundesregierung muss auf die Türkei einwirken, damit sie ihre Grenzen für den
Transit islamistischer Kämpfer schließt.

Die Ausrufung des Bündnisfalls nach Artikel 42 Absatz 7 EUV wirft außerdem die Frage nach demokratischen
und transparenten Entscheidungswegen in der EU auf: Die Klausel sieht keine ausdrücklichen formellen Vo-
raussetzungen für das Ausrufen des Beistandsfalles vor. Einen Anwendungsfall hat es noch nicht gegeben. Die
Außenbeauftragte der EU und Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik,
Federica Mogherini, erklärte am 17.11.2015 gegenüber den Verteidigungsministern, dass der Artikel 42 Ab-
satz 7 EUV bereits dadurch, dass Präsident Hollande sich in seiner Rede auf diesen Artikel berufen habe, zur
Anwendung komme.

Der bloße Bezug auf Artikel 42 Absatz 7 EUV im Rahmen einer Rede und die einmütige Unterstützung aller
Mitgliedstaaten im Rahmen der Aussprache als politisches Signal zur Unterstützung können jedoch einen er-
forderlichen Beschluss, der erst wirksam wird, wenn er im EU-Amtsblatt veröffentlicht wird, nicht ersetzen. In
diesem Sinne wurden keinerlei Beschlüsse irgendeines Gremiums zur Auslösung des Bündnisfalls nach Artikel
42 Absatz 7 EUV gefasst. Solange für die Ausrufung des Bündnisfalls und die Aktivierung der Beistandsklau-
sel nach Artikel 42 Absatz 7 EUV keine geregelten Verfahren auf EU- und Bundesebene existieren, die auch
eine Gegenstimme eines Mitgliedstaats und eine Blockade des Bündnisfalls, wie in entsprechenden Verfahren
bei Artikel 5 des NATO-Vertrags im NATO-Rat, ermöglichen, kann von einer rechtskonformen Aktivierung
der Beistandsklausel keine Rede sein.

Dazu kommt, dass ein derart informelles Verfahren die Mitwirkungsrechte des Bundestags missachtet. Da die
Konkretisierung des Beistands auf bilaterale Ebene gehoben wird, werden die Berichtspflichten nach EUZBBG

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6874

nicht wirksam. Der Parlamentsvorbehalt wiederum kommt erst zum Tragen, wenn die Bundesregierung die
Zustimmung zu einem Bundeswehreinsatz beantragt, also am Ende des politischen Prozesses, der zu einem
solchen Einsatz geführt hat. Die vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Normen zu EU-Entscheidungen soll-
ten jedoch genauestens eingehalten werden. Die Bundesregierung hat alle Abgeordneten des Deutschen Bun-
destags umfassend und zum frühesten Zeitpunkt zu unterrichten.

Die bloße Berufung auf Artikel 42 Absatz 7 EUV birgt die Gefahr, dass ein neuer „Bündnisfall auf immer“,
ein unbegrenzter Bündnisfall geschaffen wird. Die Rechtsauffassung, die zeitlich unbegrenzte, einseitige Ak-
tivierung der Beistandsklausel sei für Deutschland bereits mit der Ratifikation des Vertrags von Lissabon ak-
zeptiert worden, ist nicht haltbar. Weder Frankreich noch die EU haben ein klares Ziel, einen Ausgang und
eine sogenannte Exitstrategie für den Bündnisfall definiert. Es ist deshalb nur folgerichtig und geboten, dass
auf EU-Ebene der Bündnisfall mangels Voraussetzungen der Selbstverteidigung als nicht eingetreten, in jedem
Fall aber für beendet, erklärt wird. Die Bundesregierung muss ausschließen, dass Deutschland unter einer derart
fragwürdigen Bezugnahme in eine militärische Intervention mit ungewissem Ausgang hineingezogen wird.

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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