BT-Drucksache 18/6827

Einmischung der NATO- und GCC-Staaten in den syrischen Bürgerkrieg und so genannte gemäßigte Oppositionsgruppen in Syrien

Vom 23. November 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6827
18. Wahlperiode 23.11.2015

Kleine Anfrage

der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Wolfgang Gehrcke, Annette Groth,
Heike Hänsel, Andrej Hunko, Niema Movassat, Kathrin Vogler und

der Fraktion DIE LINKE.

Einmischung der NATO- und GCC-Staaten in den syrischen Bürgerkrieg
und so genannte gemäßigte Oppositionsgruppen in Syrien

Seit Beginn der gewaltsamen Auseinandersetzungen in und um Syrien im
Jahr 2011 haben sich diverse Staaten der NATO sowie des Golf-Kooperationsra-
tes (GCC – inklusive Beitrittskandidaten dieses Bündnisses) in den Bürgerkrieg
in der Levante eingemischt. So lieferten (und liefern teilweise immer noch)
Frankreich, Jordanien, Katar, Saudi-Arabien, die Türkei, die USA und die Verei-
nigten Arabischen Emirate Waffen an verschiedene bewaffnete Gruppen im syri-
schen Bürgerkrieg (www.nytimes.com/2012/06/21/world/middleeast/cia-said-to-
aid-in-steering-arms-to-syrian-rebels.html?_r=0). Vor allem die Türkei greift im-
mer wieder in den Bürgerkrieg ein und hat auch İskenderun, die Hauptstadt der
Provinz Hatay, die 1937 von Frankreich aus dem Mandatsgebiet Syrien ausge-
gliedert und der Türkei übergeben worden ist und in der Folge Ziel einer ethni-
schen Säuberungspolitik durch die Türkei war, der Freien Syrischen Armee für
deren Hauptquartier zur Verfügung gestellt (www.hurriyetdailynews.com/syrian-
rebels-too-fragmented-unruly.aspx?pageID=238&nID=29158&NewsCatID=352).

Wie durch die Enthüllungsplattform WikiLeaks bekannt wurde, haben im
Jahr 2012 Vertreter Katars, der Türkei und Saudi-Arabiens einen Pakt geschlos-
sen, die syrische Regierung zu stürzen – die Regierungen Frankreichs, Großbri-
tanniens und der USA waren auch in diesen Pakt involviert (www.
ibtimes.com/wikileaks-publishes-more-documents-revealing-saudi-connection-
against-syria-united-1988251).

Die vom Bundeskanzleramt finanzierte Stiftung Wissenschaft und Poli-
tik (SWP) beteiligte sich im Jahr 2012 an dem Projekt „The Day After“, in
welchem die politische und wirtschaftliche Neuordnung Syriens nach dem
Sturz der syrischen Regierung konzipiert wurde (www.german-foreign-
policy.com/de/fulltext/58386, german-foreign-policy.com/de/fulltext/58394,
german-foreign-policy.com/de/fulltext/58409, german-foreign-policy.com/
de/fulltext/58411). Syrische Rebellengruppen wurden darüber hinaus auch mit
Spionageerkenntnissen, die das Flottendienstboot der Bundeswehr Oker sam-
melte, unterstützt (www.reuters.com/article/2012/08/19/us-syria-crisis-germany-
idUSBRE87I06D20120819#LeikaBmxhhHA8PuO.97). Vorwürfe über deutsche
Waffenlieferungen an die Gruppen des syrischen bewaffneten Widerstands
konnte die Bundesregierung nicht überzeugend widerlegen (Bundestagsdruck-
sache 18/1752, www.sueddeutsche.de/service/mein-deutschland-wundersame-
waffen-wege-1.1 952681).

Wenn es um die Frage geht, wen die Bundesregierung im syrischen Bürgerkrieg
genau unterstützt, bleiben die Aussagen aus Sicht der Fragesteller immer etwas

Drucksache 18/6827 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

 

unklar (Bundestagsdrucksache 18/1746). So behauptet die Bundesregierung, in
Syrien angeblich die „gemäßigte Opposition“ zu unterstützen, wie es der Bun-
desaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier wiederholt in der Öffentlichkeit
betont hat (www. auswaertiges-amt.de/EN/Infoservice/Presse/Meldungen/2014/
140226_BM_SYR.html). Eine Übersicht, welche Gruppen im syrischen Bürger-
krieg die Bundesregierung als „gemäßigt“ ansieht, bleibt jedoch bis heute aus.

Die USA hatten bereits im Jahr 2006 begonnen, syrische Oppositionsgruppen fi-
nanziell zu unterstützen – so flossen von 2006 bis 2011 über 6 Mio. US-Dollar
aus den Vereinigten Staaten zu syrischen Oppositionsgruppen und einem Exil-
Fernsehsender in London (www.washingtonpost.com/world/us-secretly-backed-
syrian-opposition-groups-cables-released-by-wikileaks-show/2011/04/14/AF1p
9hwD_story.html).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche – auch nachrichtendienstlichen – Erkenntnisse hat die Bundesregie-
rung über den Beschuss von Schiffen der kurdischen Volksverteidigungsein-
heiten in Syrien (YPG) auf dem Euphrat Ende Oktober 2015, durch welchen
wahrscheinlich eine YPG-Operation gegen den „Islamischen Staat“ in der
nordsyrischen Stadt Jarablus verhindert wurde (www.al-monitor.com/pulse/
originals/2015/10/turkey-syria-isis-kurds-pyd-ankara-looking-for-border-
cause.html)?

2. Welche – auch nachrichtendienstlichen – Erkenntnisse hat die Bundesregie-
rung über das Training von Kämpfern der „Syrischen Turkmenenbrigaden“
(auch genannt „Syrische Turkmenenarmee“) durch Einheiten der türkischen
Bordo Bereliler (www.hurriyet.com.tr/dunya/28460945.asp)?

3. Welche – auch nachrichtendienstlichen – Erkenntnisse hat die Bundesregie-
rung über Waffenlieferungen der Türkei an die Ahrar al-Sham und an die
„Islamische Front“ (www.welt.de/politik/deutschland/article147173383/Gab-
die-Linke-der-PKK-geheime-Regierungsdokumente.html)?

4. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Lieferung
von Panzerabwehrraketen des Typs BGM-71-TOW durch die CIA bzw.
über Saudi-Arabien an syrische bewaffnete Oppositionsgruppen (www.
thedailybeast.com/articles/2015/10/24/cia-armed-rebels-march-on-assad-
homeland.html)?

5. Inwieweit trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass die USA in
Syrien nun auch zu bewaffneten Einsätzen am Boden bereit seien (www.
sueddeutsche.de/politik/syrien-krise-usa-deuten-einsatz-von-bodentruppen-
gegen-is-an-1.2711735), und inwieweit sieht die Bundesregierung durch ei-
nen Bodeneinsatz von US-Truppen eine erhöhte Gefahr der direkten Kon-
frontation mit den mit der syrischen Regierung verbündeten Truppen (irani-
sche Pasdaran, Hisbollah, russische Spezialeinheiten)?

6. Welche bewaffneten Gruppen, die am syrischen Bürgerkrieg beteiligt sind,
schätzt die Bundesregierung als „gemäßigt“ ein (bitte auflisten nach Größe
der Formation und mit deren geographischen Schwerpunkten)?

7. Hält die Bundesregierung folgende bewaffneten Gruppen für „gemäßigt“
bzw. „moderat“:

a) Freie Syrische Armee (Free Syrian Army)

b) Südfront (Southern Front)

c) Jaysh al-Janoob

d) Revolutionäre Armee (The Revolutionary Army)

e) Brigade der Ritter der Gerechtigkeit (Knights of Justice Brigade)

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6827

 

f) Bataillone Thuwar al-Shams (Thuwar al-Sham Battalions)

g) Befreiungsbewegung von Homs (Homs Liberation Movement)

h) Jaysh al-Nasr

i) Legion al-Rahman

j) Islamische Front (Islamic Front)

k) Ahrar ash-Sham

l) Jaysh al-Islam

m) Brigade Al-Tawhid

n) Ansar al-Sham

o) Armee der Mudschaheddin (Army of Mujahedeen)

p) Jaish al-Sham

q) Front für Authentizität und Entwicklung (Authenticity and Development
Front)

r) Harakat Nour al-Din al-Zenki

s) Fastaqim Kama Umirt

t) Islamische Union Ajnad al-Sham (Ajnad al-Sham Islamic Union)

u) Sham Legion

v) Jabhat Ansar al-Islam

w) Criterion Brigades

x) Syrische Turkmenenbrigade

y) Muslimbruderschaft von Syrien

z) Hamas?

8. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Stärke dieser Grup-
pen, die Haupteinsatzorte und Kontakte ins Ausland (v. a. nach Deutsch-
land)?

9. Welche Gruppen gehören nach Erkenntnis der Bundesregierung zur „Natio-
nalen Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte“ (Bundes-
tagsdrucksache 18/1746)?

10. Schätzt die Bundesregierung alle Gruppen, die nicht zur „Nationalen Koali-
tion der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte“ gehören, nicht zu den
„gemäßigten Oppositionsgruppen“ (Bundestagsdrucksache 18/1746)?

11. Welche Gruppen gehören nach Erkenntnis der Bundesregierung mittlerweile
nicht mehr zur „Nationalen Koalition der syrischen Revolutions- und Oppo-
sitionskräfte“ und sind zu anderen Teilen der Opposition übergelaufen (Bun-
destagsdrucksache 18/1746)?

12. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Kovorsitzenden der kur-
disch-dominierten Partei PYD, Salih Muslim, dass die Nationale Koalition
„Erfüllungsgehilfe Katars und der Türkei“ sei (gulfnews.com/news/mena/
syria/syria-kurdish-leader-rejects-new-coalition-1.1107985)?

13. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die Nationale Koalition be-
reits im Jahr 2013 „zunehmend irrelevant“ wurde (www.economist.com/
news/middle-east-and-africa/21586879-islamist-rebels-sever-ties-political-
opposition-their-own-men)?

Drucksache 18/6827 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

 

14. An welchen Orten in Syrien gibt es von der Syrischen Arabischen Republik
unabhängige, „sehr gut funktionierende und leistungsfähige lokale Räte, die
professionell arbeiten“ (Bundestagsdrucksache 18/1746, Antwort zu Frage 5)?

15. Stuft die Bundesregierung das Nationale Koordinationskomitee für demo-
kratischen Wandel der syrischen Kräfte (Comité national pour le changement
démocratique, CNCD) als „gemäßigte Oppositionsgruppe“ ein?

16. Mit welchen „gemäßigten Oppositionsgruppen“ hält die Bundesregierung
derzeit in welcher Weise Kontakt?

17. Mit welchen „gemäßigten Oppositionsgruppen“ hat die Bundesregierung seit
2005 in welcher Weise Kontakt gehabt?

18. Welche Projekte in Kooperation mit den „gemäßigten Oppositionsgruppen“
hat die Bundesregierung in Syrien seit Beginn des Krieges in und um Syrien
im Jahr 2011 durchgesetzt?

19. Welche Gruppen, die die Bundesregierung in der Vergangenheit als „gemä-
ßigte Oppositionsgruppen“ eingeschätzt hat, schätzt sie mittlerweile nicht
mehr als solche ein?

20. Welche Gruppen, die die Bundesregierung seit 2011 als „gemäßigte Opposi-
tionsgruppen“ eingeschätzt hat, sind zur islamistischen Opposition überge-
laufen?

21. Wofür genau und wann wurden die Gelder des „Syria Recovery Trust Fund“
ausgegeben (www.auswaertiges-amt.de/EN/Aussenpolitik/Laender/Aktuelle_
Artikel/Syrien/130902-BM-Jarba.html; bitte mit Angaben über die genauen
Orte)?

22. Welche Territorien kontrollieren nach Erkenntnissen der Bundesregierung
die „gemäßigten Oppositionsgruppen“ derzeit in Syrien (Stand: Novem-
ber 2015), und wie viele Menschen ungefähr leben in diesen Gebieten?

23. Welche Kooperationen der „gemäßigten Oppositionsgruppen“ mit den is-
lamistischen Extremisten in Syrien sind der Bundesregierung bekannt?

24. Wie und in welchem Rahmen wurde in den Wiener Gesprächen zur
Lösung des Syrien-Konfliktes (www.theguardian.com/world/2015/oct/30/
syria-peace-talks-vienna-iran-saudi-arabia) die Aufhebung der Sanktionen
durch USA und EU, welche maßgeblich zum Kollaps des syrischen Gesund-
heitssystems beigetragen haben (jpubhealth.oxfordjournals.org/content/35/
2/195.long), diskutiert?

a) Welche Position hat die Bundesregierung in dieser Frage eingenommen?

b) Welche Position haben die Regierungen der anderen EU-Staaten sowie
der USA eingenommen?

Berlin, den 23. November 2015

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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