BT-Drucksache 18/6825

Brief des Personalrats beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

Vom 24. November 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6825
18. Wahlperiode 24.11.2015

Kleine Anfrage

der Abgeordneten Ulla Jelpke, Frank Tempel, Sevim Dağdelen, Kerstin Kassner,
Jan Korte, Harald Petzold (Havelland), Dr. Petra Sitte und

der Fraktion DIE LINKE.

Brief des Personalrats beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

Am 11. November 2015 haben der Gesamtpersonalrat und der Örtliche Personal-
rat beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) einen Offenen Brief
an den Leiter des BAMF, Dr. h.c. Frank-Jürgen Weise, versandt. Hierin wurden
Mängel, die mit rechtsstaatlichen Verfahren nicht vereinbar seien, insbesondere
bei der Identitätsprüfung in Bezug auf bestimmte Asylsuchende und bei der Ein-
arbeitung und Qualifikation zusätzlich eingesetzter Mitarbeiterinnen und Mitar-
beiter („Schnellschuss-Qualifizierung“), beklagt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung den o. g. Brief und die darin enthaltenen
Kritikpunkte, wie hat der Leiter des BAMF hierauf reagiert, und was ist in-
haltlich den im Brief dargestellten Mängeln zu entgegnen (bitte so differen-
ziert wie möglich antworten)?

2. Wie bewertet die Bundesregierung, dass die o.g. Kritik in Form eines offenen
Briefes erfolgte, und inwieweit wurde von den Autoren nach Kenntnis der
Bundesregierung zuvor intern versucht, die beklagten Mängel behördenin-
tern anzusprechen oder zu beseitigen (bitte im Detail ausführen), und welche
Wege sind diesbezüglich vorgesehen?

3. Inwieweit ist die Kritik in dem o.g. Brief zutreffend, dass auf Identitätsprü-
fungen in den Fällen schriftlicher Asylverfahren verzichtet wird?

Wie ist die derzeitige Praxis (bitte genau schildern, wann, in welcher Form,
und durch wen es zu persönlichen Anhörungen zur Feststellung der Identität
bzw. Herkunft betroffener Asylsuchender kommt)?

Was ist den Aussagen zu entgegnen, dass gegenüber (nach Selbstauskunft)
syrischen Asylsuchenden eingesetzte Dolmetscher „in der Regel weder ver-
eidigt noch aus Syrien kommend“ seien, sie nicht in einem Arbeitsverhältnis
mit dem BAMF stünden und auch nicht in „irgendeiner Weise auf die
Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland vereidigt“ seien?

Drucksache 18/6825 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

 

4. In welchem Umfang legen syrische, eritreische oder irakische Asylsuchende
Identitätsnachweise (Reisepässe, Ausweise usw.) bzw. keinerlei Dokumente
zur Klärung der Identität vor, in welchem Umfang werden diese Dokumente
zur Klärung der Identität/Herkunft als im Grundsatz geeignet angesehen (und
ggf. aus welchen Gründen nicht), und in welchem Umfang erweisen sich sol-
che Dokumente als falsch oder gefälscht (bitte nach den drei genannten Her-
kunftsländern und der Art der Dokumente differenzieren, ggf. ungefähre Ein-
schätzungen fachkundiger Bundesbediensteter nennen)?

5. In welchem Umfang liegen zwar gefälschte oder falsche Dokumente vor, je-
doch keine Täuschung über die angegebene Identität, Staatsangehörigkeit
und Herkunft, die ungeachtet falscher Dokumente richtig sein können (bitte
bei der Antwort nach den drei relevanten Herkunftsländern differenzieren
und ggf. ungefähre Einschätzungen fachkundiger Bundesbediensteter zu die-
ser Frage nennen)?

6. Wie bewertet es die Bundesregierung, dass in dem o.g. Brief als Beleg für
die Einschätzung, dass es einen „hohen Anteil von Asylsuchenden gibt, die
eine falsche Identität angeben“, nicht etwa eigene fachkundige Erkenntnisse
oder Erfahrungen der Bediensteten des BAMF angegeben werden, sondern
die Aussage des Bundesministers des Innern, Dr. Thomas de Maizière, wo-
nach angeblich etwa 30 Prozent der Asylsuchenden, die sich als Syrer aus-
gäben, in Wahrheit keine seien – in Anbetracht des Umstands, dass nach Re-
cherchen des ARD-Fernsehmagazins „Panorama“ als einzige Indikatoren die
Feststellung von 116 falschen syrischen Pässen durch das BAMF im Jahr
2015 und 170 durch FRONTEX-Mitarbeiter in Italien und Griechenland er-
mittelbar waren (wobei letztere zu 80 Prozent von Syrern genutzt wurden,
d.h. dass zwar die Pässe gefälscht waren, aber keine Täuschung über die
Staatsangehörigkeit vorlag; vgl. „Panorama“ vom 8. Oktober 2015: „‘Fal-
sche Syrer‘: Wie der Innenminister Gerüchte schürt“), d.h. dass die Zahl der
Täuschungen über die Identität mittels gefälschter Pässe angesichts der gro-
ßen Gesamtzahl syrischer Flüchtlinge auf der Grundlage dieser Informatio-
nen als verschwindend gering bewertet werden müsste (bitte ausführlich er-
läutern)?

7. Welche konkreten Zahlen oder Belege der Bundespolizei, des BAMF oder
von FRONTEX liegen der Bundesregierung mittlerweile vor zur Bestätigung
oder Widerlegung der Vermutung einer verbreiteten Täuschung über die re-
ale Herkunft durch syrische Asylsuchende vor (bitte so differenziert wie
möglich angeben)?

8. Inwieweit ist es einem Asylsuchenden, der unerkannt eine falsche syrische
Staatsangehörigkeit angegeben hat und als Flüchtling anerkannt wurde, mög-
lich, Familienangehörige nachziehen zu lassen, da der Familiennachzug von
der Vorlage von Identitäts- und Staatsangehörigkeitsnachweisen bzw. Nach-
weisen der Familienbeziehungen und der Vorlage entsprechender Doku-
mente abhängig gemacht wird?

9. Was kann die Bundesregierung Näheres zu der in dem o. g. Brief in Bezug
genommenen Warnung der deutschen Botschaft in Beirut sagen, dass Dienst-
leister regelrechte Antragspakete mit gefälschten Zeugnissen und Diplomen
verkaufen würden, auf die das Bundesministerium des Innern verwiesen
habe, in welchem Umfang wurden welche Behörden über diese Vorgänge
informiert, und inwieweit ist damit zu rechnen, dass diese gefälschten Zeug-
nisse oder Diplome auch nach dieser Warnung unerkannt bleiben bzw. als
ausreichend für eine Identitätsfeststellung oder Feststellung der Staatsange-
hörigkeit angesehen werden?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6825

 

10. Inwieweit ist aus Sicht der Bundesregierung und der Behördenleitung die
Aussage in dem o.g. Brief zutreffend, dass der „Wegfall der Identitätsprü-
fung“ das „Einsickern von Kämpfern der Terrormiliz IS nach Mitteleuropa“
erleichtert habe (bitte ausführen)?

11. Inwieweit ist die Kritik in dem o. g. Brief zutreffend, Akten mit „Entschei-
dungsreife“, die aber „nicht geprüft“ worden seien, müssten an Asylentschei-
dungszentren abgegeben werden (bitte erläutern, wie dies gemeint ist und
wie der normale Ablauf der Asylprüfung und interner Kontrollen im BAMF
ist)?

Inwieweit ist die Abgabe entscheidungsreifer Akten an eine andere Stelle,
die bislang nicht mit den jeweiligen Fällen befasst war, überhaupt eine sinn-
volle Maßnahme der Beschleunigung unter Wahrung qualitativer Standards
(bitte das Verfahren im Detail darstellen, d.h. in welchen Fällen in welchem
Stadium Akten abgegeben werden usw.)?

12. Warum werden nicht, wie z.B. von PRO ASYL e. V. vorgeschlagen (www.
proasyl.de/de/news/detail/news/was_jetzt_getan_werden_muss/), die Ver-
fahren entbürokratisiert und Entscheidungen umgehend durch die Person ge-
troffen, die die Anhörung vorgenommen hat, was den Vorteil hätte, dass die
Entscheider die Personen und Sachverhalte genau kennen, sich nicht erneut
einarbeiten müssen und sich ein persönliches Bild von der Glaubhaftigkeit
des persönlichen Vorbringens machen konnten, zumal diese Identität von
„Anhörer“ und „Entscheider“ auch vom BAMF aus Qualitätsgründen im
Grundsatz angestrebt wird?

13. Was ist der Kritik in dem o.g. Brief zu entgegnen, die ursprünglich vom
BAMF angesetzte Einarbeitungszeit von drei Monaten für Kolleginnen und
Kollegen aus fachfremden Bereichen sei durch z. T. nur drei- bis achttägige
Einarbeitungen ersetzt worden und diese schnell eingearbeiteten Entscheider
würden angehalten, „massenhaft Bescheide zu erstellen“ (bitte differenziert
darauf eingehen, wie die Einarbeitungszeit je nach Mitarbeitergruppe ist, was
sich diesbezüglich geändert hat, welche Qualifikationen in der jeweiligen
Zeit vermittelt werden und welche Vorgaben zu Erledigungszahlen und Ent-
scheidungen gemacht werden)?

14. Welche Verfahren werden von kurzfristig oder vorübergehend oder nach
kurzer Einarbeitungszeit eingesetzten Entscheidern bearbeitet, welche nähe-
ren Vorgaben gibt es hierzu, wie viele Verfahren welcher Staatsangehörigen
und wie viele Entscheider betrifft dies?

15. Wie ist der aktuelle Stand der geplanten bzw. vollzogenen Aufstockung des
Personals im BAMF (bitte so differenziert wie möglich hinsichtlich der ge-
planten Stellenzahl in welchen Bereichen, der Ausschreibungen, der Bewer-
bungsgespräche, Einstellungszusagen, erfolgten Einstellungen usw. darstel-
len)?

Berlin, den 23. November 2015

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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