BT-Drucksache 18/6809

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 18/5500, 18/5502, 18/6105, 18/6124, 18/6125, 18/6126 - Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2016 (Haushaltsgesetz 2016) hier: Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts

Vom 24. November 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6809

18. Wahlperiode 24.11.2015
Entschließungsantrag

der Abgeordneten Kathrin Vogler, Jan van Aken, Wolfgang Gehrcke, Christine

Buchholz, Sevim Dağdelen, Dr. Diether Dehm, Annette Groth, Heike Hänsel,
Inge Höger, Andrej Hunko, Katrin Kunert, Stefan Liebich, Niema Movassat,

Dr. Alexander S. Neu, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung

– Drucksachen 18/5500, 18/5502, 18/6105, 18/6124, 18/6125, 18/6126 –

Entwurf eines Gesetzes

über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2016

(Haushaltsgesetz 2016)

hier: Einzelplan 05

Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Krisen und Konflikte in der Welt erhalten zunehmend öffentliche Aufmerksamkeit.
Nicht nur, dass mit Syrien und der Ukraine Krisenregionen geografisch näher an die
Bundesrepublik heranrücken, vor allem die Flüchtlinge, die die Bundesrepublik in
größerer Zahl als bisher erreichen, lenken die Aufmerksamkeit auf die Kriegssitua-
tion in vielen Ländern der Welt.
Der Bundesaußenminister spricht angesichts der vielen Gewaltkonflikte in der Welt
von „vorsorgender Außenpolitik“, der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und
SPD weist der zivilen Krisenprävention eine „besondere Bedeutung“ zu. Aber eine
solche Politik müsste sich auch im Bundeshaushalt niederschlagen. Das ist nicht zu
erkennen.
Friedenspolitik strebt friedliche und kooperative Lösungen internationaler Probleme
an. Friedenspolitik ist gewaltfrei und setzt auf die Konfliktbearbeitung mit zivilen
Mitteln. Zivile Mittel sind nichtmilitärisch und nichtpolizeilich. Friedenspolitik er-
fordert eine gerechte Wirtschafts- und Handelspolitik, die Vorbeugung von Ge-
walteskalation durch eine konfliktsensible und solidarische internationale Politik,
konsequente, auch einseitige, Abrüstung und die Förderung von Demokratie und
Menschenrechten. Dafür spielen die Vereinten Nationen als Forum des internationa-
len Dialogs eine besondere Rolle.

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Viel gewonnen wäre schon, wenn die Bundesregierung konfliktverschärfendes Han-
deln unterlassen würde; etwa wenn bewaffnete Aufständische nicht einseitig aner-
kannt werden, sondern auf Konfliktparteien Druck ausgeübt wird, eine Verhand-
lungslösung anzustreben, oder wenn Rüstungsexporte nicht genehmigt werden.
Deutschland hat als weltweit viertgrößter Exporteur von Waffen eine besondere Ver-
antwortung. Jede Waffe, die aus Deutschland exportiert wird, dient der Aufrüstung
eines anderen Landes, fördert Unterdrückung und macht es möglich, dass Konflikte
gewaltsam ausgetragen und Kriege geführt werden. Die weltweit für Rüstung aufge-
brachten Mittel betragen rund 1500 Milliarden Euro und übersteigen damit um mehr
als das Zehnfache die gesamten Ausgaben der OECD-Länder für Entwicklungszu-
sammenarbeit (ODA). Diese Mittel wären im Sinne des Nobelpreisträger-Appells
„Disarmament for Sustainable Development“ sinnvoller für die Hunger- und Ar-
mutsbekämpfung eingesetzt.
Eine wirkliche Neuausrichtung der deutschen Politik auf gewaltfreie und sozial ge-
rechte Friedensförderung würde aber darüber hinaus bedeuten, zusätzliche Maßnah-
men zu ergreifen, für die zusätzliche Mittel bereitgestellt werden müssten. Friedens-
politik bedeutet die beharrliche Bearbeitung von Konfliktursachen, Gewaltvorbeu-
gung muss in den Mittelpunkt der deutschen Politik gestellt werden. Die Beteiligung
der lokalen Bevölkerung ist dabei besonders wichtig. Zivile Maßnahmen sind erheb-
lich günstiger als militärische, Prävention ist günstiger als die Bearbeitung eskalier-
ter Krisen.
Die internationale Politik der Bundesregierung ist keine Friedenspolitik. Ihr Ziel ist
die Durchsetzung ökonomischer und geostrategischer Interessen. Dabei setzt sie zu-
nehmend auch auf militärische Mittel. Für die Krisen und bewaffneten Konflikte in
der Welt ist damit auch die deutsche Wirtschafts-, Handels- und Außenpolitik mit-
verantwortlich.
Dies muss gerade auch vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte um Fluchtursa-
chen betont werden. Viele der Flüchtlinge kommen aus Ländern, in deren Krisen
Deutschland politisch oder sogar militärisch involviert ist, oder aus Ländern, in de-
nen die Folgen eines ungerechten globalen Wirtschaftssystems, von dem die Bun-
desrepublik Deutschland in besonderer Weise profitiert, Menschen zur Flucht
zwingt, weil sie keine Perspektive mehr sehen. Die aktuelle Diskussion lenkt zu
Recht den Blick auf die Fluchtursachen und die unhaltbaren Zustände, unter denen
Flüchtlinge in den Ländern, die die Hauptlast der globalen Flüchtlingsbewegungen
tragen, leben. Doch die Maßnahmen, die die Bundesregierung unter den Schlagwör-
tern Humanitäre Hilfe und Bekämpfung der Fluchtursachen ergreift, gehen nicht pri-
mär von den Bedürfnissen der Flüchtlinge aus, sondern vom Ziel, Fluchtbewegun-
gen möglichst von Europa fernzuhalten. So kündigt die Bundesregierung in ihrem
Flucht- und Migrationspaket u. a. die Beschleunigung von Rückführungsmaßnah-
men sowie eine Gegenkommunikation an, um Flüchtende davon abzuhalten, sich auf
den Weg nach Deutschland zu machen.
Humanitäre Hilfe hat unter strikter Beachtung der humanitären Prinzipien Neutrali-
tät, Unabhängigkeit, Unparteilichkeit sowie Menschlichkeit stattzufinden. Auf diese
Prinzipien haben sich Bundesregierung und Hilfsorganisationen in den „Zwölf
Grundregeln der Humanitären Hilfe“ verständigt. Humanitäre Hilfe muss finanziell
besser ausgestattet werden. Humanitäre Hilfe ist nicht nur mit Blick auf die Flücht-
linge der Gefahr des Missbrauchs durch Politisierung, Instrumentalisierung und Mi-
litarisierung ausgesetzt. Militarisierung der humanitären Hilfe ist festzustellen, wenn
Militärs medizinische Betreuung oder andere Hilfsleistungen einsetzen, um ihre mi-
litärischen Ziele zu befördern („winning hearts and minds“). Politisierung der huma-
nitären Hilfe bedeutet etwa, diese für Kritik an in den Zielländern herrschenden po-
litischen Verhältnissen zu benutzen, oder dafür, das eigene Ansehen in der Welt auf-
zupolieren. Gerade wegen ihrer Prinzipien kann humanitäre Hilfe Politik nicht erset-
zen. Sie grenzt sich damit deutlich von ziviler Konfliktbearbeitung ab.
Der 2004 verabschiedete Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und
Friedenskonsolidierung“ formuliert den Anspruch, dass Krisenprävention als „Quer-
schnittsaufgabe [...] in der Gestaltung der einzelnen Politikbereiche verankert sein

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muss“, und die Aufforderung, „Methoden, Instrumente und Verfahren zu entwi-
ckeln, die die Berücksichtigung von Krisenprävention in allen Phasen und Sektoren
der Regierungstätigkeit sicherstellen“. Zivile Krisenprävention und Konfliktbearbei-
tung spielen in der deutschen Außenpolitik allenfalls eine Nebenrolle, dem Anspruch
des Aktionsplans wird die Bundesregierung nicht gerecht. Auch wenn die im Akti-
onsplan vorgeschlagenen Maßnahmen oftmals zu zögerlich formuliert sind und ins-
besondere die Abgrenzung zu militärischen Mitteln klarer gefasst werden müsste,
geht es dem Aktionsplan darum, präventives und ziviles Handeln auszubauen, und
nicht darum, zivile Krisenprävention vor allem zur Einbettung einer vorrangig mili-
tärisch gedachten Außenpolitik zu instrumentalisieren.
Die Prioritätensetzung der Bundesregierung zeigt sich deutlich in den für die ver-
schiedenen Politikbereiche bereitgestellten finanziellen Mitteln. Der für 2016 im Re-
gierungsentwurf geplante Anstieg der Ausgaben für das Bundesministerium für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und das Auswärtige Amt
(AA), die auch die Mittel für zivile Krisenprävention und Konfliktbearbeitung bein-
halten, beträgt zusammen gerade einmal 1,55 Milliarden Euro, während der Haushalt
des Bundesverteidigungsministeriums (BMVg) allein schon um fast 1,4 Milliarden
Euro ansteigt. Von den 673 Millionen Euro, um die der Haushalt des AA gemäß
Regierungsentwurf erhöht werden sollte, sind fast 500 Millionen Euro einer haus-
haltstechnischen Erhöhung der Ausgaben für UN-Einsätze geschuldet. Erst die stei-
genden Flüchtlingszahlen seit dem Sommer haben die Koalition bewogen, noch zu-
sätzliche 400 Millionen Euro für die angebliche Bekämpfung von Fluchtursachen
auszugeben. Allein der Vergleich der Etatansätze für das BMZ (2016 7,4 Milliar-
den Euro) und das AA (2016 4,8 Milliarden Euro) mit den über 34 Milliarden Euro,
die für den Verteidigungshaushalt aufgewendet werden, zeigt drastisch, dass von ei-
ner im umfassenden Sinne zivilen Friedenspolitik Deutschlands nicht die Rede sein
kann. Die mittelfristige Finanzplanung des Bundes sieht bis 2019 sogar noch weitere
Steigerungen im Haushalt des Bundesverteidigungsministeriums vor.
Das von der NATO geforderte 2-Prozent-Ziel (2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
für Militärausgaben) ist der Bundesregierung erkennbar wichtiger als das von den
Vereinten Nationen (VN) vorgegebene 0,7-Prozent-Ziel (0,7 Prozent des Bruttona-
tionaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit). Die Mittelaufstockungen in
den Etats von BMZ und AA erwecken so den Eindruck, dass sie nur als zivile Flan-
kierung der militärischen Aufrüstung dienen sollen.
Dazu kommt, dass die Militärausgaben im Haushalt künstlich kleingerechnet wer-
den. So werden etwa Kosten für NATO und Westeuropäische Union (WEU) im
Haushalt des AA verbucht (Kap. 05 01 – Sicherung von Frieden und Stabilität –,
Titel 687 14). Im Einzelplan 60 wird mit Kapitel 60 02 Titel 687 03 zur „Ertüchti-
gung von Partnerstaaten im Bereich Sicherheit, Verteidigung und Stabilisierung“ so-
gar ein Posten von 100 Mio. Euro neu geschaffen, dessen Ziel ausschließlich militä-
risch definiert ist.
Eine Neuausrichtung der deutschen internationalen Politik ist zwingend notwendig.
Dazu gehören der ausnahmslose Stopp aller Rüstungsexporte und umfassende, auch
einseitige, Abrüstungsschritte. Gleichzeitig müssen die Maßnahmen und Instru-
mente der zivilen Krisenprävention und Konfliktbearbeitung umfangreich ausgebaut
und weiterentwickelt werden. Hierfür ist es im Sinne des Aktionsplans erforderlich,
dass alle Bundesministerien die Auswirkungen ihres Handelns auf Konflikte und
Krisen kontrollieren und Mechanismen entwickeln, die eine konfliktsensible Politik
sicherstellen. Insbesondere das Bundeswirtschafts- und das Bundesumweltministe-
rium müssen Ressourcen bereitstellen, um diese Auswirkungen zu untersuchen und
geeignete Gegenmaßnahmen zu finanzieren.

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II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. ihr außenpolitisches Handeln auf die Förderung von Frieden auszurichten und in
diesem Sinne

a. ihr außenpolitisches Handeln zivil auszurichten und konsequent und in allen
Politikbereichen auf seine Konfliktrelevanz (do no harm) zu überprüfen und
Konflikt fördernde Maßnahmen zu unterlassen;

b. ausschließlich nichtpolizeiliche und nichtmilitärische Maßnahmen als „zi-
vile“ zu bezeichnen. Erforderlich ist, zivile Maßnahmen klar von polizeili-
chen und militärischen zu unterscheiden, zumal in vielen Einsätzen, insbeson-
dere in Krisengebieten, die Übergänge zwischen Polizei und Militär fließend
sind;

c. in allen Bundesministerien, insbesondere auch im Bundeswirtschaftsministe-
rium und im Bundesumweltministerium, Mittel für die Krisenprävention vor-
zuhalten;

d. in der Öffentlichkeit stärker über die Wirksamkeit von ziviler Krisenpräven-
tion und Konfliktbearbeitung zu informieren;

2. die Haushaltsmittel für zivile Krisenprävention und Konfliktbearbeitung deutlich
und kontinuierlich zu erhöhen. Die Beiträge zu internationalen Maßnahmen der
Krisenprävention, Friedenserhaltung und Konfliktbewältigung im Einzelplan 05
müssen entsprechend auf 400 Mio. Euro erhöht werden. Der Zivile Friedens-
dienst (ZFD) muss endlich zu einem zentralen Instrument der deutschen interna-
tionalen Politik ausgebaut werden. Als erster Schritt ist ein Aufwuchs des ZFD
im Einzelplan 23 auf 75 Mio. Euro erforderlich;

3. zukünftig keinerlei Mittel für NATO, WEU oder andere militärische Aufgaben
aus den Etats anderer Bundesministerien als dem des Bundesverteidigungsminis-
teriums zu finanzieren;

4. den Aufwuchs der Mittel für zivile Konfliktbearbeitung durch die schrittweise
Reduzierung des Verteidigungshaushaltes, also des Einzelplans 14 (BMVg),
etwa durch die Streichung von Beschaffungsvorhaben, zu gewinnen;

5. sich klar zur Erreichung des 0,7-Prozent-Ziels (0,7 Prozent des Bruttonational-
einkommens soll für Entwicklungshilfe ausgegeben werden) zu bekennen und
eine mittelfristige Finanzplanung vorzulegen, in der dieses Ziel bis 2019 erreicht
wird.

Berlin, den 23. November 2015

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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