BT-Drucksache 18/6720

Mögliches staatsschutzrelevantes Potential von Pegida- und ähnlichen rassistischen Aufmärschen

Vom 10. November 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6720
18. Wahlperiode 10.11.2015

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Frank Tempel, Dr. André Hahn, Kerstin Kassner,

Harald Petzold (Havelland), Dr. Petra Sitte, Kersten Steinke, Halina Wawzyniak

und der Fraktion DIE LINKE.

Mögliches staatsschutzrelevantes Potential von Pegida- und ähnlichen
rassistischen Aufmärschen

In den letzten Wochen konnte bei den Aufmärschen der sogenannten Gida-Be-
wegung eine zunehmende Radikalisierung festgestellt werden. Insbesondere auf
den Versammlungen in Dresden (Pegida) fielen wiederholt rassistische Äußerun-
gen; die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts auf Volksverhetzung.
Politiker aller demokratischen Parteien haben Pegida deutlich kritisiert. Der Bun-
desminister des Innern Dr. Thomas de Maizière, hat in Bezug auf die Anführer
von Pegida erklärt (z. B. ZEIT ONLINE, 18. Oktober 2015): „Diejenigen, die das
organisieren, sind harte Rechtsextremisten“, das sei „völlig eindeutig“. Ver-
schiedentlich wird die Beobachtung von Pegida durch den Verfassungsschutz ge-
fordert.

Dabei wird häufig darauf verwiesen, dass es einen Zusammenhang zwischen den
Aufmärschen von Pegida und dem Anstieg der Angriffe auf Flüchtlingsunter-
künfte gebe. Die rassistische Agitation ermuntere zu Straftaten.

Die Fragesteller beurteilen eine mögliche Beobachtung von Pegida durch den
Verfassungsschutz skeptisch, da sie dem Inlandsgeheimdienst eine effektive Be-
kämpfung des Rechtsextremismus nicht zutrauen. Wenn allerdings der Chef des
sächsischen Landesamtes öffentlich erklärt (Tagesspiegel, 20. Oktober 2015), es
gebe keinen generellen rechtsextremen Einfluss auf die Gida-Bewegung, und dort
lediglich eine „stark emotionale Grundstimmung“ erkennt, geht dies nach Auf-
fassung der Fragesteller völlig am Kern des Problems vorbei. Denn nach Erkennt-
nissen des Bundeskriminalamtes (BKA), die den Fragestellern vorliegen, ist ein
Großteil derjenigen, die Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte begehen, zuvor
nicht polizeilich in Erscheinung getreten bzw. nicht als Rechtsextremist bekannt.
Mit dem vom Verfassungsschutz angewandten „Extremismusmodell“ können
verfassungswidrige rassistisch-gewaltbereite Bestrebungen, die nicht von „klas-
sischen“ Rechtsextremisten ausgehen, sondern aus dem Bereich der politischen
Mitte kommen, nicht adäquat erfasst werden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. In welchen Bundesländern werden nach Kenntnis der Bundesregierung Be-
wegungen des Gida-Typs von den Landesämtern für Verfassungsschutz
(LfV) beobachtet?

2. Inwiefern beobachtet das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) Bewe-
gungen des Gida-Typs (bitte angeben, welche Bewegungen genau und in
welchen Ländern)?

Drucksache 18/6720 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

 

3. Teilt die Bundesregierung die Ansicht des Bundesministers des Innern, bei
den Organisatoren von Pegida bzw. anderen Gida-Bewegungen handele es
sich um „harte Rechtsextremisten“?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja

a) inwiefern werden diese vom BfV bzw. von den LfV beobachtet,

b) wie viele und welche Organisatoren oder sonstige Schlüsselpersonen der
Gida-Bewegung werden vom BfV bzw. den LfV beobachtet,

c) welche Gida-Bewegungen genau sind davon betroffen?

4. Inwiefern teilt die Bundesregierung die Sorge, dass die Aktivitäten, insbe-
sondere die rhetorische Agitation der Gida-Bewegung, die Bereitschaft zur
Begehung von Straftaten fördert?

Welche theoretischen Annahmen und praktisch-konkreten Erkenntnisse lie-
gen ihrer Einschätzung zugrunde, und welche Schlussfolgerungen zieht die
Bundesregierung daraus?

5. Welchen Einfluss haben Rechtsextremisten auf die Gida-Bewegung (bitte
Erkenntnisse seit der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage
auf Bundestagsdrucksache 18/4068 vom 23. Februar 2015 berücksichtigen,
und wenn möglich bitte angeben, um welche rechtsextremen Organisationen
oder Personenzusammenschlüsse bzw. gegebenenfalls Einzelpersonen sowie
welche konkrete Gida-Gliederung es geht)?

a) In welcher Form erfolgen diese rechtsextremen Einflüsse?

b) Inwiefern werden Rechtsextremisten bei Veranstaltungen als Ordner ein-
gesetzt?

c) Auf welchen Gida-Kundgebungen gab es Redebeiträge oder sonstige Mit-
wirkung welcher Rechtsextremisten (bitte wenn möglich namentlich
nennen und Zugehörigkeit zu Organisation aufführen)?

d) Welche rechtsextremen oder fremdenfeindlichen Parteien unterstützen in
welcher Form welche Gida-Bewegungen?

e) Inwiefern haben sich die Verantwortlichen der Gida-Bewegung zur mög-
lichen Teilnahme von oder Unterstützung durch Rechtsextreme nach
Kenntnis der Bundesregierung positioniert, und inwiefern hält sie etwaige
Distanzierungen für glaubwürdig oder lediglich taktisch motiviert?

6. In welchen Städten in Deutschland kam es seit der Antwort der Bundesregie-
rung auf Bundestagsdrucksache 18/4068 wann zu welchen Aufzügen von
Gida-Bewegungen mit jeweils wie vielen Teilnehmerinnen und Teilneh-
mern, und welche Erkenntnisse zu bei diesen Aufzügen begangenen Strafta-
ten liegen der Bundesregierung vor?

7. Inwiefern gab es von Seiten der Organisatoren der Gida-Bewegung oder im
Rahmen der Gida-Aufmärsche in den letzten Monaten Äußerungen, die nach
Einschätzung der Bundesregierung offene oder verdeckte Sympathie mit An-
schlägen auf Asylunterkünfte und Flüchtlinge erkennen lassen?

8. Von Seiten wie vieler Akteure der Gida-Bewegung, einschließlich Rednern
bei Versammlungen, gab es Äußerungen, die die Bundesregierung als rassis-
tisch bewertet (unabhängig von der Frage, ob dadurch konkrete Straftaten
begangen wurden)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6720

 

9. Inwiefern nehmen die für Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte Verantwort-
lichen bzw. Tatverdächtigen Bezug auf die Gida-Bewegung?

10. Inwiefern gibt es seitens der Sicherheitsbehörden oder anderer Stellen (wel-
cher) eine Auswertung der Gida-Aktivitäten, die über die Beobachtungstä-
tigkeit der Verfassungsschutzämter hinausgeht?

Inwiefern findet eine systematische Presseauswertung und Auswertung
Gida-eigener Publikationen und Internetauftritte statt, und welche Hinweise
auf verfassungswidrige und/oder rassistische und die Werte des Grundgeset-
zes missachtende Haltung der Gida-Bewegungen?

11. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Zusammenarbeit der
Gida-Bewegungen mit ausländischen Bewegungen, die eine ähnliche Ziel-
richtung verfolgen (bitte aufführen, inwiefern es gemeinsame Veranstaltun-
gen oder Begegnungen gibt)?

12. Welchen Stellenwert haben die Aktivitäten der Gida-Bewegung bei den Be-
sprechungen im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzent-
rum (GETZ) Rechts?

a) Inwiefern werden dort die Erkenntnisse der Verfassungsschutzämter und
die polizeilichen Erkenntnisse über die Bewegung ausgetauscht, und zu
welchen Erkenntnissen und Schlussfolgerungen sind die Sicherheitsbe-
hörden dabei nach Kenntnis der Bundesregierung bislang gekommen?

b) Welchen Fragestellungen wird bei den Besprechungen im GETZ hinsicht-
lich der Gida-Bewegung insbesondere nachgegangen, welche Schwer-
punkte werden gesetzt?

13. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
generell aus der (zumindest verbalen) Radikalisierung der Gida-Bewegung,
insbesondere auch der Dresdner Pegida?

14. Inwiefern ist der klassische („Links-, Rechts-, Ausländer“-) Extremismus-
ansatz der Verfassungsschutzbehörden nach Auffassung der Bundesregie-
rung noch geeignet, um das verfassungswidrig-staatsschutzrelevante Poten-
tial der Gida-Bewegung und ähnlicher Bewegungen angemessen zu erfas-
sen?

15. Welche aktuellen Überlegungen bzgl. Gegenstrategien zu rassistischen Be-
wegungen hat die Bundesregierung angestellt, und was will sie zu deren Um-
setzung beitragen?

Berlin, den 9. November 2015

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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