BT-Drucksache 18/6508

Leistungen nach den Härterichtlinien des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes im Vergleich zum Bundesentschädigungsgesetz

Vom 28. Oktober 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6508
18. Wahlperiode 28.10.2015

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Katrin Kunert,

Harald Petzold (Havelland), Martina Renner, Dr. Petra Sitte, Halina Wawzyniak

und der Fraktion DIE LINKE.

Leistungen nach den Härterichtlinien des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes im
Vergleich zum Bundesentschädigungsgesetz

Die in den 1950er und 1960er Jahren vorherrschende Anerkennungspraxis für
NS-Opfer in Verbindung mit der Schließung des Bundesentschädigungsgesetzes
(BEG) im Jahr 1969 haben dazu geführt, dass zahlreiche Opfer des Naziregimes
nicht als Verfolgte anerkannt worden sind und deswegen keine Leistungen nach
dem BEG erhalten. Das gilt beispielsweise für viele Homosexuelle, Opfer
der Wehrmachtsjustiz, Zwangssterilisierte, „Euthanasie“-Geschädigte, Sinti und
Roma, sogenannte Asoziale, Zeugen Jehovas usw. Sie alle waren Opfer massiver
politischer, häufig rassistisch motivierter Verfolgung. Als solche wurden sie aber
meist erst ab den 1980er Jahren in einem schrittweisen Prozess anerkannt. Weil
sie zu diesem Zeitpunkt aber keine Anträge nach dem BEG mehr stellen konnten,
sind sie bis heute entschädigungsrechtlich schlechter gestellt als jene Verfolgten,
die bereits im Jahr 1969 als solche anerkannt waren. Für die Betroffenen wirkt
sich das als Fortsetzung ihrer bereits im „Dritten Reich“ erfahrenen Diskriminie-
rung aus.

Die genannten Opfergruppen erhalten heute allenfalls Leistungen nach den Här-
terichtlinien des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes (AKG-HL), die aber deutlich
unter den Leistungen des BEG liegen. Sie sehen in der Regel nur eine Einmal-
zahlung in Höhe von rund 2 500 Euro vor, für die Opfergruppe der Zwangssteri-
lisierten außerdem eine laufende Beihilfe von derzeit 320 Euro monatlich sowie
in besonderen Ausnahmefällen zusätzliche Leistungen in unterschiedlicher Höhe.
Hingegen beträgt die durchschnittliche Lebensschadensrente nach dem BEG rund
955 Euro pro Monat, der Durchschnitt aller BEG-Entschädigungsrenten 651 Euro
(Bundesministerium der Finanzen Dok. 2014/0826938). Entschädigungszahlun-
gen für Freiheitsentziehungen, Schäden an Eigentum und Vermögen, Nachteile
beim beruflichen Fortkommen usw., die das BEG vorsah, sind in den AKG-Här-
terichtlinien so gut wie gar nicht enthalten.

Terminologisch unterscheiden die Regelungen „Verfolgte“ (BEG) und „Opfer“
(AKG-Härterichtlinien) faschistischer Unrechtshandlungen. Die Fragesteller
können allerdings nicht erkennen, dass es begründet wäre, Berechtigten nach den
AKG-Härterichtlinien im Vergleich zu BEG-Berechtigten pauschal ein weniger
schweres Verfolgungsschicksal zu unterstellen. Somit stellt sich die Frage, wie es
gerechtfertigt wird, ersteren geringere Entschädigungszahlungen zu gewähren.

Drucksache 18/6508 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

 

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Personen haben bislang insgesamt einmalige Leistungen nach den
AKG-Härterichtlinien erhalten, und in welcher Gesamthöhe?

2. Wie viele Personen beziehen gegenwärtig laufende Leistungen nach § 4 der
AKG-Härterichtlinien, und in welche Opfergruppen schlüsselt sich dieser
Personenkreis auf?

3. Wie viele Personen erhalten gegenwärtig ergänzende laufende Leistungen in
besonderen Notlagen nach § 6 der AKG-Härterichtlinien?

a) Wie schlüsselt sich dieser Personenkreis auf in die in § 6 der AKG-Här-
terichtlinien genannten vier Konstellationen (KZ-Haft ab neun Monaten,
Freiheitsentziehung in einem Gefängnis oder einer Euthanasie-Anstalt ab
18 Monaten, Verstecktleben ab 30 Monaten oder Zwangssterilisation)?

b) Wie hoch ist die Gesamtsumme der gegenwärtig ausgezahlten ergänzen-
den laufenden Leistungen pro Monat?

c) Wie hoch ist die durchschnittliche monatliche Summe der gewährten
Leistungen pro Person?

4. Welche Gesamtsumme an wie viele Leistungsbezieher nach dem BEG wur-
den bis zum heutigen Zeitpunkt ausgezahlt, und welche Gesamtsumme an
wie viele Leistungsbezieher nach den AKG-Härterichtlinien?

5. Wie begründet die Bundesregierung, dass in § 6 AKG-Härterichtlinien die
Gewährung von ergänzenden laufenden Leistungen nur für solche Personen
vorgesehen ist, die mindestens neun Monate in einem Konzentrationslager
waren bzw. mindestens 30 Monate lang unter menschenunwürdigen oder be-
sonders erschwerten Bedingungen versteckt waren, angesichts der Tatsache,
dass für jüdische Opfer solche Befristungen in dem Artikel-2-Abkommen
zur Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus nicht vorgesehen sind?

Inwiefern erwägt die Bundesregierung, auf diese Fristen auch in den AKG-
Härterichtlinien zu verzichten?

6. Wie ist in der Vergangenheit nach Kenntnis der Bundesregierung bei Anträ-
gen den AKG-Härterichtlinien damit umgegangen worden, dass manche Ste-
rilisationen formell mit dem Einverständnis der Betroffenen erfolgten, diese
aber faktisch gezwungen wurden, ihr – scheinbares – Einverständnis zu er-
klären (z. B. in KZ-Haft)?

7. Hat die Bundesregierung Grund, davon auszugehen, dass der Personenkreis
der BEG-Berechtigten durchweg ein schlimmeres Verfolgungsschicksal er-
litten hat, als der Personenkreis der (nur) nach den AKG-Härterichtlinien Be-
rechtigten (falls ja, bitte erläutern)?

8. Sieht die Bundesregierung eine ungerechtfertigte finanzielle Schlechterbe-
handlung zwischen den NS-Opfern, die laufende Leistungen nach den AKG-
Härterichtlinien erhalten, und jenen, die Zahlungen nach dem BEG erhalten
(bitte begründen)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6508

 

9. Sieht die Bundesregierung eine ungerechtfertigte finanzielle Schlechterstel-
lung in dem Umstand, dass Hinterbliebenen von NS-Verfolgten, die getötet
oder in den Tod getrieben wurden bzw. an den Folgen der Misshandlungen
verstorben sind, vom BEG Leistungen zugesprochen wurden, Hinterbliebe-
nen von Opfergruppen, wie von Euthanasie-Opfern, Deserteuren, Homose-
xuellen usw., solche Leistungen aber in der Regel nicht zustehen (abgesehen
von den Ausnahmen unter § 7 Absatz 3 der AKG-Härterichtlinien?

Wenn ja, welchen Bedarf sieht sie gegebenenfalls für den Ausgleich einer
solchen Schlechterstellung (bitte begründen)?

Berlin, den 28. Oktober 2015

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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