BT-Drucksache 18/6271

Konflikte in Flüchtlingsunterkünften

Vom 6. Oktober 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6271
18. Wahlperiode 06.10.2015

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Dr. André Hahn,
Harald Petzold (Havelland), Dr. Petra Sitte, Kersten Steinke, Frank Tempel,
Birgit Wöllert und der Fraktion DIE LINKE.

Konflikte in Flüchtlingsunterkünften

Angesichts einer Häufung von zunehmend gewaltsam ausgetragenen Auseinan-
dersetzungen in Flüchtlingsunterkünften beklagen Polizeigewerkschaften das Er-
reichen einer „absoluten Belastungsgrenze“. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP)
fordert daher eine Trennung der Flüchtlingsgruppen nach Religionen
(www.spiegel.de/politik/deutschland/fluechtlinge-christen-und-muslime-getrennt-
unterbringen-a-1054931.html). Glaubensfragen scheinen allerdings nur in Einzel-
fällen, wie im August 2015 bei schweren Auseinandersetzungen in Suhl um einen
angeblich von einem Flüchtling beschädigten Koran, der Auslöser von größeren
Auseinandersetzungen mit zahlreichen Beteiligten zu sein (www.spiegel.de/pa
norama/justiz/suhl-die-krawallnacht-im-fluechtlingsheim-a-1048975.html). Viel-
mehr scheinen insbesondere beengte Verhältnisse in den überfüllten Unterkünf-
ten Konflikte unter Flüchtlingsgruppen auszulösen. So gingen am 25. Septem-
ber 2015 in einem Leipziger Flüchtlingsheim mehrere Hundert Flüchtlinge nach
einer Auseinandersetzung über die Reihenfolge der Toilettenbenutzung aufeinan-
der los. Zwei Tage später kam es in einer für Flüchtlinge errichteten Zeltstadt im
hessischen Kassel-Calden zu einer stundenlangen Massenschlägerei mit 14 Ver-
letzten. Hier war der Auslöser ein Konflikt bei der Essensausgabe. In Kassel-Cal-
den sind 1 500 Flüchtlinge aus 20 Nationen auf einem ehemaligen Flughafenge-
lände verteilt auf 50 Zelte untergebracht. Vorgesehen war die Anlage für die Un-
terbringung von maximal 1 000 Personen (www.welt.de/politik/deutschland/ar
ticle146926095/Polizei-will-Fluechtlinge-nach-Religion-trennen.html, www.ne
ues-deutschland.de/artikel/986092.drueckende-enge.html).
Während die Masse der Auseinandersetzungen in Flüchtlingsunterkünften wohl
nicht religiöser Natur zu sein scheint, beklagen einige christliche und jesidische
Flüchtlinge laut einem Bericht der Tageszeitung „DIE WELT“, von islamisti-
schen Mitbewohnern in Flüchtlingsheimen gemobbt, bedroht oder sogar körper-
lich attackiert worden zu sein (www.welt.de/politik/deutschland/article1469
19471/Islamisten-bedrohen-Christen-in-Fluechtlingsheimen.html). Zudem wer-
ben salafistische Gruppen gezielt in den Einrichtungen um Flüchtlinge als poten-
tielle Mitstreiter, aber auch um diese zur Einhaltung strikter religiöser Regeln
nach ihrem Islamverständnis zu drängen. So verteilten Salafisten beispielsweise
vor einem Flüchtlingssammellager in den Hamburger Messehallen Propaganda-
material und versuchten Kontakt zu den Flüchtlingen aufzunehmen. Der salafis-
tische Prediger Pierre Vogel rief seine Anhänger auf, in Flüchtlingsunterkünfte
zu gehen und mit den Flüchtlingen zu beten. Dazu veröffentlichte Pierre Vogel
einen Katalog mit Ratschlägen, wie sich die salafistischen Aktivisten den Flücht-
lingen nähern sollten. In Nordrhein-Westfahlen wurden bislang rund 30 Versuche
der Kontaktaufnahme von Salafisten zu Flüchtlingen registriert (www.faz.net/ak

Drucksache 18/6271 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

tuell/politik/fluechtlingskrise/wie-salafisten-versuchen-fluechtlinge-zu-radikalisie-
ren-13828289.html, www.faz.net/aktuell/krude-missionierung-salafisten-werben-
nahe-fluechtlingsheimen-13793462.html, www.mopo.de/polizei/messehallen-sala
fisten-propaganda-im-fluechtlingsheim,7730198,31741306.html).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. In wie vielen und welchen Fällen kam es in welchen Flüchtlingsunterkünften

in jeweils welchen Bundesländern und Kommunen nach Kenntnis der Bun-
desregierung seit Anfang des Jahres 2015 zu gewaltsamen Auseinanderset-
zungen mit mehr als zehn beteiligten Personen, bei denen die Polizei eingrei-
fen musste?
a) Wie viele Personen waren jeweils an diesen Auseinandersetzungen betei-

ligt?
b) Wie viele Personen wurden verletzt?
c) Was war jeweils nach Kenntnis der Bundesregierung Anlass und Auslöser

der Auseinandersetzungen?
d) In wie vielen und welchen Fällen gab es Anhaltspunkte, dass ein Konflikt

auf religiösen Befindlichkeiten beruhte?
e) Für wie viele Personen waren die betroffenen Flüchtlingsunterkünfte zum

Zeitpunkt der Auseinandersetzungen ausgelegt, und mit wie vielen Perso-
nen waren sie tatsächlich belegt?

2. Inwieweit kann die Bundesregierung eine zahlenmäßige Häufung von
schweren Auseinandersetzungen mit Verletzten unter Flüchtlingen in Flücht-
lingsunterkünften erkennen, und welche Schlussfolgerungen zieht sie gege-
benenfalls daraus?

3. Für wie sinnvoll, wünschenswert und praktikabel hält die Bundesregierung
die angesichts von Auseinandersetzungen mit zahlreichen Beteiligten erho-
bene Forderung von Polizeigewerkschaftern nach einer Trennung von
Flüchtlingsgruppen nach ihrer religiösen Zugehörigkeit oder gegebenenfalls
auch nach ihrer ethnischen Herkunft bzw. ihrem Herkunftsland?

4. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über religiös oder nationalistisch
motiviertes Mobbing bzw. Drohungen oder Übergriffe auf christliche oder
jesidische Flüchtlinge oder auf andere, aufgrund ihres Glaubens oder ihrer
ethnischen Herkunft verfolgte Flüchtlinge (bitte benennen)?

5. Inwieweit sieht die Bundesregierung einen besonderen Schutzbedarf von be-
sonders bedrohten Flüchtlingsgruppen (z. B. von Angehörigen verfolgter re-
ligiöser Minderheiten, Homosexuellen oder alleinstehenden Frauen) auch in-
nerhalb der Flüchtlingsunterkünfte?
a) Welche Maßnahmen und Bestrebungen der Länder und Kommunen, auf

ein individuelles Schutzbedürfnis von Angehörigen solcher Flüchtlings-
gruppen einzugehen, befürwortet die Bundesregierung gegebenenfalls?

b) Inwieweit sieht die Bundesregierung in einer getrennten Unterbringung
besonders gefährdeter Flüchtlingsgruppen eine Möglichkeit, auf deren
Schutzbedürfnis einzugehen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6271
 

c) Inwieweit sieht die Bundesregierung in einer Unterbringung von Ange-
hörigen besonders gefährdeter Flüchtlingsgruppen in Privatwohnungen
bzw. bei Angehörigen oder Freunden eine Möglichkeit, auf deren Schutz-
bedürfnis einzugehen?

6. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Versuche von Salafisten,
gezielt um Flüchtlinge zu werben?
a) Welche diesbezüglichen Aufrufe salafistischer Prediger und Verbände an

ihre Anhänger mit welchem Inhalt und welcher Verbreitung sind der Bun-
desregierung bekannt?

b) In wie vielen und welchen Fällen in welchen Bundesländern und Kom-
munen haben Salafisten nach Kenntnis der Bundesregierung vor oder in
welchen Flüchtlingsunterkünften ihre Propaganda verbreitet oder ver-
sucht, Kontakt zu den Flüchtlingen aufzunehmen?

c) Welchen Erfolg bzw. welche Folgen hatten die bisherigen Werbeversuche
von Salafisten um Flüchtlinge nach Kenntnis der Bundesregierung?

d) Welche Reaktionen von Flüchtlingen auf Werbeversuche von Salafisten
sind der Bundesregierung zur Kenntnis gelangt?

e) Auf welche Weise und mit welchen Vorgaben, Weisungen oder Verhal-
tensratschlägen sensibilisieren die Bundesregierung – und nach ihrer
Kenntnis die Landesregierungen – die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
von Flüchtlingsheimen gegenüber Werbe- und Infiltrationsversuchen von
Salafisten bei Flüchtlingen?

f) Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über mögliche Anhänger sa-
lafistischer Kreise unter Mitarbeitern von privaten Wachunternehmen, die
bei Flüchtlingsunterkünften eingesetzt werden?

Berlin, den 6. Oktober 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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