BT-Drucksache 18/5949

Bericht über die Weiterleitung von Akten aus der Stasi-Unterlagenbehörde über das Bundesministerium des Innern an die National Security Agency im Jahre 1992 (Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 18/4024)

Vom 2. September 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5949
18. Wahlperiode 02.09.2015

Kleine Anfrage
Der Abgeordneten Jan Korte, Roland Claus, Ulla Jelpke, Dr. Petra Sitte,

Kersten Steinke, Frank Tempel, Halina Wawzyniak und die Fraktion DIE LINKE.

Bericht über die Weiterleitung von Akten aus der Stasi-Unterlagenbehörde über
das Bundesministerium des Innern an die National Security Agency im
Jahre 1992 (Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage
auf Bundestagsdrucksache 18/4024)

Die Bundesregierung wirft mit ihrer Antwort auf Bundestagsdrucksache 18/4024
eine Reihe von neuen Fragen zur Aktenübergabe aus der Behörde des Bundesbe-
auftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deut-
schen Demokratischen Republik (BStU) über das Bundesministerium des Innern
(BMI) an das US-amerikanische Federal Bureau of Investigation (FBI) und mög-
licherweise andere Dienste, wie die National Security Agency (NSA) im
Jahr 1992 in der Amtszeit des damaligen Bundesbeauftragten für die Stasi-Un-
terlagen Joachim Gauck auf, ohne die schon gestellten Fragen präzise beantwor-
tet zu haben.

Nach wie vor offen bleiben Fragen nach dem genauen Vorgang aus dem Jahr
1992 und damit auch der Rechtmäßigkeit der ersatzlosen und angeblich nicht
protokollierten und dokumentierten Rückübergabe von in Besitz des Ministeri-
ums für Staatssicherheit (MfS) der ehemaligen DDR befindlichen und in die
Stasi-Unterlagenbehörde übernommenen Unterlagen der US-amerikanischen
Dienste auf Anweisung des Bundesministeriums des Innern (vgl. dazu auch
DER SPIEGEL 30/1999, S. 52 und 53). Hier ist eine weitere Klärung dringend
erforderlich auch zu der Frage, warum – unabhängig von der Rechtsbegründung
nach dem Stasi-Unterlagen-Gesetz (§ 25 oder § 11) – der gesamte Vorgang nicht
im Tätigkeitsbericht des damaligen BStU Erwähnung findet.

Fragen stellen sich aber auch nach den aktuellen Verlautbarungen der Bundesre-
gierung im Zusammenhang mit den sog. Selektoren und der gesamten Überwa-
chungstätigkeit der NSA gegenüber deutschen und europäischen öffentlichen
und privaten Stellen. Denn genau um Unterlagen zu diesem Zweck handelte es
sich bei den vom MfS beschafften und via Bundesministerium des Innern (BMI)
an die USA zurückgegebenen Unterlagen.

Diese Unterlagen beschrieb „DER SPIEGEL“ im Jahr 1999 so: „Kernstück der
Sammlung war die sogenannte National Sigint Requirement List (NSRL), ein
4258 Seiten starkes Dokument, in die die NSA festlegt, in welchen Ländern was
abgehört werden soll. Die Liste ist eine Art Wunschkatalog für die Spionage ge-
gen Freund und Feind. Das Weiße Haus, das Außenministerium und etliche an-
dere Regierungsstellen melden darin ihre Informationsbedürfnisse an…Die NSA
notiert, Land für Land, was den Staatslauschern technisch bereits möglich ist,
was bald erreichbar sein wird und was vorerst unerreichbar bleibt. Das Washing-

Drucksache 18/5949 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

toner Interesse an deutscher Innen- und Außenpolitik, Nuklear- und Weltraum-
technik und militärischer Forschung füllte, Freund hört mit, rund 30 Sei-
ten…Noch neugieriger waren die USA, jedenfalls bei den Verbündeten, nur noch
auf französische Interna.“ Diese Akten „waren der Beweis dafür, wie ungeniert
die Amerikaner (…) Spionage betrieben – auch gegen die Westdeutschen“
(DER SPIEGEL 30/1999, Seite 52).

Akten dieser Qualität sollen, so behauptet die Bundesregierung heute noch, ohne
jede Spur zu hinterlassen, an das BMI und von dort an das FBI übergeben worden
sein. Ein anonymer Mitarbeiter habe es versäumt, Kopien statt der Originale her-
auszugeben. Das BMI habe jedenfalls nicht die Originale gefordert.

Auch die damals Beteiligten und heute noch Aktiven, wie der damalige Bundes-
beauftragte für die Stasi-Unterlagen Joachim Gauck und sein damaliger Direktor
und spätere Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) und noch
spätere Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND) Hansjörk Geiger schie-
ben die Verantwortung dem anderen zu (Gauck zu Geiger) oder können sich an
nichts erinnern (DER SPIEGEL 30/1999, Seite 53). Dieser Vorgang und das Ver-
halten der damals Verantwortlichen verschleiert nicht nur den möglicherweise
begangenen Rechtsbruch, sondern es erinnert fatal an die heutigen Versuche der
Bundesregierung, ihr Mitwissen über die Arbeit ausländischer Nachrichten-
dienste auf deutschem Boden der Öffentlichkeit vorzuenthalten (siehe u. a. taz
vom 13. August 2015: „Die Bundesregierung hatte dem Bundestag eine direkte
Einsicht in die heiß diskutierte (Selektoren-d.V.) Liste verweigert – ohne Zustim-
mung der USA wäre sie ein Verstoß gegen das Völkerrecht“).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. In welcher Form hat die US-Regierung die Bundesregierung im April 1992
um die Herausgabe amerikanischer Verschlusssachen gebeten, die das Mi-
nisterium für Staatssicherheit in seinen Besitz gebracht hatte und die sich
daher in den Beständen des BStU befanden, welchen Weg ist diese „Bitte“
gegangen (welche Abteilungen welcher Bundesministerien einschließlich
des Bundeskanzleramtes, und welcher Behörden waren in welcher Form in-
volviert), und welche Belege existieren wo für diese Bitte und ihren Weg,
und wie genau wurden die Verschlusssachen charakterisiert bzw. qualifiziert
(siehe Antwort der Bundesregierung zu Frage 1 auf Bundestagsdruck-
sache 18/4024)?

2. Was waren der allgemeine und was der besondere Grund und der Anlass für
den damaligen Geheimschutzbeauftragten des Innenministeriums, schon am
7. Februar 1992, also Monate vor der Bitte der USA, von der sog. Gauck-
Behörde (dort eingegangen am 12. Februar 1992) die Herausgabe aller Un-
terlagen ausländischer Nachrichtendienste mit der Geheimhaltungsstufe
„VS-Vertraulich und höher“ zu fordern (siehe die hier abgedruckten Doku-
mente: K. Eichner. Imperium ohne Rätsel“ ed. ost 2014, Seite 95. Lediglich
im Betreff ist dabei der korrekte Bezug zu § 11 StUG hergestellt, die Einzel-
anforderungen zitieren das StUG falsch)?

3. Auf wessen Initiative hin wurde das BMI am 15. Juni 1992 erneut bei der
„Gauck-Behörde“ vorstellig und forderte die Herausgabe einer ganz be-
stimmten Akte, deren Name geschwärzt wurde, wer hat die Akte geschwärzt,
und was war Gegenstand dieser Akte (siehe die hier abgedruckten Doku-
mente: K. Eichner. Imperium ohne Rätsel“ ed. ost 2014, Seite 96)?

4. Was war der Anlass für das BMI, am 14. Juli 1992 „kurzfristig“ die Heraus-
gabe aller relevanten Akten aus der „Gauck-Behörde“ „bis zum
31. August 1992“ zu fordern, und wie wurde die „Relevanz“ näher beschrie-
ben (siehe die hier abgedruckten Dokumente: K. Eichner. Imperium ohne
Rätsel“ ed. ost 2014, Seite 98/99)?

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5. Welche völkerrechtlichen Verträge haben die Bundesrepublik Deutschland
im Jahre 1992 verpflichtet, die in den MfS-Unterlagen existierenden US-Pa-
piere zu schützen, und gehört zu diesen Schutzaufgaben gegebenenfalls auch
die Leugnung der Existenz bestimmter Papiere (siehe Antwort der Bundes-
regierung zu Frage 1 auf Bundestagsdrucksache 18/4024)?

6. Auf welchen Wegen hat welche Stelle des BMI die Unterlagen wann wem
im BfV zur Übergabe an die US-amerikanische Seite übergeben, und auf
welchen Wegen hat wer vom BfV sie an welche Stelle des FBI weitergege-
ben (siehe Antwort der Bundesregierung auf Frage 1 auf Bundestagsdruck-
sache 18/4024)?

7. Welche Protokolle oder Empfangs- bzw. Abgabebestätigungen liegen über
diese Transaktionen vor?

8. Hat die in dem Schreiben an den BStU vom 7. Februar 1999 (siehe Frage 2)
von dem Geheimschutzbeauftragten des BMI, Schöttler, angesichts des Um-
fangs der Verschlusssachen für erforderlich gehaltene Sichtung und Bewer-
tung der Unterlagen stattgefunden?

Wenn ja, wer hat die Sichtung und Bewertung mit welchen Ergebnissen
durchgeführt, und wo sind diese dokumentiert?

Wenn nein, warum haben sie auf wessen Veranlassung nicht stattgefunden
und wer hat dann über Art und Umfang der abzugebenden Dokumente ent-
schieden?

9. Hat der vom Geheimschutzbeauftragten des BMI, Schöttler, vorgeschlagene
Termin mit dem BStU am 5./6. März 1992, bei dem über das in Frage 8 er-
fragte Thema hinaus über die weitere Behandlung der Verschlusssachen, ins-
besondere über einen eventuellen Abtransport in das BMI gesprochen wer-
den sollte, ggf. auch zu einem anderen Datum, stattgefunden?

Wenn ja, wer war für jeweils welche Behörde beteiligt und wo sind die Ge-
sprächsergebnisse vermerkt?

Wenn nein, auf wessen Veranlassung wurde der Termin gestrichen, und
wann wurde ggf. zwischen wem über den weiteren Umgang mit den Ver-
schlusssachen gesprochen und entschieden?

10. Gab es ähnliche Anforderungen und Übergabeaktivitäten von Unterlagen aus
MfS-Beständen auch an/von/andere/n europäische/n Nachrichtendienste?

Wenn ja, welche, und in welchem Umfang wurden ihnen welche Unterlagen
wann zurückgegeben bzw. die Rückgabe verweigert?

11. Welche Gespräche und Verhandlungen haben in welcher Form in dem Zeit-
raum von 1990 bis 1993 zwischen militärischen und zivilen deutschen und
US-amerikanischen Behörden und Bundesministerien auf jeweils welcher
Ebene stattgefunden, bei denen der Umgang mit Unterlagen aus dem Bereich
des MfS Gegenstand war, und wo sind die Gespräche einschließlich getroffe-
ner Vereinbarungen und Verfahren dokumentiert?

12. Aus welchen Gründen wird die nach § 11 StUG geforderte Herausgabe der
Unterlagen in dem entsprechenden Tätigkeitsbericht nicht erwähnt, und teilt
die Bundesregierung die Ansicht, dass, wenn der Tätigkeitsbericht schon ei-
nen eigenen Abschnitt über die Verwendung von Unterlagen durch Nach-
richtendienste (im Übrigen nicht zwingend nur nach § 25 StUG, wie in der
Antwort der Bundesregierung zu Frage 4 auf Bundestagsdrucksache 18/4024
suggeriert wird) verwendet, der mit der allgemeinen Bemerkung endet „Bis-
her hat es noch keinen Fall gegeben, in dem der Bundesminister des Innern
die ersatzlose Herausgabe von Unterlagen angeordnet hat, die das StUG un-
ter engen Voraussetzungen erlaubt“ (Bundestagsdrucksache 12/5100, Seite 67),

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eine solche gravierende Rückgabeaktion an US-amerikanische Geheim-
dienste, gestützt auf § 11 StUG, zumindest Erwähnung finden müsste?

13. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass § 11Absatz 2 StUG zwar die
Herausgabe der dort näher bezeichneten Unterlagen an das Bundesministe-
rium des Innern regelt, keineswegs aber eine Pflicht formuliert, diese an die
Ausgangsbehörden, in diesem Falle also die Nachrichtendienste der USA
(oder anderer Staaten) weiterzugeben?

Wenn ja, aufgrund welcher Überlegungen und welcher Rechtsgrundlage hat
das BMI diese Unterlagen via BfV an das FBI weitergeleitet, und mit wem
in der damaligen Bundesregierung und den Sicherheitsbehörden wurde die-
ses Verfahren besprochen und entschieden, und wer hat entschieden, dass
keine Kopien gefertigt werden sollen?

Wenn nein, wie begründet sie ihre Bewertung?

14. Welche Aufklärungsaktivitäten haben die Bundesregierung, das BMI oder
eine der zuständigen Sicherheitsbehörden und der BStU im Jahr 1999 mit
welchen Ergebnissen unternommen, als im DER SPIEGEL 30/1999 detail-
liert über diese Aktenübergabe berichtet wurde?

15. Wann wurden der Bundesregierung Charakter und Inhalt der im Jahr 1992
an die USA abgegebenen Unterlagen, insbesondere die National Sigint Re-
quirement List (NSRL) bekannt, und was hat sie daraufhin mit welchen Er-
gebnissen unternommen, um von den USA die Einstellung der Spionage zum
Nachteil der Bundesrepublik Deutschland zu erreichen?

16. Wurden irgendwann im Zeitraum von 1992 bis 2000 strafrechtliche Schritte
im Zusammenhang mit der National Sigint Requirement List (NSRL) einge-
leitet?

Wenn ja, von wem mit welchem Ergebnis?

Wenn nein, warum nicht?

17. Haben die Bundesregierung und die deutschen Sicherheitsbehörden ihre Er-
kenntnisse aus den an die USA übergebenen Unterlagen, die unter anderem
auch „detaillierte Beschreibungen eines Hochleistungs-Abhör-Systems“
(www.evangelisch.de/inhalte/86809/21-07-2013/focus-innenministerium-
erfuhr-1992-von-nsa-spionage) enthalten hätten, in die etwa ab Mitte der
neunziger laufenden Untersuchungen (erster STOA-Bericht 1997) und öf-
fentlichen Auseinandersetzungen über das Echelon-Projekt der USA einge-
bracht?

Wenn ja, mit welchen Ergebnissen und wo sind diese dokumentiert?

Wenn nein, warum nicht?

18. Haben die Bundesregierung und die deutschen Sicherheitsbehörden, als im
Jahr 2001 im Europaparlament der Abschlussbericht zu den Spionage- und
Abhöraktivitäten im Rahmen des Echelon-Projekts vorgelegt wurde, ihre Er-
kenntnisse über die National Sigint Requirement List (NSRL) mit den
Echelon-Ergebnissen abgeglichen?

Wenn ja, mit welchen Ergebnissen?

Wenn nein, warum nicht?

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19. Worin bestanden die Prüfungen von „Hintergrund und Verbleib“ von „Un-
terlagen die NSA betreffend“, die das BMI im Jahr 2013 gegenüber u. a. dem
„Focus“ angekündigt hatte (www.evangelisch.de/inhalte/86809/21-07-2013/
focus-innenministerium-erfuhr-1992-von-nsa-spionage), und wer von den
im Jahr 1992 an den Übergabeaktionen beteiligten Personen und Behörden
wurde in diesem Zusammenhang von wem mit welchen Ergebnissen befragt?

Berlin, den 2. September 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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