BT-Drucksache 18/5831

Mögliche Beitragserhöhungen in der privaten Krankenversicherung

Vom 19. August 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5831
18. Wahlperiode 19.08.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Susanna Karawanskij, Katja Kipping, Azize Tank, Kathrin Vogler, Birgit Wöllert,
Pia Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Mögliche Beitragserhöhungen in der privaten Krankenversicherung

Anders als die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) sind die Unter-
nehmen der privaten Krankenversicherung (PKV) von der Höhe der Verzinsung
ihrer Anlagen abhängig. Denn für jede privat Krankenversicherte und jeden pri-
vat Krankenversicherten müssen Alterungsrückstellungen in einer gewissen
Höhe angespart werden, um das höhere Krankheitsrisiko und damit höhere Bei-
träge durch Alterung abzufedern. Von der Höhe des Rechnungszinses hängt ab,
wie hoch der Beitrag in jüngeren Jahren sein muss, damit die angestrebte Höhe
der Alterungsrückstellungen erreicht werden kann.
Die Prognosen der Unternehmen über die tatsächliche erreichbare Netto-Verzin-
sung erwiesen sich in vielen Fällen als zu positiv. So wurde berichtet, dass einige
Unternehmen im Mai 2009 noch davon ausgingen, im Jahr 2010 4,5 Prozent
oder gar 5 Prozent Zinsen zu erwirtschaften. Auch sahen namhafte private Kran-
kenversicherungen „in den nächsten Jahren keine Gefährdung der Rechnungs-
zinsen“ oder äußerten die Erwartung, dass ihre Versicherung „auch in zwei bis
drei Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit auch noch eine Nettoverzinsung von
mehr als vier Prozent erreichen wird“ (vgl. www.handelsblatt.com/
unternehmen/banken-versicherungen/schieflage-kranke-krankenversicherer/
3174310.html).
Es kam anders. Mit der vom Europäischen Gerichtshof erzwungenen branchen-
weiten Einführung der Unisextarife senkten die meisten Unternehmen gleichzei-
tig ihren Rechnungszins nach einer Empfehlung der Deutschen Aktuarvereini-
gung e. V. (DAV). Für Neukunden sank damit der Rechnungszins von ehemals
3,5 Prozent auf 2,75 Prozent.
Auch Bestandskunden konnten nicht darauf vertrauen, dass der Rechnungszins
bei 3,5 Prozent bleiben würde. Denn die Aufsichtsbehörde Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ermittelt in dem sogenannten AUZ-Ver-
fahren (AUZ – Aktuarieller Unternehmenszins) den unternehmensindividuell
maximal möglichen Rechnungszins für die nächsten beiden Jahre. Wenn der
errechnete AUZ-Wert niedriger als 3,5 Prozent ist, wird der AUZ-Wert zum
neuen Höchstrechnungszins des betreffenden Versicherungsunternehmens. Ist
der AUZ-Wert geringer als der angewandte Rechnungszins im Unternehmen, so
muss der Rechnungszins bei der nächsten Beitragsanpassung gesenkt werden.
Im Neugeschäft gilt er sofort. Wenn also aufgrund erhöhter Lebenserwartung
oder gestiegener allgemeiner Gesundheitskosten die Schwelle zur Beitragserhö-
hung erreicht ist, wird wegen des gesunkenen Rechnungszinses in diesen Fällen
der Beitrag entsprechend in noch größerem Maße erhöht werden müssen.

Drucksache 18/5831 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Grundsätzlich sind Beitragserhöhungen im Bestand und bei Neuverträgen der
PKV aufgrund fehlender Verzinsung der Alterungsrückstellungen notwendig
und sinnvoll, um spätere, viel weiterreichende Beitragssprünge im Alter zu-
mindest abzufedern. Eine Unterlassung oder Verzögerung aus Marktgesichts-
punkten ist verantwortungslos gegenüber den privat Versicherten. Der Vorstand
der Allianz SE, Christian Molt, plädiert für eine Absenkung des Rechnungs-
zinses mit folgender Begründung: „Der wichtigste Grund für eine moderate
Absenkung des Höchstrechnungszinses sei das Ziel, langfristig Überschusse
zugunsten der Kunden zu erwirtschaften. So wird die Differenz zwischen Rech-
nungszins und erzielten Renditen derzeit zu 90 Prozent dazu verwendet, die Prä-
mien für ältere Versicherungsnehmer auf einem moderaten Niveau zu halten.
Bei einem hohen Rechnungszins wird dieses Polster jedoch geringer, gerade äl-
teren Versicherten drohen höhere Prämien. Daher Molts Plädoyer, mit niedrigen
Zinsen auf lange Sicht höhere Überschüsse zu erzielen“ (www.versicherungs-
bote.de/id/75648/Allianz-fordert-niedrigeren-Rechnungszins-in-der-PKV/).
Das ist derzeit insofern von Relevanz, weil die BaFin ausweislich ihres Jahres-
berichtes 2014 bei 36 von 40 Versicherern festgestellt hat, dass sie im Jahr 2015
den ausgewiesenen Rechnungszins nicht werden erreichen können. Sie sind nun
zur Absenkung des Rechnungszinses bei der nächsten Beitragsanpassung ver-
pflichtet. Bereits in den letzten Jahren führten die niedrigen Zinsen regelmäßig
zu höheren Beiträgen. Aber noch nie waren so viele Krankenversicherungs-
unternehmen von der Absenkung des Rechnungszinses über das AUZ-Verfahren
betroffen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Unternehmen waren von der Absenkung des AUZ betroffen (bitte

in Jahres-Schritten für die Jahre ab 2008 darstellen)?
2. Wie viele Versicherte waren bzw. sind bei diesen Unternehmen versichert,

sind also potentiell von Beitragserhöhungen betroffen (bitte in Jahres-Schrit-
ten für die Jahre ab 2008 darstellen)?

3. Wie hoch sind die Rechnungszinsen derzeit für wie viele Unternehmen und
wie viele Versicherte (bitte in Gruppen von 0,25 Prozent angeben)?

4. Wie hat sich die branchendurchschnittliche reale Verzinsung in den Jahren
seit 2008 entwickelt (bitte in Jahres-Schritten darstellen)?

5. Wie hat sich das Beitragsaufkommen pro Versicherten in der PKV in den Jah-
ren seit 2008 entwickelt (bitte in absoluten Zahlen und in Steigerungsraten in
Jahres-Schritten angeben)?

6. Wie groß ist der Anteil der Leistungsausgaben am Beitragsaufkommen in den
Jahren seit 2008 (bitte absolut und relativ in Jahresschritten darstellen)?

7. Wie groß ist der Anteil der Zuführungen zu den Alterungsrückstellungen am
Beitragsaufkommen seit 2008 (bitte absolut und relativ in Jahresschritten
darstellen)?

8. Weshalb senkt die BaFin angesichts einer so großen Anzahl von AUZ-Sen-
kungen (90 Prozent der Unternehmen) nicht den branchenweiten Rechnungs-
zins?

9. Was unternimmt die Bundesregierung, um privat Versicherte vor ausbleiben-
den oder verzögerten Beitragserhöhungen zur Beitragssicherung im Alter zu
schützen, die aus Gründen des Preis-Leistungsverhältnisses oder der Markt-
anteile der PKV ausbleiben?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5831
10. Wie bewertet die Bundesregierung die oben zitierte Einschätzung des Vor-
stands der Allianz SE, Christian Molt, und welche Konquenzen zieht sie?

Berlin, den 19. August 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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