BT-Drucksache 18/5732

Abschluss eines Passenger Name Records-Abkommens der Europäischen Union mit Mexiko

Vom 5. August 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5732
18. Wahlperiode 05.08.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Wolfgang Gehrcke, Annette Groth, Andrej
Hunko, Ulla Jelpke, Katrin Kunert, Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu,
Harald Petzold (Havelland), Dr. Petra Sitte, Frank Tempel, Halina Wawzyniak
und der Fraktion DIE LINKE.

Abschluss eines Passenger Name Records-Abkommens der
Europäischen Union mit Mexiko

Bei seiner Tagung am 15. und 16. Juni 2015 in Brüssel erteilte der Rat der Justiz-
und Innenminister der Europäischen Union (EU) der Europäischen Kommission
den Auftrag, mit Mexiko ein „Abkommen über die Übermittlung und Verwen-
dung von Fluggastdaten zu Zwecken der Verhütung und Bekämpfung von Ter-
rorismus und sonstiger schwerer grenzüberschreitender Kriminalität“ zu ver-
handeln (Ratsdok. 15/8968). Wie es in der Vorlage der Europäischen Kommis-
sion heißt, habe Mexiko mehrfach seit dem Jahr 2012 die Vorabübermittlung
von Fluggastdaten durch Flugunternehmen angefordert, die aus den EU-Staaten
heraus Mexiko anfliegen, und zuletzt ein Zwangsgeld von 30 000 Euro ange-
droht, sollten diese Daten nicht übermittelt werden. Europäische Fluglinien dür-
fen diese Daten nur mit einer entsprechenden Rechtsgrundlage übermitteln, die
nun mit diesem Abkommen geschaffen werden soll.
Bereits heute werden innerhalb des Advanced Passenger Information System
(APIS) Flugpassagierdaten an Mexiko ebenso wie an die USA, Kanada, Korea,
Syrien, Japan und China übertragen. Sie enthalten die wesentlichen Angaben
zum Reisenden und zur genutzten Flugverbindung. Passenger Name Records
(PNR)-Daten sind demgegenüber deutlich umfassender und umfassen Angaben
zur Flughistorie (genommene bzw. nicht genommene Flüge), Daten zum ge-
nauen Ziel der Reise (Unterkunft, auch mitgebuchte Mietwagen etc.), Angaben
zum Reiseunternehmen, zur Sitzplatznummer, zu Mitreisenden bis hin zu Ver-
pflegungswünschen an Bord (z. B. die Angabe „kein Schweinefleisch“). Ziel
der Erfassung von PNR ist, sowohl zu einzelnen Reisenden über einen längeren
Zeitraum Daten zu erfassen als auch in Big-Data-Analysen bestimmte Be-
wegungsmuster zu erkennen.
Die Verhandlung über ein PNR-Abkommen mit Mexiko ist auch deshalb poli-
tisch sensibel, weil bereits über ein umfassenderes Sicherheitsabkommen der
EU mit Mexiko verhandelt wird, das von Menschenrechtsgruppen scharf kriti-
siert wird. In einer vom 6. März 2015 im Deutschen Bundestag vorgestellten
Studie der Deutschen Menschenrechtskoordination Mexiko wird dargelegt, dass
seit dem Jahr 2006 etwa 6 000 Menschen Opfer des „Verschwindenlassens“
wurden. Es handele sich um ein systematisch begangenes Verbrechen, in das
Polizei und Militär bis in höchste Kreise hinein verwickelt seien. Die Verhand-
lungen über ein Sicherheitsabkommen sollten so lange ausgesetzt werden, bis
Mexiko eine nationale Strategie gegen das „Verschwindenlassen“ in Kraft ge-

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setzt habe. Danach sieht es derzeit allerdings nicht aus. Auf der Internetpräsenz
der Deutschen Menschenrechtskoordination Mexiko wird auch über ein Dorf im
Bundesstaat Chiapas berichtet, in dem bei einem Polizeieinsatz im Jahr 2006
vier Menschen getötet wurden und vier verschwunden sind. Die Verbrechen sind
bis heute nicht aufgeklärt.
Zu befürchten ist, dass Daten über Flugbewegung von Passagieren einerseits
von mexikanischen Behörden missbraucht werden, um internationale Kontakte
und Bewegungen von Menschenrechtsverteidigern auszuforschen und zu analy-
sieren. Andererseits kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass solche Daten
von korrupten Polizeibeamten an Gruppen der organisierten Kriminalität weiter-
gegeben werden, die ihrerseits Jagd auf Menschenrechtsverteidiger machen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung der weitere Zeitplan der Europä-

ischen Kommission für die Verhandlungen mit Mexiko über ein PNR-Ab-
kommen?

2. Wann ist nach Kenntnis der Bundesregierung mit einem Abschluss der Über-
prüfung des PNR-Abkommens der EU mit Kanada durch den Europäischen
Gerichtshof (EuGH) zu rechnen?

3. Was ist der Bundesregierung zu den Eckpunkten der mexikanischen Forde-
rungen an ein PNR-Abkommen bekannt, und welche Schlussfolgerungen
und Konsequenzen zieht sie aus diesen Forderungen?

4. Was waren die deutschen Verhandlungsziele und Vorschläge bei der Ertei-
lung des Verhandlungsmandats an die Europäische Kommission, und was hat
sie insbesondere hinsichtlich
a) des Umfangs der zu übermittelnden Daten,
b) der Speicherdauer,
c) der empfangsberechtigten Behörden und Stellen,
d) der Zweckbindung und Weitergabe der Daten an weitere Stellen und Dritt-

staaten,
e) des Mechanismus zur Überwachung der Einhaltung der datenschutzrecht-

lichen Bestimmungen und
f) der Sanktionsinstrumente bei datenschutzrechtlichen Verstößen
gefordert, und was findet sich dazu im Einzelnen im Verhandlungsmandat
wieder?

5. Welche Kenntnisse oder Einschätzungen hat die Bundesregierung zum jähr-
lichen Flugpassagieraufkommen aus Deutschland und der EU nach Mexiko?

6. Welche Behörden und Abteilungen sollen von mexikanischer Seite aus Zu-
griff auf die PNR-Daten erhalten, und welche davon stehen im Verdacht, an
Menschenrechtsverletzungen in Mexiko jedenfalls mitschuldig zu sein oder
nicht ausreichend an der Strafverfolgung gegen Menschenrechtsverletzungen
gegen staatliche Stellen und Gruppierungen der organisierten Kriminalität
mitzuwirken?

7. Wie soll nach dem nun beschlossenen Verhandlungsmandat der Datenschutz
im PNR-Abkommen zwischen der EU und Mexiko gesichert werden, und
welche Verfahren sind dafür vorgesehen?

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8. Welche weiteren Staaten sind derzeit mit dem Wunsch nach Abschluss
eines PNR-Abkommens an die EU oder die Bundesregierung herangetreten
oder haben entsprechende Forderungen gestellt, welche Daten werden im
Einzelnen eingefordert, und welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen
zieht die Bundesregierung aus diesen Wünschen bzw. Forderungen im Ein-
zelnen?

9. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Verabschiedung eines
„Modell-PNR-Abkommens“ der EU (Ratsdok. 10838/15), welche Stan-
dards für die Formulierung eines solchen „Modell-PNR-Abkommens“ als
Vorlage für alle entsprechenden, zukünftig abzuschließenden PNR-Abkom-
men mit Nicht-EU-Staaten sind für die Bundesregierung zentral, und mit
welchen Effekten eines solchen „Modell-PNR-Abkommens“ rechnet die
Bundesregierung?

10. Welche Staaten sind derzeit am APIS beteiligt, und von welchen Staaten ist
der Bundesregierung bekannt, dass sie die Teilnahme am APIS gefordert
haben?

11. Von welchen Nicht-EU-Staaten ist der Bundesregierung bekannt, dass sie
PNR-Daten von Flugunternehmen angefordert haben, und welche Daten
wurden dabei im Einzelnen angefordert?

12. Von welchen EU-Staaten ist der Bundesregierung bekannt, dass sie natio-
nale PNR-Systeme eingerichtet haben, mit welchen Kosten war das nach
Kenntnis der Bundesregierung verbunden, und in welcher Höhe wurden
hierfür EU-Mittel in Anspruch genommen?

13. In wie vielen Fällen wurden seit dem Jahr 2011 nach Kenntnis der Bundes-
regierung aus den PNR gewonnene analytische Informationen an Europol
und Eurojust durch das US-Department of Homeland Security (DHS) über-
mittelt, und zu welchen konkreten Untersuchungs- und Ermittlungszwe-
cken diente diese Übermittlung (bitte nach Jahren auflisten)?

14. In wie vielen Fällen seit dem Jahr 2011 waren deutsche Stellen an diesen
Untersuchungs- und Ermittlungsprojekten von Europol und Eurojust betei-
ligt (bitte nach Jahren auflisten)?

15. In wie vielen Fällen seit dem Jahr 2011 haben deutsche Strafverfolgungs-
und Ermittlungsbehörden analytische Informationen vom DHS erhalten,
und in welche abgeschlossenen Ermittlungsverfahren sind diese Daten ein-
geflossen (bitte nach Jahren auflisten)?

16. In wie vielen Fällen haben nach Kenntnis der Bundesregierung deutsche
Strafverfolgungs- und Ermittlungsbehörden Zugang zu PNR-Daten oder
daraus gewonnenen analytischen Informationen beim DHS beantragt, in
wie vielen Fällen haben sie sie erhalten, und mit welcher Begründung haben
sie sie in einzelnen Fällen nicht erhalten (bitte nach Jahren auflisten)?

17. In wie vielen Fällen hat das DHS nach Kenntnis der Bundesregierung PNR-
Daten oder analytische Informationen an welche Drittländer übermittelt?

18. Welche Zeitplanung besteht nach Kenntnis der Bundesregierung für die für
das Jahr 2015 vertraglich verabredete Evaluation des PNR-Abkommens der
EU mit den USA, welche Fragestellung wurde für diese Evaluation ggf.
verabredet, und wer wird oder welche Stellen werden für die EU-Seite am
Überprüfungsteam teilnehmen?

Berlin, den 5. August 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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