BT-Drucksache 18/5672

Praxis der Bundespolizei bei der Nutzung des Kurznachrichtendienstes Twitter

Vom 24. Juli 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5672
18. Wahlperiode 24.07.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Jan Korte, Annette Groth, Ulla Jelpke,
Dr. Alexander S. Neu, Dr. Petra Sitte, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Praxis der Bundespolizei bei der Nutzung des Kurznachrichtendienstes Twitter

Unter dem Titel „Offen, transparent, verfassungswidrig“ berichtete „DIE ZEIT“
am 6. Juli 2015 über Auftritte der Präsenz deutscher Polizeibehörden bei
dem Kurznachrichtendienst Twitter. Ähnlich wie dies bereits der Blogger
John F. Nebel berichtet hatte (www.metronaut.de/2015/03/twittern-zur-
aufstandsbekaempfung), wird die Nutzung von Twitter bei Demonstrationen be-
sprochen. Dies betrifft auch die Bundespolizei, die beispielsweise anlässlich des
G7-Gipfels in Elmau unter dem Account „Bundespolizei BY“ (@bpol_by)
getwittert hatte. Im Gegensatz zu vielen Landespolizeibehörden werden die
Follower der Bundespolizei in der Höflichkeitsform angesprochen. Allerdings
ist mitunter unklar, ob die Bundespolizei davon ausgeht, dass sich unter den Fol-
lowern auch Demonstrierende befinden. So wandte sich die Bundespolizei am
6. Juni 2015 auch direkt an Versammlungsteilnehmer („Warnung! #G7Demo-
Teilnehmer #GarmischPartenkirchen: Bitte Bahngleise nicht betreten, es besteht
Lebensgefahr!“). Soweit durch die Fragesteller rekonstruierbar, verpixelt die
Bundespolizei die Gesichter der abgebildeten Betroffenen von Polizeimaßnah-
men ebenso wie die von Demonstranten. Andere deutsche Polizeibehörden zei-
gen Gesichter hingegen unverpixelt, was nach Meinung des von „DIE ZEIT“
befragten Rechtswissenschaftlers Felix Hanschmann das allgemeine Persönlich-
keitsrecht verletzt (Frankfurter Rundschau vom 9. Juli 2015).
Laut Felix Hanschmann fehlt der Polizei eine Ermächtigungsgrundlage für die
Nutzung sozialer Medien. Auch der Betrieb eines Twitter-Accounts sei in kei-
nem Polizeigesetz von Bund und Ländern geregelt. Mitunter sei auch das Gebot
der Richtigkeit und Sachlichkeit verletzt, denn komplexe Sachverhalte ließen
sich kaum in eine Nachricht mit 140 Zeichen unterbringen. Im Rahmen der Er-
öffnung der Europäischen Zentralbank musste beispielsweise die Frankfurter
Polizei Tweets mit Falschmeldungen korrigieren. Ebenso hatte die bayerische
Polizei falsche Angaben zu einer angeblich mit Benzin gefüllten Flasche ge-
macht. Die „Richtigstellung“ per Tweet über den vermeintlichen „Molotov-
Cocktail“ blieb von den Medien aber unbeachtet. Auch die Bundespolizei hat im
Verlauf des G7-Einsatzes irreführende Tweets abgesetzt. So berichtete der
Account „Bundespolizei BY“ am 30. Mai 2015 über „Erfolgreiche Grenzkon-
trollen an der A 93“ und über die Beschlagnahme von „verbotenen Waffen“.
Durch die Verwendung der Hashtags #G7 und #G7Summit wurde suggeriert,
dass die Waffen zum Gipfel oder Gipfelprotest transportiert und womöglich dort
eingesetzt werden sollten. Dies war aber nicht der Fall.

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Durch die Verwendung der besagten Hashtags können aber auch potentielle De-
monstranten abgeschreckt werden, etwa wenn diese wegen der Tweets der Bun-
despolizei davon ausgehen, dass am Rande des G7-Treffens Straftaten mit Waf-
fen geplant sind. Sofern Personen daraufhin entschieden haben, der Versamm-
lung fernzubleiben, wurde deren Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt. Solch
wertende Äußerungen zu Versammlungen seien laut dem Rechtswissenschaftler
Felix Hanschmann „schlicht verboten“.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Auf welcher Rechtsgrundlage betreiben welche Behörden des Bundesminis-

teriums des Innern (BMI) seit wann Twitter-Accounts?
2. Mit welchen Accounts sind die Behörden des BMI bei Twitter registriert, und

welche dieser Accounts wurden und werden für Einsätze bereits genutzt
(bitte entsprechend nach Behörde, Accounts und Einsätze aufschlüsseln)?

3. Mit welchen Behörden hat sich das BMI an der gremienübergreifenden Bund-
Länder-Projektgruppe (BLPG) „Soziale Netzwerke“ im Unterausschuss
„Führung, Einsatz und Kriminalitätsbekämpfung“ des Arbeitskreises II (In-
nere Sicherheit) der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren
der Länder unter Leitung des Innenministeriums Rheinland-Pfalz beteiligt
(https://netzpolitik.org/wp-upload/Abschlussbericht_Projektgruppe_Neue_
Medien.pdf), und welche Arbeiten wurden dort übernommen?

4. Welche wesentlichen Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem
Abschlussbericht der Bund-Länder-Projektgruppe „Soziale Netzwerke“?
a) Welcher Strategie folgen die Behörden des BMI bei der Nutzung sozialer

Netzwerke?
b) Welche Ziele, Zielgruppen, Plattformen, welchen Nutzungsumfang sowie

welche Aussagen zum Personaleinsatz und der Aus- und Fortbildung wer-
den adressiert?

c) Welche Regelungen bzw. „Social Media Guidelines“ zur aktiven polizei-
lichen Nutzung sozialer Netzwerke wurden definiert und/oder erlassen?

d) Inwiefern wurden für die Nutzung sozialer Medien Verhaltensregeln und
Hinweise für Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte aufgestellt, und wel-
chen Inhalt haben diese?

e) Welche Handlungsanleitungen zur professionellen Nutzung sozialer Netz-
werke insbesondere zu Aufklärung, Ermittlungen und Öffentlichkeits-
fahndung wurden erlassen?

5. Welche weiteren polizeilichen Nutzungs- und Einsatzmöglichkeiten sozialer
Medien einschließlich ihrer Chancen und Risiken hält die Bundesregierung
für denkbar?

6. Mit welchen Behörden hat sich das BMI an der Unter-Arbeitsgruppe „Recht“
in der gremienübergreifenden BLPG „Soziale Netzwerke“ beteiligt, und wel-
che Arbeiten wurden dort übernommen?

7. Welche wesentlichen Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem
Abschlussbericht der Unter-Arbeitsgruppe „Recht“ in der BLPG „Soziale
Netzwerke“?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5672
8. Inwiefern und aus welchem Grund hält es die Bundesregierung ggf. für
geboten oder überflüssig, die Nutzung von Twitter gesetzlich zu regeln oder
wenigstens eine Verordnung hierfür zu erlassen?

9. Inwiefern liegt dem Twittern der Behörden des BMI eine (Kommunika-
tions-)Strategie oder Verhaltensrichtlinie zugrunde, und worin besteht
diese?
a) Wurde bzw. wird zur Bedienung des Accounts eine interne oder externe

Beratung in Anspruch genommen, und wer führte diese durch?
b) Wurden bzw. werden für die Bedienung des Accounts Social Media

Richtlinien zu Hilfe genommen oder erstellt, und worin bestehen deren
Kernaussagen?

10. Auf welche Weise wird die Nutzung von Twitter durch Polizeibehörden des
BMI während eines Einsatzes verabredet und durchgeführt?

11. Wie viele Accountmanagerinnen und Accountmanager wurden für die
Bedienung der Accounts bestimmt, und auf welcher Grundlage sind diese
autorisiert, um über den Kurznachrichtendienst mit der Öffentlichkeit zu
kommunizieren?

12. Wie viele Teil- oder Vollzeitstellen wurden bei den Polizeibehörden des
BMI für die Betreuung und Bedienung sozialer Medien eingerichtet?

13. Wie viele Angehörige der Polizeibehörden des BMI sind jeweils mit Twit-
ter-Einsätzen betraut, und welche spezielle Schulung haben diese Personen
absolviert (bitte für die jeweilige Behörde entsprechend aufschlüsseln)?

14. Auf welche Weise werden die zu twitternden Informationen erhoben und
schließlich auf 140 Zeichen verdichtet?

15. Auf welche Weise wird bestimmt, welche Informationen oder Lagebeurtei-
lungen (in Echtzeit oder aufbereitet) an die Twitterer übermittelt werden,
damit diese daraus Tweets generieren?

16. Welche Informationen dürfen welche Angehörige von Social Media-Teams
ohne Rücksprache verbreiten, und welche müssen von Vorgesetzten und/
oder der Pressestelle genehmigt werden?

17. Wer ist für die Abfassung einer Kurznachricht verantwortlich?
a) Wie werden die einzelnen Tweets vor dem Absenden untereinander

durch die Bediener abgestimmt?
b) Wo und von wem wird entschieden, was getwittert oder retweetet wird?
c) Wie wird bestimmt, in welchem Zeitraum auf Beiträge von Nutzerinnen

und Nutzern (auch bei dringlichen Fragen) zu reagieren ist?
18. Welche Vorgaben existieren zu der Frage, in welcher Form Follower im All-

gemeinen angesprochen werden?
19. Welche Position vertritt die Bundesregierung zur Frage, inwiefern hierzu

zwingend die Höflichkeitsform gewählt werden muss?
20. Welche Annahmen existieren zu der Frage, ob sich unter den Followern ver-

meintliche Demonstrierende befinden, und auf welche Weise diese via
Twitter angesprochen werden können?

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21. Welche Position vertritt die Bundesregierung zur Frage, ob nicht unkennt-
lich gemachte Gesichter der Betroffenen von Polizeimaßnahmen oder der
Teilnehmer von Demonstrationen das allgemeine Persönlichkeitsrecht ver-
letzen?
a) Welche Vorgaben existieren zu der Frage, inwiefern die Bundespolizei

die Gesichter der abgebildeten Betroffenen von Polizeimaßnahmen oder
von Demonstrationen unkenntlich machen muss?

b) Wie werden diese Vorgaben beim Betrieb des Twitter-Accounts umge-
setzt?

22. Welche Position vertritt die Bundesregierung zur Frage, inwiefern auch bei
Kurznachrichten die Neutralitätspflicht der Polizei gewährleistet bleiben
muss, und auf welche Weise wird eine Verletzung derselben vermieden?

23. Wie werden beim Twittern durch Polizeibehörden des BMI die dienstliche
Verschwiegenheitspflicht und das Trennungsgebot zwischen dienstlichen
und privaten Belangen und Meinungen umgesetzt?

24. Welche Position vertritt die Bundesregierung zur Frage, inwiefern auch bei
Kurznachrichten der Bundespolizei das Gebot der Richtigkeit und Sach-
lichkeit beachtet werden muss?
a) Wie wird dies im Einsatz konkret umgesetzt?
b) Wie viele Falschmeldungen auf Twitter wurden bereits von der Bundes-

polizei selbst korrigiert?
c) Wie viele Tweets der Bundespolizei wurden bereits wegen fehlerhafter

Darstellung von Sachverhalten oder auch aus anderen Gründen ge-
löscht?

25. Aus welchem Grund wurde der Tweet „Erfolgreiche Grenzkontrollen an der
A 93“ über die Beschlagnahme von „verbotenen Waffen“ durch die Bun-
despolizei mit den Hashtags #G7 und #G7Summit versehen?
a) Wurde oder wird von der Bundespolizei angenommen, die Waffen hätten

zum G7-Gipfel gebracht und dort eingesetzt werden sollen?
b) Teilt die Bundesregierung die Bedenken der Fragesteller, dass durch die

Verwendung der Hashtags der Eindruck entstehen konnte, die Waffen
sollten zum G7-Gipfel gebracht und dort eingesetzt werden?

26. Inwiefern teilt die Bundesregierung die Sorge der Fragesteller, dass der
Tweet über „verbotenen Waffen“ womöglich Personen von der Teilnahme
an Demonstrationen abgeschreckt haben könnte?

27. Welche Beschwerden sind der Bundespolizei (etwa von Followern, abgebil-
deten Betroffenen, Datenschutzbeauftragten, Journalisten) zum Betrieb
ihrer Twitter-Accounts bekannt, wie wurde darauf reagiert, und welche Ver-
änderungen wurden daraufhin vorgenommen?

28. Inwiefern wird im BMI auch die Entwicklung einer Applikation der Poli-
zeibehörden für mobile Endgeräte diskutiert oder bereits durchgeführt, und
welche Arbeiten wurden hierfür begonnen?

Berlin, den 24. Juli 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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