BT-Drucksache 18/5646

Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes in Deutschland

Vom 22. Juli 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5646
18. Wahlperiode 22.07.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan van Aken, Christine Buchholz, Annette Groth,
Dr. André Hahn, Andrej Hunko, Dr. Alexander S. Neu, Harald Petzold (Havelland),
Martina Renner und der Fraktion DIE LINKE.

Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes in Deutschland

Im Dezember 2014 wurden drei mutmaßliche Spione des türkischen Geheim-
dienstes MIT in Deutschland aufgrund eines Haftbefehls der Generalbundesan-
waltschaft festgenommen. In der Anklageschrift wird den zwei in Deutschland
lebenden türkischen Staatsangehörigen sowie einem türkeistämmigen Deut-
schen „geheimdienstliche Agententätigkeit“ vorgeworfen. Bei dem in Untersu-
chungshaft sitzenden M. T. G. soll es sich um einen früheren Berater des türki-
schen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan handeln. Der Unternehmer G. gehört
demnach der Regierungspartei AKP an und bekleidete verschiedene Ämter in
der türkischen Staatsbürokratie. Unter seiner Leitung sollen die beiden anderen
mutmaßlichen Agenten „Informationen über in der Bundesrepublik lebende
Landsleute und hiesige Organisationsstrukturen gesammelt“ haben, so die Ge-
neralbundesanwaltschaft. Medienberichten zufolge haben die mutmaßlichen
Agenten kurdische Verbände, türkische Linksradikale, Angehörige der aleviti-
schen Religionsgemeinschaft sowie die inzwischen in Opposition zu Recep
Tayyip Erdoğan stehende Fethullah-Gülen-Bewegung ausgespäht. G. soll seine
Order vom türkischen Geheimdienst MIT, dessen Chef, Hakan Fidan, ein enger
Vertrauter Recep Tayyip Erdoğans ist, erhalten haben. Ein Zentrum der MIT-
Aktivitäten für Deutschland sei demnach die zum staatlichen Religionsamt der
Türkei gehörende DITIB-Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld. Die türkische Re-
gierung hatte nach der Festnahme der drei Männer dementiert, dass es sich um
Spione des MIT handele. Allerdings soll die türkische Regierung unter anderem
mit einem Anruf bei der Haftrichterin am Karlsruher Bundesgerichtshof ver-
sucht haben, in dieser Angelegenheit auf die deutschen Behörden einzuwirken
(www.tagesspiegel.de/politik/tuerkischer-geheimdienst-liess-erdogan-gegner-in-
deutschland-ausspionieren/12027820.html; www.t-online.de/nachrichten/aus-
land/id_72623800/tid_pdf_o/bundesanwalt-wirft-erdogans-ex-berater-spionage-
vor.html; www.jungewelt.de/2014/12-23/040.php).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Inwieweit und gegebenenfalls in welchem Umfang und aufgrund welcher

zwischenstaatlichen Abkommen ist türkischen Sicherheitsbehörden ein-
schließlich des türkischen Geheimdienstes eine Tätigkeit auf deutschem
Boden erlaubt?

2. Sieht die Bundesregierung bei nachrichtendienstlichen Tätigkeit durch den
türkischen Geheimdienst in der Bundesrepublik Deutschland die Grenze zu
strafbarem Handeln überschritten?

Drucksache 18/5646 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
3. In wie vielen und welchen Fällen wurde nach Kenntnis der Bundesregierung
in der Vergangenheit von deutschen Behörden wegen des Verdachts der
Agententätigkeit gegen mutmaßliche Mitarbeiter des türkischen Geheim-
dienstes ermittelt, und wie gingen diese Verfahren aus (gefragt wird hier nach
abgeschlossenen und nicht nach noch laufenden und möglicherweise einem
Geheimhaltungsinteresse unterliegenden Verfahren)?
a) Sollten in der Vergangenheit keine türkischen Geheimdienstmitarbeiter in

Deutschland wegen Agententätigkeit angeklagt worden sein, warum kam
es in diesem Fall nach Kenntnis der Bundesregierung zu Festnahmen und
einer Anklageerhebung?

b) Inwieweit wich nach Kenntnis der Bundesregierung die Tätigkeit der drei
im Dezember 2014 festgenommenen mutmaßlichen türkischen Agenten
von der generellen Tätigkeit von Angehörigen des türkischen Geheim-
dienstes in Deutschland ab?

4. Sind der Bundesregierung andere türkische Nachrichtendienste als der MIT
bekannt, und wenn ja, um welche Dienste handelt es sich, welchen Personen
oder Behörden unterstehen diese, welchen Aufgaben gehen diese nach, und
inwieweit sind diese Dienste nach Kenntnis der Bundesregierung in Deutsch-
land aktiv?

5. Inwieweit und zu welcher Gelegenheit gegenüber welcher deutschen Be-
hörde hat die türkische Regierung sich nach Kenntnis der Bundesregierung
anlässlich der Festnahme und Anklage gegen die drei mutmaßlichen türki-
schen Agenten in welcher Form geäußert?
a) Inwieweit und bei welcher Gelegenheit und mit welcher Intention hat die

Bundesregierung die mutmaßlichen türkischen Agenten und ihre Aktivi-
täten sowie das gegen sie eingeleitete Ermittlungsverfahren gegenüber
türkischen Behörden oder Regierungsstellen thematisiert, und welche Re-
aktion erfolgte darauf von türkischer Seite?

b) Welche konkreten Äußerungen türkischer Regierungsmitglieder oder Be-
hördenvertreter bezüglich der drei mutmaßlichen Agenten sind der Bun-
desregierung bekannt?

c) Hat die Bundesregierung Kenntnisse über Versuche türkischer Behörden
oder Regierungsvertreter, Einfluss auf das Ermittlungsverfahren gegen die
drei mutmaßlichen Agenten zu nehmen, und wenn ja, in welcher Form
fand wann und durch welche Behörde gegenüber welcher Behörde eine
solche Einflussnahme statt?

6. Inwieweit verfügt die Bundesregierung über Informationen, wonach von der
DITIB-Moschee in Köln-Ehrenfeld Aktivitäten des türkischen Geheimdiens-
tes ausgehen oder diese vom Geheimdienst MIT als Stützpunkt genutzt wird
(www.tagesspiegel.de/politik/tuerkischer-geheimdienst-liess-erdogan-
gegner-in-deutschland-ausspionieren/12027820.html)?
a) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, ob Mitarbeiter

oder Mitglieder der DITIB-Moschee für den MIT arbeiten?
b) Inwiefern verfügt die Bundesregierung über Informationen zu möglichen

Kontakten zwischen dem Verband DITIB und dem MIT?
7. Inwieweit bzw. auf welcher gesetzlichen und vertraglichen Grundlage gibt es

eine Zusammenarbeit zwischen dem MIT und Bundesbehörden, wie dem
Bundeskriminalamt, dem Bundesnachrichtendienst, dem Bundesamt für Ver-
fassungsschutz und anderen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5646
8. Inwieweit ist die mutmaßliche Agententätigkeit des MIT zur Ausspähung
türkischer und kurdischer Oppositioneller in der Bundesrepublik Deutsch-
land für Bundesbehörden ein Anlass oder Grund, ihre Zusammenarbeit mit
dem MIT – insbesondere im Bereich der Datenweitergabe – zu überdenken
und gegebenenfalls einzuschränken?

9. Inwieweit sind die Gesetzesänderungen vom April 2014 (www.zeit.de vom
17. April 2014 „Türkischer Geheimdienst erhält mehr Befugnisse“), die
dem türkischen Geheimdienst MIT mehr Befugnisse verleihen, für das
Bundeskriminalamt, den Bundesnachrichtendienst und das Bundesamt für
Verfassungsschutz ein Anlass oder Grund, ihre Zusammenarbeit mit dem
MIT – insbesondere im Bereich der Datenweitergabe – zu überdenken und
gegebenenfalls einzuschränken?

10. Welche Personen und Personengruppen, ethnischen und religiösen Gemein-
schaften, politische Organisationen und wirtschaftliche Unternehmen in
Deutschland sind nach Kenntnis der Bundesregierung ein besonderes Auf-
klärungsziel des türkischen Geheimdienstes?

11. Welche konkreten Schritte unternimmt die Bundesregierung, um in
Deutschland lebende türkische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, Ange-
hörige von aus der Türkei stammenden religiösen Gemeinschaften, Exil-
oppositionelle aus der Türkei und generell die türkeistämmige Migration
vor möglichen Nachstellungen, Bespitzelungen und Bedrohungen durch
den türkischen Geheimdienst zu schützen?

Berlin, den 22. Juli 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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