BT-Drucksache 18/5618

Bedeutung und künftige Finanzierung des Deutschen Cochrane-Zentrums

Vom 15. Juli 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5618
18. Wahlperiode 15.07.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Kathrin Vogler, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Harald Weinberg, Birgit Wöllert, Pia Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Bedeutung und künftige Finanzierung des Deutschen Cochrane-Zentrums

Die Cochrane-Collaboration ist ein globales unabhängiges Netzwerk von Ärz-
ten, Wissenschaftlern und Patientenvertretern. Sie verfolgt das Ziel, „aktuelle
medizinische Informationen und Evidenz zu therapeutischen Fragen allgemein
verfügbar zu machen und damit allen Akteuren im Gesundheitswesen Entschei-
dungen über Behandlungsmöglichkeiten zu erleichtern und Patienten aufzuklä-
ren und zu beraten“ (www.cochrane.de/de/arbeitsgebiet). „Über 30.000 Men-
schen aus über 130 Ländern wirken daran mit, verlässliche und zugängliche Ge-
sundheitsinformationen zu erstellen, die frei sind von kommerzieller Förderung
oder anderen Interessenkonflikten (z. B. Pharmaindustrie)“ (www.cochrane.de/
de/cochrane).
Eine Aufgabe der Cochrane-Collaboration ist es, den wissenschaftlichen Er-
kenntnisstand zu medizinischen Fachfragen zusammenzustellen (Reviews) und
interessierten Fachleuten und Laien zur Verfügung zu stellen. Die Autorinnen
und Autoren sind nach Angaben des Deutschen Cochrane-Zentrums (DCZ)
häufig weltweit führend in ihren Spezialgebieten. Die regionalen Gruppen sind
an einigen der angesehensten akademischen und medizinischen Einrichtun-
gen weltweit angesiedelt (www.cochrane.de/de/cochrane). Zudem führt die
Cochrane-Collaboration ein Register klinischer Studien, das es Interessierten
ermöglicht, sich selbst ein Bild über den wissenschaftlichen Kenntnisstand zu
verschaffen und etwa interessengeleitete Aussagen zu hinterfragen (Cochrane-
Library). Nicht zuletzt führt etwa das DCZ Workshops durch, in denen Angehö-
rige von Heilberufen, wissenschaftliches Personal, aber auch Patientinnen und
Patienten und andere befähigt werden, wissenschaftliche Fragestellungen zu be-
werten.
Archibald Leman Cochrane, nach dem die Cochrane Collaboration benannt ist,
gilt als Vater der Evidenzbasierten Medizin (EbM). EbM, also eine Medizin
auf Grundlage gesicherten und überprüfbaren Wissens, ist gesetzlicher Auftrag
unter anderem bei der Bewertung von Arzneimitteln und nichtmedika-
mentösen Methoden, bei der Aufnahme von Leistungen in den Regelkatalog
der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und bei besonderen Versor-
gungsformen, wie der hausarztzentrierten Versorgung und den strukturierten
Behandlungsprogrammen (DMP). Die Gremien und Institute der Selbstver-
waltung greifen häufig auf Cochrane-Reviews zurück, um diesen gesetzlichen
Auftrag zu erfüllen, wie ein vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) in
Auftrag gegebenes Gutachten der Prognos AG feststellte. Dort heißt es: „Die
Regelungen im SGB V [SGB V – Fünftes Buch Sozialgesetzbuch] räumen der
EbM eine grundlegende Bedeutung ein. Auch vor diesem Hintergrund ist für
die Prognos AG die derzeitige inhaltliche und thematische Ausrichtung des

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DCZ nicht ausreichend. Für eine angemessene Wirkung im System sollte daher
der bestehende Umfang der Kernaufgaben quantitativ erweitert werden.“
(www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/dateien/Publikationen/
Gesundheit/Forschungsberichte/140926-Bericht_Evaluation_DCZl.pdf).
Seit dem Jahr 2005 wird das DCZ durch das BMG projektfinanziert und erhält
Mittel aus dem Haushalt der Universitätsklinik Freiburg, ist darüber hinaus den-
noch in erheblichem Umfang auf Drittmittel angewiesen. Trotz ihrer dem Wesen
nach kontinuierlichen Arbeit des DCZ und deren bundesweiten Bedeutung gab
und gibt es keine verstetigte Finanzierung vonseiten der Bundesregierung, son-
dern nur eine jeweils befristete Projektfinanzierung mit tendenziell abnehmen-
der Laufzeit. Das Prognos-Gutachten kommt im Jahr 2014 zu dem Schluss, dass
„das derzeitige Niveau der Wahrnehmung der Kernaufgaben den formulierten
Bedarf an Cochrane-Leistungen nicht deckt. […] Die befragten Akteure im
deutschen Gesundheitswesen formulieren die Erwartung, dass sie sich in einzel-
nen Bereichen mehr Unterstützung durch das DCZ wünschen, so z. B. durch
eine Ausweitung des Workshop-Angebots und eine breitere Nutzbarmachung
bestehenden Wissens.“ Zugleich wird festgestellt, dass „eine Projektförderung
[…] bislang insgesamt keine finanzielle Stabilität für die Erbringung der Kern-
aufgaben des DCZ“ böte und ein Risiko bleibe.
Im Februar 2015 führte der Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages
ein Expertengespräch zum DCZ durch. Die Expertinnen und Experten sahen in
der Arbeit des DCZ „eine zentrale Aufgabe zur Stärkung des Gesundheits-
wesens“ (www.das-parlament.de/2015/7_bis_9/innenpolitik/-/359898). In der
Sitzung sagte Annette Widmann-Mauz, Parlamentarische Staatssekretärin beim
Bundesminister für Gesundheit, die jetzige Projektförderung sei auf Dauer
keine gute Lösung, da die Planungssicherheit fehle und dass eine nachhaltige
Förderung jedenfalls wünschenswert sei (vgl. www.bundestag.de/presse/hib/
2015_05/-/375366).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Bedeutung misst die Bundesregierung der evidenzbasierten Medizin

bei, und wie wird sich diese Bedeutung nach ihrer Erwartung in der Zukunft
entwickeln?

2. Welche gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen fordern den Einsatz
von EbM bei der medizinischen Versorgung und bei der Arbeit der Selbstver-
waltung im Gesundheitswesen?

3. Welche Bedeutung misst die Bundesregierung der Cochrane-Collaboration
für die Entwicklung der EbM zu?

4. Welche Bedeutung hat nach Ansicht der Bundesregierung das DCZ für die
EbM in Deutschland, und wie hoch schätzt sie den Bedarf in Deutschland an
Leistungen des DCZ sowie der Cochrane-Collaboration insgesamt ein?
Welche Bedeutung haben das DCZ und die Cochrane-Collaboration insge-
samt für die Erfüllung gesetzlicher und untergesetzlicher Vorschriften?

5. Inwiefern ist das DCZ nach Ansicht der Bundesregierung derzeit finanziell
und personell in der Lage, den Bedarf an seinen Leistungen zu decken?

6. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung das Jahresbudget des DCZ
in den letzten Jahren jeweils gewesen?

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7. Wie viele Menschen werden nach Kenntnis der Bundesregierung im DCZ
beschäftigt?
Inwiefern hält die Bundesregierung die beschäftigten Menschen für so
hochqualifiziert und spezialisiert, dass ein Verlust von Know-How nicht
ohne Verlust bei der Qualität der DCZ-Arbeit zu kompensieren wäre?
Sind der Bundesregierung derartige Probleme etwa beim Institut für Quali-
tät und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen bekannt?

8. Inwieweit hält die Bundesregierung die Höhe des Budgets des DCZ im Ver-
hältnis zur Qualität seiner Arbeit und seiner Bedeutung für ausreichend?

9. Wie viel Geld hat die Bundesregierung seit dem Jahr 2005 jährlich an das
DCZ gezahlt?

10. Welche Projekte wurden nach Kenntnis der Bundesregierung damit geför-
dert (bitte auch Titel, Hintergrund, Dauer und Finanzvolumen der einzelnen
genehmigten Projekte auflisten)?

11. Wann läuft die derzeitige Förderung aus?
12. Welche rechtlichen Beschränkungen existieren für die Projektförderung von

verstetigten Institutionen durch die Bundesregierung (Beschränkung bei der
Zahl der Verlängerungen, Zeitdauer, Anforderungen an das Wesen der Pro-
jekte etc.)?

13. Wie viel Geld wurde nach Kenntnis der Bundesregierung durch Teilnehmer-
gebühren für vom DCZ durchgeführte Seminare pro Jahr in den letzten zehn
Jahren eingenommen (absolut sowie relativ zum DCZ-Haushalt), und wie
hoch ist der mit der Durchführung der Seminare einhergehende finanzielle
und personelle Aufwand?

14. Wie viel Geld war nach Kenntnis der Bundesregierung jeweils zusätzlich
zur BMG-Finanzierung in den letzten zehn Jahren nötig, um die Arbeit des
DCZ zu ermöglichen, und wie teilten sich die anderen Finanzquellen jeweils
quantitativ auf?

15. Inwiefern sind der Bundesregierung Drittmittelangebote vonseiten der In-
dustrie an das DCZ bekannt, und wie wurde nach Kenntnis der Bundesre-
gierung von Seiten des DCZ mit diesen Angeboten umgegangen?

16. Welche Rückschlüsse und Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus
diesem Umgang sowie aus der derzeit noch notwendigen Ko-Finanzierung
über Seminare und das landesfinanzierte Universitätsklinikum in Bezug auf
die eigene Finanzierung des DCZ?

17. Inwiefern sieht die Bundesregierung die Arbeit des DCZ ihrem Wesen nach
als kontinuierlich an, und inwiefern hält sie eine Projektförderung daher für
sachgerecht?
Inwiefern bleibt die Bundesregierung bei der Feststellung der Parlamentari-
schen Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz, dass eine Projektförderung
auf Dauer keine gute Lösung ist?

18. Welche negativen Auswirkungen einer Projektförderung für die verstetigte
Arbeit des DCZ im Hinblick auf Planungssicherheit, Akquisition und Hal-
ten qualifizierten Personals sowie auf längerfristige Handlungsstrategien
sind der Bundesregierung bekannt?

19. Inwieweit hält die Bundesregierung es grundsätzlich für problematisch,
wenn eine wissenschaftlich arbeitende Institution, deren Unabhängigkeit
unbedingte Voraussetzung für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben ist, nach
Auffassung der Fragesteller nicht zuverlässig ausfinanziert, sondern teils
auf Drittmittel angewiesen ist?

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20. Welche Finanzierungsmöglichkeiten wurden bzw. werden für das DCZ in
der Bundesregierung diskutiert?
Welche Form der Finanzierung ermöglicht es nach Kenntnis der Bundesre-
gierung dem DCZ am besten, seine Unabhängigkeit zu bewahren?

21. Inwiefern sieht die Bundesregierung das DCZ und die Cochrane Review-
Gruppen als sinnvolle Ergänzung oder als überflüssige Doppelstruktur zu
wissenschaftlichen Instituten, wie das Institut für Qualität und Wirtschaft-
lichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) und das Institut für Qualitätssiche-
rung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG), die hauptsächlich im
Auftrag von Staat und Selbstverwaltung arbeiten, an?

22. Inwiefern ist die im Prognos-Gutachten empfohlene quantitative Auswei-
tung der Arbeit des DCZ aus Sicht der Bundesregierung wünschenswert?

23. Ist die Finanzierung des DCZ im vom Bundeskabinett beschlossenen Ent-
wurf eines Gesetzes für den Bundeshaushalt 2016 bereits berücksichtigt
(falls ja, bitte Haushaltsposten und Höhe der Finanzierung angeben)?

24. Falls ja, inwiefern ist nach derzeitigem Stand eine dauerhafte Finanzierung
geplant (ggf. Verpflichtungsermächtigungen für die nächsten Haushalts-
jahre angeben)?
Falls nein,
a) wann soll eine Entscheidung gefällt werden,
b) welche Finanzierungsformen werden favorisiert oder wurden bereits

ausgeschlossen,
c) bis wann sollte für Institution und Beschäftigte nach Ansicht der Bundes-

regierung Planungssicherheit hergestellt werden, um einem Verlust an
personellem Know-How und finanziellen Mehrausgaben im DCZ zuvor
zu kommen,

d) inwiefern erwägt die Bundesregierung, die finanziellen Zuwendungen so
aufzustocken, dass die von der Prognos AG empfohlene Ausweitung der
DCZ-Arbeit ermöglicht wird?

Berlin, den 15. Juli 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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