BT-Drucksache 18/5592

zu der Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen - Drucksache 18/5590 - Stabilitätshilfe zugunsten Griechenlands hier: Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 4 Absatz 1 Nummer 1 des ESM-Finanzierungsgesetzes (ESMFinG), der Hellenischen Republik nach Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrages grundsätzlich Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens zu gewähren; Verwendung der SMP-Mittel 2014 zur Absicherung einer Brückenfinanzierung

Vom 16. Juli 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5592
18. Wahlperiode 16.07.2015
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dr. Sahra Wagenknecht, Wolfgang Gehrcke, Dr. Dietmar
Bartsch, Dr. Diether Dehm, Klaus Ernst, Andrej Hunko, Katja Kipping,
Stefan Liebich, Thomas Lutze, Dr. Alexander S. Neu, Alexander Ulrich
und der Fraktion DIE LINKE.

zu der Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen
– Drucksache 18/5590 –

Stabilitätshilfe zugunsten Griechenlands
hier: Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages

nach § 4 Absatz 1 Nummer 1 des ESM-Finanzierungsgesetzes (ESMFinG),
der Hellenischen Republik nach Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrages
grundsätzlich Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens zu gewähren;
Verwendung der SMP-Mittel 2014 zur Absicherung einer Brückenfinanzierung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Verhalten der Bundesregierung hat der Demokratie in Europa schweren Scha-
den zugefügt, weil sie sich daran beteiligt hat, dass der im Referendum zum Aus-
druck gebrachte Wille der griechischen Bevölkerung gebrochen wurde. Die Grie-
chinnen und Griechen haben „nein“ gesagt zu weiteren Kürzungen und „ja“ zu einem
gemeinsamen, friedlichen, solidarischen und gerechten Europa. Dies haben die Eu-
rogruppe und besonders die Bundesregierung ins Gegenteil verkehrt: Stattdessen gilt
in Europa jetzt das Recht des Stärkeren gegenüber den Schwächeren. Das soge-
nannte Verhandlungsergebnis vom Euro-Gipfel am 12.7.2015 ist ein Diktat und er-
zwingt die Fortsetzung der fatalen Politik aus Kürzungen und sich verschärfender
Wirtschaftskrise, die bereits in den letzten Jahren ein Viertel der griechischen Wirt-
schaftskraft zerstört und die griechischen Schulden immer weiter erhöht hat. Der
Bundestag zollt der griechischen Bevölkerung und der Regierung Respekt für ihren
Kampf gegen diese „extreme Politik“ und die versuchte „finanzielle Strangulierung“
des Landes (Alexis Tsipras am 13. Juli).

Drucksache 18/5592 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Das Agieren der Bundesregierung zielt darauf, die neue, nicht durch Korruption und
Vetternwirtschaft belastete Linksregierung zu brechen, das griechische Parlament zu
bevormunden und einen Regierungswechsel in Griechenland einzuleiten. Die Dro-
hung mit einem zeitweiligen oder endgültigen Ausschluss Griechenlands aus der Eu-
rozone widerspricht dem Wortlaut der EU-Verträge. Damit wurde nicht nur die grie-
chische Regierung unter massiven Druck gesetzt, sondern auch eine Drohkulisse ge-
gen andere, unter der Austeritätspolitik leidende EU-Mitgliedstaaten aufgebaut. Mit
dieser Politik treibt die Bundesregierung die Zerstörung von sozialer Sicherheit in
Griechenland und anderen Euroländern und EU-Mitgliedstaaten, die Unterminie-
rung von Rechtsstaatlichkeit und die Verletzung der staatlichen Souveränität und des
Prinzips gleichberechtigter Staaten in der Europäischen Union voran.
Die in der Erklärung des Euro-Gipfels vom 12. Juli festgehaltenen „Vereinbarun-
gen“ kamen nur unter erpresserischen Bedingungen zustande. Bereits die Aufnahme
von Verhandlungen über ein Darlehen des Europäischen Stabilitätsmechanismus
(ESM) in Höhe von bis zu 86 Mrd. Euro mit dreijähriger Laufzeit sind an harte aus-
teritätspolitische Vorbedingungen gebunden, die massiv in die Souveränität Grie-
chenlands eingreifen und ihre politischen Handlungs- und Gestaltungsspielräume
stark beschneiden. Wie auch in früheren ESM-Programmen werden die „Hilfsgel-
der“ überwiegend in den Schuldendienst und die Banken – und damit eben nicht
nach Griechenland – fließen. Mit den oktroyierten Gesetzesänderungen zu Mehr-
wertsteuererhöhungen und Rentenkürzungen, weiteren marktradikalen Reformen
und Privatisierungsauflagen (u. a. mit der Einrichtung eines 50 Mrd. Euro umfassen-
den Treuhandfonds) wird die seit Jahren gescheiterte Austeritätspolitik nicht nur
fortgesetzt, sondern zusätzlich verschärft. Diese Auflagen drohen eine wirtschaftli-
che Erholung zu verhindern, machen wirtschaftspolitische Maßnahmen jeder Regie-
rung nahezu unmöglich und verschärfen die soziale und demokratische Krise. Ein
nomineller Schuldenschnitt wird in der Eurogruppen-Erklärung ausdrücklich ausge-
schlossen; stattdessen werden lediglich vage Tilgungsaufschübe und längere Rück-
zahlungsfristen unter bestimmten Umständen in Erwägung gezogen.
Der Bundestag verurteilt, dass die Bundesregierung, insbesondere der Bundesfi-
nanzminister, der Eurogruppe Vorschläge über einen zeitweiligen Ausschluss Grie-
chenlands aus der Eurozone unterbreitet hat, auch noch ohne den Deutschen Bun-
destag zu unterrichten und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Das war
nicht nur ein schwerer Verstoß gegen das Gesetz über die Zusammenarbeit von Bun-
desregierung und Deutschen Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union
(EUZBBG), sondern ein Bruch des Grundgesetzes (Artikel 23 GG). Gegenüber ei-
nem solchen Bundesminister besteht das erforderliche Vertrauen des Parlaments
nicht mehr.
Die Behauptung, die griechische Regierung müsse sich an die für alle Mitgliedstaa-
ten der Europäischen Union geltenden Regeln halten und daher eine Austeritätspo-
litik umsetzen, ist ebenso unzutreffend wie zynisch: Nach dem Beginn der Finanz-
krise im Jahr 2008 hat die damalige Koalition aus CDU/CSU und SPD mit erhebli-
chem finanziellen Aufwand und nicht ohne Erfolg ein Investitionsprogramm von
80 Mrd. Euro aufgelegt, die Zeiten des Kurzarbeitergeldbezuges verlängert und den
Neukauf von Kraftfahrzeugen durch die „Abwrackprämie“ begünstigt. Bereits die
bisher Griechenland auferlegten Kürzungsprogramme haben demgegenüber die dor-
tige Wirtschaft schrumpfen lassen. Diese Politik wie auch die für die Zukunft von
Griechenland geforderten wirtschaftsfeindlichen und unsozialen Maßnahmen wie
die Erhöhung der Mehrwertsteuer und die faktischen Rentenkürzungen stellen sich
als Strategie dar, innerhalb der EU systematisch Staaten unterschiedlichen Reich-
tums, eine EU der „zwei Geschwindigkeiten“ zu schaffen und damit die Existenz
einer integrierten Europäischen Union insgesamt in Frage zu stellen.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5592
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, sich in den Gremien
der Eurogruppe und der EU dafür einzusetzen, dass

1. kurzfristig mit Griechenland ein Schuldenmoratorium vereinbart wird;
2. eine europäische Schuldenkonferenz durchgeführt wird, auf der über differen-

zierte Möglichkeiten eines Schuldenschnitts in der Eurozone, besonders für be-
stimmte Länder wie Griechenland, die Umstrukturierung von Darlehen hin-
sichtlich Zinshöhe und Laufzeiten sowie über durch Banken in öffentlichem
Eigentum vermittelte Kredite der EZB verhandelt wird;

3. neue „Hilfskredite“ durch eine europaweit koordinierte Vermögensabgabe für
Millionäre vermieden und im Notfall an keine austeritätspolitischen Maßnah-
men geknüpft werden;

4. Maßnahmen gegen Steueroasen innerhalb wie außerhalb der EU verabredet
werden und die Einführung von Mindeststandards auch bei Einkommen- und
Unternehmensteuern festgelegt wird;

5. die griechische Regierung in ihren Bestrebungen zur Besteuerung von hohen
Einkommen und Vermögen unterstützt wird und die von verschiedenen euro-
päischen Staaten praktizierten Modelle des schädlichen Steuerwettbewerbs un-
terbunden werden, die u. a. dazu führen, dass reiche Griechen ihr Vermögen in
Griechenland nicht versteuern müssen;

6. ein öffentliches Zukunftsinvestitionsprogramm mit sozial-ökologischer Prä-
gung in Höhe von jährlich 500 MRd. Euro für die EU aufgelegt wird, das durch
Kredite der EZB und höhere Steuern zu Lasten von Konzernen und Vermögen-
den finanziert wird, ohne die Mehrheit der Bevölkerung zu belasten und die
Schuldentragfähigkeit der staatlichen Haushalte zu verschlechtern;

7. die Vereinbarung, nach der die griechische Regierung die Institutionen zu sämt-
lichen Gesetzentwürfen in relevanten Bereichen mit angemessenem Vorlauf
konsultieren und sich mit ihnen abstimmen muss, ehe eine öffentliche Konsul-
tation durchgeführt oder das Parlament befasst wird, umgehend aufgehoben
wird.

III. Der Deutsche Bundestag fordert zudem die Bundeskanzlerin auf, dem Bundes-
präsidenten die Entlassung des Bundesfinanzministers Dr. Wolfgang Schäuble aus
seinem Amt vorzuschlagen.

IV. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung ferner auf, entschieden
gegen rassistische und antigriechische Äußerungen vorzugehen.

Berlin, den 16. Juli 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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