BT-Drucksache 18/5545

Berichte über die Lage in Kirgisistan und Usbekistan und US-Aktivitäten in Kirgisistan

Vom 8. Juli 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5545
18. Wahlperiode 08.07.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel,
Andrej Hunko, Dr. Alexander S. Neu, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Berichte über die Lage in Kirgisistan und Usbekistan und US-Aktivitäten
in Kirgisistan

Die Beziehungen zwischen den beiden zentralasiatischen Staaten Kirgisistan
und Usbekistan haben sich in den vergangenen Jahren rapide verschlechtert. So
ist die höchst kompliziert verlaufende kirgisisch-usbekische Grenze bis heute
nicht demarkiert und die Gespräche zwischen Offiziellen beider Länder über
diese Grenzfragen befinden sich nach Aussagen von Experten der neokonser-
vativen US-amerikanischen „Jamestown Foundation“ derzeit in einem „Dead-
lock“ (jamestown.org/programs/edm/single/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=
42912&cHash=1ee0f2edbe5b9af0b8dd63dc70b0c114#.VVycviuKVsI).
Bestätigt ist, dass bis zum Oktober 2014 kirgisische Militärs entlang der ge-
meinsamen Grenze wegen der angespannten Situation 20 Kilometer Gräben
ausgehoben und Zäune mit einer Länge von 30 km errichtet hatten. Der kirgi-
sische Präsident Almasbek Atambajew von der Sozialdemokratischen Partei
hatte infolge der angespannten Situation zwischen beiden Ländern indirekt
damit gedroht, die Beziehungen zu dem Nachbarland abzubrechen, und der
Regierung in Taschkent vorgeworfen, die Lage in seinem Land destabilisieren
zu wollen (jamestown.org/programs/edm/single/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=
42912&cHash=1ee0f2edbe5b9af0b8dd63dc70b0c114#.VVycviuKVsI).
Ein möglicher Konflikt zwischen Usbekistan und Kirgisistan könnte schwer-
wiegende Folgen für die Sicherheitslage im westlichen Eurasien haben, da
Kirgisistan aktives Mitglied der Organisation des Vertrages über kollektive
Sicherheit (OVKS) ist und damit mit Kasachstan – dem traditionellen Konkur-
renten Usbekistans in der Region – sowie der Nuklearwaffenmacht Russland
militärisch verbündet ist. Usbekistan hingegen unterhält besondere sicher-
heitspolitische Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland und beherbergt
seit 2002 eine Militärbasis der Bundeswehr („Strategischer Lufttransport-
stützpunkt Termez“) (www.luftwaffe.de/portal/a/luftwaffe/!ut/p/c4/04_
SB8K8xLLM9MSSzPy8xBz9CP3I5EyrpHK9nHK9ktTEXL3UzLxivczixDQgt0i_
INtREQDOtDOV/). Die Bundesrepublik Deutschland und die zentralasia-
tischen Staaten verbindet außerdem das gemeinsame Dach in mehreren interna-
tionalen Organisationen, allen voran der Organisation für Sicherheit und Zusam-
menarbeit in Europa (OSZE).
Hinzu kommt, dass die Lage in Kirgisistan durch möglicherweise von den USA
inspirierte Putschversuche destabilisiert werden könnte. Für Aufsehen sorgte
jüngst in Kirgisistan die Ernennung des US-Diplomaten Richard Miles zum
Chargé d’Affaires der US-Botschaft in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek.
Richard Miles hatte von 2002 bis 2005 in Georgien gedient, wo während seiner

Drucksache 18/5545 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Amtszeit ein Umsturz stattfand („Rosenrevolution“), welcher den radikal-
neoliberalen Nationalisten Micheil Saakaschwili an die Regierung brachte.
Meldungen über die angebliche Ankunft von 150 Tonnen „Diplomatengepäck“
der Vereinigten Staaten von Amerika auf dem Flughafen der kirgisischen
Hauptstadt Bischkek im April 2015 sorgten für ein Hochkochen der Gerüchte-
küche (delo.kg/index.php/2011-08-04-18-06-33/8474-tainstvennyj-gruzdlya-
posolstva-ssha). Andere Quellen sprechen sogar von 152 Tonnen angeblichen
US-amerikanischen „Diplomatengepäcks“ (eurasianet.org/node/73036).
Die internationalen Beziehungen der zentralasiatischen Staaten entwickelten
sich in den vergangenen 25 Jahren in höchst unterschiedliche Richtungen. Wäh-
rend Kasachstan, Kirgisistan und Turkmenistan Mitglieder der OVKS wurden,
ändert sich die usbekische außenpolitische Ausrichtung und die Mitgliedschaft
in Militärallianzen alle Jahre wieder. Im usbekischen Termez unterhält die Bun-
deswehr seit dem Februar 2002 einen Strategischen Lufttransportstützpunkt, der
für den Nachschub der ISAF-Truppen (ISAF – Internationale Sicherheitsunter-
stützungstruppe) in Afghanistan von Bedeutung war. Turkmenistan wiederum
ist das bisher weltweit einzige Land, dessen „permanente Neutralität“ von der
UN-Vollversammlung bestätigt wurde (A/RES/50/80, 12. Dezember 1995).
Am 29. Mai 2014 unterzeichneten die Staatschefs von Belarus, Kasachstan und
Russland in der kasachischen Hauptstadt Astana den Vertrag über die Gründung
der Eurasischen Union (EaU) (www.washingtonpost.com/world/europe/russia-
kazakhstan-belarus-form-eurasian-economic-union/2014/05/29/de4a2c15-cb01-
4c25-9bd6-7d5ac9e466fd_story.html). Mit Kasachstan und Kirgisistan sind be-
reits zwei zentralasiatische Staaten an diesem Wirtschaftsbündnis beteiligt.
Mögliche weitere Beitrittskandidaten sind neben Armenien die Mongolei und
Tadschikistan. Eine Mehrheit der usbekischen Bevölkerung wünscht ebenso ei-
nen Beitritt zur Eurasischen Union (www.laender-analysen.de/belarus/pdf/
BelarusAnalysen18.pdf).
Der militärpolitisch engste Verbündete Deutschlands in der Region, Usbekistan,
steht in der Kritik wegen Menschenrechtsverbrechen der dortigen Diktatur. „Die
Politik der Bundesregierung gegenüber Usbekistan ist beschämend“, sagte bei-
spielsweise Selmin Çalışkan, die Generalsekretärin von Amnesty International
(AI) in Deutschland. Die Menschenrechtsorganisation hat derzeit eine Initiative
gestartet, damit sich der EU-Außenministerrat wieder mit der Menschenrechts-
lage in Usbekistan befasst. Der Rat nahm das Thema 2010 von der Tagesordnung
(amnesty.de/presse/2015/4/15/deutschland-schweigt-zu-folter-usbekistan).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Kilometer Gräben wurden in den vergangenen zwölf Monaten nach

Kenntnis der Bundesregierung entlang der usbekisch-kirgisischen Grenze
ausgehoben, und wie viele Kilometer Zaun wurden in dieser Zeit neu er-
richtet (jamestown.org/programs/edm/single/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=
42912&cHash=1ee0f2edbe5b9af0b8dd63dc70b0c114#.VVycviuKVsI)?

2. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den aktuellen Stand der
bilateralen Gespräche zur Demarkation der usbekisch-kirgisischen Grenze
(jamestown.org/programs/edm/single/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=
42912&cHash=1ee0f2edbe5b9af0b8dd63dc70b0c114#.VVycviuKVsI)?

3. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Ernennung des
US-Diplomaten Richard Miles zum Chargé d’Affaires in der kirgisischen
Hauptstadt Bischkek (timesca.com/news/14953-richard-miles-to-serve-as-
u-s-charge-d-affaires-in-kyrgyzstan)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5545
4. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die angebliche Ankunft
von 150 Tonnen „Diplomatengepäck“ der Vereinigten Staaten von Amerika
auf dem Flughafen der kirgisischen Hauptstadt Bischkek im April 2015
(delo.kg/index.php/2011-08-04-18-06-33/8474-tainstvennyj-gruzdlya-
posolstva-ssha)?

5. Inwieweit sind der Bundesregierung Vorwürfe der kirgisischen Regierung
bekannt, dass die EU in der Frage der Sanktionen in der Ukrainekrise „dop-
pelte Standards“ nutzen würde, wie sie in einer Verbalnote Kirgisistans am
13. März 2014 deutlich gemacht wurden?

6. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den tadschikisch-
kirgisischen Grenzzwischenfall vom 7. Mai 2014 (www.jamestown.org/
programs/edm/single/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=42393&tx_
ttnews%5BbackPid%5D=756&no_cache=1#.U4yVJ_l_vTo)?

7. Wie schätzt die Bundesregierung den aktuellen Stand der „EU-Zentral-
asienstrategie“ ein?

8. In welchem der zentralasiatischen Länder hielten sich seit 2002 deutsche
Bundeswehrsoldaten in Ausübung ihres Dienstes ohne Mandat auf?

9. Welche Projekte hat die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammen-
arbeit (GTZ) GmbH/Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenar-
beit (GIZ) GmbH von 1994 bis 2014 im Rahmen des 1990 eingerichteten
„Programms für nationale Minderheiten“ in Zentralasien durchgeführt
(www.giz.de/de/weltweit/15242.html)?

10. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Nutzung von usbe-
kischen Flughäfen und Militärstützpunkten für das Programm der „Extra-
ordinary Rendition“ der US-Regierung von 2001 bis 2009?

11. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Behauptung des
ehemaligen britischen Botschafters in Usbekistan, Craig Murray (im Amt
von 2002 bis 2004), dass die „Islamische Dschihad-Union“ (IJU) vom usbe-
kischen Geheimdienst gegründet wurde (www.deutschlandfunk.de/
ein-kaefig-voller-enten.1247.de.html?dram:article_id=190154)?

12. Welchen Einfluss hätte nach Kenntnis der Bundesregierung solch eine Er-
kenntnis auf die Einschätzung der „Sauerländer Terrorzelle“, die mutmaßlich
Kontakte zur usbekischen IJU hatte (www.spiegel.de/politik/deutschland/
festnahmen-verdaechtige-hatten-kontakt-zu-usbekischen-militanten-a-
503944.html)?

13. Wie lange plant die Bundesregierung, den Strategischen Lufttransportstütz-
punkt Termez noch zu unterhalten?

14. Welche Form der Ausrüstungshilfe hat die Bundeswehr der usbekischen Ar-
mee von 2002 bis 2014 zukommen lassen?

15. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die jüngst erfolgten
Reisen des früheren afghanischen Warlords und derzeitigen Regierungs-
mitgliedes Afghanistans, Abdul Raschid Dostum, nach Usbekistan, Kasach-
stan und Indien (www.jamestown.org/single/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=
42075&no_cache=1#.UzwaAvl_vTo)?
a) Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregie-

rung aus den Gerüchten, dass Abdul Raschid Dostum nach Abzug der
ISAF-Kräfte aus Afghanistan einen souveränen De-facto-Staat im Nor-
den Afghanistans („Dostumistan“) gründen könnte (www.jamestown.org/
single/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=42075&no_cache=1#.UzwaAvl_
vTo)?

Drucksache 18/5545 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
b) Wie schätzt die Bundesregierung die Rolle der usbekischen Regierung
bei der Vorbereitung der Wiedererrichtung von „Dostumistan“ ein?

c) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Kooperation der
Sicherheitskräfte unter der Kontrolle von Abdul Raschid Dostum mit
usbekischen und kasachischen Sicherheitsdiensten?

16. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die 2011 geplante Sta-
tionierung von indischen Truppen in Kirgisistan (jamestown.org/single/
?tx_ttnews%5Btt_news%5D=38154&no_cache=1#.VVye3yuKVsI)?

17. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Sprengung einer
Eisenbahnbrücke, über welche eine Eisenbahnlinie die Städte Termez und
Qurghonteppa verband, vom 17. November 2011 (www.jamestown.org/
regions/centralasia/single/?tx_ttnews%5Bpointer%5D=6&tx_ttnews%5Btt_
news%5D=38707&tx_ttnews%5BbackPid%5D=659&cHash=
cae11e920a50bbbddabe42026a68a4eb#.U4yV_vl_vTo)?

18. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Entsendung von
usbekischen und russischen Soldaten nach Turkmenistan zur Sicherung der
Grenze nach Afghanistan wegen der angeblichen Gefahr durch den „Isla-
mischen Staat“ in den nördlichen Provinzen Afghanistans (jamestown.org/
programs/edm/single/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=43725&cHash=
b52e1e856b71de8ff1a5f396a80bb9f3#.VVyhkCuKVsI)?

19. Welche – auch nachrichtendienstlichen – Erkenntnisse hat die Bundes-
regierung darüber, dass die Destabilisierung der Lage in der Grenzregion
Afghanistan/Turkmenistan weniger durch den „Islamischen Staat“,
sondern eher durch die türkische Regierung – vor dem Hintergrund der
möglichen Routen geplanter Pipelines – erfolgt (jamestown.org/
programs/edm/single/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=43725&cHash=
b52e1e856b71de8ff1a5f396a80bb9f3#.VVyhkCuKVsI)?

20. Wie entwickelte sich der deutsche Menschenrechtsdialog mit Usbekistan
seit der Schaffung dieses Instrumentes im Jahr 2009?

21. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung dazu, dass in Usbekistan
„Foltervorwürfe […] in der Regel nicht untersucht“ werden und „die
Folterer […] ohne Strafe [davonkommen]“ (amnesty.de/presse/2015/4/15/
deutschland-schweigt-zu-folter-usbekistan), und welche Schlussfolgerun-
gen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus?

22. Wann war nach Kenntnis der Bundesregierung die Menschenrechtslage in
Usbekistan in den Jahren 2009 bis 2014 Thema im EU-Außenministerrat
(amnesty.de/presse/2015/4/15/deutschland-schweigt-zu-folter-usbekistan)?

23. Welche Ergebnisse brachte die Reise des damaligen Präsidenten des deut-
schen Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke, nach Usbekistan im Juli 2014
(www.akipress.com/news:544295/)?

24. Ist der Bundesregierung bekannt, dass der tschechische Präsident Miloš
Zeman im Februar 2014 ein Treffen mit dem usbekischen Staatschef wegen
dessen Menschrechtsbilanz absagte (reuters.com/article/2014/02/13/us-
czech-uzbekistan-idUSBREA1C0W320140213)?

25. Welche Konsequenzen und Schlussfolgerungen für die deutsch-usbe-
kischen Beziehungen zieht die Bundesregierung aus dem Verhalten des
tschechischen Präsidenten (siehe Frage 24)?

Berlin, den 7. Juli 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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